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Kurs Vorgehen bei abgelehnter Kostenübernahme: Lektion 5 von 6

Fallbeispiele aus der Praxis

In dieser Lektion lernen Sie Fälle kennen, in denen gegen eine Ablehnung vorgegangen wurde. Sie erfahren dabei, ob und warum das Gericht der/dem PatientIn Recht gegeben hat. Diese Beispiele zeigen, dass man die Hoffnung bei einem negativen Bescheid nicht gleich aufgeben muss.

Video Transkript

Fall 1) Multiple Sklerose (Freie Arztwahl)

Antrag Patientin: Ein Patient mit Mulitpler Sklerose wollte eine Infusionstherapie mit einem monoklonalen Antikörper in einem niedergelassenen Behandlungszentrum mit seinem Vertrauensarzt durchführen.

Argumente Sozialversicherung: Die Sozialversicherung hat die Kostenübernahme mit dem Argument abgelehnt, dass eine Infusion im stationären Bereich des Spitals wesentlich sicherer sei für den Patienten und zudem die Kosten einer stationären Behandlung für die Sozialversicherungsträger wesentlich kostengünstiger sind, weil für die Krankenhausleistung nur ein Teil-Pauschalbetrag von den Kassen geleistet wird und daher aus Sicht der Kassen die Infusion im Krankenhaus nicht nur sicherer, sondern auch kostengünstiger ist.

Entscheidung Gericht (OGH 10 ObS 112/94 = SZ 67/76; 10 ObS 113/94 = SSV-NF 8/44; 10 ObS 409/02y):

Eine kostenintensive Pharmatherapie muss auf Wunsch des Patienten auch im niedergelassenen Bereich verabreicht und bezahlt werden, wenn die Therapie auch im niedergelassenen Bereich mit gleicher Qualität erbracht werden kann. Das ist hier der Fall. Daher ist das Kostenargument untergeordnet, selbst wenn für die soziale Krankenversicherung die Kosten für den Fall der Erbringung der Therapie im Krankenhaus niedriger wären. Die freie Arztwahl hat vor allem dann Vorrang, wenn es sich um eine chronische Erkrankung handelt. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten hat einen sehr hohen Stellenwert.

Fall 2) Schmerztherapie mit Cannabis-Produkt

Antrag Patientin: Eine an mehreren Erkrankungen leidende Schmerzpatientin, bei der bereits sehr bekannte Schmerzmittel versagt haben, bzw die Wirkung nachgelassen hat, beantragte um die Kostenübernahme eines Cannabis-Produktes für die Bekämpfung der Schmerzen.

Argumente Sozialversicherung: Die Kasse vertrat die Auffassung, dass diese Arzneimittel nicht zu bezahlen ist, weil es teurer ist als andere Schmerzmittel wie z.B. Opiate. Die Patientin wird mit Opiaten und anderen kostengünstigen Arzneimitteln das Auslangen zu finden haben.

Aktion: Die Patientin hat die Ausstellung eines Bescheides verlangt und vor dem zuständigen Gericht geklagt. Das Gericht hat einen Sachverständigen beauftragt, der festgestellt hat, das für den individuellen Fall dieser Patientin das Cannabis-Arzneimittel die zweckmäßigste Therapie ist und Opiate weniger geeignet sind und außerdem bereits erfolglos eingesetzt wurden.

Ergebnis: Die Kasse hat auf Basis des Sachverständigengutachtens sich bereit erklärt die Kosten für das Cannabis-Produkt für diese Patientin zu übernehmen. Es wurde ein Vergleich vor Gericht geschlossen das der Patientin die Kostenübernahme des Arzneimittels durch die Kasse zusichert.

Fall 3) Verhinderung von Infektion vs Behandlung mit kostengünstigen Antibiotika

Antrag Patientin: Ein Patient mit chronischer Hepatitis-C sollte  ein Medikament erhalten, das die Anfälligkeit für Infektionen reduzieren kann. Dies ist für ihn wichtig, da sein Immunsystem extrem geschwächt ist und er ein hohes Infektionsrisiko hat.

