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Kurs Erschöpfung bei metastasiertem Brustkrebs: Lektion 4 von 6

Angehörige und Fatigue

Fatigue spürt man nur selber, andere Menschen können die Erschöpfungszustände nicht sehen. Es ist deshalb außerordentlich wichtig, mit den Mitmenschen über die eigene Verfassung zu sprechen. Nur wer Bescheid weiß, kann Verständnis zeigen und unterstützend beistehen. Das betrifft auch und vor allem die Angehörigen.

Video Transkript

Wie soll ich mich wegen der Fatigue-Beschwerden bei meinen Angehörigen verhalten?

Versuchen Sie, Ihre Fatigue-Beschwerden den Angehörigen näher zu bringen. Seien Sie offen. Geben Sie den Angehörigen Informationen darüber, wie Sie sich fühlen. Versuchen Sie trotz allem, den Angehörigen zu vermitteln, was Sie fühlen und wie es Ihnen dabei geht.

Wie kann ich meinem Umfeld verständlich machen, wie ich mich fühle?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten.

  • Eine Möglichkeit ist ein Ampelsystem, das Sie verwenden und wo Sie einfach Rot, Gelb und Grün nehmen und wo Sie den Angehörigen mitteilen, je nachdem, wie Sie sich fühlen, in welchem Bereich dass Sie da jetzt der Farbe sind.
  • Es gibt die Möglichkeit, dass Sie Ihre Tätigkeit in Prozenten angeben, dass Sie einfach den Angehörigen sagen: „Normalerweise hat ein Mensch, wenn er diese Tätigkeit durchführt, 100 Prozent. Ich habe aber am heutigen Tag nur 65 Prozent.“ Damit einfach das Umfeld und die Angehörigen wissen, wie unterschiedlich eine 100-Prozent-Tätigkeit ausschaut im Vergleich zu einer 80-Prozent-Tätigkeit.

Was, wenn die Menschen in meiner Umgebung wenig Verständnis für mein Befinden zeigen?

Es wird immer wieder Menschen geben, die Ihr Fatigue-Syndrom nicht als dieses erkennen möchten. Es nutzt einfach nur Information. Aber Sie müssen eines lernen: Sie müssen halt auch mit Rückschlägen umgehen können. Denn nicht jeder wird Ihre Fatigue als Krankheit erkennen.

Wo finde ich Unterstützung, wenn ich mir schwer tue, mein Umfeld um Hilfe zu bitten?

Sollten Sie sich noch in klinischer Behandlung befinden, dann können Sie natürlich die Pflegepersonen beziehungsweise die Ärzte nach der klinischen Sozialarbeiterin fragen. Die wird Ihnen dann weiterhelfen.

Wenn Sie nicht mehr in klinischer Behandlung sind, sondern schon zu Hause sind, dann können Sie sich auch an die österreichische Krebshilfe wenden, die natürlich auch Adressen und Namen für Sie bereit hat.

Welche Art von Hilfe bekomme ich von einer/einem SozialarbeiterIn?

Sie bekommen Hilfe, indem Ihnen jemand zur Verfügung gestellt wird, der jetzt für Sie Einkäufe tätigt, der für Sie Arbeiten im Haushalt übernehmen kann, wie zum Beispiel das Fensterputzen oder Wäschewaschen oder Bügeln, je nachdem, was Sie dann für Ihre Bedürfnisse gerne abgeben.

Wie erkläre ich Fatigue meinem Kind?

Auch kleinen Kindern bzw. Schulkindern kann man Fatigue erklären mit einfachen Worten. Man muss halt nur dem Kind sagen, dass die Mama jetzt etwas mehr müde ist und dass das Kind nicht schuld an dieser Müdigkeit ist. Und das ist die große Wichtigkeit, die man bedenken muss, denn Kinder assoziieren immer, wenn etwas mit der Mama anders ist, dass sie selber schuld sind. Man kann Kindern, ob das jetzt Kindergartenkinder sind oder Schulkinder sind, mit einfachen, kurzen, prägnanten Sätzen sehr wohl Fatigue erklären.

Inwieweit kann ich mein Kind bei der Umgestaltung des Alltags einbeziehen?

Sie sollten Ihr Kind auf jeden Fall bei der Umgestaltung des Alltags mit einbeziehen. Denn Kinder assoziieren Veränderungen auf sich selbst. Das heißt: „Ich bin schuld, dass jetzt etwas anders ist.“ Und es wird in Zukunft so sein, wenn Sie unter Fatigue leiden, dass Sie das Kind nicht zum Beispiel vom Kindergarten abholen werden können und gleichzeitig mit dem Kind am Nachmittag spielen werden können. Das heißt, hier ist es von Vorteil, wenn Sie dem Kind sagen, dass zum Beispiel die Oma es heute Nachmittag vom Kindergarten abholt, aber Sie dafür dann die Zeit haben, am Nachmittag mit dem Kind zu spielen. Die Energie, die Sie dadurch praktisch haben, können Sie dann am Nachmittag vermehrt an das Kind weitergeben.

