9. Hereditäres Angioödem verstehen – Alle Fragen

Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine sehr seltene Erkrankung, die oft erst Jahre nach Beginn der ersten Symptome richtig diagnostiziert wird. Diese genetische Krankheit ist durch wiederkehrende plötzlich auftretende Schwellungen am Körper gekennzeichnet.
Diese Online-Schulung soll Betroffenen und Angehörigen einen ersten Einblick in die Krankheit, ihre Symptome und Ursachen geben.

Einleitung durch OÄ Priv.-Doz.in DDr.in Sabine Altrichter

Herzlich willkommen. Mein Name ist Sabine Altrichter. Ich bin Oberärztin am Kepler Uniklinikum, Fachärztin für Dermatologie mit einer Spezialisierung in der Allergologie und betreue hier zusammen mit einer zweiten Oberärztin, der Frau Dr. Öllinger, Patient:innen mit hereditären Angioödem. Und ich möchte Sie heute hier mitnehmen zu dieser Schulung und möchte Ihnen gerne Fragen zum hereditären Angioödem beantworten.

Hier geht es zur Einleitung des Kurses: „Hereditäres Angioödem verstehen”

Hereditäres Angioödem einfach erklärt

Was ist ein hereditäres Angioödem?

Das hereditäre Angioödem ist eine Erkrankung, bei der es durch einen genetischen Defekt dazu kommt, dass ein Faktor fehlt, der sogenannte C1-Esterase-Inhibitor . Deswegen bekommen die Patient:innen anfallsartig Schwellungen an verschiedenen Körperstellen oder auch an inneren Organen wie zum Beispiel dem Darm.

Welche Organe oder Körperteile sind beim hereditären Angioödem betroffen?

Beim hereditären Angioödem kann es zu Schwellungen an allen möglichen Körperarealen kommen. Es können zum Beispiel Schwellungen im Bereich der Arme oder der Beine auftreten. Sehr häufig ist aber zum Beispiel auch das Gesicht betroffen. Gar nicht so selten tatsächlich auch der Genitalbereich. Es kann aber auch innerlich zu Schwellungen kommen. Es können vor allem die Darmschlingen richtig aufschwellen und die Patient:innen klagen dann meistens über sehr, sehr starke Bauchschmerzen.

Bilder von Schwellungen beim hereditären Angioödem - Arme, Beine, inneren Organe und Genitalbereich

Wie häufig kommt ein hereditäres Angioödem vor?

Das hereditäre Angioödem ist eine sehr seltene Erkrankung. Man schätzt, dass in Österreich vielleicht etwa 200 Patient:innen davon betroffen sind. Wir kennen sehr gut etwa 120 Patient:innen, bei denen es wirklich gesichert ist. Man geht aber davon aus, dass es noch weitere Patient:innen gibt, wo man es noch nicht so richtig weiß. Es sind Männer und Frauen etwa gleich häufig betroffen und die Erkrankung manifestiert sich bei den Patient:innen zum Teil bereits schon im frühen Kindesalter, kann aber auch erst im etwas späteren Erwachsenenalter auftreten. Symptome können dann aber auch bis ins hohe Lebensalter anhalten.

Wie entsteht ein hereditäres Angioödem?

Beim hereditären Angioödem gibt es einen Fehler in der sogenannten Komplementkaskade. Ganz häufig fehlt bei den Patient:innen ein Faktor, der sogenannte C1-Esterase-Inhibitor oder der Faktor funktioniert nicht richtig und dadurch dreht dieses komplette System sozusagen ein bisschen durch und produziert viel zu viele Stoffe. Und das führt dann dazu, dass die Patient:innen diese Schwellungen haben.

Wie unterscheiden sich Typ 1, Typ 2 und Typ 3 des hereditären Angioödems?

Man unterscheidet bei dieser Erkrankung mehrere Formen. Es gibt den sogenannten Typ 1 des hereditären Angioödems. Hier ist es typischerweise so, dass der C1-Esterase-Inhibitor richtig fehlt. Also da hat das Gen so einen Defekt, dass dieses Molekül nicht richtig hergestellt werden kann vom Körper. Beim Typ 2 ist es so, dass das Molekül zwar produziert wird vom Körper, es aber nicht richtig funktioniert. Und beim Typ 3 ist es so, dass andere Sachen nicht richtig funktionieren in dieser komplexen Komplementkaskade. Am Ende sozusagen passiert immer das Gleiche. Es wird sehr viel von einem gewissen Stoff produziert, dem sogenannten Bradykinin . Und das löst dann diese Schwellungen im Körper aus.

