Beim Multiplen Myelom treffen Sie gemeinsam mit Ihrem Behandlungsteam viele Entscheidungen. Dafür ist es wichtig, dass Sie gut informiert sind und eine gute Vertrauensbasis zu Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt haben. Hier finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten aus dem Kurs „Gutes Arztgespräch beim Multiplen Myelom“ übersichtlich zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
- Vor dem Arztgespräch beim Multiplen Myelom
- Grundlagen der Arzt-Patienten-Kommunikation
- Wichtige Themen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
- Entscheidungen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
- Shared Decision Making beim Multiplen Myelom
- Schwierige Situationen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
- Mein Beitrag im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
Vor dem Arztgespräch beim Multiplen Myelom
Wie kann ich mich auf das Arztgespräch beim Multiplen Myelom vorbereiten?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Bei einer Vorbereitung auf ein Arztgespräch kommt es darauf an, welche Art des Arztgespräches es ist. Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Arztgespräch, wo es um eine beunruhigende Erstdiagnose geht oder ob es eine Verlaufskontrolle geht, um eine Befundsbesprechung geht oder wo es unter Umständen auch um Therapieentscheidung geht. Das ist einmal zu berücksichtigen.
Ebenso sind nicht alle Menschen gleich, und es ist auch wichtig für sich selber, einmal als Patient festzustellen, welcher Typ man ist. Die einen sind eher wissens- und faktenorientiert und möchten viele Fakten, Informationen bekommen. Andere Menschen wieder suchen eher Rat und Stütze und wollen Sicherheit vermittelt bekommen. Das ist zu würdigen.
Ebenso ist es auch so, besonders in der Gruppe der Krebspatienten und -patientinnen, dass es viele Menschen gibt, die schon hoch betagt sind und unter Umständen schon Schwierigkeiten haben, alle Informationen entsprechend aufzunehmen.
Das ist alles zu berücksichtigen.
Sie sehen: Das Arztgespräch ist auch von der Patientenseite höchst individuell zu organisieren. Es gibt aber trotzdem einige grundsätzliche Dinge, die zu berücksichtigen sind.
- Das ist einerseits einmal die grundsätzliche Entscheidung: Nehme ich eine Vertrauensperson mit oder nicht — unbedingt anzuraten bei heiklen Gesprächen, wenn es Diagnosen und Therapie-Entscheidungen geht.
- Wenn es um Verlaufskontrollen geht, ist es ganz besonders wichtig, sich auf das Arztgespräch vorzubereiten, indem man unter Umständen in der Zeit davor ein Tagebuch über Therapieverläufe führt, über Nebenwirkungen, möglichst genau, damit der Arzt die entsprechenden Informationen möglichst zielgerichtet und genau bekommt, um auf dieser Basis seine Therapieempfehlungen zu geben.
Das sind mal so die grundsätzlichen Dinge bei der Vorbereitung auf ein Arztgespräch.
Ein Hinweis noch, besonders für jene Patienten und Patientinnen, die eher wissens- und faktenbasierend agieren: Es gibt die Möglichkeit, bei Befundbesprechungen, wo bereits ein Befund vorliegt, sich über das ELGA-System diese Befunde vorab anzusehen und unter Umständen schon in dieser Form vorbereitet in das Arztgespräch zu gehen.
Wichtig ist, dass Sie Fragen, die während der Behandlung auftreten, notieren. Das ist ja auch oft so, dass zwischen den Arztterminen die eine oder andere Frage entsteht. Und da sollten Sie einfach Notizen machen und diese Unterlagen zum Arztgespräch mitbringen.
Das gilt auch für Nebenwirkungen. Führen Sie ein Tagebuch, das Sie dann zum Gespräch mitbringen und dann mit Ihrem behandelnden Arzt Punkt für Punkt durchbesprechen.
Wo finde ich seriöse Informationen zum Multiplen Myelom?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Sehr hilfreich sind die Unterlagen der Selbsthilfegruppen. Die sind im Internet über ihre Homepages abrufbar.
