Nicht alle KrebspatientInnen leiden an Schmerzen, aber sie gehören zu den häufigsten Beschwerden im Rahmen einer Krebserkrankung und ihrer Behandlung. Mehr als die Hälfte der KrebspatientInnen ist irgendwann im Verlauf mit Schmerzen konfrontiert. Als Betroffene nehmen Sie Schmerzen auf Ihre ganz eigene Weise wahr. Deshalb muss auch die Therapie an Ihre individuellen Bedürfnisse angepasst werden.
Priv.-Doz. Dr. Christopher Gonano, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, sowie Experte für Schmerzmedizin, beantwortet im Video "Schmerzen bei Krebs" folgende Fragen:
Klicken Sie auf eine Frage, um direkt zum entsprechenden Videoabschnitt zu springen!- Muss man im Rahmen einer Krebserkrankung immer mit Schmerzen rechnen?
- Wodurch können bei einer Krebserkrankung Schmerzen entstehen?
- Sollte man bei Schmerzen so lange wie möglich auf Schmerzmedikamente verzichten?
- Kann man bei Schmerzen ohne Absprache mit der Ärztin/dem Arzt zu rezeptfreien Schmerzmitteln greifen?
- Kommen bei Krebs Schmerzen vor, die nicht behandelbar sind?
- Warum können unbehandelte Schmerzen chronisch werden?
- Wie und wo entfalten Schmerzmittel ihre Wirkung?
- Auf den Punkt gebracht
Video Transkript
Muss man im Rahmen einer Krebserkrankung immer mit Schmerzen rechnen?
In Österreich verzeichnen wir bis zu 40.000 neue Krebserkrankungen pro Jahr. Aus Erfahrung wissen wir, dass bei mehr als der Hälfte der Patienten Schmerzen im Laufe ihrer Erkrankung auftreten werden.
Wodurch können bei einer Krebserkrankung Schmerzen entstehen?
Schmerzen während Ihrer Krebserkrankung können aus unterschiedlichen Gründen entstehen:
- Auf der einen Seite kann Krebs gesundes Organ entweder infiltrieren, darin einwachsen, oder Organe zur Seite verdrängen. Dies kann Schmerzen bereiten.
- Andererseits kann der Tumor aber auch zum Beispiel in Gefäße oder Nervengeflechte einwachsen. Dies kann zu Blutungen, Lähmungen und aber auch Schmerzen führen.
- Leider kann auch die oft notwendige Krebstherapie, sei es eine Chemotherapie oder eine Bestrahlungstherapie, selbst zu Schmerzen führen.
Sollte man bei Schmerzen so lange wie möglich auf Schmerzmedikamente verzichten?
Wichtig erscheint mir aus meiner Erfahrung, rechtzeitig, sprich: frühzeitig mit einer vernünftigen Schmerztherapie zu beginnen. Wir sehen viel mehr Erfolge bei der Schmerztherapie, wenn sich die Patienten rechtzeitig, frühzeitig an ihren Schmerzspezialisten wenden und nicht in Eigenregie über Medikamente versuchen, ihre Schmerzen zu behandeln.
Kann man bei Schmerzen ohne Absprache mit der Ärztin/dem Arzt zu rezeptfreien Schmerzmitteln greifen?
Die meisten unserer Patienten benötigen bereits zusätzlich zu Schmerzmedikamenten auch noch andere Medikamente. Umso wichtiger ist es, dass diese Medikamente mit dem Arzt abgesprochen und abgeglichen werden. Eigenmedikationen aus der Apotheke sind daher nicht empfehlenswert.
Kommen bei Krebs Schmerzen vor, die nicht behandelbar sind?
Bei den meisten unserer Patienten können wir weitestgehende Schmerzfreiheit erzielen. Sollte jedoch in wenigen Fällen keine hundertprozentige Schmerzfreiheit möglich sein, wissen wir, dass wir zumindest bei 80 Prozent unserer Patienten eine deutliche Steigerung der Lebensqualität erzielen können.
Warum können unbehandelte Schmerzen chronisch werden?
Unbehandelte Schmerzen drohen chronisch zu werden, wenn sie nicht rechtzeitig medikamentös oder aber auch invasiv behandelt werden. Chronische Schmerzen sind eine eigenständige Erkrankung, die losgelöst vom ursprünglichen Schmerz behandelt werden müssen.
