7. Gute Entscheidungen treffen bei Blutkrebs – alle Fragen

Nach der Diagnose Blutkrebs müssen wesentliche Entscheidungen getroffen werden. In dieser Schulung begleiten wir Sie auf dem Weg Ihrer Entscheidungsfindung und zeigen auf welche medizinischen und persönlichen Aspekte in Ihre Therapieentscheidung bei Blutkrebs mit einfließen können.

Welche Entscheidungen gibt es bei Blutkrebs?

Welche medizinischen Entscheidungen können nach der Diagnose anstehen?

Nach der Diagnose einer Blutkrebserkrankung können ganz wesentliche Entscheidungen anstehen. Die Frage ist zunächst einmal, ob eine Therapie überhaupt sofort von Nöten ist. Es gibt mehrere Situationen, in denen man eine Blutkrebserkrankung feststellt und weiß, dass man mit einer sofortigen Behandlung noch gar nicht beginnen muss und sogar noch warten muss oder kann. Das kann auch einmal unangenehm sein, wenn man eine Erkrankung mit sich schleppt und die Unsicherheit besteht, wann es zum Ausbruch kommt. Es kann aber auch in die ganz andere Richtung gehen – das sehr rasch und noch vielleicht am selben Tag eine stationäre Aufnahme, z.B. im Falle einer akuten Leukämie, notwendig ist und sofort mit einer Therapie begonnen werden muss. Es kann natürlich auch passieren, wenn eine Blutkrebserkrankung einen sehr alten, erkrankten Menschen betrifft, dass eine Entscheidung getroffen werden muss, ob eine Therapie überhaupt noch Sinn macht oder man damit dem Patienten mehr schadet, als man ihm hilft. Eine weitere ganz wichtige Entscheidung im weiteren Verlauf kann sein, dass bei der Blutkrebserkrankung womöglich eine Stammzelltransplantation notwendig wird. Das stellt einen großen Einschnitt dar, gerade wenn es eine Fremdstammzelltransplantation ist – da können große und lebensverändernde Entscheidungen anstehen, die man dann in einem guten Gespräch klären muss und die Entscheidung dort hinführen muss.

Wie wählt meine Ärztin/mein Arzt die passende Therapie aus?

Im Laufe der Jahre hat sich sehr viel geändert, es wurde viel dazugelernt. Während es früher bei der Auswahl der Therapie oft der Fall war, dass ein einzelner eine Entscheidung getroffen hat und das mit einer alleinigen Meinung ist es heutzutage so, dass wir unsere Entscheidungen aus sehr großen Datenmengen und Erfahrungen aus den Berichten klinischer Studien zusammensetzen. Es gibt klar abgefasste Leitlinien, von denen wir diese Empfehlungen bekommen. Es gibt natürlich auch sehr seltene Erkrankungen, die den Patienten widerfahren können, von denen es nur wenige Erfahrungsmomente gibt. Aber auch in einer solchen Situation können Sie sich darauf verlassen, dass wir international stark verbunden sind. Es gibt in jeder größeren onkologischen hämatologischen Klinik Tumorkonferenzen – das Ziel soll dabei sein, dass eine Therapieentscheidung nicht von einer Einzelperson getroffen wird; nach diesem Ziel wird sich auch gerichtet. Meistens sitzt man sich einmal in der Woche oder alle zwei Wochen mit allen verschiedenen Fachdisziplinen an einen Tisch. Es ist mittlerweile auch gar nicht möglich, aus einer einzelnen Tumorprobe alle Veränderungen zu überblicken – da braucht es einen geschulten Pathologen oder das geschulte Auge des Röntgenarztes. Der Röntgenarzt zeigt uns, wo der Tumor sitzt und kann die Lage richtig einschätzen. Wir sitzen uns somit mit vielen Experten zusammen und treffen gemeinsam eine Entscheidung. Um die optimale Therapie auszuwählen, machen wir uns die Entscheidung nicht leicht – dafür haben wir einen großen, internationalen Erfahrungsschatz bzw. Datensatz, der einen Einfluss auf unsere Empfehlungen hat. Vor Ort haben wir zusätzlich eine große Gruppe an Experten, die sich im Rahmen einer Konferenz zusammensetzt und gemeinsam für Sie zu einer Entscheidung kommt, welche die beste Therapie für Sie ist. Sie sind also nicht alleine – es arbeitet ein ganzes Team für Sie im Hintergrund, um die besten Vernetzungen und Empfehlungen zu schaffen.

Inwieweit habe ich als PatientIn bei medizinischen Entscheidungen ein Mitspracherecht?

