Minimale Resterkrankung ist nicht einfach nur ein trockener Begriff für die medizinische Fachliteratur, sondern hat konkrete Auswirkungen auf die Behandlung von Blutkrebs. Sehen Sie hier, was es für Sie als PatientIn bedeutet wenn von MRD die Rede ist, warum es wichtig ist den Status zu kennen und was regelmäßige Nachuntersuchungen dabei für eine Rolle spielen.
Dr. Reinhard Ruckser, Facharzt für Innere Medizin und Hämato-Onkologie, beantwortet im Video "Bedeutung für Behandlung und Prognose" folgende Fragen:
Klicken Sie auf eine Frage, um direkt zum entsprechenden Videoabschnitt zu springen!- Wie beeinflusst der MRD-Status das Vorgehen in der weiteren Therapie?
- Muss der MRD-Status langfristig beobachtet werden?
- Wie oft müssen die Untersuchungen erfolgen?
- Wie hängt die minimale Resterkrankung mit einem möglichen Rückfall zusammen?
- Bedeutet MRD-Negativität Heilung?
- Was bedeutet es, wenn keine MRD-Negativität erreicht wird?
- Kann MRD-Negativität auch in einem zweiten oder späteren Therapiezyklus noch erreicht werden?
- Was bedeutet Rezidiv?
- Auf den Punkt gebracht
Video Transkript
Wie beeinflusst der MRD-Status das Vorgehen in der weiteren Therapie?
Mit Hilfe dieser inzwischen ausführlich besprochenen hochsensitiven Methoden sind wir natürlich in der Lage, auch nur mehr ganz geringe Krankheitsmengen nachzuweisen. Sie müssen zum Beispiel davon ausgehen, dass bei Akutphase der Erkrankung, Erstdiagnose einer akuten Leukämie, der Körper mit zum Beispiel 1012 (1.000.000.000.000), 1011 (100.000.000.000) Tumorzellen befallen ist. Das ist eine Eins mit elf bis zwölf Nullen hintendran. Und pro Therapiezyklus, was immer das auch ist, können Sie eine logarithmische Reduktion erreichen. Aber Sie müssen sich überlegen: Selbst wenn es Ihnen gelingt, mit dem ersten Therapiezyklus bereits 99 Prozent der Zellen zu vernichten, haben Sie bei einer Ausgangssituation von 1011 Zellen immer noch 109 Zellen, also einen Einser mit einer Neun hintendran (1.000.000.000).
Und wenn Sie wieder in dem nächsten Therapieschritt wieder vom vorhandenen ausgehend eine Reduktion um 99 Prozent erreichen, haben Sie immer noch 107 (10.000.000) Zellen und so weiter. Das heißt: In Wirklichkeit geht’s hier erstens um eine schrittweise Reduktion und auch um den Nachweis, dass diese schrittweise Reduktion gelingt. Und wenn Sie dann in einen sehr niedrigen Bereich schon einer fortgeschrittenen Therapiephase kommen, geht es natürlich darum: Ist es gelungen, wirklich gegen Null zu kommen oder zumindest in Bereiche mit geringer Potenzen von 103 (1.000), 104 (10.000), oder gibt es resistente Anteile von Zellen, von bösartigen Zellen, die Sie mit den vorhandenen Therapien nicht mehr erreichen.
Es ist heute möglich und daher auch inzwischen unglaublich bedeutungsvoll, kleine Restmengen von bösartigen Erkrankungen nachweisen zu können, weil Sie dann gegebenenfalls auch Ihre Therapiestrategie anpassen, vielleicht ändern, erweitern, intensivieren müssen.
Muss der MRD-Status langfristig beobachtet werden?
Ich würde es so sagen: Der MRD-Status kann sinnvollerweise langfristig beobachtet werden, wenn Sie eine wirkliche MRD-Negativität, allerdings wie schon gesagt: immer vor dem Hintergrund der jeweiligen Methode, nachgewiesen haben, ist es natürlich von Bedeutung zu wissen, ob das auch über die nächsten Monate und Jahre anhält. Und es gibt inzwischen Erkrankungen, ich denke jetzt speziell an akute Leukämien, wo Sie eine sogenannte MRD-Negativität erreichen müssen, um mit einem z.B. konventionellen Therapieverfahren, das aus fünf bis sechs Zyklen einer intensiven Chemotherapie besteht, das Auslangen finden.
Wenn diese MRD-Negativität sich im Laufe der sogenannten Follow up, also der Nachsorge-Untersuchungen, nach Wochen oder Monaten wieder wandelt in eine Positivität von nachzuweisenden bösartigen Zellen, dann müssen Sie, ohne dass Sie diese Zellen bereits im Mikroskop nachweisen können, bei manchen Erkrankungen inzwischen wieder eine Therapie aufnehmen.
