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Angehörigenbegleitung: „Auch Angehörige sind Betroffene“ [Interview]

Angehörigenbegleitung: Mag. Monica Aschauer im Interview

Mag. Monica Aschauer ist seit 2018 nebenberuflich in der Trauer- und Angehörigenbegleitung tätig. Auch im Krankenhaus Göttlicher Heiland leitet sie seit Jänner 2019 eine Trauergruppe. Außerdem führt sie den Lehrgang zur Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung (diese Ausbildung ist nötig, um ehrenamtlich im Hospiz- und Palliativbereich arbeiten zu können) im Kardinal König Haus durch.

Im Interview mit selpers spricht sie über ihre Erfahrungen im Palliativbereich und über ihr zweites Standbein der Angehörigenbegleitung.

Der Weg in den Palliativbereich und die Angehörigenbegleitung

selpers: Liebe Frau Mag. Aschauer, wie kam es zur Entscheidung Ihren Beruf zu wechseln und eine Weiterbildung im Palliativbereich zu machen?

Mag. Aschauer: Ich habe bereits 2 Jahre vor meinem beruflichen Wechsel ehrenamtlich (1x wöchentlich) auf der Palliativstation im Göttlicher Heiland Krankenhaus gearbeitet. Im Jahr 2003 wurde ich in meiner Tätigkeit als Personalberaterin im Alter von 40 Jahren gekündigt. Ich war mit meiner Aufgabe als Beraterin ohnehin schon lange nicht mehr glücklich, daher beschloss ich, die 3-jährige Ausbildung zur Diplomkrankenschwester zu machen. Diese schloss ich im Jahr 2007 ab. Es war immer mein Ziel, im Palliativbereich zu arbeiten. Dies ist nur mit voriger Berufspraxis möglich, daher konnte ich erst nach 3 Jahren auf einer internen Station im Jahr 2010 auf der Palliativstation im KH Göttlicher Heiland, wo ich vorher ehrenamtlich tätig war, als Diplomkrankenschwester beginnen.

selpers: Was hat Sie schließlich dazu bewegt die Website angehörig.at ins Leben zu rufen?

Mag. Aschauer: In meiner Arbeit mit schwerkranken und sterbenden Menschen habe ich auch sehr viel Kontakt mit deren An- und Zugehörigen. Es hat mir immer sehr viel Freude gemacht, diese (neben meiner unmittelbaren Arbeit am Krankenbett) zu beraten, zu begleiten und Gespräche zu führen. Ich wollte neben meiner Tätigkeit als Krankenschwester ein zweites Standbein in der Beratung von Angehörigen aufbauen. Außerdem glaube ich, dass es diesbezüglich bisher kaum Angebote gibt, der Bedarf aber sehr groß ist.

Für wen und wann ist die Angehörigenbegleitung ratsam?

selpers: An welche Menschen richtet sich Ihre Angehörigenbegleitung?

Mag. Aschauer: An alle Menschen, die einen schwerkranken, sterbenden (vorwiegend krebskranken) Menschen begleiten und sich in dieser Situation überfordert fühlen, Hilfe und Unterstützung sowie ein offenes Ohr in dieser schweren Situation suchen. Außerdem an trauernde Menschen, die sich mit ihrer Trauer überfordert, bzw. von ihrem Umfeld nicht ausreichend verstanden oder alleingelassen fühlen. An alle Menschen, die in solch herausfordernden Situationen ihre Ressourcen (wieder)finden und stärken möchten, um weitermachen zu können.

selpers: Ab wann ist es ratsam Angehörigenbegleitung heranzuziehen?

Mag. Aschauer: Wenn man das Gefühl hat, alleine nicht mehr weiterzukommen, wenn man in dieser schweren Situation auch für sich selbst etwas tun möchte, um die Herausforderungen besser meistern zu können. Und wenn man mit jemandem Außenstehenden „über alles“ reden möchte.

selpers: Wie können Angehörige erkennen, dass sie sich selbst mit der Situation überfordern und Hilfe in Anspruch nehmen sollten?