Argumente Sozialversicherung: Die Sozialversicherung hat die Kostenübernahme mit dem Argument abgelehnt, dass es sich hier um eine präventive Maßnahme handelt für die die Kasse nicht zuständig ist. Außerdem wäre es wesentlich kostengünstiger eine eingetretene Infektion mit billigen Antibiotika zu behandeln.

Entscheidung Gericht (OGH 10 ObS 361/01p, SSV-NF 15/142):

Der oberste Gerichtshof hat entschieden, dass „vorbeugende“ Behandlung zur Abwehr von Infekten nach dem Sozialversicherungsrecht zweckmäßiger ist als das Abwarten einer Infektion. Dem Patienten bewusst einem Risiko auszusetzen ist zudem mit der Würde des Menschen nicht vereinbar, daher ist die risikolosere und damit höherwertige Therapie von der Kasse zu bezahlen.

Fall 4) Beschichteter Baby-Body zur Behandlung von Neurodermitis

Antrag Patientin: Ein bis zu einem Jahr altes Kind leidet an starker Neurodermitis. Fachärzte haben, um die Behandlung mit Kortison zu vermeiden, einen mit Silber beschichteten Baby-Body verordnet, der durch Studien getestet dieselbe Wirkung wie Kortison erzielt.

Argumente Sozialversicherung: Die Sozialversicherung hat die Kostenübernahme mit dem Argument abgelehnt, dass es sich hier um ein Kleidungsstück handelt und tägliche Gebrauchsgegenstände von den Patienten selbst zu tragen sind.

Entscheidung Gericht: Der Gerichtsgutachter ist zu dem Schluss gekommen, dass die Wirkung des Baby-Bodies nicht ausreichend belegt ist und der Stand der Medizin laut Leitlinien Kortison ist. Daher hat auch das Gericht die Kostenübernahme abgelehnt und die Eltern mussten den Body für ihr Kind selbst bezahlen.

Änderung in der Zukunft möglich: Mittlerweile liegen mehrere Studien vor, die die Wirkung dieser Stoffe belegen. Auch die Behandlungsrichtlinien der Fachgesellschaften haben inzwischen diese Therapiemethode in die Empfehlungen aufgenommen. Der Body ist damit zum Stand der Medizin geworden und müsste daher auch von der Sozialversicherung ersetzt werden. Ein Gerichtsverfahren zum heutigen Zeitpunkt müsste aufgrund der Änderung im Stand der Medizin positiv ausgehen.

Fall 5) Recht auf Therapiewahl

Antrag Patientin: Der Arzt empfahl einer Patientin mit „Krampfadern“ Stripping als Therapie am Stand der Medizin.Dazu müsste sie einen einige Tage dauernden Krankenhausaufenthalt absolvieren. Der Eingriff würde unter Vollnarkose stattfinden. Da die Patientin selbständig ist und ein Problem mit einer Vollnarkose hat, suchte sie nach einer alternativen Therapie und fand die Möglichkeit die Krampfadern durch viele ambulante Behandlungen (Sklerotherapie) los zu werden. Die Kosten waren durch die Anzahl der ambulanten Eingriffe wesentlich höher als jene für den Krankenhausaufenthalt, auch sind die Erfolgsaussichten der Sklerotherapie leicht herabgesetzt im Vergleich zum Stripping.

Argumente Sozialversicherung: Die Sozialversicherung hat die Kostenübernahme mit dem Argument abgelehnt, dass die Patientin die kostengünstigere Therapie in Anspruch zu nehmen habe, da es sich jedenfalls um gleichwertige Therapien handle.

