Kinder mit Hämophilie sollten genauso behandelt werden wie gesunde Kinder. Trotzdem ist es wichtig, über die Erkrankung zu sprechen. Es kann sinnvoll sein, andere Kinder altersgerecht zu informieren, um Gefahren anzusprechen und um Rücksicht zu bitten. Holen Sie dazu aber das Einverständnis des betroffenen Kindes und seiner Eltern ein.
Prof. Dr. Ralf Knöfler, Facharzt für Kinderheilkunde, beantwortet im Video "Über Hämophilie sprechen" folgende Fragen:
Klicken Sie auf eine Frage, um direkt zum entsprechenden Videoabschnitt zu springen!- Wer sollte über die Erkrankung und die Notfallmaßnahmen in Kenntnis gesetzt werden?
- Welche Informationen sollten Schul-/KindergartenkameradInnen bekommen?
- Was sollte man bei der Kommunikation über Hämophilie vermeiden?
- Wie kann die Kommunikation über Hämophilie besonders erfolgreich gestaltet werden?
Video Transkript
Wer sollte über die Erkrankung und die Notfallmaßnahmen in Kenntnis gesetzt werden?
Über die Erkrankung und über Notfallmaßnahmen sollten unbedingt alle Betreuungspersonen informiert werden.
- Das betrifft in einem Kindergarten oder in einer Kinderkrippe möglichst sämtliche Erzieher.
- Das betrifft in einer Schule auch möglichst sämtliche Lehrer, weil es ja durchaus auch mal zu entsprechenden Vertretungsstunden kommen kann.
- Wenn bei diesen Kindern Verletzungen auftreten oder Beschwerden, sollten die Betreuungspersonen über diese Erkrankung informiert werden.
Man sollte durchaus großzügig die Eltern auch fragen, ob sie nicht vor dem Betreuungskollektiv über diese Erkrankung mal einen Vortrag halten wollen. Nach meiner Erfahrung trägt das sehr zum Verständnis der Erkrankung bei den Betreuungspersonen bei.
Welche Informationen sollten Schul-/KindergartenkameradInnen bekommen?
- Die Information der Kinder in einer Gruppe oder der Schüler in der Klasse sollte nach Maßgabe der Eltern erfolgen.
- Ich denke, die Eltern sollten darauf angesprochen werden, inwiefern sie damit einverstanden sind, dass die Schulkameraden darüber informiert werden.
- Man sollte dabei immer daran denken, dass die Kinder nicht stigmatisiert werden sollten, was ich insbesondere im Kleinkindalter und auch im jungen Schulalter für möglich halte, wenn die Klassenkameraden mit informiert werden über die Erkrankung.
Letztendlich bleibt das aus meiner Sicht eine Entscheidung der Eltern.
Was sollte man bei der Kommunikation über Hämophilie vermeiden?
- Diese Kinder und Jugendlichen sollten auf keinen Fall stigmatisiert werden.
- Sie sollten in den ganz normalen Alltag einer Kindereinrichtung beziehungsweise in den Schulalltag integriert werden.
- Sie sollten an Ausflügen teilnehmen.
- Sie sollten an Sport teilnehmen mit den Einschränkungen, dass gefährliche Sportarten vermieden werden.
Wichtig für diese Kinder ist eine ganz normale Integration in den Alltag.
Wie kann die Kommunikation über Hämophilie besonders erfolgreich gestaltet werden?
Gerade Jugendlichen sollte zum Beispiel angeboten werden, im Biologieunterricht auch mal einen Vortrag über ihre Erkrankung zu halten. Das bietet sich zum Beispiel auch an im Rahmen von der Vererbung dieser Erkrankung. Das wird nach meiner Erfahrung von den betroffenen Jugendlichen sehr gern wahrgenommen und trägt auch mit dazu bei, dass diese betroffenen Patienten gut in die Klasse integriert werden können.
Wissen schützt
Die meisten Kinder und Jugendlichen sind gerne bereit, zu unterstützen, Rücksicht zu nehmen und aufeinander zu achten. Schon sehr junge Kinder verstehen, dass sie mit einem betroffenen Kind vorsichtiger umgehen müssen.
Voraussetzung ist eine altersgerechte Erklärung:
- Vermeiden Sie vor allem bei jüngeren Kindern komplizierte Erklärungen und Fremdwörter. Oft genügt schon die Aussage, dass das Kind eine Erkrankung hat und nicht verletzt werden darf.
- Bedenken Sie: Die meisten Kinder kennen vor allem ansteckende Erkrankungen. Erwähnen Sie deshalb, dass Hämophilie nicht ansteckend ist.
- Vereinbaren Sie Regeln für den Umgang miteinander, zum Beispiel: nicht schubsen oder raufen, bei Stürzen und Verletzungen gleich die Betreuungskräfte informieren, aufeinander aufpassen.
