Die Diagnose Lungenhochdruck betrifft nicht nur den/die PatientIn selbst, sondern die gesamte Familie. Einiges wird sich ändern müssen, das Familiengefüge verschiebt sich und vieles, das bisher selbstverständlich war, funktioniert auf Dauer nicht mehr. Jetzt gilt es, gemeinsam neue Strukturen zu finden, in welchen die Bedürfnisse aller Beteiligten ihren Raum finden.
Eva Otter und Gerald Fischer von der Initiative Lungenhochdruck beantworten im Video "Was kommt auf uns zu?" folgende Fragen:
Klicken Sie auf eine Frage, um direkt zum entsprechenden Videoabschnitt zu springen!- Mit welchen Emotionen mussten Sie sich auseinandersetzen?
- Wie kann man nach der Diagnose neue Alltagsstrukturen finden?
- Welche Veränderungen haben sich durch die Diagnose für Ihre Familie ergeben? (Gerald Fischer)
- Welche Veränderungen haben sich durch die Diagnose für Ihre Familie ergeben? (Eva Otter)
- Was sind Ihre Tipps, um als Familie mit der Veränderung umzugehen?
- Hat sich die Beziehung zu Ihrem Sohn durch die Erkrankung verändert?
- Wie konnten Sie die Veränderungen bewältigen?
Video Transkript
Mit welchen Emotionen mussten Sie sich auseinandersetzen?
Die Emotionen, gerade wenn es um ein Kind geht und wenn man hört oder liest – damals war es noch nicht so wie heute, dass man im Google wirklich unheimlich viel über Lungenhochdruck findet – und wenn man sich dann einliest, und dann kriegt man eigentlich mit, dass das eine wirklich tödliche Krankheit ist und dass das also ganz ein schwerer Aspekt ist, dann sind die Emotionen schon sehr, sehr stark. Also, wir haben drei Jahre und drei bis vier Ärzte gebraucht, um bis zur Diagnose zu kommen. Und dann waren wir endlich in Graz, und dann hat der Arzt endlich gesagt: „Ja, Ihre Tochter hat eine Pulmonale Hypertension.“ und ich war eigentlich erleichtert, zu hören, was es ist. Und auf meine Frage hin: „Was machen wir jetzt?“ hat er gesagt: „Nichts. Da kann man nichts machen. Ihre Tochter wird das zweite Lebensjahrzehnt nicht erreichen.“ Und da werden die Knie ganz weich, und man glaubt, man versinkt und man hört alles von Weitem und man ist komplett verzweifelt. Ich bin im Auto gesessen und habe einfach vor mich hin geschrien. Habe gesagt „Nein!“. Und dann kommt diese Verzweiflung auf, dass man sagt: „Warum ich? Was habe ich verbrochen, lieber Gott? Was habe ich Böses gemacht?“ Sozusagen das Klageweiber-Syndrom, man tut sich irgendwie selber leid. Und dann kommt aber relativ schnell der Kampf und diese Emotion des Kampfes, des Es-nicht-Annehmens, des Es-nicht-Hinnehmens bringt dann auch die Hoffnung. Und dann gehen die Emotionen dann eigentlich wieder ins Positive, dass man das Positive versucht zu erkennen.
Wie kann man nach der Diagnose neue Alltagsstrukturen finden?
