9. Myelofibrose verstehen – alle Fragen

In der Schulung „Myelofibrose verstehen“ möchten wir Ihnen umfassende Informationen über die Erkrankung  vermitteln, um ein besseres Verständnis für Myelofibrose (MF) zu schaffen. Im Verlauf der Schulung werden unter anderem folgende Fragen beantwortet:

  • Was ist Myelofibrose und welche Arten gibt es?
  • Welche Ursachen und Risikofaktoren begünstigen die Entstehung und das Fortschreiten der Myelofibrose?
  • Welche typischen Symptome treten bei Myelofibrose auf und wie entwickelt sich die Erkrankung im Verlauf?
  • Welche diagnostischen Verfahren werden eingesetzt, um Myelofibrose zu erkennen?

Einleitung durch Priv.-Doz.in Dr.in Dr. Stefanie Jilg

Mein Name ist Stefanie Jilg. Ich bin mittlerweile niedergelassene Hämatoonkologin. Früher habe ich lange an der Universität gearbeitet. Und aus diesen Zeiten stammt auch meine Begeisterung und meine Liebe zur Hämatologie . Ich möchte Ihnen in den nächsten Minuten die Myelofibrose etwas näherbringen. Und ich hoffe auch etwas die Angst vor dieser seltenen und nicht gut greifbaren Erkrankung nehmen.

Hier geht es zur Einleitung des Kurses: „Myelofibrose verstehen

Myelofibrose einfach erklärt

Was ist Myelofibrose?

Die Myelofibrose gehört zur Krankheitsgruppe der sogenannten MPNs, der myeloproliferativen Neoplasien. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine Erkrankung der Zellen im Knochenmark. Und diese Zellen teilen sich zu viel, vermehren sich zu viel, proliferieren. Und im Rahmen dieser Erkrankung kommt es dazu, dass zu viele Botenstoffe ausgeschüttet werden. Und dieses Zuviel an Botenstoffen führt dann zu einer Verfaserung des Knochenmarks zur Fibrose .

Was ist das Knochenmark und welche Funktion hat es?

Das Knochenmark ist die Wiege der Zellen im peripheren Blut. Bei den Zellen des peripheren Bluts handelt es sich um die Leukozyten (die weißen Blutkörperchen), die die Polizei des Körpers darstellen, um die roten Blutkörperchen, die mit ihrem Blutfarbstoff (dem Hämoglobin), den Sauerstoff transportieren, und die Thrombozyten (die Blutplättchen), die dazu führen, dass es zu Blutgerinnung, zum Beispiel nach einer Verletzung führen kann. Die Vorläufer oder Stammzellen dieser Zellen im peripheren Blut finden wir im Knochenmark. Das bedeutet, dass wir in unseren Knochen das Knochenmark tragen und dass hier, neben den Stamm- und Vorläuferzellen der Zellen des peripheren Blutes, auch Zellen vorhanden sind, die zum Beispiel für das Bindegewebe zuständig sind. Und all diese Zellen sind zwischen kleinen Markraumspalten eingelagert.

Welche Arten von Myelofibrose gibt es?

Prinzipiell unterscheiden wir zwei Arten von Myelofibrose: die primäre Myelofibrose und die sekundäre Myelofibrose. Wir beginnen als erstes bei den sekundären Myelofibrosen. Wie erwähnt, ist die Myelofibrose ja eine der Erkrankungen aus der Gruppe der MPNs, der myelofproliferativen Neoplasien. Zu dieser Erkrankungsgruppe gehört aber auch die PV (die Polycythaemia Vera) und die ET (die essentielle Thrombozythämie). Die PV ist durch ein Zuviel an roten Blutfarbstoff bzw. an einem zu viel an roten Blutkörperchen, gekennzeichnet. Die ET an einem Zuviel von Blutplättchen. Aus der PV und aus der ET kann sich im Verlauf mehrerer Jahre auch eine Myelofibrose entwickeln. Das bedeutet, dass dann auch die weißen Blutkörperchen (die Leukozyten) gestört sein können und dass es durch das Ausstoßen dieser Botenstoffe auch zu einer Fibroisierung, also zur Verfaserung des Knochenmarks, kommen kann. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Patienten, bei denen wir eine sogenannte primäre Myelofibrose vorfinden. Das bedeutet, dass ab dem ersten Tag der Diagnose das Bild im Knochenmark darauf hinweist, dass auch die Leukozyten Mitbetroffen sind und dass wir auch eine Verfaserung im Knochenmark finden. Bei sehr frühen Formen der präfibrotischen Myelofibrose finden wir zwar noch keine Faserbildung, aber die Zellen sind schon so verändert, dass wir wissen, dass es sich um eine Myelofibrose handelt.

