Jennifer Buschtöns bloggt seit 2 Jahren als „2 Seiten des Regenbogens“ auf Instagram, um über psychische Krankheiten aufzuklären und diese zu entstigmatisieren. Im Gastbeitrag mit selpers schreibt sie darüber, warum es so wichtig ist, dass man niemals aufgibt- selbst wenn man sich im Moment als der größte Versager fühlt.
Kennst du das Gefühl des Versagens? Was für eine Frage- natürlich kennst du es. Jeder kennt es, denn zu versagen ist menschlich. Es ist wichtig, dass wir uns das immer wieder ins Gedächtnis rufen, denn andernfalls beginnen wir damit andere zu glorifizieren und uns selbst abzuwerten. Und je öfter wir das tun, umso mehr bestätigt sich, dass wir eigentlich gar nichts auf die Reihe kriegen und es niemanden gibt, der genau so ein Versager ist, wie wir selbst.
In meiner Jugend habe ich sehr viele schlimme erlebt, die sich daran gipfelten, dass meine beste Freundin ermordet wurde, als ich 17 war. Dieses Ereignis mündete darin, dass ich aufgeben wollte. Nach all den Jahren des Dramas hatte ich keine Kraft mehr. Ich wollte das alles nicht mehr spüren, ich wollte nur noch absolute Ruhe und Frieden. Zum Glück habe ich es überlebt!
Damals wusste ich mir keinen anderen Rat. Als mein Suizid scheiterte, entschied ich mich dafür, wegzulaufen. Einfach ganz weit weg. Aber egal wo ich war, die Gedanken holten mich immer wieder ein. Ich arbeitete immer mehr um die Stimme in meinem Kopf zu übertönen. Aber sie wurde immer lauter und lauter… auch hier gab ich nicht auf, und je lauter sie wurde, umso mehr strengte ich mich an, sie zu übertönen. Natürlich war das die falsche Methode, „nicht aufzugeben“.
Als ich endlich begriff, dass ich Hilfe brauchte, war ich mittlerweile schon über 30. Wahnsinn, wie lange ich das alles mit mir ausmachte- und trotz der vielen Zweifel nie aufgab. Ich hatte in mir immer die Hoffnung, dass irgendwann alles besser werden würde. Dieses Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. Es muss doch was geben, wofür es sich zu leben lohnt. Und es darf einfach nicht sein, dass ich mein Dasein auf dieser Welt so friste.
Also habe ich die wohl schwerste Entscheidung meines Lebens getroffen und begab mich in Therapie. Seit über zwei Jahren bin ich jetzt in permanenter Behandlung. Mir war klar, dass Aufgeben keine Option darstellen würde. Ich kann den Honigtopf auf der anderen Seite des Regenbogens nur erreichen, wenn ich ihn komplett überquere. Und das bedeutet auch, nicht kehrt zu machen, wenn dunkle Gewitter aufziehen. Und es kamen viele davon- und mehr als einmal, wurde ich vom Blitz getroffen. Panikattacken, Angstzustände, selbstverletzendes Verhalten, Essanfälle waren die Regel- und nicht die Ausnahme. Ich durfte lernen, sie zu akzeptieren, und mich nicht dafür zu verurteilen, dass ich diese Momente hatte. Meine Ärzte und Psychologen haben mir immer wieder gesagt, dass es in mir arbeitet und seine Zeit brauche- und wenn ich mir den Kopf wund kratze, die Wangen aufbeiße oder mich vollstopfe bis ich fast platze, dann ist das zwar nicht gut, aber in dem Augenblick ok. Erst wenn man anfängt, Dinge zu akzeptieren und sich wohlwollend zu betrachten, ist man in der Lage etwas zu ändern. Lange Zeit hielt ich das für blödes Geschwätz, mit dem man mich bei der Stange halten wollte. Aber egal wie sinnlos ich manche Übungen fand, ich zog sie durch; jede einzelne. Nur weil ich mich nicht so fühlte, bedeutete es nicht, dass ich wusste was richtig für mich war. In der Depression fühlt sich nämlich alles falsch an außer das eigene Bett. Also gab ich nicht auf. Ich dachte mir: Was solls, du hast nichts mehr zu verlieren. Du bist ganz unten angekommen. Und wenn es nur noch eine Richtung gibt, in die man gehen kann, dann wird es einfacher.
Heute, 2 Jahre später, beginne ich eine ambulante Psychotherapie. Ich bin so stabil, dass ich langsam wieder drüber nachdenke, arbeiten zu gehen. Ich habe wieder Pläne für mein Leben- und zum ersten Mal, seit ich denken kann, fühle ich mich frei. All die Dämonen aus meinem Kopf haben sich verabschiedet und ich kann mein Leben endlich genießen. Ja, ich nehme Medikamente- und ja, mir fehlt noch oft der Antrieb. Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. In nächster Zeit konzentriere ich mich nun mehr auf meine körperliche Gesundheit. In den letzten Jahren habe ich 60 kg zugenommen- und das will jetzt wieder weg, da Bluthochdruck und Nierenprobleme mittlerweile stark anklopfen. Auch hier sage ich mir: Jenny, step by step. Wir können alles schaffen, wenn wir nur wollen und an uns glauben.
Die Hoffnung ist das, was uns am Leben erhält. Und so lange du noch lebst und diesen Artikel liest, hast du Hoffnung. Nimm sie an die Hand, kette sie an dich- und dann leg los! Ich glaub an dich!