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Kurs Kinder mit Hämophilie in der Schule: Lektion 3 von 6

Richtig reagieren im Notfall

Echte Notfälle treten auch bei Kindern mit Hämophilie nur selten auf. Wenn es aber einmal dazu kommt, ist eine schnelle und richtige Reaktion wichtig. Hier liegt viel Verantwortung bei den Betreuungskräften in Schule und Kindergarten. Mit ein wenig Grundwissen können Sie diese Verantwortung aber gut bewältigen.

Video Transkript

Welche vorbeugenden Maßnahmen sollten in der Schule/im Kindergarten getroffen werden, damit man im Notfall schnell reagieren kann?

Das Wichtigste ist,

  • dass Sie die Ansprechpartner kennen,
  • dass Sie die Telefonnummern haben von den Eltern,

an die Sie sich rasch wenden können, wenn Ihnen eine Situation unklar ist, oder wenn sich das Kind verletzt hat beziehungsweise ein Unfallgeschehen aufgetreten ist.

Und wenn die Kinder ein Notfallpräparat, ein Gerinnungsfaktoren-Notfallkonzentrat in der Kindereinrichtungen haben, dann sollten Sie wissen, wo dieses Konzentrat auch steht. Das ist wichtig, wenn Sie zum Beispiel einen Notarzt informieren müssen, damit Sie diesem Notarzt auch dieses Faktorenkonzentrate übergeben können. Diese Gerinnungsfaktoren-Konzentrate sind nicht auf den Notfallwagen oder auf den Rettungswagen vorhanden.

Woran erkennt man einen Notfall?

Ein Notfall ist sicher eine Schädelverletzung. Man muss damit rechnen, dass im Rahmen der beeinträchtigten Blutgerinnung es bei relevanten Schädelverletzungen durchaus auch zu erheblichen Blutungen im Hirnbereich kommen kann. Wenn also ein Kind mit einer Bluterkrankung eine Schädelverletzung hat, sollten Sie dieses Kind auf jeden Fall beobachten. Sie sollten die Eltern informieren.

Andere Blutungen wie zum Beispiel Nasenbluten oder eine Verletzung im Muskelbereich sind sicher Blutungen, die eindrucksvoll aussehen, die aber in der Regel nicht gefährlich sind und auch nicht als Notfall einzustufen sind. Trotzdem sind das aber Blutungen, wo Sie dann auch großzügig die Eltern informieren sollten und die Eltern fragen, wie Sie sich in diesen Situationen verhalten sollten.

Wie kann ich eine Blutung am besten stillen?

Das kommt natürlich immer darauf an, welche Blutung vorliegt. Sie gehen eigentlich genau so vor, wie Sie das auch bei einem gerinnungsgesunden Kind tun würden.

Typisches Beispiel Nasenbluten:

  • dass man dann auf der Seite, auf der praktisch diese Blutung auftritt, entsprechend mit dem Finger, am besten mit dem Daumen entsprechend gegen die Nasenscheidewand komprimiert (drückt),
  • indem man dann einen kalten Lappen z.B. in den Nacken legt,
  • das Kind beruhigt.

Wenn eine Blutung im Muskelbereich auftritt, sollte man auch großzügig kühlen.

Bei Blutungen im Gelenkbereich, wenn also das Kind über Schmerzen klagt im Gelenkbereich, ganz und gar über eine Schwellung – das sind Situationen, wo Sie unbedingt die Eltern auch informieren müssen, weil es in dieser Situation notwendig ist, dass rasch das Gerinnungsfaktoren-Konzentrat gespritzt wird.

Idealerweise haben Sie gerade bei den Patienten mit einer schweren oder mittelschweren Form der Bluterkrankung ein Notfallpräparat im Kühlschrank gelagert, sodass dann die Eltern oder wenn es erforderlich ist, wenn der Notarzt informiert werden muss, der Arzt das Gerinnungsfaktoren-Konzentrat über eine Vene spritzen kann.

Wie hoch ist die Gefahr, dass ein Kind verblutet?