Hier geht es zum Video-Interview: „Myelofibrose einfach erklärt“

Ursachen und Risikofaktoren für Myelofibrose

 Welche Ursachen kann Myelofibrose haben?

Die Myelofibrose ist eine Erkrankung der Zellen des Knochenmarks. Und diese Knochenmarkzellen können einen Knacks bekommen. Was bedeutet knackst? Das bedeutet, dass wir innerhalb von den Genen eine bestimmte Mutation, eine Veränderung haben. Und bei der Myelofibrose sind drei Gene besonders wichtig JAK2, MPL und CALR. Kommt es im Laufe eines Lebens zu Veränderungen (Mutationen) in einem dieser Gene, dann führt das zu Myelofibrose. Alle drei Gene bzw. alle drei Genprodukte gehören zu einem Signalweg. Das bedeutet, wir haben verschiedene Player, verschiedene Produkte, die dazu führen, dass dieser Signalweg aktiv ist. Wenn wir jetzt eine Störung in einem von diesen Genen haben, führt es dazu, dass ständig Signale über diesen Signalweg laufen. Die Zelle vermehrt sich dann im Weiteren zu stark oder teilt sich zu stark. Außerdem ist es so, dass wir mittlerweile auch wissen, dass bestimmte andere Mutationen in anderen Genen wie, zum Beispiel in ASXL1, dazu führen können, dass diese Erkrankung aggressiver wird. Wir wissen aber noch nicht, oder vielleicht kann man das auch gar nicht sagen, ob bestimmte Auslöser dann zu einer Myelofibrose führen. Wir haben also nicht eine klare Korrelation zwischen einem Auslöser und der Krankheit Myelofibrose. Bei Patienten mit Lungentumoren wissen wir, dass Rauchen zum Beispiel die Entwicklung von Lungenkrebs fördern kann. Diesen eins zu eins Zusammenhang finden wir bei der Myelofibrose nicht. Es ist so, dass wir wissen, dass bestimmte Veränderungen im Blut darauf hindeuten können, dass die Fibrose oder die Myelofibrose aggressiver wird, zum Beispiel wenn der Hämoglobinwert sinkt oder wenn Thrombozytenwerte fallen. Das bedeutet, dass wir bestimmte Risikoscores anwenden können, bei denen wir verschiedene Variablen oder Elemente haben, die uns sagen, ob die Erkrankung gerade dabei ist, aggressiver zu werden oder nicht.

 Welche Risikofaktoren fördern das Fortschreiten von Myelofibrose?

Neben den Mutationen in den Genen JAK2, MPL und CALR wissen wir, dass Veränderungen, die auch im Laufe eines Lebens erworben werden können, in anderen wichtigen Genen eine Myelofibrose schneller aggressiv werden lassen. Das sind klassische Risikofaktoren, die einem die für eine voranschreitende Myelofibrose sprechen können. Wir wissen, dass ein Abfall der roten Blutkörperchen, ein Abfall der Thrombozyten, dazu uns zeigen kann, dass die Erkrankung auf dem Weg ist, aggressiver zu werden. Per se bedeutet das aber nicht, dass eine Blutarmut ein individueller Risikofaktor ist.

