Die Pharmakokinetik beschreibt, wie das bei der Injektion verabreichte Arzneimittel im Körper abgebaut wird. Hierfür wird vor einer Injektion und zu bestimmten Zeitpunkten danach Blut entnommen und anschließend die Menge des Gerinnungsfaktors bestimmt. Wichtige Ergebnisse, die berechnet werden, sind der höchste Spiegel (Bergspiegel oder „Peak“), der beim Faktor VIII circa 30 Minuten nach der Injektion eintritt, sowie der niedrigste Spiegel (Talspiegel) vor der nächsten Injektion. Bestimmt werden diese Spiegel durch zwei Parameter: die Recovery und die Halbwertszeit.
Recovery
Die Recovery ist die Bestimmung des Verhältnisses von verabreichter Faktormenge und dem maximalen Faktorspiegel im Blut. Etwa 30 Minuten nach Abschluss einer Injektion hat sich der Gerinnungsfaktor gleichmäßig im Blutkreislauf verteilt. Zu diesem Zeitpunkt kann aus einer Blutprobe die Recovery bestimmt werden. Man weiß dann, wie stark der Spiegel im Blutplasma nach Gabe einer bestimmten Menge Gerinnungsfaktor ansteigt. Dieser Wert ist von Patient zu Patient unterschiedlich und zur Berechnung der korrekten Dosis wichtig, die notwendig ist, um eine akute Blutung zu stillen.
Halbwertszeit
Die Halbwertszeit gibt an, in welchem Zeitraum die Konzentration des verabreichten Faktor VIII im Blutplasma auf die Hälfte sinkt. Durchschnittlich liegt sie bei Faktor VIII etwa bei zwölf Stunden (Faktor IX meist länger). Sie variiert aber sowohl von Patient zu Patient als auch in verschiedenen Altersstufen sehr stark und kann z.B. bei sieben oder bei 20 Stunden liegen. Je länger die Halbwertszeit ist, desto größer können die Abstände zwischen den einzelnen Injektionen sein.
Video Transkript
Um sich vor Blutungsereignissen zu schützen, spritzen sich Menschen mit Hämophilie A zwei bis drei Mal pro Woche Faktor-VIII-Präparate. Die zeitlichen Abstände der Injektionen richten sich nach der sogenannten Halbwertszeit. Diese gibt an, innerhalb welcher Zeit die Konzentration des verabreichten Faktors um die Hälfte sinkt.
Im Durchschnitt liegt die Halbwertszeit bei circa zwölf Stunden. Spritzt sich ein Patient beispielsweise am Montagmorgen um 9 Uhr 2.000 Einheiten, sind davon abends um 21 Uhr noch 50 Prozent, also 1.000 Einheiten, im Blut. Diese halbieren sich in den nächsten 12 Stunden erneut, sodass am Dienstagmorgen um 9 Uhr nur noch 500 Einheiten übrig sind. Am Dienstagabend, also nach insgesamt 36 Stunden, sind es nur noch 250 Einheiten und am Mittwochmorgen, nach 48 Stunden, nur noch 125. Die nächste Injektion sollte erfolgen, bevor die Faktorkonzentration im Blut unter ein Prozent sinkt.
Die Halbwertszeit ist bei den verschiedenen Faktor-Produkten unterschiedlich lang. Außerdem bauen nicht alle Menschen das Konzentrat gleichschnell ab. Deshalb sind umfangreiche Blutuntersuchungen erforderlich, um die Restaktivität des Faktors zu bestimmen und daraus die Faktor-Dosis für den jeweiligen Patienten zu berechnen.
Je länger die Halbwertszeit bei einem Patienten ist, desto seltener muss er sich den Faktor spritzen. Der Abbau des Faktor VIII hängt von der Zeit ab. Körperliche Aktivitäten haben darauf keinen Einfluss. Spontane Blutungen können aber dazu führen, dass die Faktor-Konzentration im Blut rascher sinkt und zusätzliche Gaben erforderlich werden. Das Risiko für solche Blutungen lässt sich verringern, indem die Injektionen unmittelbar vor den körperlichen Aktivitäten erfolgen.
Gelenkblutungen zählen zu den stärksten Bedrohungen für Menschen mit Hämophilie. Wenn sie öfter auftreten, schädigen sie langfristig die Gelenke und die umliegende Muskulatur. Am häufigsten betroffen ist das Sprunggelenk. Eher selten sind Blutungen ins Kniegelenk und ins Ellbogengelenk.