  • Sie sollten als Betreuungsperson daran denken, dass bei den leichten Formen dieser Erkrankung ein zwar erhöhtes Blutungsrisiko besteht, was aber nur leicht erhöht ist.
  • Bei den Patienten, die eine schwere oder mittelschwere Form der Erkrankung aufweisen, besteht zwar ein erhöhtes Risiko, aber Sie sollten daran denken: Diese Patienten werden in einem Gerinnungszentrum betreut, erhalten vorbeugend ein Gerinnungsfaktoren-Konzentrat gespritzt, sodass das Blutungsrisiko bei diesen Kindern und Jugendlichen absolut kalkulierbar ist und Sie keine Angst davor haben müssen, dass diese Patienten spontan bedrohlich bluten.

Das Risiko, dass diese Kinder verbluten, ist faktisch nicht gegeben. Dazu wäre ein erheblicher Unfallmechanismus mit offenen Verletzungen notwendig, damit es zu so starken Blutverlusten kommt, dass dann der Kreislauf zusammenbricht. Bei solchen Verletzungen wie zum Beispiel Sturz von einem Klettergerüst mit einer offenen Wunde – das sind Situationen, wo Sie rasch handeln müssen, wo Sie dann, so wie Sie das bei jedem anderen Kind auch machen würden, entsprechend die Wunde komprimieren müssen, damit es nicht zu einem starken Blutverlust kommt, und wo Sie natürlich den Notarzt und die Eltern informieren müssen.

Welche Verletzungen sind am gefährlichsten und wie erkenne ich sie?

Das gefährlichste ist sicher die Schädelverletzung, weil bei Verletzungen im Schädelbereich das Risiko einer Hirnblutung besteht. Wenn Kinder mit einer Bluterkrankheit sich im Bereich des Schädels verletzen, sollten Sie auf jeden Fall die Eltern informieren, auch wenn das Kind nach der Verletzung unauffällig ist. Sie sollten das Kind gut beobachten und sollten auf Symptome für eine Hirnblutung gut achten. Das sind in der Regel:

  • dass immer wieder Erbrechen auftritt,
  • dass die Kinder nicht mehr adäquat reagieren,
  • dass sie schläfrig werden,
  • dass sie einen Krampfanfall aufweisen.

Das sind deutliche Symptome für eine Hirnblutung. Und in diesen Situationen ist es unbedingt erforderlich, dass Sie einen Notarzt informieren.

In welchen Situationen sollte sofort der Notruf gewählt werden?

  • Der Notarzt sollte sofort informiert werden, wenn nach einer Schädelverletzungen das Kind deutliche Symptome für eine Hirnblutung aufweist.
  • Sie sollten auch einen Notarzt informieren, wenn große Wunden auftreten.

Das ist nicht erforderlich, wenn unkomplizierte Schürfwunden oder kleinere Schnittwunden auftreten. Dort reicht es völlig aus, wenn Sie selbst erstmals die Wunde entsprechend zusammendrücken und die Eltern informieren, die dann entscheiden können, ob in dieser Situation ein Gerinnungsfaktoren-Konzentrat gespritzt werden muss oder ob Sie das Kind im betreuenden Gerinnungszentrum vorstellen.

Welche Informationen brauchen RettungssanitäterInnen oder Notärztin/Notarzt im Notfall?

Also Notarzt und Rettungssanitätern sollten unbedingt auch der Nothilfe-Pass dieser Patienten vorgelegt werden.

Im Idealfall ist gerade bei den Patienten mit der schweren und mittelschweren Form der Bluterkrankheit das Gerinnungsfaktoren-Konzentrat für den Notfall auch in der Kindereinrichtung verfügbar, was üblicherweise im Kühlschrank gelagert wird und dann dem Notarzt bzw. den Rettungssanitätern übergeben werden sollte.

In welchen Situationen müssen die Eltern informiert werden?

Da sich die Eltern sehr gut mit dieser Erkrankung und natürlich auch mit der Behandlung dieser Erkrankung auskennen, sollten Sie auch in Situationen, wo Sie sich unsicher sind, großzügig die Eltern informieren.

Selbstverständlich ist bei relevanten Verletzungen, so wie Sie das bei jedem anderen Kind auch tun, sind die Eltern zu informieren.

Was sind die nächsten Schritte, wenn die Eltern nicht erreichbar sind?