Mag. Aschauer: Dies ist wohl nur individuell zu beantworten bzw. sehen das Außenstehende oft viel besser. Es ist jedenfalls wichtig, sich selbst zuzugestehen, dass man auch als Angehörige/r Betroffene/r ist und Hilfe in Anspruch nehmen darf/soll, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

selpers: Was ist Ihnen bei der Begleitung der Angehörigen besonders wichtig?

Mag. Aschauer: Ich möchte meine KlientInnen dabei unterstützen, sich in dieser schweren Lebenssituation zurecht zu finden, Stärken und Ressourcen zu erkennen und diese auch zu nützen. Es ist mir wichtig, Raum für das Ausdrücken von oft sehr zwiespältigen Gefühlen zu geben und diese damit besser einordnen zu können. Ich gebe keine Lösungen vor, sondern unterstütze die KlientInnen dabei, selbst neue Strategien und Lösungsansätze für sich zu entwickeln.

Ratschläge für Angehörige von schwerkranken oder verstorbenen Personen

selpers: Ein Familienmitglied zu verlieren, sei es durch einen Unfall oder durch eine Krankheit, bringt viele Gefühle und Emotionen hervor – welche Ratschläge haben Sie, um mit diesen zurechtzukommen?

Mag. Aschauer: Ich denke, es ist wichtig, diese unterschiedlichen Gefühle wahrzunehmen und anzuerkennen, dass sie ihre Berechtigung haben. Trauer, Angst, Wut, aber auch Erleichterung und viele andere Gefühle mehr können und dürfen nebeneinander bestehen. Man sollte sich diese Gefühle von Außenstehenden nicht absprechen lassen – auch wenn dies oft sehr schwierig ist.

selpers: Welche Hilfestellungen können Sie Angehörigen, aufgrund Ihrer eigenen langen Erfahrung, mit auf den Weg geben?

Mag. Aschauer: Holen Sie sich Hilfe, versuchen Sie, Verantwortung abzugeben, Aufgaben wenn möglich zu teilen, erkennen Sie an, dass Sie auch Betroffene/r sind, nicht nur der/die Kranke. Versuchen Sie, mit dem kranken Menschen möglichst offen über Ängste und Sorgen zu sprechen – die Kranken sind oft sehr dankbar dafür, wenn man nicht „um den heißen Brei herumredet“, sondern auch schwere Themen offen anspricht.

selpers: Wie helfen Sie den Menschen nach schweren Zeiten ihre eigenen Ressourcen und Kraftquellen wieder zu aktivieren?

Mag. Aschauer: Es geht darum, Ressourcen und Kraftquellen, die bisher im Leben unterstützend waren, zu identifizieren, wiederzuentdecken und den Mut zu haben, diese Quellen auch wieder anzuzapfen. Das können völlig unterschiedliche Dinge wie ein Glas Wein, ein Wannenbad, ein Spaziergang, Tanzen zu lauter Musik, Schreien, Sport, Besuch der Sonntagsmesse, Gespräche mit Freunden oder aber Alleinsein und vieles mehr sein. Und dann möglicherweise auch etwas Neues entdecken, das in der jetzigen Situation gut tut und hilft, Schweres auszuhalten.

selpers: Gibt es allgemeine Tipps, die Sie Angehörigen gerne ans Herz legen?

Mag. Aschauer: Ich glaube, es tut uns allen gut, wenn wir von Zeit zu Zeit unsere Lebenssituation sorgfältig hinterfragen und uns überlegen, was wir optimieren können. Man muss sich um etwas bemühen, damit man etwas zurückbekommt. Solange wir gesund sind, sehen wir die Veranlassung dazu oft nicht. Aber genau das ist der richtige Moment. Das sind Investitionen in uns selbst, die wir wichtig nehmen sollten.

Herzlichen Dank für das Interview.

Mag. Monica Aschauer - Angehörigenberaterin Mag. Monica Aschauer
Angehörigen- und Trauerberaterin, Leiterin der Trauergruppe im Krankenhaus Göttlicher Heiland und Diplomkrankenschwester.

Mehr über das Beratungsangebot von Mag. Aschauer finden Sie auf ihrer Website www.angehörig.at

Interview wurde geführt von:  selpers Redaktion.

Bildnachweis: beigestelltes Foto.