Wie und wo entfalten Schmerzmittel ihre Wirkung?
In einer ausgewogenen, vernünftigen Schmerztherapie versuchen wir, den Schmerz von vielen Seiten zu begegnen. Mehrere Medikamentengruppen reduzieren die Wahrscheinlichkeit und Ausprägung von Nebenwirkungen. Dies ermöglicht aber auch, dem Schmerz auf unterschiedlichen Ebenen zu begegnen:
- Wir kennen Medikamente, die wirken im zentralen Nervensystem, im Gehirn, im Rückenmark,
- und wir kennen Medikamente, die in der Peripherie direkt in der Haut, im Knochen oder direkt an Nerven angreifen.
Auf den Punkt gebracht
Schmerzen bei Krebs
- Bei mehr als der Hälfte der KrebspatientInnen treten im Krankheitsverlauf Schmerzen auf.
- Neben der Erkrankung selbst können auch die Therapien Schmerzen verursachen.
- Mit der modernen Schmerztherapie kann bei den meisten PatientInnen eine weitestgehende Schmerzfreiheit oder zumindest eine deutliche Steigerung der Lebensqualität erzielt werden.
Was tun bei Schmerzen?
Grundsätzlich hat Schmerz eine Warnfunktion. Er meldet, dass etwas nicht in Ordnung ist. Deshalb sollten Sie Schmerzen niemals ignorieren und auch nicht selber behandeln.
Wenn Sie Schmerzen verspüren:
Versuchen Sie, den Schmerz so genau wie möglich zu ergründen.
- Wo tut es weh?
- Wie fühlt sich der Schmerz an? (bohrend, stechend, dumpf)
- Wie stark ist der Schmerz? (z. B. auf einer Skala von 1-10)
- Seit wann tut es weh?
- Was hat den Schmerz ausgelöst?
- Wann tut es weh? (z. B. welche Tageszeit, in der Nacht, dauerhaft)
- Wie kommt der Schmerz? (langsam, wellenartig, anfallsartig)
- Treten mit dem Schmerz zusätzliche Beschwerden auf (z.B. Übelkeit)?
- Wodurch kann der Schmerz beeinflusst werden (z.B. Wärme, Kälte, Bewegung)?
Schildern Sie Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt die Schmerzen so genau wie möglich. Schmerzen sind weder sichtbar noch messbar; die ÄrztInnen sind auf Ihre Beschreibung angewiesen.
Welche Arten von Schmerzen bei Krebs gibt es?
Schmerzen bei Krebs können durch die Körperregion, an der man sie wahrnimmt, eingeordnet werden:
-
Knochenschmerzen
Was könnte ein Grund sein? Knochenschmerzen entstehen bei Knochentumoren oder –metastasen. Wie fühlt sich der Schmerz an? Knochenschmerzen treten oft durch Belastung auf, sind gut lokalisierbar, aber nicht leicht von anderen Beschwerden wie Rheuma- oder Osteoporosebeschwerden zu unterscheiden.
-
Weichteilschmerzen
Was könnte ein Grund sein? Weichteilschmerzen können durch das Einwachsen eines Tumors in Muskulatur oder Bindegewebe entstehen. Wie fühlt sich der Schmerz an? Weichteilschmerzen beginnen oft mit einem dumpfen Druckgefühl, können aber auch plötzlich einschießen und sich zu einem bewegungsunabhängigen Dauerschmerz entwickeln.
-
Organ- und Kapselschmerzen
Was könnte ein Grund sein? Organ-und Kapselschmerzen entstehen, wenn ein Tumor ein Organ oder eine Organhülle bedrängt. Wie fühlt sich der Schmerz an? Organ- und Kapselschmerzen äußern sich in schwer zu benennenden und zu lokalisierenden, tiefliegenden Schmerzen, die oft als stechend und drückend empfunden werden.
-
Nervenschmerz (neuropathischer Schmerz)
Was könnte ein Grund sein? Nervenschmerz kann entstehen, wenn Krebszellen in Nerven oder das Rückenmark vordringen. Wie fühlt sich der Schmerz an? Nervenschmerz kann in Form von Attacken oder als Dauerschmerz auftreten und strahlt oft großflächig in bestimmte Körperareale aus.