Patienten mit Bluterkrankheit werden in Gerinnungszentren betreut. Und jeder dieser Patienten sollte einen Nothilfe-Pass mit sich führen. Ich halte es für sehr günstig, wenn Sie eine Kopie dieses Nothilfe-Passes in Ihrer Einrichtung besitzen.

  • Es finden sich in diesen Nothilfe-Ausweisen die Kontaktdaten des betreuenden Gerinnungszentrums,
  • es findet sich das Faktoren-Konzentrat, welches die Patienten im Notfall erhalten mit der dafür notwendigen Dosis.

Wenn Sie die Eltern nicht erreichen, sollten Sie das betreuende Gerinnungszentrum über den Unfall informieren, und dann ist über dieses Zentrum zu entscheiden, wie weiter zu verfahren ist.

Welche Sofortmaßnahmen kann ich bei einer Blutung treffen?

Nun, das kommt natürlich immer darauf an, welche Art von Blutung vorliegt.

Typisches Beispiel ist das Nasenbluten.

  • Wenn das auftritt, beruhige ich die Kinder.
  • Sie können dann auf die betroffenen Nasenseite entsprechenden Druck ausüben, indem Sie z.B. Ihren Daumen nehmen und auf diese Nasenseite drücken für mindestens fünf Minuten.
  • Sie können einen kühlen Lappen auf die Stirn legen oder in den Nacken.

Bei Gelenkproblemen, wenn Verdacht besteht, dass eine Gelenkblutung auftritt, können Sie die betroffene Extremität hochlagern. Sie können das kühlen.

In seltenen Fällen kann es auch mal auftreten, dass Blut im Urin nachweisbar ist. Wenn so etwas auftreten sollte, sollten Sie das Kind reichlich trinken lassen, und Sie würden in diesen Situationen ja auf jeden Fall auch die Eltern informieren.

Medikamente auf Vorrat

Insbesondere für Kinder mit der schweren oder mittelschweren Verlaufsform der Hämophilie ist es sinnvoll, nicht nur zu Hause, sondern auch in der Betreuungseinrichtung mindestens eine Dosis des Gerinnungsfaktorenkonzentrats für den Notfall im Kühlschrank aufbewahrt wird. Auf Notarzt- bzw. Rettungswagen sind diese Medikamente nicht vorhanden! Die Eltern bringen dieses Medikament mit und sollten auch dafür sorgen, dass rechtzeitig vor dem Haltbarkeitsablauf ein Austausch erfolgt. Im Notfall können der Notarzt, die Eltern oder gegebenenfalls sogar der Patient selbst das Medikament in die Venen spritzen.

Innere Blutungen und andere gefährliche Situationen erkennen

Nicht betroffene Menschen geraten schnell in Alarm-Modus, wenn ein Mensch mit Hämophilie eine kleine Schnittwunde oder ähnliches hat. Sofort kommt die Angst, der Betroffene könnte womöglich sogar verbluten. Dabei sind sichtbare Blutungen meist nicht das große Problem, weil man sie kontrollieren kann. Problematischer sind innere Blutungen, die man nicht so leicht erkennt. Gelenke oder Organe können dadurch dauerhaft geschädigt werden. Besonders gefährlich sind Hirnblutungen. Es ist daher wichtig, dass Sie auf auffälliges Verhalten oder Symptome ohne sichtbare Blutungen angemessen reagieren.

Woran erkenne ich innere Blutungen?

Die häufigste Form innerer Blutungen sind Gelenk- und Muskelblutungen. Sie entstehen in seltenen Fällen ohne erkennbare Ursache, meistens geht ein Schlag, Stoß oder Sturz voraus.

Diese Symptome sind Warnzeichen:

  • Das Kind klagt über Schmerzen, Druck oder ein „komisches Gefühl“ im Gelenk oder in einem Muskelbereich. Bei sehr jungen Kindern: Anhaltendes Weinen ohne erkennbaren Grund.
  • Das Kind hält sich ein Gelenk, humpelt oder nimmt eine schmerzbedingte Schonhaltung ein.
  • Im späteren Verlauf: Das Gelenk oder der Muskelbereich schwillt an und/oder erwärmt sich.
  • Bei oberflächlichen inneren Blutungen kann es sichtbare Beulen geben.