Das hat also das Kapitel gerade der Leukämie-Therapien komplett neu geschrieben.
Wie oft müssen die Untersuchungen erfolgen?
Das hängt ganz von der jeweiligen Erkrankung ab. Es gibt für die häufige Erkrankung zum Beispiel der Chronisch-Lymphatischen Leukämie andere Regeln als Akuter Myeloischer Leukämien oder Akuter Lymphatischer Leukämien oder der heute sehr gut behandelbaren Chronischen Myeloischen Leukämie. Im gegebenen Fall muss die behandelnde Ärztin und behandelnde Arzt
- dies mit dem Patienten besprechen, erklären,
- die entsprechenden Intervalle vorschlagen
- und auch dann jeweils festlegen, welche der Methoden bei den entsprechenden Untersuchungs-Intervallen sinnvoll angewendet werden.
Wie hängt die minimale Resterkrankung mit einem möglichen Rückfall zusammen?
Wenn Sie noch eine kleine Zahl von Tumorzellen haben, kann es sein, dass der Körper diese aus eigener Kraft nicht vernichten kann und dass aus diesen Tumorzellen wieder ein sogenannter Krankheitsrückfall, also ein Rezidiv, wie wir in der Medizin sagen, entsteht.
Bedeutet MRD-Negativität Heilung?
Leider heute noch nicht. Die MRD Negativität bezieht sich natürlich immer nur auf den Hintergrund der jeweils angewandten Methode. Wenn wir zum Beispiel im Bereich einer Nachweisgrenze von 0,01 Prozent, was schon sehr, sehr, sehr sensitive Verfahren sind, uns bewegen, heißt das ja deswegen nicht, dass nicht sozusagen in einer noch feineren Nachweismethode, die eben heute noch nicht zur Verfügung steht, Zellen nachweisbar wären, aus denen sich eventuell ein Rückfall entwickeln kann.
Aber eines wissen wir schon: Die jeweilige Methode vor dem Hintergrund der jeweiligen Erkrankung bedeutet jedenfalls, dass MRD-Negativität zumindest ein deutliches Verzögern eines Wiederauftauchens der Krankheit bedeutet. Das ist inzwischen für viele bösartige Erkrankungen, insbesondere im Bereich der Hämatologie, also der Bluterkrankungen nachgewiesen worden.
Was bedeutet es, wenn keine MRD-Negativität erreicht wird?
Dann bedeutet das jedenfalls, dass noch restliche Tumorzellen im Körper nachzuweisen sind. Ob aus denen zwingend in absehbarer Zeit ein Krankheitsrückfall entsteht oder nicht, ist mit dem Ergebnis dieser Methode nicht sicher gesagt. Aber die Wahrscheinlichkeit ist jetzt, über alle Krankheiten im Überblick darüber gesprochen, natürlich höher.
Kann MRD-Negativität auch in einem zweiten oder späteren Therapiezyklus noch erreicht werden?
Durchaus. Wir haben heute gerade am Beispiel der Chronisch Lymphatischen Leukämie, aber es zeichnet sich auch durch die neuen Behandlungsmöglichkeiten im Bereich akuten Leukämien solche Situationen ab, dass sogenannte Zweitlinien- oder Rezidivprotokolle, die ganz andere Methoden zum Einsatz bringen als die Erstlinientherapien, sehr wohl noch immer die Negativität erzielt werden kann.
Was bedeutet Rezidiv?
Rezidiv bedeutet Krankheitsrückfall, also Wiederauftauchen der vorher behandelten, vielleicht vermeintlich erfolgreich behandelten Erkrankung.
Auf den Punkt gebracht
Bedeutung für Behandlung und Prognose
- Wenn Krebszellen im Körper verbleiben, kann aus diesen ein Krankheitsrückfall (Rezidiv) entstehen.
- MRD-Negativität ist nicht mit Heilung gleichzusetzen, deutet aber auf ein längeres krankheitsfreies Intervall (Remission) hin.
Wie wirkt sich der MRD-Befund auf die Behandlung aus?
Der MRD-Befund wird bei vielen Blutkrebsarten für Therapieentscheidungen zu Rate gezogen. So kann er etwa dabei helfen, zu entscheiden, ob die Therapie angepasst, beendet oder wieder aufgenommen werden soll. Auch nach einer Stammzelltransplantation oder für die Auswahl des passenden Medikamentes können die dabei eingesetzten Verfahren hilfreich sein.
Welche Rolle spielt der MRD-Befund…
... bei der Behandlung von akuten Formen von Blutkrebs?