Zusätzlich neben elektronischen Unterlagen gibt es auch Broschüren, die immer wieder im Rahmen von Veranstaltungen aufliegen.
Oder Sie können auch Mitarbeiter der Selbsthilfegruppe kontaktieren, und Sie erhalten dann auf postalischem Weg Broschüren zugeschickt.
Sehr hilfreich ist auch der Austausch mit anderen Patienten oder auch mit Angehörigen von Patienten.
Welche Unterlagen soll ich zum Arztgespräch mitnehmen?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
- Sie sollten eine Zuweisung mitbringen.
- Wichtig sind dann natürlich auch aktuelle Befunde,
- eine gültige Medikamentenliste.
- Sie sollten wissen, welche Medikamente sie in welcher Dosierung einnehmen,
- und dann, sofern ein Arztbrief vorhanden ist, auch einen Arztbrief mitbringen, der Begleiterkrankungen enthält oder auch vorangegangene Operationen aufweist.
Ihr behandelnder Arzt wird dann mit Ihnen die medizinische Krankengeschichte durchbesprechen.
Wichtig ist auch, dass Ihr behandelnder Arzt Sie als Patient vollständig kennenlernt.
Was mache ich, wenn ich vor dem Arztgespräch nervös bin?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Ein sehr heikler Punkt ist die Entspannung vor einem Arztgespräch.
Ich habe selber über die Jahre im Umgang mit meiner Erkrankung immer wieder festgestellt, besonders in den ersten beiden Jahren nach der Haupttherapie, dass jedes Arztgespräch für mich eine psychische Stressbelastung war: Sind die Befunde noch immer stabil? Ist die Krankheit wieder ausgebrochen? Und so weiter. Ich habe meistens in der Nacht davor schlecht geschlafen.
Ich habe dann gelernt über die Zeit, jeder muss da selber seinen Weg finden, bei mir hat es funktioniert mit Bewegung und sich auch die Wartezeit im Spital, in der Ambulanz dadurch zu verkürzen, dass man sich mit schönen Dingen beschäftigt — Musik hören, ich habe dann teilweise meine Familienfotos zuordnen begonnen und solche Dinge.
Also es ist schon wichtig, möglichst entspannt, aber auch fokussiert in das Arztgespräch hineinzugehen.
Kann mich eine Vertrauensperson zum Arztgespräch beim Multiplen Myelom begleiten?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Ja, das ist sogar sehr hilfreich. Ich fordere meine Patienten meistens auch auf, Angehörige oder Vertrauenspersonen mitzubringen. Vier Ohren hören immer mehr als zwei.
Hier geht es zum Video-Interview: „Vor dem Arztgespräch beim Multiplen Myelom“
Grundlagen der Arzt-Patienten-Kommunikation
Was ist wichtig für eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Die Grundbasis für eine gute Kommunikation ist für mich Vertrauen. Ich möchte spüren als Patient, dass der Arzt mir gegenüber eine hohe fachliche Kompetenz besitzt. Ich möchte das Gefühl haben, dass meine Befunde, mein Krankheitsbild genau angeschaut wird, dass mein Arzt, meine Ärztin auch auf dem letzten Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung agiert oder sich auch sozusagen Informationen aus der medizinischen Community holt. Das ist heutzutage ja eigentlich üblich, dass besonders die jungen Ärzte schon in Teams arbeiten. Das gibt mir Sicherheit und ich habe das Gefühl, dass ich bei diesem Arzt, bei dieser Ärztin gut aufgehoben bin.
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Mir als Ärztin ist es wichtig, einem Patienten auf Augenhöhe zu begegnen. Die Kommunikation muss verständlich sein, denn so kann eine Vertrauensbasis entstehen. Und das ist eine Grundvoraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.
