Viele KrebspatientInnen kennen polyneuropathische Beschwerden. Eine Krebserkrankung kann mit einer Polyneuropathie einhergehen, darüber hinaus ziehen manche Krebsmedikamente polyneuropathische Nebenwirkungen nach sich. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Mechanismen, die ein und dieselbe Krankheitserscheinung bedingen können.
Diese Lektion unseres Online-Kurses beleuchtet die Polyneuropathie im Rahmen einer Krebserkrankung und gibt Ihnen erste Anhaltspunkte, wie Sie gegensteuern können.
OA Dr. med. Adalbert Weißmann, Oberarzt an der 1. Medizinischen Abteilung am Wilhelminenspital, beantwortet im Video "Polyneuropathie bei Krebs" folgende Fragen:
Klicken Sie auf eine Frage, um direkt zum entsprechenden Videoabschnitt zu springen!- Was ist eine Chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie (CIPN)?
- Wie kommt es bei KrebspatientInnen zur Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie (CIPN)?
- Sind alle KrebspatientInnen von einer Chemotherapie-induzierten peripheren Polyneuropathie (CIPN) betroffen?
- Ist das Risiko bei bestimmten Krebsarten höher?
- Welche Wirkstoffe verursachen am häufigsten neuropathische Probleme?
- Welche Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit eine Polyneuropathie zu entwickeln?
- Was beeinflusst das Ausmaß von Nervenschäden?
- Können KrebspatientInnen auch ohne Chemotherapie eine Polyneuropathie bekommen?
- Ist die Chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie gefährlich?
- Wie lange dauern die Beschwerden?
- Auf den Punkt gebracht
Video Transkript
Was ist eine Chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie (CIPN)?
Eine Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie ist eine Erkrankung, die nach der Applikation von Chemotherapien, aber auch Immuntherapien auftreten kann. Sie führt im Laufe der Behandlung zu zunehmenden Beschwerden. Sie kann sich im Sinne von Empfindungsstörungen, aber auch Schmerzen und motorischen Störungen äußern.
Wie kommt es bei KrebspatientInnen zur Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie (CIPN)?
Die chemotherapeutischen Substanzen haben verschiedene Wirkungsweisen. Dementsprechend sind auch die Schädigungs-Mechanismen der Nerven durch diese Substanzen an unterschiedliche Mechanismen gebunden. Es können verschiedene Teile des Nervs betroffen sein –
- sowohl die Nervenzelle selbst, das Axon,
- der Nervenstrang,
- aber auch die Nervenscheide.
Unterschiedliche Substanzen haben unterschiedliche Angriffsmechanismen und auch dementsprechend unterschiedliche Möglichkeiten der Rückbildung.
Sind alle KrebspatientInnen von einer Chemotherapie-induzierten peripheren Polyneuropathie (CIPN) betroffen?
Nein. Es kommt sehr darauf an, welche Medikamente verwendet werden. Und nachdem jede Krebserkrankung ein individuelles Behandlungskonzept braucht, sind auch Chemotherapien, die nicht neurotoxisch, d.h. nicht nervenschädigend sind, möglich. Aber bei manchen Erkrankungen lassen sie sich einfach nicht umgehen.
Ist das Risiko bei bestimmten Krebsarten höher?
Ja. Es gibt Krebserkrankungen, die an sich schon eine Schädigung der Nervenzellen mit sich bringen, zum Beispiel Erkrankungen mit Paraproteinämie wie zum Beispiel MGUS, Multiples Myelom oder auch POEMS Syndrom und Morbus Waldenström.
Welche Wirkstoffe verursachen am häufigsten neuropathische Probleme?
Am häufigsten verursachen Platine Neuropathien, gefolgt vom Taxanen und immunmodulierenden Substanzen.
Welche Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit eine Polyneuropathie zu entwickeln?
Es gibt Risikofaktoren, die abgesehen von der Therapie auch die Möglichkeit oder die Gefahr einer Polyneuropathie erhöhen. Das sind
- zum einen das Alter der Patienten,
- die Komorbiditäten (weitere Grunderkrankungen),
- und der Allgemeinzustand des Patienten,
- Komorbiditäten im Sinne von Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Diabetes oder Nierenfunktionsstörungen oder Alkohol-Abusus.
Zusätzlich gibt es natürlich Risikofaktoren durch andere Medikamente, die mit den chemotherapeutischen interagieren und zusätzlichen Schaden anrichten können.
Was beeinflusst das Ausmaß von Nervenschäden?
Das Ausmaß der Nervenschädigung durch die Chemotherapie wird zum einen durch das Präparat bedingt, zum anderen auch durch die Menge des Präparates, die verabreicht wird. Diese kann durch eine kumulative Gesamtdosis durchaus definiert werden. Allerdings spielen auch andere Faktoren eine Rolle
- wie zum Beispiel die Geschwindigkeit der Applikation, im Rahmen einer Infusion zum Beispiel,
- oder auch der Weg der Applikation, zum Beispiel ob man Substanzen IV (intravenös) verabreichen kann oder subkutan (unter die Haut).
Können KrebspatientInnen auch ohne Chemotherapie eine Polyneuropathie bekommen?
Ja. Es besteht natürlich auch im Rahmen einer Grunderkrankung, wenn diese zum Beispiel nicht behandelt oder behandelbar ist, die Möglichkeit, eine Neuropathie davonzutragen. Das kann geschehen, wie vorher schon erwähnt, im Rahmen von paraproteinämischen Erkrankungen oder auch als Paraneoplastisches Syndrom, zum Beispiel bei Lungenkrebs.
Ist die Chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie gefährlich?