Hier geht es zum Video-Interview: „Hereditäres Angioödem einfach erklärt”

Symptome beim hereditären Angioödem

Was sind typische Symptome bei einer HAE-Attacke?

Bei einer HAE-Attacke, also wenn die Patient:innen symptomatisch sind, geht manchmal voraus, dass die Patient:innen sich bereits unwohl fühlen, eine gewisse Unruhe haben oder auch sich vorher schon erschöpft fühlen. Es kann dann dazu kommen, dass die Patient:innen manchmal auch so Ausschläge haben am Körper. Das muss aber nicht sein. Und typischerweise beginnt das dann bei den Patient:innen so, dass sie an gewissen Körperstellen eben Schwellungen entwickeln. Das kann mal schneller oder mal auch langsamer sich entwickeln, kann aber wirklich ganz extreme Formen annehmen. Es kann die ganze Hand so geschwollen sein, dass man die Finger nicht mehr bewegen kann. Es kann im Gesicht zum Beispiel so stark geschwollen sein, dass man die Lippen nicht mehr bewegen kann oder gar nicht mehr aus den Augen zum Beispiel raussehen kann.

Symptome bei hereditärem Angioödem abgesehen von den Schwellungen

Welche atypischen Symptome können bei einem hereditären Angioödem auftreten?

Also Symptome, die manchmal nicht so ganz klar von Anfang an dem hereditären Angioödem zugeordnet werden können sind vor allem Bauchschmerzen. Hier gibt es natürlich auch sehr viele andere Möglichkeiten, was das auslösen kann. Aber auch bei Schwellungen ist es oftmals gar nicht so klar, was hier die Ursache ist. Es gibt auch andere Erkrankungen, die mit Schwellungen einhergehen können. Es ist deswegen für eine Ärztin / einen Arzt oft am Anfang gar nicht so leicht zu unterscheiden jetzt rein von den klinischen Symptomen her, ob ein hereditäres Angioödem besteht oder nicht.

Bei welchen Warnzeichen oder Symptomen sollte ich zur Ärztin oder zum Arzt gehen?

Immer wenn man Schwellungen bekommt an Körperstellen ohne eine richtige erklärliche Ursache. Also wenn ich einen Mückenstich habe und an der Stelle habe ich eine Schwellung oder ich war bei der Zahnärztin / beim Zahnarzt und dann ist meine Backe dick geschwollen – dann gibt es ja irgendeine Erklärung, warum ich hier eine Schwellung habe. Wenn ich aber plötzlich aus heiterem Himmel heraus an verschiedenen Körperstellen Schwellungen bekomme und man kann eigentlich nicht richtig sagen, was die Ursache ist – das wäre etwas, wo man wirklich nochmal zur Ärztin / zum Arzt gehen soll. Es muss dann nicht ein hereditäres Angioödem sein, aber es sollte unbedingt abgeklärt werden, was hier die Ursache ist.

Gibt es Erkrankungen, die aufgrund ähnlicher Symptome mit einem hereditären Angioödem verwechselt werden können?

Beim hereditären Angioödem bekommen die Patient:innen Schwellungen an verschiedenen Körperstellen. Das ist aber eben nicht exklusiv für diese Erkrankung. Es gibt auch andere Erkrankungen, zum Beispiel allergische Reaktionen, aber auch Angioödeme, zum Beispiel häufig im Rahmen von einer Nesselsucht, einer chronischen Urtikaria. Auch hier kann es zu solchen Schwellungen kommen. Auch als Nebenwirkung von manchen Medikamenten, zum Beispiel von manchen Blutdruckmedikamenten, kann es dazu kommen, dass Patient:innen Schwellungen bekommen.

Ein Problem ist eben vor allem, wenn Patient:innen Symptome im Bauchbereich haben. Hier gibt es dann noch mal eine große Palette an möglichen Differenzialdiagnosen. Vom Nierenstein bis zum Blinddarm bis zu irgendwelchen anderen Erkrankungen im Magen Darm Bereich steht hier der Ärztin / dem Arzt erstmal eine große Palette an möglichen Differenzialdiagnosen zur Verfügung. Es ist gar nicht so einfach. Häufig haben auch Patient:innen manchmal falsche operative Eingriffe oder diagnostische Untersuchungen, bis man dann vielleicht auch erst später drauf kommt, dass Patient:innen eigentlich ein hereditäres Angioödem haben.