Neue Alltagsstrukturen zu finden ist am Anfang, das gebe ich zu, gar nicht so einfach. Jeder macht eine Phase durch, in der er traurig ist, in der er vielleicht wütend ist oder in der man sich zurückzieht. Aber ich finde, das gehört dazu und das ist ganz normal. Man muss das einmal verarbeiten, was einem da gesagt wurde: „Du bist unheilbar krank. Du musst dein Leben lang Medikamente nehmen. Du bist eingeschränkt in deinen alltäglichen Arbeiten.“ Das muss man alles verarbeiten. Das braucht Zeit. Aber durch Gespräche mit Freunden, bei mir durch Gespräche mit meinen Freunden in der Selbsthilfegruppe, hat sich das eigentlich alles zum Positiven gewandt. Es kommt dann die Zeit, wo man die Krankheit selber wirklich akzeptiert, das ist auch wichtig, wo man damit umgehen kann und das nicht mehr als Schwäche sieht, sondern einfach: „Ich kann das nicht mehr, aber dafür kann ich noch viele, viele andere Sachen machen.“
Welche Veränderungen haben sich durch die Diagnose für Ihre Familie ergeben? (Gerald Fischer)
Mit der Diagnose Lungenhochdruck ergeben sich sehr, sehr viele Veränderungen. Zuerst einmal hat man panische Angst, sein Kind zu verlieren. Es sollten die Kinder nicht vor den Eltern sterben. Die Mutter hat vor allem eine ganz, ganz starke Bindung zum Kind und jetzt natürlich noch viel mehr, weil die Sorge so groß ist. Das heißt: Die Mutter möchte nicht von der Seite des Kindes weichen. Sie möchte permanent beim Kind sein. Das Kind ist sehr, sehr oft im Spital, weil jede Verkühlung, jede Kleinigkeit immer wieder dazu führt, dass Spitalsaufenthalte notwendig sind. Uns hat die Mutter-Kinder-Versicherung damals das Leben gerettet, wenn man das so sagen möchte, weil meine Frau bei meiner Tochter im Spital bleiben durfte. Meine Frau hat dann nächtelang gewacht, hat einen sehr, sehr seichten Schlaf gehabt. Wir konnten auf einmal nicht mehr ganz normal in ein Restaurant gehen – das war auch noch in einer Zeit, wo in den Restaurants geraucht wurde – und Rauch war gar nicht möglich. Wir konnten nicht ins Kino gehen, weil große Menschenansammlungen sollten vermieden werden. Das gleiche mit Konzerten, wo meine Tochter dann im Teenageralter hin wollte, die man dann halt nur von der Pressebühne aus sehen konnte, was sehr nett war, dass wir das überhaupt durften.
Aber es ist das Leben ein komplett anderes. Und da adaptiert man sich ein bisschen. Man sucht die Möglichkeiten, wie man das trotzdem gut gestaltet, und man findet auch die positiven Aspekte. Das Kind durfte nicht in die Schule gehen, es war Hausunterricht. Hausunterricht kann positiv und negativ sein. Das heißt: Man hat die Kameraden nicht zum Spielen in der Pause. Man hat nicht diese ganzen sozialen Kontakte. Aber man ist halt zu Hause bei der Mama, und man hat viele Haustiere. Es wird jeder Wunsch irgendwie erfüllt. Also auch diese positiven Aspekte haben wir dann versucht, meiner Tochter schon auch noch immer mitzugeben, dass sie da durch ihre Krankheit durchaus ein bisschen ein Privileg hat. Das ging dann so weit, dass mir mein gesunder Sohn gesagt hat: „Ich möchte auch krank sein, damit man sich auch so viel um mich kümmert.“ Also da müssen die Eltern immer achten, wenn sie mehrere Kinder haben, dass sie dann ihre ganze Aufmerksamkeit und Energie nicht auf das eine kranke Kind lenken.
Welche Veränderungen haben sich durch die Diagnose für Ihre Familie ergeben? (Eva Otter)
Die Veränderungen, die waren am Anfang natürlich gravierend, weil man selber oft nicht weiß, wie man weiter tun soll. Im Endeffekt pendelt sich aber alles ein. Es ist dann so, dass zum Beispiel die schweren Einkaufstaschen mein Mann trägt, oder wenn ich einkaufen bin – wir haben uns ein anderes Auto gekauft, wo man einfach nur die schweren Sachen hinein schiebt. Ich stelle es hinein, lasse das im Auto, bis mein Mann nach Hause kommt, und er trägt es dann hinauf. Das sind halt so Kleinigkeiten, die sich geändert haben. Die Medikamente wirken gut. Wir machen weiterhin Ausflüge. Wir gehen halt dann nicht steil bergauf, sondern wir machen halt Wanderungen. Aber man kann trotzdem das Leben genießen.