Nein. Die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie ist an sich nicht gefährlich. Sie kann jedoch zu gefährdenden Symptomen oder Situationen für den Patienten führen. Es ist durchaus nicht selten, dass zum Beispiel Balance und Gleichgewicht gestört sind. Dadurch wird die Sturzneigung für die Patienten dramatisch erhöht.
Wie lange dauern die Beschwerden?
Die Dauer dieser Beschwerden ist durchaus abhängig von der Art der Substanz, die verabreicht wird.
- Platinhältige Substanzen der ersten Generation zum Beispiel verursachen Neuropathien, die praktisch nicht reversibel sind, das heißt andauern.
- Die Weiterentwicklung dieser Substanzen, zum Beispiel Oxaliplatin, verursachen durchaus reversible Neuropathien, die sich zu einem gewissen Maß nach einigen Monaten bessern können.
- Auch gibt es die Akutreaktionen bereits während der Infusion von Oxaliplatin, die aber mit Sicherheit nach spätestens einem Tag wieder zurückgebildet sind.
- Andere Substanzen wie immunmodulierende Medikamente, die zum Beispiel bei der Therapie des multiplen Myeloms verwendet werden, ziehen zum Teil langanhaltende und kaum reversible Neuropathien nach sich.
- Wieder andere Substanzen wie Protease-Inhibitoren haben eine wesentlich geringere, aber doch relevante Potenz, Neuropathien zu entwickeln, die lange andauern.
Auf den Punkt gebracht
- Eine Krebstherapie muss nicht zwingend eine Neuropathie nach sich ziehen.
- Ob eine Neuropathie entsteht, ist vor allem vom Medikament und der Art der Verabreichung abhängig.
Polyneuropathie durch die Krebserkrankung selbst
Im Falle mancher Krebserkrankungen kommt es zu einer Vermehrung bestimmter Eiweißstoffe im Blut, zur sogenannten Paraproteinämie. Die Eiweiße können sich in und um die Nerven ablagern und so zu einer Nervenschädigung führen.
Außerdem wird das Blut durch eine Paraproteinämie dickflüssiger und es kommt zur Ablagerung von Proteinen in den kleinsten Gefäßen. Die Folgen sind Durchblutungsstörungen, die eine weitere Schädigung der Nerven bewirken.
Eine Polyneuropathie durch Paraproteinämie kommt bei einer Reihe von lymphatischen Tumorerkrankungen vor. Hierzu zählen das Multiple Myelom, MGUS (Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz), der Morbus Waldenström (lymphoplasmozytisches Lymphom) oder auch das POEMS-Syndrom. Daneben kann eine Polyneuropathie auch bei der Blutkrankheit Polycythaemia vera und als Begleiterscheinung bei Lungenkarzinom auftreten.
Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN)
Der Einsatz chemotherapeutischer Medikamente ist in vielen Fällen von Krebserkrankungen unausweichlich. Sie haben nicht nur auf Krebszellen schädigenden Einfluss, sondern auch auf gesunde Körperzellen, vor allem auf jene mit hoher Zellteilungsrate. Nach der Schädigung von Knochenmark und Niere steht die Neurotoxizität, also die Nervenschädigung, an dritter Stelle der häufigsten Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Bei dieser direkten toxischen Schädigung von Nerven durch ein verabreichtes Medikament spricht man von Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie (CIPN). Von einer solchen betroffen sind 35 % bis 50 % aller onkologischen PatientInnen.
Die nervenschädigenden Wirkungen chemotherapeutischer Medikamente sind in Art und Ausmaß sehr unterschiedlich. Sie können stärker oder schwächer sein, mehr sensible oder mehr motorische Nerven betreffen. Häufiger sind jedoch sensible Nerven betroffen. Grundsätzlich können alle Abschnitte und Strukturen eines Nervs vom Zellkörper bis zur Nervenendigung in Mitleidenschaft gezogen sein.
Ältere Chemotherapeutika sind meist schädlicher und können lang anhaltende, kaum rückgängig zu machende Polyneuropathien nach sich ziehen. Dasselbe gilt für Krebsmedikamente, die ins Immunsystem eingreifen. Bei KrebspatientInnen, die mit jüngeren, moderneren Chemotherapeutika behandelt werden, sind Polyneuropathien seltener und verlaufen zumeist weniger schwer. Sollte eine Polyneuropathie schon während der Verabreichung auftreten, so bildet sie sich oft innerhalb eines Tages zurück.
Ein erhöhtes Risiko für eine Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie besteht bei Kombinationstherapien verschiedener Chemotherapeutika und bei vorbestehenden Risikofaktoren (wie z. B. Diabetes, Alkoholkrankheit oder Nierenfunktionsstörung).
Faktoren, die eine Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie beeinflussen
Neben dem Wirkstoff haben vier Faktoren entscheidenden Einfluss auf das Ausmaß einer Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie:
Dosisintensität
Das ist die Einzeldosis pro Zeiteinheit
Gesamtdosis
Die Kumulative Gesamtdosis ist die summierte Dosis aller Behandlungen
Verabreichungsart
Subcutan (unter die Haut) ist schonender als intravenös (in die Vene)
Geschwindigkeit
Eine langsame Verabreichungs-Geschwindigkeit ist schonender
Wussten Sie schon
Eine Chemotherapie muss nicht zwingend eine Polyneuropathie nach sich ziehen.
Sollten Ihnen jedoch polyneuropathische Symptome auffallen, dann sprechen Sie unbedingt sofort mit Ihrem Behandlungsteam darüber.
Geprüft OA Dr. Adalbert Weißmann: Stand Juli 2018