Hier geht es zum Video-Interview: „Ursachen und Risikofaktoren für Myelofibrose“

Symptome bei Myelofibrose

 Was können typische erste Symptome bei Myelofibrose sein?

Bei der Myelofibrose werden zu viele Botenstoffe ausgeschüttet. Das bedeutet, wir haben ein sogenanntes proinflammatorisches Milieu. Proinflammatorisches Milieu bedeutet, dass die Patienten viele entzündungsähnliche Vorgänge im Körper ablaufen haben. Ich sage meinen Patienten häufig, dass es ein bisschen so ist, wie auf Dauergrippe zu sein. Man ist müde, abgeschlagen, hat vielleicht keine Lust auf Aktivitäten, die man sonst eigentlich sehr gerne mag und hat ungerichtet Muskel- oder Gelenkschmerzen. Diese Beschwerden können auftreten, müssen aber nicht unbedingt auftreten. Allerdings kann im Anamnesegespräch, also im Gespräch mit dem Patienten, oft erfragt werden, dass die Patienten über diese Art von Beschwerden schon seit längerer Zeit klagen. Kommt es zu einem Fortschreiten der Fibosierung, kann es aber auch zu einem Abfall des roten Blutkörperchenwerts kommen. Die Patienten können zum Beispiel eine Blutarmut entwickeln. Und diese Müdigkeit und Abgeschlagenheit kann auch durch diese schlechten Blutwerte bedingt sein. Einige Patienten diagnostizieren wir aber auch im Rahmen von ungewöhnlichen Thrombosen, weil die zu vielen Botenstoffen auch die Gerinnung im Blut durcheinander bringen und deswegen Patienten mit Myelofibrose auch zu thromboembolischen Ereignissen neigen. Das bedeutet, Patienten mit Myelofibrose können eher an einem Schlaganfall oder an einer Thrombose erkranken. Und manchmal ist dieses Ereignis der Grund, warum wir überhaupt die Erkrankung diagnostizieren.

Welche Symptome können im Verlauf der Erkrankung hinzukommen?

Haben wir ein Fortschreiten der Fibroisierung im Knochenmark, dann müssen sich die Zellen im Knochenmark einen anderen Ort suchen und wandern häufig in die Milz aus. Dieser Prozess wird extramedulläre Blutbildung genannt. Das bedeutet, Blut wird an einem anderen Ort als dem Knochenmark gebildet. Das führt dazu, dass die Milz anschwellen kann. Die Milz ist ein Organ, was im linken Bauchbereich gelagert ist. Dies kann zu einem Spannungsgefühl und Unwohlsein im Bauchbereich führen, aber auch dazu, dass Patienten vielleicht weniger essen können. Außerdem ist es so, dass die Blutbildung nicht mehr so gut und so effektiv ist. Dies kann zu

  • einer Blutarmut führen: Die Patienten fühlen sich müde oder schlapp.
  • Zu einem Abfall der Blutplättchen: Das kann dazu führen, dass die Patienten eine Blutungsneigung entwickeln.
  • Oder der Patient kann auch unter vermehrten Infekten leiden.

Gibt es Erkrankungen, die aufgrund ähnlicher Symptome mit Myelofibrose verwechselt werden können.

Ein wichtiger Punkt ist, dass die Patienten ihre Beschwerden überhaupt in Verbindung mit etwas Krankhaftem sehen. Wenn in der heutigen Zeit jemand müde, schlapp ist, keine Lust auf körperliche Bewegung hat, dann wird oft diese diese Beschwerden oder dieses diese Lustlosigkeit mit dem Alter verknüpft; oder dass jemand sagt „Ich bin einfach zu fett und zu träge“. Und deswegen ist es ganz wichtig, dass Patienten verstehen, dass gerade diese Abgeschlagenheit, die Fatigue , also das Unvermögen, sich zu bestimmten Dingen aufzuraffen, ganz eng mit der Erkrankung verknüpft ist. Außerdem haben wir viele Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, die ähnliche Beschwerden hervorrufen können, weil ähnliche Botenstoffe hier auch überaktiviert sind. Natürlich kann es auch sein, dass jemand mit einem Bauchtumor, also einem Tumor zum Beispiel im Magen-Darm-Trakt einen Blutverlust erleidet oder Schmerzen im Bauchbereich hat. Prinzipiell kann die Myelofibrose ja viele Symptome haben, die wir auch bei anderen Erkrankungen haben. Ganz wichtig ist aber, dass Beschwerden, die im Rahmen der Myelofibrose auftreten, überhaupt als krankhaft und mit der Erkrankung assoziiert wahrgenommen werden.