Was sind Ihre Tipps, um als Familie mit der Veränderung umzugehen?
Die wichtigsten Tipps, um den Alltag mit dieser Krankheit als Familie zu bewältigen, sind für mich zuerst, nicht zu verzweifeln, das Positive zu suchen. Es gibt immer etwas Positives, das man finden kann, auch in so einer schrecklichen Situation. Das Kind hat doch nachher viele Vorteile. Zum Beispiel hat die Make-A-Wish Foundation meiner Tochter sehr viel ermöglicht. Sie hat Idole treffen dürfen. Sie hat Vorteile daraus ziehen können, dass sie dieses Handicap hat, dass sie mit dieser Bürde durchs Leben gehen muss. Es kann eben auch immer etwas Positives dabei sein. Also bitte nicht verzweifeln.
Und das zweite: Der größte Tipp, den ich habe, ist Hilfe zu suchen. Hilfe annehmen, sich nicht abzukapseln und hierzu Eigeninitiative zu bringen.
Hat sich die Beziehung zu Ihrem Sohn durch die Erkrankung verändert?
Die Beziehung zu meinem Sohn war immer sehr innig und sehr gut. Das war so ein freundschaftliches Verhältnis. Das ist es nach wie vor. Mein Sohn, muss ich sagen, ist sehr verständnisvoll, was das anbelangt. Wir reden auch darüber, wenn ich bei der Kontrolle war. Dann erzähle ich ihm natürlich und sage: „Du, das ist wieder gutgegangen.“ Wir reden auch mit meiner Schwiegertochter darüber, wenn es manchmal nicht so gut läuft. Das ist für mich total wichtig, das beiden mitzuteilen. Ich habe ein Enkelkind mit elf Jahren, und auch mit ihm rede ich darüber. Wir haben auch, wie er noch klein war, ihm das schon näher gebracht: „Mit der Oma kannst du im Sitzen spielen. Du kannst Spiele spielen, aber du kannst mit der Oma nicht Fußball spielen und nicht laufen.“ Und das ist bis heute so geblieben. Wir lesen gemeinsam, wir lachen gemeinsam. Wir gehen in letzter Zeit gemeinsam schwimmen. Auch das ist wieder möglich geworden – ich rede da von einem Zeitraum von zehn Jahren. Und wir verbringen viel Zeit gemeinsam. Aber wir machen halt wirklich keinen Sport.
Wie konnten Sie die Veränderungen bewältigen?
Diese Veränderungen, die auf einen zukommen, kann man meiner Meinung nach nur aktiv bewältigen. Das heißt: Man muss sich der Situation stellen, und man muss aktiv etwas dagegen tun und nach einer Lösung suchen, und zwar nicht eine allgemeine Lösung, sondern für jedes kleine Problem, das täglich neu sein kann, immer wieder nach einer Lösung zu suchen und da nicht aufzugeben. Sich zu informieren. Man hat heute das Internet, man kann sehr, sehr viel darüber lesen. Man hat Patientengruppen. Ich sage dazu absichtlich nicht Selbsthilfegruppen, weil es ist nicht so, dass man sich dort anjammert. Aber es gibt da dieses neue Wort, Peer to Peer Mentoring, das heißt Patient hilft Patient, und hier ist es immer gut, wenn man schaut, dass man jemanden findet, der schon länger mit diesem Problem umgegangen ist und dass man den dann um Tipps fragen kann und sagen kann: „Du, wie hast du das oder das gemacht?“ Und aus diesen Erfahrungen kann man sehr, sehr viel lernen. Und das haben wir auch getan, dass wir uns vernetzt haben, dass wir uns weltweit vernetzt haben. Und das ist ja heute mit den sozialen Medien noch mal viel einfacher. Dass man hier einfach nach Tipps suchen kann. Das heißt auch Hilfe annehmen, nicht sich zurückziehen, sich abkapseln und sich selber leidtun und versuchen, das alles selbst zu regeln, sondern eben sich umhören, wie sind andere damit umgegangen und auch Hilfe annehmen, wenn sie angeboten wird.