Was mache ich, um das meiste aus dem Arztgespräch herauszuholen?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Ich führe ein Patiententagebuch über Nebenwirkungen. Ich notiere mir meine Fragen vorher, die ich dem Arzt stellen möchte. Ich bin selber in einem chronischen Stadium, wo es eher darum geht, Medikamentationen weiterzuführen oder zu verändern. Da gibt es immer Fragen, immer Details, die zu besprechen sind. Und ich versuche, mir diese Fragen auch schriftlich zu notieren, denn manchmal vergesse ich einfach in der Eile, manche Fragen zu stellen.
Wem und wann darf mein:e Ärzt:in beim Multiplen Myelom Auskunft geben?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Als Ärztin darf ich nur dann Angehörigen oder Vertrauenspersonen Auskunft geben, wenn der Patient ausdrücklich zustimmt. In so einem Fall wird ein Passwort vereinbart, und Angehörige oder Vertrauenspersonen können dann nach Nennung des Passwortes Auskunft bekommen.
Wer gehört zu meinem Behandlungsteam beim Multiplen Myelom?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Neben dem medizinischen Personal ist es auch das Pflegepersonal, die Physiotherapeuten, das Team der klinischen Psychologie, auch das Team der Seelsorge bei uns im Krankenhaus. Aber wir haben auch Sozialarbeiter bei uns an der Abteilung. Und einmal in der Woche haben wir eine multi-professionelle Visite, eine interdisziplinäre Besprechung, wo wir einzelne Patienten durchbesprechen.
Im Bedarfsfall, wenn eine komplexe Situation vorliegt, die eine Interaktion von diesen verschiedenen Personen erfordert, versuchen wir das alles auch zeitnah zu organisieren.
Hier geht es zum Video-Interview: „Grundlagen der Arzt-Patienten-Kommunikation“
Wichtige Themen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
Worüber muss mich mein: Ärzt:in beim Multiplen Myelom aufklären?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Wichtig ist mir als Ärztin, dass Sie zunächst die Erkrankung begreifen. Die Erkrankung Multiples Myelom ist für viele Patienten gerade zu Beginn nicht sehr verständlich. Und da ist es wichtig, gute Aufklärungsarbeit zu leisten. Wichtig ist auch, dass man die Erkrankung verständlich erklärt. Und dann, wenn es die Einleitung einer Therapie geht, müssen auch diese Therapieziele besprochen werden und wie das Therapieziel erreicht werden kann. Da geht es dann auch darum, dass man die Nebenwirkungen der einzelnen Substanzen im Detail bespricht und ein gemeinsames Behandlungsziel mit dem Patienten festlegt.
Welche Themen sind für mich im Arztgespräch beim Multiplen Myelom wichtig?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Besonders wichtig im Arztgespräch ist für mich eine klare Interpretation meiner Befundlage: Hat sich mein Krankheitsbild verändert, verschlechtert? Welche Parameter sind gleich geblieben, sind schlechter geworden, besser geworden? Und darauf basierend, dann möchte ich mit meinem Arzt besprechen, ob die Medikamentation weitergeführt oder eine andere Medikamentation hinsichtlich der Dosis oder ähnliches eingeführt werden muss.
Ein wichtiger Teil des Arztgesprächs ist für mich auch die Abklärung der Notwendigkeit begleitender Untersuchungen. Denn es ist notwendig, gerade bei chronischen Krankheitsverläufen, dass man auch unter Umständen ein Organscreening macht, um hintanzuhalten, dass nie schädliche Nebenwirkungen durch die Medikamentation an Organen entstehen.
Was benötigt mein:e Ärzt:in von mir, damit er:sie mir verschiedene Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen kann?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Ich als Ärztin muss gut über Sie informiert sein. Das heißt, ich muss auch Sie näher kennenlernen. Ich muss wissen, welche Begleiterkrankungen Sie haben, welche Medikamente Sie einnehmen, wie Ihre Lebensumstände aussehen. Bewältigen Sie Ihren Haushalt alleine? Gibt es Unterstützung? Wie aufwändig ist es auch beispielsweise für Sie, an ein Behandlungszentrum zu kommen? Wie oft wäre es Ihnen möglich, ins Spital zu kommen für die Therapien? All diese Punkte sind wichtig, eine geeignete Behandlung für Sie individuell festlegen zu können.