Hier geht es zum Video-Interview: „Symptome bei Myelofibrose“

Verlauf und Prognose bei Myelofibrose

 Wie sieht der Krankheitsverlauf von Myelofibrose aus?

Ganz wichtig ist, dass wir eine heterogene Krankheitsentwicklung haben. Das bedeutet, es gibt Patienten, die jahrelang an dieser Erkrankung leben, mit sehr stabilen Blutwerten, ohne nennenswerte Symptome, und vielleicht auch mit dieser Erkrankung versterben, aufgrund von anderen Ursachen. Wir haben aber auch Patienten, die aggressivere Verläufe zeigen. Das bedeutet, dass die Myelofibrose in eine akute myeloische Leukämie übergehen kann.

Welche Folgeerkrankungen und Komplikationen können auftreten?

Die Folgeerkrankungen, die wir am meisten fürchten, ist die Entwicklung einer akuten myeloischen Leukämie. Im Rahmen der Myelofibrose können aber vor allem auch thromboembolische Ereignisse auftreten, also ein Schlaganfall, eine Thrombose, eine Lungenembolie. Die Patienten können vermehrt an Infekten leiden oder es kann auch zu Blutungsneigungen kommen, wenn die Blutplättchen zu stark abfallen.

Ist Myelofibrose heilbar?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Myelofibrose ist eine Erkrankung, die per se heilbar ist. Stand heute ist es nur über die Fremdstammzellspende möglich. Aber wir haben eine Erkrankung, die definitiv heilbar ist. Außerdem ist die Forschung gerade sehr aktiv dabei, andere Therapieoptionen zu entwickeln. Zum Beispiel eine Kombination von Tabletten, die auch zu einer Auflösung dieser Verfaserung führen soll, die auch das Ziel hat, die Myelofibrose zu heilen. Aber Stand heute ist die allogene Stammzelltransplantation die einzig kurative Option.

Hier geht es zum Video-Interview: „Verlauf und Prognose bei Myelofibrose“

Arztgespräch bei Myelofibrose

Welcher Facharzt ist für die Diagnose und Therapie der Myelofibrose zuständig?

Die Diagnose Myelofibrose wird klassischerweise beim Hämatologen oder beim Hämatoonkologen gestellt. Allerdings ist es häufig so, dass Patienten im Rahmen eines Gesundheits-Check-ups auffällige Blutwerte präsentieren und dann zu uns überwiesen werden. Oder dass ein Krankenhaus oder auch ein anderer Facharzt zum Beispiel nach Auftreten eines thromboembolischen Ereignisses, einer Lungenembolie oder einer Thrombose noch mal Blutwerte bestimmt und dann bei Auffälligkeiten zu uns, also zu den Hämatoonkologen, überweist.

Was erwartet mich beim ersten Arztbesuch?

Häufig steht ja erst mal nur der Verdacht im Raum. Blutwerte sind nicht ganz in Ordnung und der Patient wird zu uns geschickt, um zu überprüfen, was denn da los ist. Als erstes wird ein Anamnesegespräch geführt. Also wir erfragen, was der Patient für Begleiterkrankungen hat, ob zum Beispiel ein thromboembolisches Ereignis in der Vorgeschichte stattgefunden hat. Und wir fragen die Symptome ab, die häufig mit den MPNs, also mit den myeloproliferativen Erkrankungen, mit der Myelofibrose, verknüpft sind. Wichtig ist es auch, dass wir die Medikamente abfragen, um zu erfahren, ob vielleicht zum Beispiel schon eine Blutverdünnung stattgefunden hat oder um auch zu erfragen, ob relevante Nebenerkrankungen bestehen, wie zum Beispiel ein hoher Blutdruck oder gestörte Blutfettwerte.