Mögliche Fehldiagnosen (Differentialdiagnosen) bei Hereditärem Angioödem

Hier geht es zum Video-Interview: „Symptome beim hereditären Angioödem”

Ursachen und Vererbung des hereditären Angioödems

Was löst ein hereditäres Angioödem aus?

Beim hereditären Angioödem ist es so, dass meistens ein spezifisches Gen, das SERPING1-Gen, einen Defekt hat, so dass eben der Körper ein spezifisches Molekül, den C1-Esterase-Inhibitor nicht oder nicht richtig produzieren kann. Und wenn dieser Faktor fehlt, dann laufen im Körper, insbesondere wenn es gewisse Triggerfaktoren gibt, Prozesse anders ab.

Triggerfaktoren sind zum Beispiel Infekte oder aber auch mechanischer Stress an verschiedenen Körperstellen. Also wenn man sich irgendwo anschlägt oder es Verletzungen gibt oder auch operative Eingriffe wären zum Beispiel so ein Trauma. Dann kommt es dazu, dass diese Komplementaktivierung ganz stark stattfindet und es deswegen dann zu Schwellungen insbesondere an diesen Körperstellen kommt. Trauma kann aber auch wirklich eine mechanische Belastung sein, wie zum Beispiel längere Zeit Fahrrad fahren, wo ein starker Druck im Bereich vom Sattel oder bei den Händen ist und am Ende des Tages kommt es dann dazu, dass die Patientin / der Patient an den Händen, aber auch vielleicht im Genitalbereich dann wirklich starke Schwellungen bekommt.

Was ist eine Neumutation und wie kommt es dazu?

Häufig wird eben dieser Gendefekt weitergegeben und es gibt Familien, wo schon bekannt ist, dass so ein Gendefekt vorliegt und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% wird das weitervererbt. Es kann aber durchaus sein, dass man als Patient:in die/der allererste ist, die/der das hat. Es kann zu einer Spontanmutation kommen und dann ist man eben der erste, der in der Familie so eine Mutation hat und hat dann aber auch das Risiko, diese erworbene Mutation sozusagen wieder weiterzugeben. Häufiger sind aber diese Gendefekte in den Familien bekannt. Man sagt so etwa bei 80% von den Patient:innen, die man kennt, sind das so familiäre Formen und so etwa 20 % der Patient:innen, die wir so kennen sind es Patient:innen, wo man sozusagen die erste Patientin / der erste Patient ist in der Familie und wo eben so eine neue Mutation aufgetreten ist.

Wie wird ein hereditäres Angioödem vererbt?

Das hereditäre Angioödem wird autosomal-dominant vererbt, das heißt, wenn man den Defekt hat, hat man auch die Symptome. Die Wahrscheinlichkeit, dass man diesen Defekt vererbt, weil man hat ja immer zwei Chromosomen und eines sozusagen gibt man weiter an, seine Kinder ist deswegen 50%. Es reicht also, wenn eines dieser beiden Chromosomen diesen Defekt hat, dass man dann Symptome haben kann beim hereditären Angioödem.

Wann sollten Angehörige bei HAE in der Familie zur Ärztin oder zum Arzt gehen?

Wenn in einer Familie, wo bekannt ist, dass jemand ein hereditäres Angioödem hat, andere Personen auch vorhanden sind, die Symptome haben, die durchaus passen, also Schwellungen haben, Bauchschmerzen haben, dann sollten auch diese Personen sich testen lassen, ob sie nicht auch ein hereditäres Angioödem haben, weil diese Form, diese Erkrankung braucht eine spezifische Therapie im Vergleich zu den anderen Differentialdiagnosen und deswegen ist es wichtig zu wissen, ob man ein hereditäres Angioödem hat oder nicht.

Hier geht es zum Video-Interview: „Ursachen und Vererbung des hereditären Angioödems”

Arztgespräch beim hereditären Angioödem

An welche Ärztin oder welchen Arzt sollte ich mich bei Verdacht auf ein hereditäres Angioödem wenden?

