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Brustkrebsfrüherkennung: Wie blinde Frauen Veränderungen der Brust ertasten

Brustkrebsfrüherkennung - Blinde Frauen tasten die Brust ab

Blinde und stark sehbehinderte Menschen haben nachweislich einen besser trainierten und dadurch stärker ausgeprägten Tastsinn. „Discovering Hands“ nutzt dieses Tastgefühl zur Verbesserung der Brustkrebsfrüherkennung. Gleichzeitig bietet das Sozialprojekt interessante Berufschancen für blinde und sehbehinderte Frauen.

Ergänzung der Brustkrebsfrüherkennung

Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Je früher der Krebs erkannt wird, desto besser sind die Behandlungsmöglichkeiten und Überlebenschancen.

Der Gynäkologe Dr. med. Frank Hoffmann, Gründer von Discovering Hands, war jedoch schon seit längerer Zeit unzufrieden mit den vorhandenen Möglichkeiten der Brustkrebsfrüherkennung. Die genaueste Methode, das Mammographie-Screening, wird in Deutschland erst für Frauen über 50 Jahren und in Österreich ab 40 Jahren angeboten. Bis zum Alter von 50 bzw. 40 steht nur die Tastuntersuchung zur Verfügung. Für diese gab es bisher jedoch keine standardisierten Abläufe.

Schließlich kam Dr. Hoffmann die Idee: Warum sollte man für Tastuntersuchungen nicht Menschen mit Sehbehinderungen einsetzen, die bekanntermaßen einen besonders sensiblen Tastsinn haben?

„Discovering Hands“ zur Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland und Österreich

Aus dieser Idee entstand 2011 Discovering Hands. Heute arbeiten in Deutschland bereits 28 blinde Frauen als medizinische Tastuntersucherinnen für die Brustkrebsfrüherkennung in Praxen und Kliniken.

Der Start in Österreich hat sich zunächst allerdings schwieriger gestaltet. „In Deutschland darf ein Arzt diese diagnostische Maßnahme automatisch an andere delegieren. In Österreich muss dafür das Berufsbild der medizinischen Tastuntersucherin zuerst offiziell anerkannt werden“, berichtet Dr. Marisa Mühlböck, Geschäftsführerin von Discovering Hands in Österreich. Aktuell läuft in Österreich in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium eine Studie, die die Grundlage für die Etablierung des Berufsbilds in Österreich liefern soll.

Neues Berufsbild „medizinische Tastuntersucherin“

„Die Ausbildung einer blinden oder sehbehinderten Frau zur medizinischen Tastuntersucherin dauert insgesamt rund ein Jahr“, erklärt Frau Dr. Mühlböck. „In einem theoretischen Teil wird umfassendes Wissen zum Aufbau, zu den Funktionen und zu den gut- und bösartigen Erkrankungen der weiblichen Brust vermittelt.“

Auch das Abtasten wird erlernt. Wie ein Koordinatensystem ermöglichen aufgeklebte Orientierungsstreifen das systematische Abtasten aller Brustregionen und eine genaue Angabe der Lage von ertasteten Knoten. „Die Technik der Fingerbewegung wird in der Ausbildung auch der Tastwalzer genannt“, beschreibt Dr. Mühlböck. „Zeile für Zeile, Zentimeter für Zentimeter wird jede Stelle der Brust je dreimal kreisförmig mit unterschiedlichem Druck durchgetastet. Dadurch ergibt sich für die Tastuntersucherin ein dreidimensionales Bild unterschiedlicher Gewebeschichten“. Ertastet die Tastuntersucherin dabei Verhärtungen in der Brust, hält sie deren Lage, Form, Größe und weitere Informationen in einem speziellen Computerprogramm fest. Die Ärztin bzw. der Arzt macht anschließend gegebenenfalls weitere Untersuchungen und stellt die Diagnose. Die meisten Veränderungen der Brust sind gutartig, es kann sich in manchen Fällen jedoch auch Brustkrebs dahinter verbergen.

Nach dem theoretischen Teil und einer bestandenen Prüfung nehmen die medizinischen Tastuntersucherinnen an mehreren Praktika Teil, bevor sie ihr Zertifikat bekommen. Erstmalig gibt es damit für die Tastuntersuchung der Brust eine genaue, standardisierte, qualitätsgesicherte Methode.

Alle Seiten profitieren – bald auch in Österreich

Discovering Hands ist ein Sozialprojekt, von dem alle Seiten profitieren. Alle Frauen haben Zugang zu einer verbesserten Vorsorge, durch die Brustkrebs früher erkannt werden kann – häufig schon, bevor andere Anzeichen auf den Krebs hindeuten oder sich Metastasen bilden können. Für blinde Frauen wird die Sehbehinderung zur Begabung, die ihnen völlig neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ein neues Selbstbewusstsein eröffnet. Auch das Sozialsystem profitiert, wenn Brustkrebs früher erkannt und besser behandelt werden kann.

Frauen, die in Wien oder Umgebung leben, können den Start von Discovering Hands in Österreich unterstützen, wenn sie ihre Brust im Rahmen der laufenden Studie untersuchen lassen. „Jede Frau, die mitmacht, ist für uns wertvoll“, so Dr. Mühlböck. Ihr Vorteil: Sie erhalten kostenlos eine umfangreiche Früherkennungsdiagnostik inklusive einer Tastuntersuchung von einer blinden Tastuntersucherin. Gleichzeitig unterstützen Sie die Integration blinder und sehbehinderter Frauen in den Arbeitsmarkt. Eine Teilnahme an der Studie ist noch mindestens bis Ende 2018 möglich.

Weitere Informationen zur Studie finden Sie unter studie.discovering-hands.at/

Dr-Marisa-Mühlböck-Discovering-Hands Dr. Marisa Mühlböck

Geschäftsführerin von Discovering Hands Österreich

Das Interview wurde geführt von: selpers | Dr. Silvia Nold

Bildnachweis: Discovering Hands | beigestellte Fotos