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Selbsthilfe Darmkrebs: Darmkrebs geht uns alle an.

Mit der Diagnose Darmkrebs ist man nicht alleine: in Österreich ist sie eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Männern und Frauen. Als ihr Ehemann daran erkrankt gründen er und Helga Thurnher gemeinsam eine Selbsthilfegruppe. Im Interview erzählt Helga Thurnher über ihre eigenen Erfahrungen und warum Selbsthilfegruppen einen fixen Platz im Gesundheitssystem Österreichs bekommen sollten.

selpers: Sie sind nun schon seit 17 Jahren in der „Selbsthilfe Darmkrebs“ aktiv. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Helga Thurnher: Als im Herbst 2004 mein Mann an Darmkrebs erkrankte, kam gerade eine neue vielversprechende Antikörpertherapie auf den Markt. Weder das Spital noch die Krankenkasse waren aber gewillt, für die Kosten aufzukommen. Aus dieser Not beschlossen wir gemeinsam mit dem behandelnden Onkologen, Prof. Dr. Heinz Ludwig, die Selbsthilfegruppe zu gründen. Und tatsächlich konnten wir in gemeinschaftlicher Arbeit erreichen, dass das Medikament österreichweit finanziert wurde.

Die „Selbsthilfe Darmkrebs“ hat in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Veranstaltungen, Vorträgen und gezielter Information wesentlich dazu beigetragen, dass die Krankheit „Darmkrebs“ gesellschaftsfähig wurde. Dadurch, dass kontinuierlich auf die rechtzeitige Vorsorgekoloskopie aufmerksam gemacht wurde, konnte bei einer Vielzahl an Menschen eine Erkrankung verhindert werden.

Somit können wir auf 17 sehr erfolgreiche Jahre zurückblicken, in denen wir Menschen vor Darmkrebs bewahrt bzw. Patienten und ihre Angehörigen auf dem Weg durch die Erkrankung begleitet haben – selbst das Gesundheitswesen greift inzwischen auf die Erfahrungen der „Selbsthilfe Darmkrebs“ zurück.

selpers: Können Sie sich an eine besondere Geschichte, die Sie mit der Patientengruppe erlebt haben, erinnern?  

Helga Thurnher: Das schönste Erlebnis ist es immer, wenn einem Menschen erzählen, dass sie durch unsere Informationen oder Veranstaltungen zu einer Koloskopie gingen und dadurch eine Darmkrebserkrankung verhindert werden konnte.

selpers: Welche Ratschläge können Sie Angehörigen geben, um die PatientInnen bestmöglich zu begleiten?  

Helga Thurnher: In meinen Augen ist es das Wichtigste als Angehöriger den Patienten – wo es nur geht – zu unterstützen und ihm immer Hoffnung auf Besserung oder Genesung zu geben. Auch die Möglichkeit zu geben über Sorgen, Ängste und Beschwerden zu reden. Einfach „zuhören“!

selpers: Wie können PatientInnen und Angehörige sich auf das Arztgespräch vorbereiten, sodass es einen möglichst großen Nutzen bringt?  

Helga Thurnher: Zu einem Arztgespräch sollte der Patient nie allein gehen (vier Ohren hören mehr als zwei!) und sich Notizen machen, welche Anliegen und Fragen er hat. In einer Extremsituation vergisst man sehr oft, welche Fragen oder Sorgen einen belasten. Sich über die Erkrankung oder Therapie im Vorfeld zu informieren, trägt sicher zu einem guten Gespräch bei.

selpers: Wie sehen Sie die Situation von PatientInnen und Angehörigen durch die Corona-Impfung?

Helga Thurnher: Viele Patienten sind nun verunsichert, ob und wann sie sich impfen lassen sollen oder dürfen. Patienten-bezogene Informationen sind nicht immer leicht zu erhalten und die Angst vor einer „Covid-Erkrankung“ groß.

selpers: Die „Selbsthilfe Darmkrebs“ ist seit 2019 Partnerin des Gesundheitsparks Wien Barmherzige Schwestern, der vielfältige Angebote rund um Erkrankungen des Verdauungstraktes bietet. Welche Rolle hat hier der Verein?  

Helga Thurnher: Durch die Partnerschaft der „Selbsthilfe Darmkrebs“ mit dem „Gesundheitspark des Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien“ ist es uns möglich, gute Unterstützungs-Angebote und hilfreiche Kontakte an die Patienten weiterzugeben. In den Räumlichkeiten des „Gesundheitspark“ können wir auch Treffen außerhalb des Krankenhauses in angenehmer Umgebung organisieren (sobald diese wieder möglich sind!).

selpers: Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was sollte sich in den nächsten Jahren maßgeblich verändert haben?

Helga Thurnher: Der Wunsch an die Zukunft wäre, dass die „Selbsthilfe“ im Gesundheitswesen mehr Stellenwert hätte und daher Selbsthilfegruppen verstärkt in Gesundheitsgremien eingebunden würden. Bei vielen Entscheidungen, die Patienten betreffen, ist kein Patient oder Patientenvertreter dabei. Die „Expertise“ der Patienten wäre sehr oft wichtig und hilfreich.

Der Stellenwert der Selbsthilfe sollte auch in den Spitälern oder bei Ärzten mehr anerkannt und den Patienten als Unterstützung aktiv angeboten werden. Um die Arbeit in der Selbsthilfe zu erleichtern, wäre es dringend nötig, endlich eine „Basisfinanzierung“ – wie in anderen Ländern selbstverständlich – zu ermöglichen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Helga Thurnher
Helga Thurnher ist Präsidentin der Initiative „Selbsthilfe Darmkrebs“ und hat durch gezielte Aufklärungsarbeit erreicht, dass Darmkrebs in Österreich kein Tabuthema ist und mehr ÖsterreicherInnen zur Vorsorge-Koloskopie gehen.

Hier finden Sie die Website der Selbsthilfe Darmkrebs

Interview wurde geführt von: selpers red.

Bildnachweis: Helga Thurnher