Bei einem akuten Notfall, wenn es eine starke Schwellung gibt, insbesondere vielleicht im Kopfbereich, sollten Sie sich auf jeden Fall in ärztliche Behandlung begeben und auch die Notaufnahmen oder Rettungsstellen aufsuchen.

Ansonsten, wenn es darum geht herauszufinden, ob man möglicherweise ein hereditäres Angioödem hat, ist es sinnvoll, sich erstmal vielleicht einer spezialisierten Fachärztin / einem spezialisierten Facharzt zuzuwenden. Ärzt:innen, die zumindest im Studium von dieser Erkrankung lernen, wären eigentlich Hautärzt:innen, aber auch HNO-Ärzt:innen, weil ebenso Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich wichtig sind. Diese können dann aber auch wenn sie zum Beispiel selbst nicht weiterkommen, dann an Spezialzentren verweisen, wo dann wirklich auch noch mal weitere Diagnostik gemacht werden kann. Spezialzentren finden sich eigentlich in jeder Uniklinik hier in Österreich.

Anlaufstellen bei Verdacht auf hereditäres Angioödem: Notaufnahme, Haut- und HNO-Ärzt:innen, spezialisierte Zentren

Welche Fragen kann mir meine Ärztin oder mein Arzt stellen?

Wenn Sie sich bei der Ärztin / beim Arzt oder bei der Spezialistin / beim Spezialisten vorstellen mit der Frage Habe ich ein hereditäres Angioödem, ist es super, wenn Sie auch mitarbeiten und schon einige Sachen mitbringen, zum Beispiel ob Sie Medikamente einnehmen und wenn ja, wie die wirklich heißen. Also vielleicht eine Medikamentenliste. Wichtig ist auch, ob es andere Familienmitglieder gibt, die vielleicht ähnliche Symptome haben, welche Erkrankungen sonst noch vorliegen, ob es auch Allergien zum Beispiel gibt, die irgendwie wichtig sein könnten. Das sind so wichtige Aspekte, die wir als Arzt dann von Ihnen wissen wollen.

Welche Informationen sollte ich zum Arztbesuch mitbringen?

Wichtig ist, wenn Sie zur Ärztin / zum Arzt kommen, dass Sie mitbringen, was für Ereignisse schon stattgefunden haben und auch zum Beispiel welche Medikamente hier verabreicht wurden und wie Sie darauf reagiert haben. Also auch das ist zum Beispiel eine wichtige Information, wie Sie auf eine Therapie in der Vergangenheit bereits angesprochen haben. Ansonsten ist es wichtig, dass Sie Informationen mitbringen, was so Ihre Grunderkrankungen sind, welche Medikamente Sie regelmäßig einnehmen und ob andere Familienmitglieder betroffen sind von dieser Erkrankung.

Hier geht es zum Video-Interview: „Arztgespräch bei hereditären Angioödem”

Diagnose des hereditären Angioödems

Welche Untersuchungen werden zur Diagnose eines hereditären Angioödem durchgeführt?

Um ein hereditäres Angioödem feststellen zu können, braucht man am besten eine Blutabnahme. Hier werden bei einer Blutabnahme Faktoren bestimmt, wie zum Beispiel Komplementfaktoren, aber auch der C1-Esterase-Inhibitor, also dieser Faktor, dieses Molekül, das bei den Patient:innen defekt oder fehlend ist, kann sozusagen im Labor bestimmt werden.

Wichtig ist, dass insbesondere die letzte Analyse, also die vom C1-Esterase-Inhibitor in einem spezialisierten Zentrum erfolgt. Denn das Problem kann sein, wenn die Blutprobe abgenommen wird, dann aber sehr lange Transportwege zum Beispiel bis zum Bestimmungslabor hat, dass dann hier die Werte schon niedrig sind. Aber nicht deswegen, weil man wirklich diesen Gendefekt hat, sondern weil einfach durch den Transport quasi schon viel kaputt gegangen ist und dann das Labor eben nicht mehr so viel nachweisen kann, ohne dass man dann ein hereditäres Angioödem hat. Es ist also eher wichtig, dass man die Blutabnahme bei einem Labor macht entweder in einem Spezialzentrum, wo eben häufig diese Bestimmungen gemacht werden oder bei Laboren mehr oder weniger direkt, sodass zeitnah gleich nach der Blutabnahme diese Bestimmungen erfolgen können.

