1. Psychoonkologische Landkarte junger Krebspatient:innen

Diagnosestellung - Was unterscheidet junge Patent:innen von älteren?

Ich habe Krebs – was passiert jetzt? Was ist wichtig für mich?

Dauer der Diagnosestellung und Hürden

Viele junge onkologische Patient:innen berichten, dass es oft ein langer Weg bis zur Diagnosestellung ist, da Krebs oftmals als eine Erkrankung des höheren Alters gesehen wird. Sie müssen oft hartnäckig auf weitere Untersuchungen pochen, bis es zu einer Diagnosestellung kommt.

Frage nach dem Grund der Erkrankung

Gerade weil Krebs oftmals bei Patient:innen im höheren Alter auftritt, stellt sich jungen Patient:innen oftmals die Frage warum sie erkrankt sind und ob sie Schuld am Auftreten der Erkrankung trifft.

Erfahrungen einer Betroffenen

„Wir sitzen alle im selben Boot. Trotzdem gibt es sicher sehr große individuelle Unterschiede, daher kann ich im Folgenden nur für mich selbst sprechen, wünsche mir aber sehr, dass etwas dabei ist, das euch diesen schweren Weg leichter machen kann.

Mir hat es geholfen…
… frühzeitig die Österreichische Krebshilfe und andere Betroffene zu kontaktieren
… die Situation anzunehmen, ohne mit dem Schicksal zu hadern, indem ich die Diagnose als ‚unpersönliches Pech‘ und mich als jemanden, der die Statistik erfüllt, gesehen habe – die Tatsachen zu akzeptieren, weil sie ohnehin nicht zu ändern sind, hat mir viel Kraft gespart
… möglichst keine Krankheitstheorien aufzustellen
… mich mit dem Tabuthema Tod zu befassen und mir eine persönliche friedvolle Vorstellung von Ableben und Jenseits, weil ich nach der Diagnosestellung nur auf diesem Weg meine Angst vor dem ‚worst case‘ vermindern konnte – während ich gleichzeitig fest an den Therapieerfolg geglaubt habe
… mir vor Augen zu führen, dass ich Spuren auf dieser Welt hinterlassen werde, egal was passieren wird
… das Buch ‚Solange ihr mein Lied hört‘ von Helena Zumsande (junge Betroffene) zu lesen, weil es mir sofort gezeigt hat, dass es anderen Betroffenen ähnlich geht  – sie beschreibt z.B. den Tag der Diagnosestellung als den Tag, an dem man aus der Welt der Gesunden hinausgeschleudert wird
… einfach nie aufzugeben, egal was passiert
… froh und dankbar zu sein über alles, was ich schon an Schönem erleben durfte, weil mir das keiner mehr nehmen kann
… nur den Augenblick zu genießen, weil mir mittel- und langfristige Dinge ohne Gesundheit sinnlos erschienen sind (Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts)“

Elke, 34
Betroffene von Brustkrebs

Neben der Therapieplanung müssen zusätzliche Themen wie Kinderwunsch und Fertilitätserhalt thematisiert werden

Wenn man im Alter von 15 bis 39 Jahren mit einer Krebsdiagnose konfrontiert wird, liegt noch fast das ganze Leben vor einem. Es geht darum Zukunftspläne, wie z.B. eine eigene Familie zu haben, mitzubedenken und nach Behandlungsende möglich zu machen. Junge Patient:innen fühlen sich oft hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch die (lebens-)notwendigen onkologischen Therapien so schnell wie möglich in Anspruch zu nehmen oder noch fertilitätserhaltende Maßnahmen VOR Behandlungsbeginn in Anspruch zu nehmen, um für die potentielle Familienplanung besser gerüstet zu sein. Dies bedeutet für die meisten Patient:innen einen enormen emotionalen Druck. Genauere Informationen dazu erhalten Sie von Univ.-Prof. Dr. Heinz Strohmer in der Lektion „Fertilitätserhalt bei Krebs“.