Soll ich ansprechen, wenn ich alternative Heilmethoden ausprobieren möchte?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Es ist wichtig, dass Sie mich als Ihre behandelnde Ärztin darüber informieren. Es ist nicht generell ausgeschlossen, dass das möglich ist, aber es kann mitunter zu Wechselwirkungen kommen, wenn alternativmedizinische Behandlungen ergänzend zur Schulmedizin eingesetzt werden. Deswegen ist es wichtig, dass Sie mich darüber informieren. Und wir können dann gemeinsam entscheiden, ob alternativmedizinische Behandlungsmethoden zusätzlich sinnvoll und möglich sind.
Hier geht es zum Video-Interview: „Wichtige Themen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom“
Entscheidungen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
Was beeinflusst Entscheidungen beim Multiplen Myelom?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Das ist sehr stark von der individuellen Lebenssituation des jeweiligen Patienten, der Patientin abhängig. Ich selbst bin noch ein relativ junger onkologisch Erkrankter und noch berufstätig und schätze daher, dass bei den Therapien eine möglichst große Flexibilität und wenig stationäre Behandlungen dabei sind. Daher schätze ich alle Therapieoptionen, die eine orale Einnahme von Medikamenten ermöglichen und die Spitalsbesuche, Ambulanzbesuche nur auf wenige Kontrollen im Jahr beschränkt werden können.
Das ist aber natürlich nicht immer möglich, denn besonders bei aggressiven Verläufen und bei Rezidiv ist eine orale Einnahme in der Regel nicht mehr möglich, sondern das geht dann nur über immer wiederkehrende stationäre oder ambulante Aufenthalte.
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Neben der Erkrankungssituation an sich ist es auch wichtig, welche Begleiterkrankungen vorliegen und welche Nebenwirkungen ein Patient bereit ist in Kauf zu nehmen. Wir haben Gott sei Dank mittlerweile eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, sodass wir die Therapiemöglichkeiten sehr individuell gestalten können. Und das ist ein gemeinsamer Entscheidungsprozess. Und dazu muss ich eben wissen, welche Begleiterkrankungen vorliegen, welche Medikamente noch eingenommen werden. Und dann werden wir ein gemeinsames Ziel definieren und auch überlegen, wie wir das umsetzen können.
Was ist ein Tumorboard und wie beeinflusst es die Therapieentscheidung beim Multiplen Myelom?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Ein Tumorboard ist eine Konferenz, wenn man so will, wo mehrere Fachdisziplinen vertreten sind. Neben Onkologen und Hämatologen sind das auch Chirurgen, Radiologen, Pathologen, Strahlentherapeuten, aber auch Mitarbeiter der klinischen Psychologie. Und da werden Patientenfälle multidisziplinär besprochen. Mitunter ist bei der Behandlung eines Patienten ein interdisziplinäres Setting erforderlich. Bei Myolom-Patienten würde das beispielsweise bedeuten: Wenn eine Bestrahlung von einzelnen Osteolysen erforderlich ist, wird das in einem Tumorboard gemeinsam mit Radiologen und Strahlentherapeuten beispielsweise besprochen.
Wie kann ich bei der Therapie mitentscheiden?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Für eine gute Mitentscheidung ist für mich vorerst einmal eine möglichst gute Informationslage entscheidend. Diese Informationslage muss nicht nur aus medizinischen Fakten und ärztlichen Expertisen bestehen. Ich schätze es auch sehr, sozusagen über Erfahrungsberichte von Mitpatienten ein bisschen ein Gefühl zu kriegen, wie Therapien anschlagen, welche Nebenwirkungen zu erwarten sind. Diese Erfahrungsberichte sind für mich eine sehr wichtige Komponente in der Einschätzung der Risiken und Chancen von Therapien.
