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Patientenadhärenz: Patienten müssen den Benefit sehen [Interview]

Patientenadhärenz bei KrebsDr. Adalbert Weißmann, Oberarzt an der hämatologisch-onkologischen Ambulanz des Wiener Wilhelminenspitals im Lebenswege-Interview über Patientenadhärenz, Therapietreue und -erfolg, PatientInnengespräche und warum es wichtig ist, der Umwelt von der Krebsdiagnose zu erzählen.

Interview mit Oberarzt Dr. Weißmann über Patientenadhärenz bei Krebs

selpers: Herr Dr. Weißmann, Ihnen ist in Ihrer täglichen Praxis die Patientencompliance ein großes Anliegen. Warum?

Weißmann: Wir verwenden den Begriff Compliance nicht mehr, sondern sprechen lieber von Adhärenz. Sie ist wichtig, um den Therapieerfolg zu gewährleisten und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu stützen. Daneben gibt es noch ökonomische Gründe – Medikamente kosten Geld.

selpers: Wie wirkt sich diese Patientenadhärenz in der Praxis aus?

Weißmann: Wir beobachten teilweise eine große Kluft zwischen der Medikation, die verordnet wird, dann tatsächlich aus der Apotheke abgeholt wird, und den Medikamenten, die zuhause genommen werden. Sogar bei PatientInnen, die im Rahmen einer klinischen Studie betreut werden, führen die Therapie „nur“ 91 % planmäßig durch, wobei der Wert im realen Leben sogar nur bei 76 % liegt.

selpers: Wie kann das Bewusstsein für eine aktive Therapiemitarbeit geschärft werden, um unnötige Kosten zu vermeiden und vor allem den Therapieerfolg zu gewährleisten?

Weißmann: Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht nur darum geht, ein höheres Bewusstsein zu schaffen, sondern auch die Voraussetzungen zu schaffen, damit PatientInnen adhärent sein können. Patientenadhärenz wird durch viele Seiten ermöglicht oder eben nicht.

selpers: Geben Sie unseren Leserinnen und Lesern ein Beispiel?

Weißmann: Ja – so könnten etwa in Gesundheitsinstitutionen Verbesserungen erzielt werden, indem man zum Beispiel die Visiten oder Ambulanzbesuche nach Möglichkeit stressfrei hält und Gespräche in angenehmer Atmosphäre ablaufen. Zudem muss darauf geachtet werden, ob die PatientInnen die Inhalte glauben und verstehen. Letztlich muss auch das Umfeld des Patienten bei der Therapieplanung beachtet und sichergestellt werden, dass dieser davon ausgeht, von der Therapie einen sofortigen Benefit zu haben.

selpers: Und wenn er von den Maßnahmen nicht überzeugt ist?

Weißmann: Je weniger er daran glaubt oder je weniger man ihm den Nutzen klar machen kann, desto geringer ist der Wunsch, eine Therapie konsequent durchzuziehen. Der Patient muss daher mit ausreichend Informationsmaterial versorgt werden. Die Informationen müssen einfach und verständlich gestaltet sein. Zudem müssen Arztgespräche emphatisch geführt werden.

selpers: Gibt es weitere Faktoren für die Patientenadhärenz?

Weißmann: Ja – je komplizierter eine Therapie ist, desto schwieriger wird es, adhärent zu sein. Daher sollten die Dosierungen und Einnahmepläne möglichst übersichtlich, einfach und konstant sein. Man sollte den Patienten rechtzeitig informieren, welche Nebenwirkungen auftreten können und wie er damit umgehen kann. Wichtig ist es auch, ein erreichbares Ziel zu setzen. Grundsätzlich sollte man mit dem Patienten offen sprechen, ihm auf Augenhöhe begegnen und ihn in Entscheidungen einbinden. Natürlich ist die Unterstützung durch Familie und Freunde ein wesentliches Element.

selpers: Haben Sie konkrete Tipps?

Weißmann: Wir bieten bei Gesprächen an, dass Patienten eine Vertrauensperson mitnehmen. Der Vorteil ist, dass vier Ohren mehr als zwei hören, und es können auch andere Fragen gestellt werden, die zur Klärung beitragen. Die Patienten sind dann auch nicht alleine. Es ist auf jeden Fall wichtig, der Umgebung von der Diagnose zu erzählen. Oft isoliert man sich nämlich, was die Situation doppelt schwierig macht.

selpers: Welche Bedeutung haben Kontrollen für Sie?

Weißmann: Sie sind wichtig, um die Adhärenz zu überprüfen und gleichzeitig Hilfestellungen zu geben, um diese gegebenenfalls zu verbessern, beispielsweise durch technische Hilfsmittel oder indem man verschiedene Schachtelsysteme für Medikamente empfiehlt.

selpers: Was ist Ihnen abschließend noch ein wichtiger Punkt?

Weißmann: Selbstkontrolle – wir dürfen dem Patienten niemals die Verantwortung entziehen und sein Selbstwertgefühl dadurch schmälern.

Wir danken für das Gespräch.

Dr. Adalbert Weißmann

Dr. Weißmann leitet seit 2000 die hämatologischonkologische Ambulanz am Wiener Wilhelminenspital (1. Medizinische Abteilung. Zentrum für Onkologie u. Hämatologie, Pav. 23).

Interview wurde geführt von:  Birgit Samer.

Bildnachweis: dolgachov | Bigstock