Hämophilie im Unterricht
An vielen Stellen können Sie das Thema Hämophilie in den Unterricht einbauen und genauer erklären. Es passt zum Beispiel zum Thema Humangenetik/Vererbung in der weiterführenden Schule oder zum Thema Blutkreislauf in der Grundschule. Sprechen Sie aber vorher mit dem betroffenen Kind und seinen Eltern. Nicht alle wünschen sich die Aufmerksamkeit, wenn die Erkrankung detailliert besprochen wird.
Größere Kinder und Jugendliche mit Hämophilie sind ExpertInnen für ihre Erkrankung. Vielleicht will das betroffene Kind selbst einen kleinen Vortrag darüber halten und seine KlassenkameradInnen in eigenen Worten informieren? Sprechen Sie das ab.
So bitte nicht!
Immer wieder berichten Betroffene von sehr ungünstigen Verhaltensweisen in Schule und Kindergarten:
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Kinder mit Hämophilie nicht überbehüten
Die Mutter eines Teenagers mit Hämophilie erzählt: „Mein Sohn hat einmal erzählt, dass er in der großen Pause nichts machen durfte. Der Lehrer hat von ihm verlangt, dass er die ganze Zeit neben ihm stehen bleibt.“
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Kinder mit Hämophilie nicht in Watte packen
Der Vater eines sechsjährigen Kindes erzählt: „Die städtische Kindergartenverwaltung hat uns interessanterweise zur Kindergartenpsychologin geschickt, um den Fall zu besprechen. Diese Frau wollte dann, dass unser Sohn jeden Tag mit Sturzhelm im Kindergarten sein soll. Das hat ein bisschen gedauert, ihr zu erklären, dass das bestimmt nicht so sein wird.“
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Kinder mit Hämophilie unterstützen, nicht verunsichern
Die Mutter eines Teenagers mit Hämophilie erzählt: „Mein Sohn war im Schullandheim. Ich habe ihm gesagt, er muss sich jeden zweiten Tag spritzen, und die Lehrerin hat versichert, dass sie auch daran denkt. Dann hat die Lehrerin dort meinem Sohn erzählt, dass er das eigentlich gar nicht machen müsste mit dem Spritzen. Das täte doch nur weh, er wäre doch gesund und könnte doch alles. Dass das nur so ein dummes Zeug von der Mama wäre.“
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Kinder mit Hämophilie nicht unnötig ausgrenzen
Die Mutter eines 12-jährigen Sohnes mit Hämophilie erzählt: „In der letzten Schule waren die Lehrer leider gar nicht interessiert. Sie haben meinen Sohn lieber von vorneherein vom Sportunterricht ausgeschlossen und sich völlig verweigert.“
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Kinder mit Hämophilie nicht stigmatisieren
Die Mutter eines Teenagers mit Hämophilie erzählt: „In der Grundschule hat die Lehrerin ein Bild von meinem Sohn in die Klasse gehängt und dazugeschrieben: „Das ist das hämophile Kind“. Ich habe es zufällig bei einem Elternabend gesehen. Das fand ich nicht so toll, dass sie das so öffentlich gemacht hat.“
Einem Kind oder Jugendlichen mit Hämophilie ist am meisten geholfen, wenn Sie kein großes Aufsehen um seine Erkrankung veranstalten. Behandeln Sie das Kind so normal wie möglich und so speziell wie nötig.
Mit den KollegInnen über Hämophilie sprechen
Denken Sie daran, dass wirklich alle LehrerInnen oder ErzieherInnen informiert sein sollten, die mit dem Kind zu tun haben. Das gilt auch für Vertretungen. Zuvor sollten Sie jedoch unbedingt mit den Eltern absprechen, ob sie damit einverstanden sind und wie die Information ablaufen soll. Deshalb sollte auf jeden Fall das Sekretariat und die Schul- oder Kindergartenleitung Bescheid wissen. Vergessen Sie externe Kräfte nicht, zum Beispiel SchwimmlehrerInnen oder Pausenaufsichten.
Informieren Sie alle KollegInnen über das richtige Vorgehen. Machen Sie Notfalltelefonnummern an einem zentralen Ort zugänglich.
Sprechen Sie auch über den Umgang mit möglichen Fehlzeiten, sodass Sie ein einheitliches Verhalten zeigen können: Durch Krankenhausaufenthalte oder Kontrolluntersuchungen können mehr Fehlzeiten entstehen. Wie lässt sich sicherstellen, dass der Unterrichtsstoff strukturiert weitergegeben wird und keine Nachteile entstehen? Schaffen Sie hier gemeinsam eine praktikable Lösung.
Geprüft Prof. Dr. Ralf Knöfler: Stand Februar 2020