Ich hatte einmal diese Situation, wo es darum ging, um die Entscheidung: Wird meine sogenannte Erhaltungstherapie im chronischen Verlauf ausgesetzt oder nicht? Und da bin ich einmal schon bei einem Arzt gewesen, der gesagt hat: „Na ja, ein Aussetzen wäre schon gut, und Sie könnten sich dann die Medikamenteneinnahme ersparen.“ Und ich habe mich aber dagegen entschieden aufgrund einer ärztlichen Zweitmeinung .
Wann braucht mein: Ärzt:in meine Einwilligung bei einer Entscheidung?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Eine Einwilligung, also eine Zustimmung des Patienten, ist für jede Therapie-Entscheidung erforderlich.
Hier geht es zum Video-Interview: „Entscheidungen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom“
Shared Decision Making beim Multiplen Myelom
Warum ist Shared Decision Making wichtig beim Multiplen Myelom und was sollte angesprochen werden?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Es ist zunächst wichtig, dass ich als Ärztin gemeinsam mit dem Patienten ein Behandlungsziel definiere. Und dann gilt es, gemeinsam eine Entscheidung zu treffen, wie dieses Therapieziel erreicht werden kann. Mit welcher Therapie, mit welchen Substanzen? Und das bedeutet auch, dass man mit einem Patienten konkret bespricht, wie diese Therapie ablaufen wird, ob das einem Patienten zumutbar ist, ob beispielsweise eine Therapie in Tablettenform gegenüber einer Therapie, die subkutan , also in Form von Injektionen unter die Haut verabreicht wird, vorgezogen wird, oder ob auch eine Behandlung in Form von Infusionen möglich ist. All diese Überlegungen fließen in die Entscheidung für eine Therapie ein. Und diese Entscheidungen trifft man gemeinsam mit einem Patienten.
Wie wirkt sich Shared Decision Making auf die Therapie aus?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Sehr positiv, denn es ist wichtig, dass Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Nicht ich als Ärztin allein treffe die Therapie-Entscheidung, sondern ich treffe sie gemeinsam mit Ihnen als Patient. Es ist wichtig, dass wir eine gute Gesprächs- und Vertrauensbasis haben, dass Sie Ihre Anliegen ganz offen mit mir besprechen können, sodass wir dann konstruktiv eine Therapie festlegen können und diese hoffentlich auch erfolgreich umsetzen können.
Welche Voraussetzungen brauche ich für ein gutes Shared Decision Making?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Das Shared Decision Making ist eine schwierige Situation sowohl für den Arzt als auch für den Patienten. Es braucht nämlich auf beiden Seiten eine klare Informationsmeinungslage und auch eine Klärung des Standpunktes. Und es ist natürlich so: Ich als Patient bin natürlich sehr unsicher, weil alle Therapien haben Risiken, haben Nebenwirkungen, und es ist sehr, sehr schwierig, da eine rationale Entscheidung zu treffen, sondern man muss sich bewusst sein: Solche Entscheidungen haben immer eine starke emotionale Komponente. Und daher ist beim Shared Decision Making es sehr, sehr wichtig, sich dieser emotionalen Komponente als Patient bewusst zu sein. Und mir hilft das sehr, sozusagen über Gespräche mit Mitpatienten und auch im Austausch mit meiner Familie und so weiter und anderen Freunden unter Umständen ein bisschen Sicherheit zu bekommen: Was ist für mich gut? Was glaube ich, dass für mich gut ist?
Es ist, wie gesagt, beim Shared Decision Making sehr stark Emotion im Spiel.