Gelenke sind die beweglichen Verbindungsstellen zwischen den Knochen. Ihr Aufbau unterscheidet sich je nach Aufgabe und mechanischer Belastung. Grundsätzlich bestehen alle Gelenke aus folgenden Strukturen:
- den Gelenkkörper, also die Knochenenden, die das Gelenk beweglich miteinander verbindet,
- den Gelenkknorpel, der die Gelenkflächen überzieht,
- die bindegewebige Gelenkkapsel, die das Gelenk umgibt und die
- Gelenkschmiere, die den Gelenkspalt ausfüllt und wie ein Gleitmittel wirkt.
Gelenke sind wahre Multitalente. Sie verleihen dem Körper seine Beweglichkeit und dienen bei plötzlichen, harten Bewegungen als Stoßdämpfer. Ihre Hauptaufgabe besteht in der flexiblen, aber dennoch stabilen Verbindung der einzelnen Knochen.
Da unsere Gelenke für jede von uns ausgeführte Bewegung unerlässlich sind, unterliegen sie tagtäglich großen Belastungen. So wirken beispielsweise auf das Kniegelenk:
- im Stehen circa 70 Kilogramm,
- beim Laufen etwa 315 Kilogramm und
- beim Springen sogar um die 490 Kilogramm.
Grundsätzlich gilt: Je höher das Körpergewicht ist, desto größer ist die Belastung.
Neben der täglichen hohen Beanspruchung gibt es weitere Faktoren, die sich negativ auf die Gelenkgesundheit auswirken können. Dazu zählen:
- schlechte Ernährungsgewohnheiten,
- Übergewicht,
- Körperfehlhaltungen,
- Bewegungsmangel,
- falsches Heben und Tragen schwerer Lasten,
- zunehmendes Alter sowie
- Verschleißerscheinungen und Arthrose.
Berechnung von noch vorhandenem Faktor VIII
Um den Verlauf der Menge an Gerinnungsfaktor in Ihrem Plasma genau bestimmen zu können, ist es notwendig, bis zu 10 Mal eine kleine Menge Blut über einen Zeitraum von ca. 72 Stunden abzunehmen. Die erste Probe erfolgt vor der Gabe des Präparates, die nächste eine halbe Stunde danach und die weiteren ca. eine, drei, sechs, neun, 24, 32, 48 und 72 Stunden nach der Injektion. Aus den daraus gewonnenen Ergebnissen lassen sich alle notwendigen pharmakokinetischen Größen berechnen. Welche Vorteile Ihnen die Bestimmung Ihrer Pharmakokinetik bei der Hämophilie-Behandlung bietet und in welchen Einrichtungen die Blutentnahmen erfolgen können, zeigen wir Ihnen in unserem Video.
Priv.-Doz. Dr. Robert Klamroth, Facharzt für Innere Medizin und Hämostaseologie, Oberarzt der Klinik für Innere Medizin / Angiologie und Hämostaseologie und Leiter der Klinischen Hämostaseologie und des Hämophiliezentrums am Vivantes Klinikum im Friedrichshain in Berlin, beantwortet im Video "Halbwertszeit und Pharmakokinetik" folgende Fragen:
Klicken Sie auf eine Frage um direkt zum entsprechenden Videoabschnitt zu springen!- Was sind wichtige pharmakokinetische Parameter?
- Wie wird die individuelle Pharmakokinetik bestimmt?
- Wie wirkt sich die individuelle Pharmakokinetik auf die Dosierung aus?
- In welchen Einrichtungen kann man die individuelle Pharmakokinetik bestimmen lassen?
- Welche Vorraussetzungen sollte ein Patient dafür erfüllen?
- Halbwertszeit und Pharmakokinetik auf den Punkt gebracht.
Video Transkript
Was sind wichtige pharmakokinetische Parameter?
Pharmakokinetik bezeichnet den Abbau des Faktor VIII im menschlichen Körper. Wichtige Parameter sind
- zum einen der höchste Spiegel, den wir auch als Bergspiegel oder Peak bezeichnen, der 30 Minuten nach der Injektion auftritt,
- und der Talspiegel, das ist der niedrigste Spiegel vor der nächsten Injektion.
Bestimmt werden diese Spiegel durch zwei Parameter:
Der eine ist die sogenannte Recovery, und das ist wesentlich für den Bergspiegel verantwortlich: Wie viel von injizierten Faktor VIII finde ich sozusagen in der Zirkulation wieder?
Der Talspiegel wird bestimmt durch die Halbwertszeit des Faktor-VIII-Produkts. Halbwertszeit bedeutet: Wie viel Zeit vergeht, bis nur noch die Hälfte von dem initial injizierten Faktor VIII übrig ist. Diese Halbwertszeit ist normalerweise bei etwa 10 Stunden für den Faktor VIII.