Struktur in den Familienalltag mit Kindern bringen

Wenn die Familie bereits Zuwachs hatte und Kinder mitbetroffen sind, können folgende Tipps helfen, Sturktur in den neuen Familienalltag zu bringen:

  • Besonders für kleine Kinder ist es von Vorteil, wenn sich nur wenige, immer gleiche Betreuungspersonen um sie kümmern. Mittels eines Wochenplans, der mit Fotos bestückt wird, erkennen die Kinder dann auf einen Blick, wer sie heute von Kindergarten oder Schule abholen kommt oder wie lange Sie noch im Spital sein werden.
  • Ebenfalls sehr interessant für Kinder kann ein individuell gestaltetes Fotoalbum sein, wo Kinder erfahren, wie es im Spital aussieht. Zusätzliche Fotos von ÄrztInnen und Pflegekräften, Ihrem Zimmer oder dem Essen helfen Ihrem Kind, sich besser vorstellen zu können, wo Sie jetzt sind.
  • Manche Kinder möchten auch eines ihrer Kuscheltiere für Sie aussuchen, das Sie dann ins Spital mitnehmen können. So haben die Kinder das Gefühl, dass Sie dort nicht so alleine sind.

Weitere Informationen finden Sie in der Online-Schulung „Mama/Papa hat Krebs“ .

Therapiephase - Mit welchen altersspezifischen Themen und Problemen werden junge Patient:innen konfrontiert?

Alleine bin ich überfordert mit der Erkrankung – wie kann ich die Unterstützung bekommen, die ich als hilfreich erlebe?

Inanspruchnahme von Hilfe – Zurückrutschen in die Kinderrolle

Die Krankheit trifft junge Patient:innen oft in einer Phase, in der sie gerade erst von zu Hause ausgezogen sind und alleine oder in einer WG wohnen. Die Behandlungen sind anstrengend und kräftezehrend und oftmals ist man wieder auf die Hilfe der Eltern/der Familie angewiesen. Es ist schwierig sich von der neu gewonnenen Unabhängigkeit wieder in eine Abhängigkeit zu begeben. Oft versuchen dann Eltern wieder Entscheidungen für den Patienten/die Patientin zu übernehmen, was zu Spannungen führen kann.

Tipps für die Kommunikation

  • Mit den Eltern: Sprechen Sie offen mit Ihren Eltern, wobei Sie Hilfe brauchen und wobei es ganz essentiell für Sie ist, Ihre Eigenständigkeit und Selbstständigkeit zu behalten.
  • Mit dem Umfeld: Meist wollen Familie und Freundeskreis Sie unterstützen und wissen nur nicht, wie sie es anstellen sollen. Sehr hilfreich hat sich erwiesen, dass eine Person den Anfang einer Telefonkette bildet und dann neue Informationen weitergibt. So sind alle Personen, die Ihnen wichtig sind informiert, Sie müssen aber nicht alles immer wieder erzählen. Freunde/Geschwister sollen Essen vorbeibringen, aber nicht unbedingt zum Essen bleiben. Sagen Sie direkt, womit Ihnen zurzeit am meisten geholfen wird. Manchmal ist es auch der Einkauf am Wochenende oder ein ruhiger Spaziergang im Wald.
Erfahrungen einer Betroffenen

„Mir hat es geholfen die vielen Formalitäten (Anträge etc.) an meine Angehörigen zu delegieren. Wichtig war auch Hilfe aus meinem sozialen Umfeld anzunehmen, ohne dabei hilflos zu sein oder die Kontrolle über die alltäglichen Dinge abzugeben. Die Diagnose als solche löste ein immenses Gefühl von Kontrollverlust und Fremdbestimmtheit aus, das ich durch Kontrolle und Selbstbestimmtheit im Alltag ausgleichen musste.“

Elke, 34
Betroffene von Brustkrebs

Gefühl von Alleinsein

In Spitälern fühlen sich junge Patient:innen oft sehr alleine, die Mitpatient:innen sind meist älter, befinden sich in anderen Lebensphasen, was den Austausch zum Teil erschwert. Viele berichten auch, dass ihnen sowohl von älteren Patient:innen als auch vom Krankenhauspersonal Mitleid entgegen gebracht wird, weil es sie in einem so jungen Alter „erwischt hat“, was als belastend wahrgenommen wird.