Wie sieht ein typischer Befund bei einem hereditären Angioödem aus? Welche Laborwerte können verändert sein?

Typischerweise ist es so, dass beim hereditären Angioödem C4, ein Komplementfaktor, vermindert ist und außerdem der C1-Esterase-Inhibitor in der Funktion oder in dem Nachweis, wie viel von dem vorhanden ist, vermindert ist.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Diagnosestellung?

Die Diagnosestellung kann durchaus eine Herausforderung sein, insbesondere wenn man so einen atypischen Typ hat. Also nicht Typ eins und Typ zwei, wo wirklich am C1-Esterase-Inhibitor ein Problem ist, sondern in einem anderen Faktor in dieser komplexen Komplementkaskade. Diese Fälle sind noch viel seltener. Hier gibt es eigentlich nicht so richtig standardisierte Tests. Hier kann manchmal ein Gentest, der aber aufwendig ist und lange Zeit dauert, weiterhelfen. Aber man geht auch davon aus, dass man noch nicht alle Gendefekte hier überhaupt kennt. Und das kann eben durchaus schwierig sein, diese Typen korrekt zu diagnostizieren.

Hier geht es zum Video-Interview: „Diagnose des hereditären Angioödems”

Verlauf & Prognose bei HAE

Ist ein hereditäres Angioödem heilbar?

Aktuell ist es so, dass das hereditäre Angioödem eben nicht heilbar ist. Obwohl in den USA gibt es hier erste Versuche mit einer Gentherapie dieses defekte Gen tatsächlich zu ersetzen, quasi mit einem korrekten Gen. Aber das ist ganz früh in der Entwicklung und da weiß man noch nicht eigentlich, ob das überhaupt funktioniert oder nicht. Also aktuell muss man sagen, ist die Medizin noch nicht so weit, dass wir das heilen können. Aber wir haben sehr, sehr gute Behandlungsmöglichkeiten. Wir haben zum Glück inzwischen mehrere Behandlungsmöglichkeiten, indem wir sowohl einerseits akute Attacken sehr gut behandeln können, aber auch Patient:innen vor Attacken überhaupt bewahren können, eine sogenannte prophylaktische Therapie bereits machen können.

Wie sieht ein typischer Krankheitsverlauf bei einem hereditären Angioödem aus?

Beim hereditären Angioödem ist eben so, dass bereits ab der Geburt hier ein Mangel vorliegt an einem Faktor, in den meisten Fällen der C1-Esterase-Inhibitor, die Symptome aber meistens nicht gleich bei der Geburt quasi losgehen, sondern oftmals auch erstmal ein bisschen brauchen, bis sich die Erkrankung wirklich manifestiert. Es gibt aber bereits Kleinkinder, vielleicht sogar Säuglinge, die schon erste Symptome zeigen. Es kann aber durchaus sein, dass die Symptome sich erst sehr viel später manifestieren. Ein Zeitpunkt, in dem häufig zum allerersten Mal Symptome kommen, ist zum Beispiel die Pubertät. Hier weiß man auch, dass insbesondere bei Frauen das Östrogen ein wichtiger Faktor ist, also hier die Zunahme des Östrogenspiegel dann ein Faktor sein kann, warum es dann plötzlich erstmalig zu den Symptomen kommt. Es gibt selten Fälle, wo es wirklich erst im höheren Lebensalter, höheren Erwachsenenalter erstmalig zu Symptomen kommt. Das gibt es aber auch.

Kann sich meine Lebenserwartung durch das hereditäre Angioödem verändern?

Zum Glück leben wir heute im Zeitalter der modernen Medizin. Und die Lebenserwartung der Patient:innen mit hereditären Angioödem ist nicht mehr eingeschränkt. Früher war das noch ganz anders. Wir hatten nicht so gute Behandlungsmöglichkeiten und es ist durchaus vorgekommen, dass Patient:innen auch mal wirklich verstorben sind an einem hereditären Angioödem, denn so Schwellungen sind vielleicht mal nicht schön, aber können auch mal richtig gefährlich werden, insbesondere wenn sie tiefer drinnen im Halsbereich stattfinden. Und hier sind Fälle bekannt und beschrieben worden, wo Patient:innen leider wirklich erstickt sind, auch an den Folgen dieser Erkrankung. Heutzutage haben wir zum Glück sehr gute Behandlungsmöglichkeiten und solche Fälle gibt es praktisch nicht mehr. Trotzdem kann für die Patient:innen natürlich die Lebensqualität eingeschränkt sein, in dem Sinne, dass man einerseits vielleicht immer mal Attacken hat, was natürlich beeinträchtigend ist im Leben oder auch andererseits durch vielleicht auch prophylaktische Therapien hier eine gewisse Belastung zustande kommt.