Was mache ich als Patient:in, wenn ich mich nicht ausreichend in eine Entscheidung einbezogen fühle?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
In solchen Fällen ist es natürlich klar: Zu guter Letzt gibt es in allen Spitälern Ombudstellen, wo man sich hinwenden kann und auch die Patientenanwaltschaft. Das sehe ich aber eigentlich als letzte Phase, wenn nichts anderes mehr möglich ist. Wichtig ist, wenn möglich dem Arzt, der Ärztin das mitzuteilen und zu ersuchen, sozusagen das Gespräch so zu führen, dass man wirklich als Patient sich mitgenommen fühlt, oder, wenn man das nicht schafft, beim nächsten Gespräch unter Umständen eine Kontakt-, eine Vertrauensperson mitzunehmen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das gibt in der Regel große Sicherheit und sichert auch, dass wirklich eine gute Bezogenheit auf das Thema, auf eine Therapie-Entscheidung möglich ist.
Hier geht es zum Video-Interview: „Shared Decision Making beim Multiplen Myelom“
Schwierige Situationen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
Was soll ich tun, wenn ich im Arztgespräch etwas nicht verstanden habe?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Es ist wichtig, dass Sie das ganz offen ansprechen. Ich als Ärztin bemühe mich, verständlich zu sprechen, aber mitunter ist mir auch nicht bewusst, dass Sie als Patient vielleicht ein paar Dinge nicht verstanden haben. Und da ist es mir wichtig, dass Sie mich darauf aufmerksam machen. Sprechen Sie es direkt im Gespräch an.
Sollte eine Unklarheit entstehen, die erst im Verlauf sich ergibt oder zu Hause eine Frage auftauchen, dann notieren Sie das und bringen Sie das beim nächsten Arztgespräch unbedingt zur Sprache.
Was soll ich tun, wenn ich mich von meinem:meiner Ärzt:in nicht verstanden fühle?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Wenn Sie das Gefühl haben, dass etwas nicht verständlich ist, sprechen Sie es klar an. Ich als Ärztin möchte Ihnen jederzeit Auskunft geben über Ihre Erkrankung. Mir ist wichtig, dass Sie vertraut sind mit der Erkrankungssituation, die Therapie verständlich ist, sodass Sie diese auch erfolgreich zu Hause einnehmen können.
Sollten Dinge unklar sein oder dass Sie das Gefühl haben, ich nehme Nebenwirkungen nicht ausreichend ernst, trauen Sie sich, das anzusprechen.
Mitunter ist es auch so, dass wir Ärzte Dinge anders einstufen als ein Patient es subjektiv erlebt. Und da ist es wichtig, dass man darüber spricht. Weil gerade was Nebenwirkungen betrifft, kann man durch Dosis-Anpassungen vieles auch verbessern. Und da sollten Sie auf jeden Fall den Mut haben, das klar anzusprechen.
Was mache ich, wenn ich mich im Arztgespräch beim Multiplen Myelom eingeschüchtert fühle?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Ich kenne diese Situation aus vielen Gesprächen mit Mitpatienten. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe: Die Menschen sind sehr, sehr unterschiedlich, auch in ihrer emotionalen Verfasstheit.
Im Grunde ist es wichtig, sich das Recht zu nehmen, Stopp zu sagen und dem Arzt, der Ärztin zu sagen: „Brechen wir das Gespräch hier ab. Ich möchte mir gerne mit Ihnen einen weiteren Termin ausmachen. Ich möchte das setzen lassen, und ich möchte nicht jetzt eine Entscheidung treffen.“
Es ist natürlich bei manchen Menschen so: Der eine oder andere ist vielleicht ein bisschen zu schüchtern dazu und ist nicht vertraut, das so klar zu sagen. Wichtig ist, keine voreiligen Entscheidungen zu treffen, sich nicht in voreilige Entscheidungen hinein treiben zu lassen, sondern einfach einen nächsten Gesprächstermin zu vereinbaren und dazwischen sich den entsprechenden Rat und die Hilfe zu holen. Es gibt da verschiedene Möglichkeiten über Mitpatienten, Netzwerke. Wir haben bei uns in der Selbsthilfegruppe auch eine Telefonhotline, wo man kritische Fragen mit Ärzten erörtern kann und so weiter.