Besonders bei akuten Formen von Blutkrebs steht die sofortige Therapie im Vordergrund. Nach einem ersten Behandlungszyklus erfolgt ausgehend von der Resterkrankung meist ein weiterer Behandlungszyklus, bei Bedarf mit anderen Medikamenten. Werden dabei die gewünschten Erfolge erzielt, kann die weitere Therapie je nach MRD-Befund und Rückfallrisiko adaptiert werden.
Die Beobachtung der Minimalen Resterkrankung durch moderne Analysemethoden ist für die Wahl der Therapie ebenso wie in der Nachsorge unerlässlich.
... bei der Behandlung von chronischen Formen des Blutkrebses?
Bei chronischen Leukämien kann auch eine eher abwartende Therapie möglich sein, bis hin zur reinen Beobachtung. Dies erlaubt unter Umständen Ruhe- und Stärkungsphasen zwischen den Behandlungen, erfordert aber engmaschige Kontrollen.
Da ein vollständiges Verschwinden der Minimalen Resterkrankung bei chronischen Leukämien oft schwierig zu erreichen ist, sich der Gesundheitszustand aber rasch ändern kann, sind sichere Nachweismethoden umso wichtiger.
... bei der Stammzelltransplantation?
Auch nach einer Stammzelltransplantation sind moderne Nachweistechniken essentiell. So kann durch die MRD-Bestimmung früh die Effektivität der durchgeführten Behandlung beurteilt werden und schon frühzeitig Schlüsse für die weitere medizinische Vorgangsweise gezogen werden.
... bei der Medikamentenauswahl?
Durch die Immunphänotypisierung können spezifische Strukturen an den Oberflächen der Krebszellen identifiziert werden. Dies spielt nicht nur für den Nachweis der Krankheit eine Rolle, sondern auch für die Auswahl der richtigen Medikamente. Durch Analyse der Oberflächenstruktur der Krebszellen können nämlich jene Medikamente ausgewählt werden, die speziell für diese Oberflächenstrukturen entwickelt wurden und damit nur die erkrankten Zellen selbst angreifen.
Was bedeutet MRD-Negativität für die Prognose?
Das Vorhandensein und die Dauer einer vollständigen Remission (englisch: complete remission, CR), in der auch keine klinischen Symptome mehr erkennbar sind, wurde und wird als Prognose verwendet für …
… das Gesamtüberleben
(englisch: overall survival, OS)
… das progressionsfreie Überleben
Also dafür, dass die Erkrankung nicht mehr fortschreitet bzw. nicht wieder auftaucht (englisch: progression-free survival, PFS)
Die Abstufungen von vollständiger und teilweiser Remission sind zwar weiterhin wichtige Meilensteine in der Therapie, Studien belegen jedoch, dass der Status der Minimalen Resterkrankung zur Einschätzung der Prognose besser geeignet ist.
So haben PatientInnen, bei denen keine Resterkrankung nachweisbar ist, bei denen also MRD-Negativität vorliegt, höhere Chancen auf Gesamt- und progressionsfreies Überleben als MRD-positive PatientInnen.
Was schätzen Sie...?
Mit heutigen Analysemethoden ist es möglich eine kranke in 10 000 gesunden Zellen nachzuweisen. Unter optimalen Bedingungen ist es sogar möglich, eine in einer Million Zellen zu finden.
Was würden Sie schätzen, wie viele Blutzellen in 1 Mikroliter Blut, also 1 Tausendstel Milliliter enthalten sind?
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Warum ist MRD für Nachuntersuchungen wichtig?
MRD-Negativität ist zwar ein gutes Zeichen für die weitere Entwicklung, kann aber Rückfälle nicht ausschließen. Bei kontinuierlicher Beobachtung der Minimalen Resterkrankung können Rückfälle jedoch schon auf molekularer Ebene entdeckt werden. Die Notwendigkeit einer erneuten Behandlung kann also schon viel früher eingeschätzt werden, als durch andere Nachweismethoden.
Für wie lange und wie oft sind Nachuntersuchungen nötig?
Wie lange und wie oft Nachuntersuchungen stattfinden müssen, hängt von der Art Ihrer Erkrankung, Ihrer bisherigen Behandlung und natürlich Ihrem Allgemeinzustand selbst ab.
Wichtig: Bei Beschwerden oder dem Wiederauftreten von Symptomen, sollten Sie sofort Ihre Ärztin/Ihren Arzt kontaktieren und nicht erst etwaige Nachsorgetermine abwarten.
Speziell chronische Leukämien erfordern oft eine langfristige Beobachtung. Auch bei erfolgreich behandelten akuten Leukämien sind regelmäßige Nachuntersuchungen nötig, um Rückfälle frühzeitig erkennen zu können. Die Intervalle können aber bei längerer Krankheitsinaktivität mit der Zeit verlängert werden.
Geprüft OA Dr. Reinhard Ruckser: Stand Juni 2019 | AT-VNCCLL-200027-16032020