Wie gehe ich mit der Angst um, mein Kind aufgrund der Fatigue zu vernachlässigen?

Sie brauchen keine Angst haben, dass Sie Kinder durch Fatigue vernachlässigen. Das Einzige, was sich für Sie ändert, ist, dass es einfach zu einer Umverteilung der Ressourcen kommt. Sie können mit Ihrem Kind spielen, Sie können mit Ihrem Kind auch in den Park gehen. Nur: Sie müssen halt darauf achten, dass das Kind spielen kann und Sie vielleicht daneben sitzen können. Wenn Sie mit Kindern gewohnt sind, Spiele zu spielen, dann spielen Sie einfache Spiele, die Sie nicht zu sehr belasten. Was Sie sehr wohl machen können, ist, dass Sie einfach mit dem Kind kuscheln, dass Sie dem Kind etwas vorlesen oder sich mit dem Kind einen Film anschauen.

Auf den Punkt gebracht

Angehörige und Fatigue

  • Sprechen Sie mit Ihren Angehörigen offen über Ihre Fatigue.
  • Holen Sie sich bei Bedarf Unterstützung durch eine/n SozialarbeiterIn.
  • Wenn Sie keine Energie für anstrengendere Aktivitäten haben, können Sie mit Ihrem Kind auch einfach kuscheln, was vorlesen oder gemeinsam einen Film ansehen.

Erfahrungen von Betroffenen

Fatigue erklären

Gesunde Menschen können sich oft nicht vorstellen, wie stark sich Erschöpfung im Rahmen einer Krebserkrankung anfühlen kann. Und Betroffene tun sich oft schwer, das Maß zu beschreiben.

selpers Fallbeispiel Wie kann ich meine Erschöpfung anschaulich machen?

Erschöpfung anschaulich machen mit dem Ampelsystem

Ampelsystem

Mittels des Ampelsystems können Sie verdeutlichen, wie viel Kraft Sie zur Verfügung haben:
  • Grün = gut bei Kräften
  • Orange = grenzwertig
  • Rot = wenig bis keine Kraft
Erschöpfung anschaulich machen mit der Spoon Theory

Spoon Theory

Die Spoon Theory eignet sich ebenfalls zur Veranschaulichung. Dabei stecken Sie zehn Esslöffel in eine Tasse, die Ihren Tagesenergiereserven entsprechen. Für jede Tätigkeit, die Kraft kostet, ziehen Sie eine entsprechende Anzahl Löffel heraus.

Beispiel: Morgenroutine (1 Löffel), Hausarbeit (2 Löffel), Arzttermin (1 Löffel), Einkaufen gehen (1 Löffel), Büroarbeit von Zuhause (1 Löffel), Kochen (1 Löffel), Kind bei den Hausaufgaben helfen (1 Löffel) usw. In diesem Beispiel würde nun ersichtlich, dass Ihnen für den Rest des Tages noch zwei Löffel Kraft bleiben.

Erschöpfung anschaulich machen mit Prozentangaben

Prozentangaben

Sie können Ihren Erschöpfungszustand auch in Prozentangaben zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel 70 % von 100%.

Fatigue und Angehörige

Zumeist treten Fatigue-Symptome auf, nachdem bereits die einschneidende Diagnose und belastende Therapien hinter den Betroffenen liegen. Viele Angehörige sehnen sich nach Normalität, sind überfordert und ihnen fehlt das Verständnis.

Was soll ich meinen Angehörigen über Fatigue sagen?

Es ist wichtig, den Angehörigen zu vermitteln, dass die Erschöpfung

  • nicht Ausdruck eines mangelnden Willens oder Kampfgeistes ist,
  • eine Erkrankung ist, für die Sie als Betroffene nichts können,
  • ein Burn-out-ähnlicher Zustand ist, der die Mehrzahl an KrebspatientInnen trifft und
  • nur gemeinsam bewältigt werden kann.

Wie kann ein Gutscheinheft für Angehörige helfen?

Viele Angehörige haben Verständnis und würden gern helfen. Vielleicht wissen sie aber nicht, was Sie als Patientin brauchen, und haben selber genug Verpflichtungen.

  • Lassen Sie Ihre Angehörigen wissen, wann Sie im Alltag Unterstützung brauchen.
  • Informieren Sie sie früh genug darüber, wenn Sie eine helfende Hand benötigen.