Wie spreche ich es an, wenn ich eine Zweitmeinung einholen möchte?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Sie können das ganz klar im Gespräch anführen. Sie können mich jederzeit als Ärztin fragen oder mir mitteilen, dass Sie eine Zweitmeinung haben möchten. Und Sie können mich auch fragen, bei wem Sie eine Zweitmeinung einholen sollten. Auch da berate ich Sie gerne. Das ist nicht ungewöhnlich.
Mitunter ist es auch so, dass ich als Ärztin merke, dass bei einem Patienten Unsicherheit besteht, ob diese Therapie-Entscheidung richtig ist. Und da biete ich auch Patienten an, dass sie eine Zweitmeinung einholen. Ich kann gerne auch Kollegen oder Kolleginnen weiterempfehlen. Oder mitunter ist es auch so, dass Patienten dann selbstständig recherchieren und eine Zweitmeinung einholen werden.
Grundsätzlich ist das nicht ungewöhnlich und im Alltag erleben wir das häufig, dass Patienten Zweitmeinungen einholen. Und da sind wir Ärzte auch nicht beleidigt.
Wie kann ich über meine Ängste und Gefühle mit meinem:meiner Ärzt;in sprechen?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Ich kann dazu persönlich sagen, dass für mich die Diagnose eine persönliche Katastrophe war. Und es ist wichtig anzuerkennen, dass eine Krebs-Diagnose eine große emotionale psychische Belastung für den oder die Betroffene ist. Das ist zu würdigen. Und daher muss man auch sozusagen sehen, dass besonders in einem Arztgespräch, wo es um eine Erstdiagnose geht, die Menschen in sehr gestresster emotionaler Verfassung eigentlich im Arztzimmer sitzen.
Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass in einem normalen Arztgespräch es nicht möglich ist, in der Tiefe gehende psychoonkologische Beratungsgespräche zu führen. Ganz besonders wichtig ist es, dem Arzt mitzuteilen in kurzen Worten, in welcher emotionalen Verfasstheit man ist, damit der Arzt dann entscheiden kann, ob eine umgehende psychoonkologische Unterstützung erforderlich ist. Diese Unterstützung wird eigentlich in allen Schwerpunktspitälern bereits angeboten und ist kurzfristig verfügbar. Außerdem gibt es auch noch bereits ein relativ umfangreiches Netzwerk an Psychoonkologinnen im niedergelassenen Bereich, die aufgesucht werden können.
Ich kann aus meiner Krankheitsgeschichte nur sagen, dass ich eigentlich besonders in den ersten Jahren nach meiner Diagnose regelmäßige psychoonkologische Betreuung in Anspruch genommen habe, um mit dieser doch drastischen Lebensveränderung einigermaßen umgehen zu können. Und diese Form der Supervision hat mir geholfen, sozusagen wirklich auch eine gewisse Akzeptanz meiner Erkrankung gegenüber zu entwickeln.
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Wenn eine gute Vertrauensbasis besteht, sollte es möglich sein, Ängste oder Sorgen anzusprechen. Dazu gehört aber natürlich auch Mut. Und wenn ich als Ärztin merke, dass ein Patient sehr belastet ist und Dinge nicht klar ansprechen kann, ist es auch mitunter so, dass ich klinische Psychologen zur Seite ziehe oder auch Unterstützung aus dem Team der Seelsorge hole.
Wichtig ist, dass wir ganz offen Ihre Anliegen besprechen können. Haben Sie den Mut! Ich kann Ihnen umso besser helfen, wenn ich Ihre Sorgen und Ängste kenne.
Hier geht es zum Video-Interview: „Schwierige Situationen im Arztgespräch beim Multiplen Myelom“
Mein Beitrag im Arztgespräch beim Multiplen Myelom
Über welche Nebenwirkungen sollte ich mein:e Ärzt:in informieren?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Über alle Nebenwirkungen. Es ist wichtig, wenn im Rahmen einer Behandlung Nebenwirkungen auftreten, kann man auch mitunter als Patient nicht unterscheiden: Ist das eine Nebenwirkung der Therapie oder ein Symptom, das auf etwas anderes zurückzuführen ist? Führen Sie ein Tagebuch, notieren Sie Besonderheiten und bringen Sie das zum Arztgespräch mit. Dann können wir das Punkt für Punkt durchgehen und besprechen und auch rausfinden, ob das Nebenwirkungen sind oder Symptome, die beispielsweise zur Erkrankung passen oder auf andere Medikamente zurückzuführen sind.