Entscheidung Gericht (OGH 10 ObS 112/94 = SZ 67/76; 10 ObS 113/94 = SSV-NF 8/44; 10 ObS 409/02y). Der oberste Gerichtshof (OGH) hat entschieden, dass in diesem Fall das Selbstbestimmungsrecht der Patientin höher wiegt als das Kostenargument der Sozialversicherung. Denn für eine selbständige Patientin mit einem Narkosen-Problem sind die Therapien nicht gleichwertig und die von der Patientin gewünschte Therapie weniger belastend. Daher wurde die Kasse zur Übernahme der Kosten für die teurere Therapie verpflichtet. In diesem Zusammenhang hat der OGH auch ausgesprochen, dass die Kosten nur ein Beurteilungskriterium sind und nicht alle anderen Argumente wie die Quantität und Qualität sowie die Eignung der Maßnahme auszuhebeln vermag. Es sind immer alle Argumente zu berücksichtigen.

Genaue Entscheidungstexte nachlesen

Am Ende der meisten Fälle finden Sie die dazugehörigen Aktenzahlen bzw. Fundstellen von Urteilen des Obersten Gerichtshofes. Mit Hilfe dieser Daten finden Sie auf www.ris.bka.gv.at (über die Suchfunktion) die amtlichen Entscheidungstexte.

Fall 1: Freie Arztwahl bei Multipler Sklerose

Ein Patient mit Multipler Sklerose wollte von seinem Vertrauensarzt in einem niedergelassenen Behandlungszentrum eine Infusionstherapie durchführen lassen.

Warum hat die Krankenkasse abgelehnt?

Aus Sicht der Sozialversicherung war die Infusion im stationären Bereich eines Spitals sicherer als im Behandlungszentrum – und auch kostengünstiger. Denn für die Krankenhausleistung wird nur ein Teil-Pauschalbetrag von den Kassen geleistet.

Was sagt das Gericht dazu?

Eine kostenintensive Pharmatherapie muss auf Patientenwunsch auch im niedergelassenen Bereich verabreicht und bezahlt werden, wenn sie dort mit gleicher Qualität erbracht werden kann. Wie sich heraus stellt, ist das hier der Fall. Daher ist die Kostenfrage zweitrangig und dem Antrag wird stattgegeben.

Den genauen Entscheidungstext finden Sie auf https://www.ris.bka.gv.at/Gesamtabfrage/ unter: 17Cgs37/07s

Was kann man daraus lernen?

Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin/Arzt und Patient/in hat einen sehr hohen Stellenwert. Vor allem dann, wenn es sich um eine chronische Erkrankung handelt.

Fall 2: Schmerztherapie mit einem Cannabis-Produkt

Eine Patientin mit mehreren Erkrankungen, bei der sehr bekannte Schmerzmittel nicht (mehr) wirken, hat die Kostenübernahme eines Cannabis-Produktes beantragt.

Warum hat die Krankenkasse abgelehnt?

Dieses Medikament ist teurer als andere Schmerzmittel wie zum Beispiel Opiate. Die Sozialversicherung war daher der Meinung, die Patientin solle lieber mit Opiaten und anderen kostengünstigen Arzneimitteln versorgt werden.

Was sagt das Gericht dazu?

Das Gericht hat einen Sachverständigen beauftragt, der zu dem Schluss kam, dass für diese Patientin Opiate weniger geeignet sind und dass ein Cannabis-Arzneimittel für sie die zweckmäßigste Therapie darstellt. Die Krankenkasse hat sich daraufhin bereit erklärt, die Kosten für das gewünschte Medikament zu übernehmen. Es wurde ein Vergleich vor Gericht geschlossen und der Patientin die Bezahlung des Cannabis-Produktes zugesichert.

Was kann man daraus lernen?

Mit Hilfe eines Gutachtens von einem Sachverständigen kann die Krankenkasse umgestimmt werden, ohne dass ein Gerichtsentscheid nötig ist.

Fall 3: Vorbeugung von Infektionen bei Hepatitis C

Bei einem Patienten mit chronischer Hepatitis-C war das Immunsystem extrem geschwächt. Er sollte daher ein Medikament erhalten, das die Anfälligkeit für Infektionen reduzieren kann.

Warum hat die Krankenkasse abgelehnt?

Da es sich hier um eine präventive Maßnahme handelt, hat die Sozialversicherung die Zuständigkeit von sich gewiesen. Argument: Es wäre wesentlich kostengünstiger eine eingetretene Infektion mit billigen Antibiotika zu behandeln.