Man muss vielleicht an ein Medikament denken, regelmäßig applizieren. Auch das Applizieren kann für das eine oder andere Medikament gar nicht so einfach sein. Man muss es spritzen, vielleicht oder sogar in die Vene injizieren. Also es kann auch dadurch eine Herausforderung sein. Was ein Problem für die Lebensqualität sein kann. Aber wir haben eben zum Glück inzwischen schon ein großes Portfolio an Medikamenten, die deutlich einfacher zu applizieren sind. Auch jetzt neue Medikamente für die Prophylaxe , die man auch schlucken kann, als Tablette zum Beispiel. Und so ist wirklich unser Ziel, dass wir den Patient:innen mit einem hereditären Angioödem ein wirklich gute Lebensqualität, ein möglichst normales Leben ermöglichen können.

Hier geht es zum Video-Interview: „Verlauf & Prognose bei HAE”

HAE-Attacken vermeiden

Welche Faktoren können eine HAE-Attacke auslösen oder begünstigen?

Typische Faktoren, die eine HAE-Attacke auslösen können, wären zum Beispiel Infekte, aber auch starker Stress, körperliche Anstrengungen oder auch kleine Verletzungen. Also wenn man sich irgendwo anschlägt oder es Verletzungen gibt oder auch operative Eingriffe wären zum Beispiel so ein Trauma. Das sind alles Faktoren, die können eine Attacke begünstigen. Bei den Frauen ist noch wichtig zu beachten, dass zum Beispiel die Einnahme von östrogenhaltigen Präparaten wie zum Beispiel die Pille unbedingt vermieden werden muss, weil das auch sehr stark so Attacken fördern kann und es dann zu einer deutlich häufigeren Attackenfrequenz kommen kann.

Wie kann ich dazu beitragen, mögliche Auslöser für HAE-Attacken zu vermeiden?

Das Vermeiden von HAE-Attacken ist natürlich im Alltag nur bedingt möglich. Man kann Stress nur zu einem gewissen Maße meiden. Man kann auch körperliche Belastungen oftmals nur in gewissem Maße meiden. Aber das sind vielleicht Faktoren, wo man noch mal versuchen kann, ein bisschen daran zu arbeiten, dass man eben schaut, dass es eben nicht Körperstellen gibt, wo eine starke Belastung stattfindet.

Frauen sollten eben keine östrogenhaltigen Präparate einnehmen. Und ein bisschen vielleicht das Leben darauf einstellen, dass man eben möglichst versucht, nicht sozusagen Aktivitäten zu machen, die jetzt eine extreme körperliche Belastung an gewissen Stellen macht. Auch beim Sex muss man noch mal dran denken, vielleicht Praktiken machen, die eben nicht eine starke mechanische Belastung dann sehr punktuell haben, sodass es eben dann nicht im Nachgang zu unangenehmen Schwellungen kommt.

Was sollte ich tun, wenn sich die Häufigkeit meiner HAE-Attacken verändert?

Es ist eigentlich ganz typisch beim hereditären Angioödem, dass die Attacken durchaus variabel sein können im Laufe des Lebens. Es kann Phasen im Leben geben, wo es mehr oder weniger Attacken gibt, eben abhängig von der Lebenssituation, aber eben auch von Faktoren eben wie der Körper wächst, wie sich Hormone verändern usw.

Es ist wichtig, Ihrer Ärztin / Ihrem Arzt wirklich mitzuteilen, wenn sich etwas ändert an Ihrer Attackenfrequenz. Deswegen fragen wir oder bitten wir die Patient:innen auch häufig, dass sie wirklich dokumentieren, wann und wie oft sie Attacken haben und auch, welche Therapie sie dann dagegen machen, damit wir als Ärztin / Arzt mit der Patientin / dem Patienten wirklich durchgehen können, ob wir mit der aktuellen Therapie so zufrieden sind, ob man etwas ändern möchte, ob man zum Beispiel eine prophylaktische Therapie macht oder eben nur eine Bedarfstherapie .