Welche Bedeutung haben diese Parameter für die Behandlung und vor allem für die Prophylaxe?
Diese Parameter sind sofern für die Behandlung wichtig, als die Kenntnis des Bergspiegels uns erlaubt, dass die Blutungen effektiv behandelt werden, und die Kenntnis der Halbwertszeit uns erlaubt, das Intervall festzulegen, wie oft ein Patient in der Woche sich den Faktor VIII injizieren muss. Je länger die Halbwertszeit ist, desto größer kann dieses Intervall ausgedehnt werden.
Wie wird die individuelle Pharmakokinetik bestimmt?
Leider ist es sehr aufwändig, eine individuelle Pharmakokinetik bei dem Patienten zu bestimmen, weil wir eine ganze Reihe von Faktor-VIII-Messungen brauchen, um über eine komplizierte Berechnung dann die exakte Halbwertszeit beim Patienten zu bestimmen. Das sind bei einer klassischen Pharmakokinetik in der Regel 9 Blutentnahmen. Das heißt: Der Patient bekommt eine Blutentnahme vor der Gabe des Faktor-VIII-Präparates, dann in der Regel eine halbe Stunde, eine Stunde, 2 Stunden, 4 Stunden, 8 Stunden, 12 Stunden und 24 und 48 Stunden nach der Blutabnahme wieder eine Faktor-VIII-Bestimmung. Und anhand dieser detaillierten Faktor-VIII-Bestimmungen kann man dann alle pharmakokinetischen Parameter einwandfrei berechnen.
Wie wirkt sich die individuelle Pharmakokinetik auf die Dosierung aus?
Die Kenntnis der Parmakokinetik erlaubt uns, eine auf den Patienten maßgeschneiderte Therapie zu entwerfen. Das bedeutet: Sowohl Dosis als auch Frequenz der Faktor-VIII-Gaben kann man anhand der Pharmakokinetik genau einstellen, so dass der Faktor-VIII-Spiegel immer über 1 Prozent bleibt.
In welchen Einrichtungen kann man die individuelle Pharmakokinetik bestimmen lassen?
Wenn Sie als Patient Ihre Pharmakokinetik bestimmen lassen wollen, dann sollten Sie sich an Ihren behandelnden Arzt wenden. Eigentlich ist jedes Zentrum dazu in der Lage, die Pharmakokinetik zu bestimmen. Allerdings machen es in der Regel nur die Comprehensive Care Centers, weil es durch die vielen Blutabnahmen sowohl für den Patienten als auch für das behandelnde Zentrum sehr aufwändig ist.
Welche Voraussetzungen sollte ein Patient dafür erfüllen?
Wenn Sie eine pharmakokinetische Einstellung wünschen, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass es ganz wichtig ist, dass der Faktor VIII dann auch regelmäßig zu den festgelegten Zeitpunkten injiziert wird. Das heißt: Die sogenannte adherance, also das Einhalten und Befolgen, ist ein ganz wichtiger Parameter, um eine erfolgreiche pharmakokinetische personalisierte Prophylaxe durchzuführen. Nur wenn Sie als Patient selber mitmachen, gelingt es, Blutungen vollständig zu verhindern.
Halbwertszeit und Pharmakokinetik auf den Punkt gebracht.
Heutzutage besteht die Möglichkeit, die Effektivität einer prophylaktischen Therapie zu verbessern, indem wir pharmakokinetische Parameter bestimmen. Das bedeutet: Wir wissen, in welcher Zeit der Faktor VIII in Ihrem Blut um die Hälfte abgebaut wird. Mit dieser Information können wir festlegen, wie oft und wie viel Faktor VIII Sie in der Woche spritzen müssen, um regelmäßig einen messbaren Faktor-VIII-Talspiegel zu haben und Blutungen erfolgreich zu verhindern.
Heutzutage besteht die Möglichkeit die Effektivität einer prophylaktischen Therapie zu verbessern, indem wir pharmakokinetische Parameter bestimmen. Das bedeutet, wir wissen, in welcher Zeit der Faktor 8 in ihrem Blut um die Hälfte abgebaut wird. Mit dieser Information können wir festlegen, wie oft und wie viel Faktor 8 Sie in der Woche spritzen müssen, um regelmäßig einen messbaren Faktor 8 Talspiegel zu haben, um Blutungen erfolgreich zu verhindern.
Inhalte wurden in Zusammenarbeit mit Priv.-Doz. Dr. Robert Klamroth entwickelt: Stand Jänner 2017