Soll ich Symptome und Nebenwirkungen auch dann ansprechen, wenn diese schon wieder weg sind?
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Das sollten Sie auf jeden Fall tun, denn Nebenwirkungen können auch nur vorübergehend auftreten, und darüber sollte ich als Ärztin immer informiert sein.
An wen kann ich mich wenden, wenn ich unsicher bin?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
Es gibt mittlerweile einige Möglichkeiten, wie und wo man sozusagen sich auf auftretende Fragen nach einem Arztgespräch Antworten und Rat holen kann.
- Zum Beispiel geht das über Telefonhotlines, die beim „Myelom am Telefon“ in einer Selbsthilfegruppe in der Myelom-Selbsthilfe eingerichtet sind. Da kann man an einigen Stunden pro Woche Fragen mit professionellen Ärztinnen erörtern.
- Weiters gibt es auch in Selbsthilfegruppen Kontaktpersonen, Netzwerke, wo Patienten über ihre Erfahrungen sich gegenseitig berichten im vertraulichen Bereich. Das kann auch helfen.
- Und natürlich die klassische Zweitmeinung ist natürlich immer anzuraten, besonders wenn es Therapie-Entscheidungen geht. Da kann man durchaus überlegen, erfahrene Onkologen im niedergelassenen Bereich als Zweitmeinung aufzusuchen.
Dr.in Eva Maria Autzinger:
Gerade zu Beginn der Erkrankung, zum Zeitpunkt der Diagnosestellung treten viele Fragen auf. Das ist auch nicht ungewöhnlich, dass man da vergisst, viele Dinge im Arztgespräch, im Erstgespräch anzusprechen.
Ich rate all meinen Patienten, Notizen zu Hause zu machen. Mitunter vergeht aber dann eine gewisse Zeit bis zum nächsten Arzttermin, und man möchte diese Fragen vorher beantwortet haben. Da sind dann die Selbsthilfegruppen sehr hilfreich.
Eine weitere Möglichkeit ist beispielsweise auch eine Telefonhotline, die es seit einigen Jahren gibt. Das ist das „Myelom am Telefon“, wo Kollegen und ich von Montag bis Freitag beratenderweise zur Verfügung stehen zu bestimmten Zeiten. Diese Zeiten finden Sie auch im Internet. Und da können Patienten und Angehörige auch Fragen stellen.
Zusätzlich gibt es auch im Spital beispielsweise die Möglichkeit, über E-Mail einen behandelnden Arzt zu kontaktieren. Falls dringende Anliegen bestehen oder im Fall von Nebenwirkungen können Sie natürlich auch versuchen, zeitnah mit Ihrem behandelnden Arzt Kontakt aufzunehmen.
Wie geht es für mich nach einem Arztgespräch weiter?
Dipl.-Ing. Thomas Derntl:
In der Regel gehe ich aus einem Arztgespräch heraus mit Informationen, die erst einmal verarbeitet werden müssen. Die ersten Ansprechpartner sind meine Familie, meine Ehefrau, mit der ich einmal bespreche, was so herausgekommen ist. Und ich versuche das dann auch zu dokumentieren, in meinem Patiententagebuch einfach kurz aufzuschreiben, welche Informationen gegeben wurden. Und in weiterer Folge wird dann auch bei Patiententreffen unter Umständen, im Anlassfall werden auch Ergebnisse von Arztgesprächen im vertraulichen Rahmen besprochen, wenn ich das für notwendig finde. Das ist aber nicht die Regel.
Hier geht es zum Video-Interview: „Mein Beitrag im Arztgespräch beim Multiplen Myelom“