Oft fühlen sich junge Patient:innen auch von ihrem Umfeld/Freundeskreis entfremdet, da diese mit der Erkrankung nicht gut umgehen können. Gleichzeitig fehlt ihnen auch die Kraft/Energie, um an altersspezifischen Aktivitäten teilzunehmen, wie z.B. Ausgehen, Festivals, Sport, was ein Gefühl der Isolation hervorrufen kann.

  • Besprechen Sie mit Ihren Freund:innen, wo Sie gut mitmachen können, damit Sie wieder gemeinsame Erlebnisse haben, die Sie verbinden.
  • Sie werden schnell ein Gespür dafür bekommen, wer in Ihrem Umfeld gut mit Ihrer Situation umgehen kann, bei wem Sie sich verstanden fühlen. Suchen Sie vermehrt Kontakt zu diesen Menschen. Vielleicht gibt es eine Freundin, mit der Sie gut über Ihre Gefühle reden können, wieder ein anderer Freund ist vielleicht gut für Ablenkung und Themen abseits der Erkrankung. Überlegen Sie wer in Ihrem Umfeld welches Ihrer Bedürfnisse abdecken kann, und kontaktieren Sie diejenigen oder denjenigen bei Bedarf. Sprechen Sie offen über Ihre Gefühle und Bedürfnisse, geben Sie Ihrem Umfeld sozusagen eine „Gebrauchsanweisung“ für sich selbst. Das macht es allen leichter und kann Enttäuschungen vorbeugen.

Nach Abschluss der Therapien - Themen der jungen Erwachsenen

So Vieles hat sich für mich verändert – wie kann ich meine Zukunft gestalten?

Umgang mit körperlichen Veränderungen

Viele junge Patient:innen berichten nach Abschluss der Therapien „sich um Jahrzehnte gealtert“ zu fühlen, es fällt nach wie vor schwer mit Gleichaltrigen mithalten zu können.

Durch die Behandlungen haben sich auch das Aussehen und der Körper verändert, junge Patient:innen müssen sich in diesem „neuen Körper“ nun zurechtfinden. Ihr Körper muss nun alle Wunden heilen lassen und das braucht Zeit und Kraft. Machen Sie sich bewusst, was Sie seit der Diagnose alles geschafft haben, das lässt Sie ihre Fortschritte sichtbar und spürbar erleben. Genauere Informationen dazu erhalten Sie von Julia Englisch unter „Sexualität bei Krebs„.

Beziehung

Die Krebserkrankung verändert eine Beziehung meist. Auch wirken sich die Behandlungen auf die Sexualität aus, ein Bereich, der leider oftmals noch tabuisiert wird.

Singles fragen sich, wie sie mit Ihrer Erkrankung umgehen sollen: wie, wann und ob sie es einem potentiellen neuen Partner/einer potentiellen neuen Partnerin mitteilen sollen. Auch taucht die Angst auf wie sehr die Krebserkrankung die Partnersuche beeinflussen kann.

Familienplanung

Nach Abschluss der Therapien fragen sich Paare auch, wann sie mit der Familienplanung starten sollen. Ängste begleiten dieses Thema, z.B. ob eine Schwangerschaft das Rezidivrisiko erhöht, ob es sinnvoll ist nach einer so schweren Erkrankung ein Kind zu bekommen. Studien zeigen aber auch, dass sich Krebspatient:innen gerade aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Krebserkrankung gut für die Elternrolle gerüstet fühlen.

Rezidivangst oder Progredienzangst

Nach Abschluss der Therapien fragen sich viele Patient:innen: „Und was passiert jetzt?“. Die engmaschigen Kontakte mit den behandelnden Ärzt:innen fallen weg und man ist wieder mehr auf sich alleine gestellt. Oftmals haben Patient:innen noch mit Nebenwirkungen der Therapien kämpfen und gerade körperliche Beschwerden triggern Ängste. Nun geht es verstärkt darum einen guten Umgang mit den Ängsten zu erlernen und den Fokus wieder auf andere Dinge als Behandlungen und Nebenwirkungsmanagement zu lenken.