Was sagt das Gericht dazu?

Der oberste Gerichtshof hat entschieden, dass nach dem Sozialversicherungsrecht die vorbeugende Behandlung zweckmäßiger ist als das Abwarten einer Infektion. Zumal es auch nicht mit der Würde des Patienten vereinbar ist, ihn bewusst einem Risiko auszusetzen.

Den genauen Entscheidungstext finden Sie auf https://www.ris.bka.gv.at/Gesamtabfrage/ unter: OGH 10 ObS 361/01p

Was kann man daraus lernen?

Es kann sich lohnen, ein Verfahren bis in die letzte Instanz auszufechten.

Fall 4: Beschichteter Baby-Body bei Neurodermitis

Um die Behandlung mit Kortison zu vermeiden, haben Fachärzte einem Baby mit starker Neurodermitis einen mit Silber beschichteten Baby-Body verordnet. Studien zufolge soll er dieselbe Wirkung erzielen wie das Kortison.

Warum hat die Krankenkasse abgelehnt?

Die Sozialversicherung hat das Arzneimittel als Kleidungsstück eingestuft und gemeint, die Kosten für tägliche Gebrauchsgegenstände müssten von Patient/innen selbst bezahlt werden.

Was sagt das Gericht dazu?

Der Gerichtsgutachter ist zu dem Schluss gekommen, dass die Wirkung des Baby-Bodys nicht ausreichend belegt ist. Das Gericht hat daher die Kostenübernahme durch die Krankenkasse abgelehnt. Inzwischen liegen mehrere Studien vor, durch die seine Wirkung bestätigt wurde. Auch die Behandlungsrichtlinien der Fachgesellschaften empfehlen mittlerweile diese Therapiemethode. Der Body ist damit zum Stand der Medizin geworden. Zum heutigen Zeitpunkt müsste ein Gerichtsverfahren positiv ausgehen.

Was kann man daraus lernen?

Gerade im Bereich Medizin ändern sich laufend die Maßstäbe. Nur, weil etwas in der Vergangenheit nicht bewilligt wurde, heißt das nicht, dass es auch in der Gegenwart so sein muss.

Fall 5: Recht auf Therapiewahl bei Krampfadern

Einer Patientin mit Krampfadern wurde Stripping als Therapie empfohlen. Dieser Eingriff wird unter Vollnarkose durchgeführt und macht einige Tage Spitalsaufenthalt notwendig. Da die Patientin selbständig ist und ein Problem mit Vollnarkosen hat, hat sie nach einer alternativen Therapie gesucht – und eine  Möglichkeit gefunden, die Krampfadern durch viele ambulante Behandlungen los zu werden. Insgesamt ist eine solche Sklerotherapie aber teurer als das Stripping. Auch die Erfolgsaussichten sind leicht herabgesetzt.

Warum hat die Krankenkasse abgelehnt?

Die Sozialversicherung hat keinen Grund für eine Kostenübernahme gesehen, da es sich bei der stationären Methode um eine mindestens gleichwertige Therapie handelt.

Was sagt das Gericht dazu?

Für den obersten Gerichtshof wiegt hier das Selbstbestimmungsrecht höher als das Kostenargument. Für eine selbständige Patientin mit Narkosen-Problem sind die Therapien nicht gleichwertig. Die Kasse wurde dazu verpflichtet, die teurere Therapie zu bezahlen.

Den genauen Entscheidungstext finden Sie auf https://www.ris.bka.gv.at/Gesamtabfrage/ unter: OGH 10 ObS 112/94 = SZ 67/76; 10 ObS 113/94 = SSV-NF 8/44

Was kann man daraus lernen?

Laut Oberstem Gerichtshof sind die Kosten nur ein Beurteilungskriterium. Sie können nicht alle anderen Argumente aushebeln. Es sind immer alle Aspekte zu berücksichtigen.

Geprüft Dr.in Maria-Luise Plank: Stand 21.04.2020

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Dieser Kurs ist Teil der Kursreihe "Sozialversicherung & Recht bei chronischer Erkrankung"

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