Wie kann ich mich auf das Arztgespräch vorbereiten?

Gut ist, wenn man eine Medikamentenliste dabei hat. Gut ist es, wenn man relevante Vorerkrankungen weiß oder vielleicht in einem Arztbrief schon zusammengefasst hat. Wenn man ein älterer Patient ist, ist es sicher gut, jemand  mitzunehmen, der zum Beispiel zwei gesunde Ohren hat. Oder auch einen kleinen Notizzettel mitnimmt, dass man sich Fragen, die man im Vorfeld hat, notieren kann. Das gilt aber für alle Altersgruppen. Wichtig ist auch, dass wir vielleicht ein Blutbild haben, was aktuell ist oder auch ein Blutbild aus der Vorgeschichte, damit man ein Gefühl dafür bekommt, ob die Blutbildveränderungen ein relativ akutes Ereignis sind. Oder ob es etwas ist, was sich über verschiedene Jahre erst entwickelt hat.

Hier geht es zum Video-Interview: „Arztgespräch bei Myelofibrose“

Weg zur Diagnose bei Myelofibrose

Welche Untersuchungen werden zur Diagnose durchgeführt?

Die ganz zentrale Untersuchung läuft über das Blut. Blut wird in ein Speziallabor geschickt. Und hier wird untersucht, ob in den Genen JAK2, MPL und CALR eine Veränderung vorliegt. Außerdem schauen wir uns noch das sogenannte kleine Blutbild an, also die weißen Blutkörperchen, die roten und die Blutplättchen. Und wir machen ein großes Blutbild, ein Differenzial, Blutbild. Hier sehen wir uns die weißen Blutkörperchen nochmal im Detail an. Klassisch für eine Myelofibrose ist das Auftreten von frühen Formen und von vielen Blutzellen. Außerdem kontrollieren wir immer noch die LDH oder die Blutsenkung als Parameter für Zellumsatz, um zu gucken, wie aktiv das Knochenmark oder das Blut ist. Und wir machen auch gerne noch einen Ultraschall von der Milz, um die Milzgröße zu beurteilen. Eine sehr große Milz spricht vielleicht eher für eine Myelofibrose oder eine hämatologische Erkrankung als eine kleine Milz. Eine normal große oder kleine Milz bedeutet aber nicht, dass eine Erkrankung des blutbildenden Systems ausgeschlossen ist.

Wie sieht ein typischer Blutbefund bei Myelofibrose aus?

Bei Patienten mit Myelofibrose haben wir häufig Veränderungen der weißen Blutkörperchen der Leukozyten, also ein zu viel oder im Verlauf vielleicht auch ein zu wenig. Je nachdem ob aber auch eine andere myeloproliferative Erkrankung vielleicht vorangegangen ist, kann es auch sein, dass der Hämoglobin, also der rote Zellfarbstoff, erhöht ist und wir zu viele rote Blutkörperchen finden. Oder wir finden auch ein Zuviel an Blutplättchen. Gerade bei den präfibrotischen Myelofibrosen, also den Myelofibrosen, die noch keine Zerfaserung im Knochenmark haben, sehen wir klassischerweise ein Zuviel an Thrombozyten, an Blutplättchen. Außerdem finden wir häufig unreife Formen oder frühe Formen der weißen Blutkörperchen, die entweder gar nicht ins periphere Blut gehören, die sogenannten Blasten . Oder die vielleicht nur in einem geringen Umfang ins Blut gehören und hier einfach prozentual und absolut vermehrt sind.

Wie läuft eine Knochenmarkpunktion ab?