Stopp dem Angstkreislauf

Angstgedanken sind unangenehm und bedrohlich, am liebsten schiebt man sie ganz weit weg und verdrängt sie. Sind sie aber extrem hartnäckig und kommen immer wieder, dann ist es Zeit sich genauer damit auseinanderzusetzen.

  • Fragen Sie sich, was genau Ihnen denn jetzt Angst macht.
  • Versuchen Sie Ihre Angst in kleine Teile zu zerteilen, z.B. „Ich habe Angst vor der Erkrankung.“
    • Habe ich Angst vor einer (weiteren) Behandlung?
    • Habe ich Angst davor die Haare zu verlieren?
    • Habe ich Angst davor es (wieder) meiner Familie zu sagen?
    • Habe ich Angst zu sterben?
  • Wenn Sie sich mit Ihren Ängsten genauer auseinandersetzen, fallen Ihnen oft Dinge auf, die hilfreich sein können, z.B. könnten Sie sich Informationen über Behandlungsmöglichkeiten holen, Informationen über Begleitmedikationen um Nebenwirkungen zu erleichtern oder sich mit anderen Patient:innen austauschen. Je mehr man ins Tun kommt, desto leichter wird es mit seinen Ängsten umzugehen.
Erfahrungen einer Betroffenen

Viele meiner Ängste erwiesen sich im Nachhinein als unbegründet, denn…
… ich fühle mich nicht ‚alt‘, nur weil die Krebsdiagnose in meiner Krankengeschichte steht
… die Reha war ein sehr positives Erlebnis, weil ich neben den eigentlichen Reha-Anwendungen auch sehr von der Lebensfreude der anderen Reha-Patient:innen mitgerissen wurde – andere Krebspatient:innen erlebe ich meist als sehr offen, freundlich und geduldig und ich schätze deren besondere Ausstrahlung und Verständnis
… ich gewöhne mich langsam daran, mit dem ‚Damoklesschwert‘, d.h. mit dem Risiko einer neuerlichen Krebserkrankung, zu leben – trotzdem ist es schwer, da die Ungewissheit, wie lange bzw. ob die Gesundheit halten wird, Stress verursacht, sodass ich das Gefühl habe, mich mit meinem Leben ‚beeilen‘ zu müssen
… es gibt ein ‚ein Leben nach dem Krebs‘ – es ist zwar ein anderes Leben als vor der Krankheit, aber ‚anders‘ bedeutet nicht ’schlechter’“

Elke, 34
Betroffene von Brustkrebs

Rückkehr in den Job

Viele junge Patient:innen fragen sich nach Abschluss der Therapien, wann der richtige Zeitpunkt für die Rückkehr in den Job ist bzw. ob sie noch in den Job zurückkehren wollen. Zukunfts- und Existenzängste können zum Thema werden. Genauere Informationen dazu erhalten Sie von Karin Richter unter „Berufliche Situation bei Krebs“.

Erfahrungen einer Betroffenen

„Reden hilft. Such dir Vertraute, die dir zuhören – am besten, die selbst betroffen sind, die wissen genau wie es dir geht. In der Young Patients Gruppe ist man zugleich Zuhörer und Ratgeber. Wir denken oft das gleiche, trauen es uns aber nicht auszusprechen. Jeder geht mit Problemen anders um, aber eins habe ich gelernt – man ist nicht allein. In dieser Gruppe ziehen alle am selben Strang und haben das gleiche Ziel – der Krebs bestimmt nicht unser Leben. Die Young Patients Gruppe der Krebshilfe Wien hat mich aufgefangen, Fremde werden Freunde. In dieser Gruppe bist du gut aufgehoben.

Termine im Vorhinein ausmachen, damit man nicht dauernd daran denken muss.

Man lernt viel über einen selbst. Angst zu haben ist okay und normal, aber ganz wichtig ist, den Krebs nicht über sein Leben bestimmen zu lassen.“

Birgit, 35
Betroffene von Brustkrebs

Geprüft Mag.a Katharina Gruber: Stand Februar 2023 | Quellen und Bildnachweis
Die Kurse sind kein Ersatz für das persönliche Gespräch mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt, sondern ein Beitrag dazu, PatientInnen und Angehörige zu stärken und die Arzt-Patienten-Kommunikation zu erleichtern.