Diese Veränderungen kommen möglicherweise auf Sie zu
Wie bei den meisten Erkrankungen ist auch bei PAH der Verlauf nicht bei allen PatientInnen gleich. Je nach Ursache, Ausprägung und anderen Faktoren verläuft die Erkrankung unterschiedlich. Deshalb treffen wahrscheinlich nicht alle Veränderungen auf Ihre Situation zu, sondern nur einige. Folgende Veränderungen sind möglich:
Mehr Hilfe im Alltag
Lungenhochdruck-PatientInnen fällt es im Verlauf der Erkrankung immer schwerer, sich körperlich anzustrengen. Zunächst betrifft dies vielleicht nur Sport und andere anstrengende Aktivitäten, aber nach und nach sind auch alltägliche Verrichtungen immer stärker eingeschränkt. Das bedeutet: Er/sie braucht im Alltag mehr Hilfe. Was im Detail notwendig wird, hängt von Ihrer individuellen Situation ab. Vielleicht genügt es, beim Einkauf zu unterstützen, vielleicht ist deutlich mehr nötig.
Entwickeln Sie daher einen Plan und beziehen Sie möglichst mehrere Personen mit ein. Wer kann einen Teil der Aufgaben übernehmen? Auch Pflegedienste leisten große Unterstützung. Lassen Sie sich beraten!
Einschränkungen im Arbeitsalltag
Möglicherweise kann der/die PatientIn in Zukunft nicht mehr so viel arbeiten oder muss den Job sogar ganz aufgeben. Dies könnte finanzielle Veränderungen mit sich bringen, welche aufgefangen werden müssen. Selbsthilfegruppen können Sie beraten, welche Hilfen Sie beantragen können.
Schutz vor Infektionen
Lungenhochdruck-PatientInnen sollten sich möglichst vor Infektionen schützen. Achten Sie deshalb auf erhöhte Hygiene im Umgang mit dem/der Betroffenen und bedenken Sie, dass Menschenmassen in der Erkältungs-/Grippezeit ein Risiko darstellen. Lassen Sie nach Rücksprache mit Ihrem behandelnden Arzt/Ihrer behandelnden Ärztin wichtige Impfungen (z.B. Grippe, Pneumokokken) durchführen.
Zukunftspläne anpassen
Trekkingtouren durch Irland, Kinderwunsch, … die Zukunft, welche Sie gemeinsam geplant haben, ist in dieser Form vielleicht nicht mehr möglich. Das ist sehr schmerzhaft. Nach und nach können Sie jedoch neue Visionen zu entwickeln. Vielleicht müssen die Pläne nur ein Stück weit angepasst werden, um realistisch zu bleiben?
Intensivere Beziehungen und neue Prioritäten
Nicht alle Veränderungen, welche durch die Erkrankung entstehen können, sind negativ. Viele PatientInnen und ihre Angehörigen berichten davon, dass sie nach der ersten Schockphase eine viel tiefere Beziehung zueinander entwickelt haben. Man besinnt sich auf das, was wirklich wichtig ist. Manch eine/r sagt sogar, er/sie lebt mit der Erkrankung glücklicher und bewusster als zuvor. Vielleicht gelingt das ja auch Ihnen?
Die Bedürfnisse aller sind wichtig!
Wenn ein Familienmitglied erkrankt ist, dreht sich schnell alles nur um diese Person. Ein Stück weit ist dies natürlich notwendig, aber Sie als Angehörige/r sollten sich selbst dabei nicht vernachlässigen. Es geht in Ihrer neuen Lebenssituation nicht nur darum, dass es dem/der PatientIn gut geht, auch Sie mit Ihren Bedürfnissen sind wichtig.
Machen Sie es sich zum Ziel, gemeinsam neue Familienstrukturen aufzubauen, in welchen alle einen Platz finden und in ihren Wünschen und Bedürfnissen wahrgenommen werden. Dies tut übrigens auch den PatientInnen gut: Sie haben dann nicht so stark das Gefühl, anderen zur Last zu fallen.
Geprüft Dr.in med. Iris Herscovici: Stand Mai 2018