Die Knochenmarkpunktion ist tatsächlich die Diagnostik, die die Diagnose Myelofibrose sichert. Über die erwähnten Analysen des Blutes können wir vor allem entdecken, ob es sich überhaupt um eine hämatologische Erkrankung handelt, also eine Erkrankung des blutbildenden Systems. Aber die Knochenmarkpunktion, ist ganz zentral, um zu sichern, dass es wirklich eine Myelofibrose ist und nicht zum Beispiel eine PV (eine Polycythaemia Vera) oder eine ET (eine essentielle Thrombozythämie). Je nachdem, wie Ihr Arzt oder Ihre Ärztin das handhabt, liegt man hierbei auf den Bauch oder auf der Seite, dann wird der Beckenkamm getastet. Es handelt sich also auf gar keinen Fall um eine Punktion der Wirbelkörper. Und es hat auch gar nichts mit den dem Liquor , also mit dem Gehirnwasser oder dem Wirbelkörperwasser sozusagen zu tun. Dann wird eine lokale Betäubung des Periostes, also der Haut, die den Knochen umkleidet und auch der Haut, gemacht. Danach wird mit einem sehr feinen Skalpell die Haut aufgeritzt. Das ist ein wirklich sehr kleiner Schnitt, vielleicht ein halber Zentimeter. Und dann wird mit einer kleinen Hohlnadel auf den Knochen gegangen und dann in das Knochenmark gestochen. Dann wird Knochenmarkblut abgesaugt. Das sind wenige Milliliter. Da das Absaugen dieses Knochenmarks aber einen Unterdruck Schmerz erzeugen kann, lassen einige Ärzte die Patienten in einem Dämmerschlaf die Punktion durchführen, damit dieser kurze Unterdruckschmerz, vergleichbar mit wenn es zieht beim Zahnarzt, verschlafen wird. Dann wird mit einer etwas größeren Hohlnadel noch punktiert. Der wird dann ein kleines Stück vom Knochenmark entnommen und das wird dann genauso wie das Knochenmarkblut im Weiteren analysiert. Bis alle Ergebnisse zusammen sind, dauert es meistens 10 bis 14 Tage. Wenn etwas ganz akutes diagnostiziert wird, dann können die Labore sich meistens innerhalb von ein bis zwei Tagen bereits melden.

Hier geht es zum Video-Interview: „Weg zur Diagnose bei Myelofibrose“

Leben mit Myelofibrose

Wie geht es nach der Diagnose für mich weiter?

Ganz zentral ist: Es wird für Sie weitergehen. Das heißt, die Myelofibrose ist zwar eine Erkrankung, die Sie vielleicht ihr Leben lang begleiten wird, aber es ist eine Erkrankung, mit der man leben kann und die einen kurativen Ansatz hat. Das bedeutet, Heilung ist möglich. Und das ist ganz zentral, dass man sich das als Patient oder auch als Angehöriger immer klar macht. Und wir haben sehr unterschiedliche Verläufe. Wir haben Patienten, die sehr stabile Blutwerte über mehrere Jahre haben, die vielleicht nie eine Therapie benötigen. Wir haben Patienten, die unter den Symptomen der Myelofibrose stark gelitten haben und die durch die Einnahme der richtigen Medikamente deutlich an Lebensqualität gewinnen. Und natürlich gibt es auch Patienten, die einen aggressiven Verlauf haben. Aber wir sind geschult, diese aggressiven Verläufe frühzeitig zu erkennen, um sie dann mit spezialisierten Zentren auch optimal zu behandeln und gegebenenfalls die Heilung durch eine Stammzelltransplantation zu ermöglichen.

Wie kann ich meinen Alltag beeinflussen?

