Wird der Begriff Prophylaxe im Zusammenhang mit der Hämophiliebehandlung verwendet, geht es um eine Therapie, die Blutungen verhindert. Der größte Erfolg lässt sich mit dieser Behandlungsform erzielen, wenn sie bereits im Kindesalter begonnen wird. Doch auch bei einem Beginn der Prophylaxe im Erwachsenenalter kann diese das Auftreten von Gelenkschädigungen verhindern oder deren Fortschreiten verlangsamen.
Wie funktioniert die Prophylaxe?
Für Sie als Hämophilie-Patient kommen verschiedene Möglichkeiten der Prophylaxe infrage. Die Dauerprophylaxe erfolgt regelmäßig, je nach Schweregrad der Erkrankung, mit wöchentlich zwei bis drei Injektionen, gelegentlich auch im Abstand von zwei Tagen oder täglich. Für die prophylaktische Therapie werden virusinaktivierte, aus menschlichem Blut gewonnene Konzentrate oder rekombinante (gentechnisch im Labor hergestellte) Faktorenkonzentrate verwendet. Auch wenn bei aus Blutplasma hergestellten Gerinnungskonzentraten aufgrund des Ausgangsmaterials grundsätzlich eine Übertragung von Erregern nicht ausgeschlossen werden kann, gelten diese dank hocheffizienter Virusinaktivierungsschritte während der Herstellung und hohen Anforderungen an die Testung des Ausgangsplasmas als sicher. Bei rekombinanten Präparaten wird diskutiert, dass es ein höheres Risiko gibt, dass Patienten Antikörper gegen den zugeführten Gerinnungsfaktor bilden – sogenannte Inhibitoren. Mehr zur Entwicklung und zu den Arten der Faktorenpräparate erfahren Sie in unserem Video.
Priv.-Doz. Dr. Robert Klamroth, Facharzt für Innere Medizin und Hämostaseologie, Oberarzt der Klinik für Innere Medizin / Angiologie und Hämostaseologie und Leiter der Klinischen Hämostaseologie und des Hämophiliezentrums am Vivantes Klinikum im Friedrichshain in Berlin, beantwortet im Video "Hämophilie Faktor-Präparate" folgende Fragen:
Klicken Sie auf eine Frage um direkt zum entsprechenden Videoabschnitt zu springen!- Wie haben sich die einzelnen Generationen von Faktorpräparaten entwickelt?
- Welche Arten von Faktorkonzentraten stehen heute zur Verfügung?
- Was ist der Unterschied zwischen rekombinanten und plasmatischen Faktorpräparaten?
- Welche Zellen produzieren den rekombinanten Faktor VIII?
- Was sind die größten Herausforderungen in der Behandlung der Hämophilie A?
- Faktor-Präparate auf den Punkt gebracht.
Video Transkript
Wie haben sich die einzelnen Generationen von Faktorpräparaten entwickelt?
In der Hämophilie-Therapie gab es eine rasante Entwicklung über die letzten Jahrzehnte:
- In den 50er-Jahren war praktisch noch überhaupt keine Therapie möglich.
- Und dann hat man Gerinnungsfaktoren im menschlichen Blut festgestellt und hat dann die ersten Präparate sozusagen entwickelt. Das nannte sich Kryopräzipitat (das heißt durch Kältefällung (Kryopräzipitation) aus humanem Plasma gewonnen), mit denen man zumindest akute Blutungen in der Hämophilie behandeln konnte.
- Weitere Entwicklung waren dann hochkonzentrierte Faktorenkonzentrate, die aus menschlichem Blut gewonnen worden sind. Der Nachteil war, dass über diese Präparate viele Patienten mit Hepatitis C und HIV infiziert worden sind.
- Heute sind wir in der dritten Stufe, wo ein Großteil der Faktor-VIII-Präparate rekombinant hergestellt werden. „Rekombinant“ bedeutet, dass diese Präparate biotechnisch, also künstlich mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder in Zellkulturen hergestellt werden.
Welche Arten von Faktorkonzentraten stehen heute zur Verfügung?
Heute haben wir eine ganze Reihe von verschiedenen Faktor-VIII-Konzentraten – neben den jetzt Virus-inaktivierten, aus menschlichem Blut gewonnen Faktorenkonzentraten verschiedene rekombinante Faktor-VIII-Konzentrate. Alle diese Faktor-VIII-Konzentrate sind auf dem normalen Faktor-VIII-Molekül aufgebaut. Bei einigen Faktor-VIII-Konzentraten, die rekombinant hergestellt werden, fehlt ein Stück des Faktors VIII. Das sind die sogenannten B-Domänen-deletierten (BDD) Faktor-VIII-Konzentrate, die aber genauso wirksam sind wie die Volllängen-Faktor-VIII-Präparate.
Was ist der Unterschied zwischen rekombinanten und plasmatischen Faktorpräparaten?
Plasmatische Faktor-VIII-Präparate werden aus menschlichem Blut gewonnen. Dadurch, dass heute alle Spender gescreent werden auf mögliche Virusinfektion und in einem zweiten Schritt in der Herstellung diese Konzentrate Virus-inaktiviert werden, kann man davon ausgehen, dass das Übertragungsrisiko heute noch ein theoretisches Risiko ist. Es sei denn, es kommen neue Viren, die in diesem System nicht erkannt werden.
Rekombinante Präparate werden heutzutage in der Fabrik wie im Reagenzglas im Labor hergestellt und kommen in der Regel nicht in den Kontakt während des Herstellungsprozesses mit humanem oder tierischem Eiweiß. Das bringt einen deutlichen Vorteil an Sicherheit.
Welche Zellen produzieren den rekombinanten Faktor VIII?
Der rekombinante Faktor VIII wird heute hauptsächlich von Hamsterzellen hergestellt. Das sind entweder Ovarialzellen des chinesischen Hamsters oder Nierenzellen. Aber es gibt auch neue Faktor-VIII-Konzentrate, die in einer Humanzelllinie hergestellt werden, aber auch in einem rekombinanten Herstellungsprozess.
Was sind die größten Herausforderungen in der Behandlung der Hämophilie A?
Die größte Herausforderung heute in der Behandlung der Hämophilie A ist zum Einen, dass die Patienten nach Möglichkeit unter der Therapie keine Blutung erleiden. Das ist die Effektivität der Therapie.
Zum Anderen wollen wir die Patienten aber auch von Nebenwirkung bewahren. Und heute mit Virus-sicheren Präparaten ist die größte Nebenwirkung, dass die Patienten einen Antikörper gegen den Faktor VIII entwickeln. Das passiert in der Regel in den ersten 20 Tagen, wo Patienten den Faktor VIII zum ersten Mal erhalten. Es ist also in der Regel im Kleinkindalter, wenn wir die Substitution beginnen. Und diese Antikörperbildung, die wir Hemmkörper nennen, stellt heute die schwerwiegendste Komplikation in der Hämophilie-Behandlung dar.
Faktor-Präparate auf den Punkt gebracht.
Die Standardtherapie der schweren Hämophilie ist heute die prophylaktische Behandlung zur Verhütung von Blutungen.
Ziel der Therapie ist, dass ein Patient nach Möglichkeit gar keine oder so wenig Blutungen wie möglich hat.
Herausforderungen sind, dass dadurch eine regelmäßige Injektion erfolgen muss und Reaktionen auf den Gerinnungsfaktor verhindert werden müssen.
Inhalte wurden in Zusammenarbeit mit Priv.-Doz. Dr. Robert Klamroth entwickelt: Stand Jänner 2017