Hier geht es zum Video-Interview: „HAE Attacken vermeiden”

Meine Nachricht an Sie

Was ich den Patienten mit hereditärem Angioödem oder mit Verdacht auf ein hereditäres Angioödem gerne noch mitgeben möchte ist, dass es wirklich eine seltene Erkrankung ist. Es kann durchaus sein, dass Ihr Arzt, bei dem Sie sich gerade vorstellen, diese Erkrankung gar nicht kennt. Machen Sie ihn vielleicht darauf aufmerksam, wenn Sie sich belesen haben oder informiert haben, ob Sie vielleicht diese Erkrankung haben könnten. Machen Sie vielleicht auch darauf aufmerksam, dass es Spezialzentren gibt, die sich mit dieser Erkrankung auskennen und Ihr Arzt Sie dorthin überweisen kann, damit eben abgeklärt werden kann, ob Sie möglicherweise von einem hereditären Angioödem betroffen sind.

Hier geht es zum Video: „Meine Nachricht an Sie”

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Geprüft OÄ Priv.-Doz.in DDr.in Sabine Altrichter: Stand Oktober 2024 | Quellen und Bildnachweis
Die Kurse sind kein Ersatz für das persönliche Gespräch mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt, sondern ein Beitrag dazu, PatientInnen und Angehörige zu stärken und die Arzt-Patienten-Kommunikation zu erleichtern.
(Zirkardianer Rhythmus )
Biologisches Phänomen, das in einem Rhythmus von ungefähr 24-Stunden bestimmte körperliche Funktionen beeinflusst.  Ein Beispiel ist der Schlaf-Wach-Zyklus durch die Freisetzung des Schlafhormons.
Bedarfstherapie
Therapie, die nur im Bedarfsfall bei akuten Beschwerden zum Einsatz kommt und diese schnell lindern soll. Anders als eine Langzeittherapie (=Prophylaxe), die regelmäßig und langfristig eingenommen wird.
Bradykinin
Wichtiger Botenstoff im Körper mit verschiedenen Funktionen. Er reguliert zum Beispiel den Blutdruck und spielt eine wichtige Rolle bei Entzündungen. Er wirkt gefäßerweiternd und kann Schmerzsignale auslösen.
C1-Esterase-Inhibitor
(C1-Inhibitor oder C1-Esterasehemmer)
Wichtiges Protein im menschlichen Körper, das eine besondere Rolle im Immunsystem und bei der Regulierung von Entzündungsprozessen spielt. Lässt sich im Blut messen.  
Chromosomen
Strukturen in den Zellen, die DNA enthalten. DNA speichert unsere genetischen Informationen.  Jeder Mensch hat 46 Chromosomen, die in 23 Paare aufgeteilt sind. Davon sind 22 Paare Autosomen und 1 Paar Geschlechtschromosomen (X und Y).  Je ein Teil des Paars kommt von der Mutter und das andere vom Vater. Die Chromosomen helfen dabei, die DNA richtig zu verteilen, wenn sich Zellen teilen und neue Zellen gebildet werden. 
Gentherapie
Behandlungsmethode, die darauf abzielt, genetische Defekte durch die Einführung von gesunden Genen zu korrigieren oder auszugleichen.
Östrogen
Weibliches Geschlechtshormon, das auch in geringeren Mengen bei Männern vorkommt. Es steuert viele Prozesse im weiblichen Körper, von der Entwicklung in der Pubertät über den Menstruationszyklus bis hin zur Gesundheit von Knochen und Herz.
Prophylaxe
(Vorbeugung)
Maßnahmen, die der Verhütung sowie Vorbeugung von Krankheiten beziehungsweise deren Folgen dienen. Anders als eine Bedarfstherapie wird eine Therapie zur Prophylaxe zur Vorbeugung einer Erkrankung oder deren Folgen durchgeführt und nicht nur bei Symptomen.
Vene
Venen sind Blutgefäße, die dafür verantwortlich sind, sauerstoffarmes Blut aus den verschiedenen Körperbereichen aufzunehmen und zurück zum Herzen zu transportieren.