Die Myelofibrose ist eine Erkrankung, die ganz mannigfaltig sein kann. Es kann Patienten geben, deren Alltag kaum beeinträchtigt ist. Es gibt aber viele Patienten, die gerade durch dieses „Auf Dauergrippe sein“ doch jeden Tag merken, dass sie krank sind. Die Medikamente, die auf dem Markt sind, versuchen diese Symptome zu lindern. Manchmal können sie diese Symptome auch komplett verbessern, dass der Patient eine normale Lebensqualität hat. Das kann man aber nicht immer garantieren. Zum Teil sind die Patienten auch beeinträchtigt, weil sie bereits einen Schlaganfall oder eine Thrombose hinter sich gebracht haben. Oft klagen gerade jüngere Patienten, dass sie doch nicht mehr so belastungsfähig sind, dass sie sich nicht mehr so gut konzentrieren können. Und gerade das Nebeneinander von Familie, Beruf und dann vielleicht noch dem Haushalt einfach zu viel wird. Hier ist es aber wichtig, sich klarzumachen, dass man krank ist. Dass man vielleicht auch einen Schwerbehindertenausweis beantragen darf und dass das eine Erkrankung ist, die das Leben beeinträchtigen kann. Auf der anderen Seite ist es ganz wichtig, dass man auch lernt, mit dieser Erkrankung zu leben, weil es ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass wir die gesunden Anteile im Patienten fördern. Nicht zu unterschätzen ist allerdings aber auch die psychische Belastung. Auch wenn wir Patienten haben, die wenig Symptome haben, die keinen aggressiven Verlauf haben, ist die Bedrohung durch diese Erkrankung, das vielleicht dann doch die Erkrankung kippt oder aggressiver werden kann, nicht zu unterschätzen. Hier ist es wichtig, wirklich auch den Ärzten gegenüber sehr offen das zu kommunizieren, diese Belastung auch zu schildern, damit man dann im Rahmen eines Coachings, eines Managements der Erkrankung auch gute psycho-onkologische Beratung erfahren kann. Damit dieses Damoklesschwert der Myelofibrose nicht das ganze Leben so heftig beeinflusst, obwohl die Erkrankung objektiv gesehen ist, sich ganz ruhig und still verhält.

Wie kann ich mein soziales Umfeld beim Umgang mit der Erkrankung unterstützen?

Ganz wichtig ist es, dass akzeptiert wird, dass die Myelofibrose durch das Ausschütten von diesem zu viel an Botenstoffen diese grippeähnlichen Symptome verursachen kann. Dass diese Lustlosigkeit, dieses Unvermögen vielleicht auch zu körperlicher Aktivität, nicht durch einen selbst überwunden werden kann, sondern Ausdruck der Erkrankung ist. Und erfahrungsgemäß ja sind die Patienten am besten aufgestellt, die ein Umfeld haben, das über die Erkrankung informiert ist. Die wissen, dass es einfach auch vielleicht gute oder schlechte Tage geben kann, die die schlechten Tage auch akzeptieren, aber die die Patienten auch aktivieren und eine gute Balance finden zwischen einem möglichst normalen Leben und normalen Herausforderungen. All das zu machen, was man eigentlich machen möchte und auf der anderen Seite sich auch Pausenzeiten zu gönnen und auch in der Familie genügend Unterstützung zu haben. Dass wenn man mal an einem Tag nicht gut belastbar ist, das auch kein Weltuntergang ist. Und dass allen ganz klar ist, dass man auf jeden Fall lieber gesund sein möchte als krank und dass manche Dinge einfach nicht mehr so gehen wie vorher.