Häufige Fragen bei Schmerzen bei Krebs
Welche Schmerzen können durch die Krebserkrankung entstehen?
Tumorbedingte Schmerzen machen den weitaus größten Teil aller Schmerzen bei Krebs aus. Sie entstehen, wenn ein Tumor oder Metastasen
- in gesundes Gewebe einwachsen,
- auf umliegende Strukturen drücken bzw. sie verdrängen,
- auf Nerven drücken oder in sie einwachsen oder
- Lymph- oder Blutgefäße oder Hohlorgane verlegen und zu schmerzhaften Durchblutungsstörungen oder Stauungsschmerzen führen.
Welche Schmerzen können durch die Krebsbehandlung ausgelöst werden?
- Hierzu zählen Schmerzen durch Blutentnahmen, Infusionen oder nach chirurgischen Eingriffen (z. B. Wundheilung, Vernarbungen, Stauungsschmerzen nach Lymphknotenentfernung).
- Eine Chemotherapie kann Entzündungen der Schleimhäute in Mund und Magen-Darmtrakt auslösen, dadurch Bauchschmerzen und neuropathische Schmerzen verursachen.
- Manche zielgerichtete Krebstherapien (z. B. Immuntherapie) können schmerzhafte Hautentzündungen zur Folge haben.
- Eine Antihormontherapie kann mit Gelenk- und Knochenschmerzen einhergehen.
- Strahlentherapie kann schmerzhafte Reizungen von Haut und Schleimhäuten von Darm oder Harnblase hervorrufen.
Was sind Tumorunabhängige Schmerzen?
Nicht zu vergessen ist, dass auch im Rahmen einer Krebserkrankung Schmerzen unabhängig von einem Tumor auftreten können, z. B. Bauchschmerzen anderer Ursache, Rheumaschmerzen, Migräne etc.
Was sind Durchbruchschmerzen?
Auch bei weitgehender Schmerzfreiheit können plötzliche und heftige Schmerzattacken vorkommen. Das nennt man Durchbruchschmerzen. Sie können etwa bei körperlicher Anstrengung, bei Bewegung oder Lagewechsel, beim Toilettengang, Niesen, Lachen oder Husten auftreten, manchmal auch ohne Grund. Für ihre rasche Behandlung gibt es eigene, schnell wirksame Bedarfsmedikamente.
Was ist das Schmerzgedächtnis und wann spricht man von chronischen Schmerzen?
- Bestehen Schmerzen über längere Zeit, beeinflussen sie die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung. Es werden mehr Schmerzrezeptoren und Nervenfasern ausgebildet, der Körper wird für Schmerzreize sensibilisiert. Dieses „Schmerzgedächtnis” ist ein wichtiger Grund für die Entstehung chronischer Schmerzen.
→ Suchen Sie bei Schmerzen deshalb so bald wie möglich eine Ärztin/einen Arzt auf, der sich auf die Behandlung von Schmerzen spezialisiert hat. Eine frühe Behandlung verhindert, dass die Schmerzen chronisch werden. - Von chronischen Schmerzen spricht man, wenn sie immer wieder auftreten oder über mehrere Monate andauern. Chronische Schmerzen haben keine sinnvolle Warnfunktion. Sie stellen eine große psychische Belastung für die Betroffenen dar und müssen konsequent behandelt werden.
Das Schmerztagebuch
Bis zur richtigen Einstellung der Medikation ist es hilfreich, ein Schmerztagebuch zu führen. Das hilft Ihnen, den Schmerz besser zu verstehen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wann, wie oft und wie stark Schmerzen auftreten. Darüber hinaus können diese Informationen für Ihren Arzt/Ihre Ärztin und für die Therapie von großer Bedeutung sein. Genauere Informationen zum Schmerztagebuch und eine Vorlage zum Herunterladen finden Sie hier.
Wussten Sie schon
Niemand muss unnötig Schmerzen erdulden. Schmerzen längere Zeit auszuhalten, ist nicht sinnvoll, denn es kostet Sie unnötig Kraft und Lebensfreude. Es ist Ihr Recht, aktiv nach einer Schmerzbehandlung zu fragen und sie einzufordern.
Geprüft Priv.-Doz. Dr. Christopher Gonano: Stand November 2019