Bei solchen Symptomen sollten Sie so schnell wie möglich reagieren und die Eltern informieren, damit die Gabe des Medikamentes rasch erfolgen kann.

Innere Blutungen können sich auch durch Blut im Urin oder Stuhl bemerkbar machen. Das ist meist weniger bedrohlich als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Trotzdem braucht das Kind in diesem Fall ebenfalls seinen Gerinnungsfaktor, sodass Sie rasch die Eltern informieren müssen. Die Eltern sollten im Anschluss rasch Kontakt mit dem betreuenden Gerinnungszentrum aufnehmen.

Welche Situationen sind immer ein Notfall?

Verletzungen am Kopf sind für Menschen mit Hämophilie gefährlich, weil die Gefahr einer Hirnblutung gegeben ist. Deshalb sollten Sie bei Kopfverletzungen oder Schlägen und Stürzen auf den Kopf immer schnell reagieren. Das Kind braucht sofort sein Medikament und sollte ärztlich betreut werden.

Besondere Warnzeichen sind Übelkeit, Erbrechen, Krampfanfälle oder Ohnmacht. Bei diesen Anzeichen sollten Sie umgehend einen Notarzt anfordern. Auch wenn das Kind keine dieser Symptome aufweist, sollten Sie bei Kopfverletzungen sofort die Eltern informieren und das Kind bis zu deren Eintreffen gut beobachten.

Auch Verletzungen im Bauchraum oder im Bereich des Halses und Rachens sollten als Notfall behandelt werden.

Was tun, wenn ich die Eltern im Notfall nicht erreiche?

Falls Sie die Eltern im Notfall nicht erreichen, sollten Sie das Gerinnungszentrum informieren, in dem das Kind betreut wird. Die MitarbeiterInnen im Gerinnungszentrum können Ihnen sagen, wie weiter zu verfahren ist.

selpers Notfallplan Vorbereitung auf einen möglichen Notfall

Mit dieser Checkliste sind Sie für den Notfall richtig vorbereitet:

  • Informieren Sie sich rechtzeitig über die Erkrankung und die notwendigen Maßnahmen.
  • Halten Sie Notfallnummern parat, zum Beispiel die der Eltern und des behandelnden Gerinnungszentrums. Hämophile sollten stets einen Notfallpass mit sich tragen, auf dem diese Informationen vermerkt sind. Indem Sie eine Kopie des Notfallpasses aufbewahren, haben Sie die Informationen immer griffbereit.
  • Halten Sie das Medikament des Kindes in Ihrer Einrichtung vorrätig.
  • Drucken Sie den Notfallplan (siehe unten) aus.
  • Sorgen Sie dafür, dass alle BetreuerInnen Bescheid wissen. Denken Sie auch an VertretungslehrerInnen, FachlehrerInnen und Pausenaufsichten.
  • Kinder mit Hämophilie sollten als Schmerz- und Fiebermittel bevorzugt Paracetamol erhalten. Acetylsalicylsäure-haltige Präparate sollten keinesfalls gegeben werden, denn diese verstärken die Blutungsneigung!

Notfallpass für Hämophilie Patienten mit Informationen und Kontaktdaten

Im Notfall richtig reagieren

Hämophilie Notfallplan Download Preview Damit Sie bei einem Notfall genau wissen, was zu tun ist, haben wir einen Notfallplan mit den wichtigsten Informationen für Sie zusammengestellt. Am besten drucken Sie diesen aus und machen sich damit vertraut. Dann können Sie bei einem Zwischenfall in kürzester Zeit erfassen, was zu tun ist.

Erfahrungen von Betroffenen

Geprüft Prof. Dr. Ralf Knöfler: Stand Februar 2020

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Dieser Kurs ist Teil der Kursreihe „Hämophilie verstehen“

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Die Kurse sind kein Ersatz für das persönliche Gespräch mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt, sondern ein Beitrag dazu, PatientInnen und Angehörige zu stärken und die Arzt-Patienten-Kommunikation zu erleichtern.

Bildnachweis: Wavebreak Media Ltd, NotionPic, Maria Sbytova | Bigstock