Hier geht es zum Video-Interview: „Leben mit Myelofibrose“

Meine Nachricht an Sie

Die Patienten mit hämatologischen Erkrankungen und gerade die Patienten mit MPNs gehören zu meinen Babys. Also das sind die Patienten, die mir total am Herzen liegen. Und warum? Weil das meistens ganz liebe Patienten sind und ich denke, Sie gehören wahrscheinlich auch mit dazu. Und ich möchte Sie ermutigen, dass Sie mit dieser Myelofibrose oder trotz dieser Myelofibrose ein ganz reiches Leben führen, und dass Sie sich nicht durch diese Möglichkeit, dass diese Erkrankung vielleicht mal aggressiv wird, zu sehr runterziehen lassen. Es ist ganz wichtig, dass Sie bei einer Ärztin oder einem Arzt sind, der sich mit myeloproliferativen Erkrankungen auskennt. Es ist wichtig, dass Sie Ihrem Umfeld Bescheid sagen, dass die wissen, dass Sie vielleicht auch mal einen Tag haben, der nicht ganz so gut läuft. Und ich möchte Ihnen auch Mut machen, dass jedes Vierteljahr, jede Halbjahreskontrolle, jedes Jahr, das gut läuft bei Ihnen der Forschung und der Wissenschaft auch Zeit gibt, neue, innovative Konzepte zu entwickeln. Das ist auch die Schönheit in der Hämatologie, dass wir verstehen, warum bestimmte Veränderungen die Menschen krank machen und dass wir dann ganz zielgerichtet versuchen, diese Veränderungen anzugehen und im besten Falle auch zu heilen.

Hier geht es zum Video: „Meine Nachricht an Sie“

Diesen Kurs bewerten

Ihr Feedback hilft anderen Nutzern die für sie passenden Kurse zu finden.
3.9/5 - (11)
Geprüft Priv.-Doz.in Dr.in Stefanie Jilg: Stand Jänner 2025 | Quellen und Bildnachweis
Die Kurse sind kein Ersatz für das persönliche Gespräch mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt, sondern ein Beitrag dazu, PatientInnen und Angehörige zu stärken und die Arzt-Patienten-Kommunikation zu erleichtern.
Blasten
Unreife Vorstufen von Blutzellen, die normalerweise im Knochenmark gebildet werden. Ihr Auftreten im peripheren Blut ist ein Hinweis auf eine gestörte Blutbildung.
Fatigue
Häufige Begleiterkrankung von schweren Krankheiten, die mit anhaltender Müdigkeit, Kraftlosigkeit und fehlendem Antrieb einhergeht. 
Fibrose
Vermehrung von Bindegewebe in Organen oder Geweben als Reaktion auf Verletzungen oder chronische Erkrankungen. Führt zu Verhärtungen und Funktionsstörungen.
Hämatologie
Fachgebiet der Medizin, das sich mit Erkrankungen des Blutes, des Knochenmarks und der blutbildenden Organe beschäftigt.
LDH
Abkürzung für Laktat-Dehydrogenase. Dieses Enzym entsteht beim Abbau von Zellen. Ein erhöhter LDH-Wert deutet auf viele absterbende Zellen hin und ist bei verschiedenen Tumorerkrankungen erhöht. 
Leukozyten
Der medizinische Begriff für "weiße Blutkörperchen". Sie sind ein Teil des Immunsystems und spielen dort eine wichtige Rolle, indem sie dort Krankheitserreger bekämpfen. 
Liquor
eine im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) vorkommende Körperflüssigkeit
Stammzelltransplantation
Verfahren, bei dem einer Patientin/einem Patienten gespendete Stammzellen verabreicht werden. Dadurch wird das blutbildende System und das Immunsystem nach einer Therapie (z.B. Chemotherapie oder Bestrahlung) wieder aufgebaut. Nach einer Vorbereitungsphase werden die gespendeten Stammzellen mithilfe einer Infusion verabreicht.
Thrombose
Bildung eines Blutgerinnsels in einem Blutgefäß, das den Blutfluss blockieren kann. Kann in Venen oder Arterien auftreten.
Thrombozyten
(Blutplättchen)
Zellfragmente im Blut, die bei der Blutgerinnung und Wundheilung sehr wichtig sind.
Tumor
(„Geschwulst“)
Lokalisierte Vermehrung von Körpergewebe durch unkontrolliertes Wachstum von gutartigen oder bösartigen Zellen. Bösartige Tumore können in umliegendes Gewebe einwachsen und in entfernte Organe streuen. Der Begriff Tumor wird auch verwendet für eine Schwellung von Gewebe z.B. durch Einlagerung von Flüssigkeit im Rahmen von Entzündungsprozessen oder Blutungen.