Ein kleines Gutscheinheft, zum Beispiel mit abreißbaren Zetteln, als Mappe oder als Liste, kann Ihnen als Betroffene oder als Angehörige hilfreich sein.

Als Betroffene können Sie in das Heft Tätigkeiten notieren, die Sie gern abgenommen bekommen würden. Die Angehörigen können daraus Tätigkeiten nehmen und einlösen.

Als Angehörige können Sie ein Heft mit Tätigkeiten schenken, von denen Sie wissen, dass sie der Betroffenen schwer fallen. Oder Sie können ein leeres Heft schenken, in welches die Betroffene Tätigkeiten notiert, die sie gern abgeben würde.

Hier einige Tätigkeiten, die Sie in so ein Heft eintragen könnten:

  • zum Arzttermin begleiten,
  • Ausflug mit den Kindern machen,
  • Vorkochen
  • Kinder von der Schule abholen,
  • Rasenmähen,
  • zur Therapie begleiten oder
  • (gemeinsam) Einkauf erledigen
  • mit dem Hund Gassi gehen
  • Wäsche waschen
  • Bügeln…

Wir neigen dazu, Dinge allein zu bewältigen. Mit Fatigue ist das nicht immer möglich.

Nehmen Sie Hilfe an! Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben.

Was, wenn meine Angehörigen kein Verständnis für meine Erschöpfung haben?

In diesem Fall kann ein gemeinsames Gespräch mit Ihren betreuenden TherapeutInnen helfen. Manchmal haben Erklärungen aus dem Mund behandelnder ÄrztInnen, PsychologInnen oder einer Breast Care Nurse ein größeres Gewicht.

Sollten keine Angehörigen zur Verfügung stehen, können Sie sich an SozialarbeiterInnen im Krankenhaus oder an die Krebshilfe wenden. Sie können Unterstützung für den Alltag organisieren, z. B. für das Tätigen von Einkäufen, für Hausarbeit etc.

Fatigue und der Umgang mit Kindern

Eine besondere Herausforderung stellen in einer Situation verminderter Energiereserven Kinder dar.

Wie sage ich es meinem Kind?

Auch kleine Kinder sind durchaus in der Lage zu verstehen, dass sich die Mutter erschöpft fühlt.

  • Erklären Sie Ihrem Kind Ihre Situation in möglichst einfachen und verständlichen Worten.
  • Vor allem kleine Kinder neigen dazu, das Gefühlsleben der Mutter auf sich selber zu beziehen und sich dafür verantwortlich zu fühlen. Machen Sie Ihrem Kind deutlich, dass es keine Mitschuld an Ihrer derzeitigen Verfassung trägt.

Was kann ich von meinem Kind verlangen?

Sowohl für ein Kind als auch für Sie als Betroffene ist es gut, Kinder in die neue Lebenssituation mit einzubeziehen.

  • Für ein Kind macht es keinen Unterschied, auf welche Art sich die Mutter mit ihm beschäftigt. Es spürt Ihre Zuwendung auch, wenn Sie mit weniger anstrengenden Tätigkeiten Zeit mit ihm verbringen.
  • Wenn Sie manche Aufgaben abgeben, bleibt Ihnen mehr Zeit für Ihr Kind. Erklären Sie Ihrem Kind, warum anstrengendere Aktivitäten vom Vater, den Großeltern, anderen Verwandten oder einem Babysitter übernommen werden.
  • Es ist für alle Beteiligten ein Gewinn, wenn Kinder in die Situation eingebunden werden, indem sie sich aktiv im Alltag beteiligen, z. B. beim Kochen, Tischdecken etc.

Haushaltsplan für Kinder

Haushaltsplan für Kinder Hier können Sie einen extra für Kinder gestalteten Haushaltsplan herunterladen. Oft wollen Kinder helfen, wissen jedoch nicht wie. In einem Haushaltsplan können bestimmte Aufgaben im Haushalt eingetragen werden und Ihr Kind weiß, wo es mit anpacken kann. Je nach Alter können Ihre Kinder andere Aufgaben im Haushalt übernehmen und Ihnen dabei helfen, den Alltag besser zu bewältigen.

Geprüft Ingeborg Brandl, MSc und OA Dr. Daniel Egle: aktualisiert April 2022

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Dieser Kurs ist Teil der Kursreihe „Leben mit metastasiertem Brustkrebs“

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Die Kurse sind kein Ersatz für das persönliche Gespräch mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt, sondern ein Beitrag dazu, PatientInnen und Angehörige zu stärken und die Arzt-Patienten-Kommunikation zu erleichtern.

Bildnachweise: Kasia Bialasiewicz, Lefttime, O_n_D, LightField Studios | Bigstock