Es ist hier ganz wichtig zu sagen, dass Sie der Betroffene sind und Sie auch die letzte Entscheidung treffen, ob Sie sich der vorgeschlagenen Therapie mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die der Arzt erklärt, unterziehen wollen. Wichtig ist, dass Sie persönlich die Entscheidung treffen, da Sie diese Therapie dann durchstehen müssen. Das ist auch keine Entscheidung für wenige Tage oder Wochen – manche Therapien dauern mehrere Monate bis zu über einem Jahr. Aus diesem Grund müssen Sie bei dieser Entscheidung wirklich mit an Bord sein – wie diese Therapie dann aussieht, können und sollen somit auch Sie entscheiden. Das muss jedoch gemeinsam besprochen werden; es gibt Erkrankungen, bei denen es leider nicht so viele Auswahlmöglichkeiten gibt. Bei einer akuten Leukämie im jungen Alter wird es beispielsweise notwendig sein, eine intensive Behandlung durchzuführen. Es kann in diesem Fall bei einer anderen oder bei keiner Behandlung der Erkrankung sein, dass sie sich weiter ausdehnt oder akut lebensbedrohend wird. Es kann auch der Fall sein, dass Sie bei Wahl einer anderen Therapieform als der vorgeschlagenen mit wesentlich schlechteren Ergebnisse rechnen müssen.

Ein Mitspracherecht ist natürlich da, man muss Sie aber ganz klar über die Alternativen und deren Folgen aufklären, die das Einschlagen eines anderen Weges als des vorgeschlagenen mit sich bringt.

Welche Entscheidungen in Bezug auf meine Lebensplanung können nach der Diagnose anstehen?

Die Diagnose ist für die meisten Patienten normalerweise ein riesengroßer Schock. Es gibt Patienten, die die Diagnose schon vermuten; es gibt aber auch Patienten, die aus heiterem Himmel eine Krebsdiagnose bekommen. Das kann durch eine entdeckte Auffälligkeit im Blutbild vorkommen, was z.B. bei Blutkrebs der Fall wäre. Das würfelt vorerst alles, was man sich vorgestellt hat und was man für normal nimmt, durcheinander und hat natürlich ganz weitreichende Konsequenzen. Diese Konsequenzen umfassen die Berufsfähigkeit und auch die allgemeine Lebensplanung bzw. eine etwaige Familiengründung. Zur Berufsfähigkeit ist noch zu sagen, dass die klinischen Psychologen im Krankenhaus für viele Anliegen Ansprechpartner sind; diese Frage sollte jedoch speziell mit diplomierten Sozialarbeitern geklärt werden, da diese berufsrechtlich auf dem letzten Stand sind. Das bedeutet, dass wir im AKH in den meisten Spitälern, aber auch bei der Krebshilfe Wien, eine gute sozialrechtliche Beratung haben. Diese sozialrechtliche Beratung wird aufklären, wie es mit dem Krankenstand aussieht; wie lange man im Krankenstand bleiben kann, welche finanziellen Hilfen angefordert werden können, ob es sinnvoll ist, einen Behindertenpass zu beantragen, ob es eine Rezeptgebührenbefreiung gibt etc.

Da arbeiten wir eng zusammen und empfehlen den Patienten auch diese Beratung. Es ist mir ganz wichtig zu sagen, dass zwar viele Berufsgruppen im Krankenhaus arbeiten, aber dass diese noch vom unmittelbaren Behandlungsteam, also von der Pflege und den Ärzten, eingefordert werden müssen. Als Patient sollte man somit nicht zögern und darauf aufmerksam machen, wenn Fragen in Richtung von sozialrechtlichen oder beruflichen Unklarheiten auftauchen. Die Familienplanung ist eine noch schwieriger zu beantwortende Frage, weil die Diagnose einer Krebserkrankung bedeutet, dass die Krebsbehandlung vorerst einmal an erster Stelle steht. Die Krebsbehandlung kann entweder kurativ sein – also auf Heilung ausgerichtet – oder sie kann in einem späteren Stadium palliativ sein, bei der das Symptommanagement der Krankheit, die Kontrolle der Krankheit und das Anhalten der Krankheit im Vordergrund stehen, da die Krankheit leider nicht mehr geheilt werden kann. Danach wird sich dann wahrscheinlich auch die Familienplanung richten. Es ist jedoch wichtig zu unterscheiden, dass bestimmte Diagnosen schon einen gewissen Spielraum bieten. Dann kann man mit der Familie und mit den engsten Angehörigen besprechen, ob diese Therapie gewünscht wird, welche Klinik gewählt wird und wie die weitere Vorgehensweise aussehen soll. Dabei muss man sich auch im Vorfeld überlegen, ob man fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen setzen möchte; dazu ist aber zu sagen, dass es Diagnosen gibt, die keinen Spielraum ermöglichen. Bei einer akuten Leukämie muss die Behandlungsplanung sofort an Ort und Stelle durchgeführt werden, dass die Patienten so schnell wie möglich die Chemotherapie bekommen. Dabei kommt es vor, dass diese umfangreiche Beratung zur Fruchtbarkeitserhaltung nicht stattfindet, weil es lebenswichtig ist, die Therapie möglichst rasch zu beginnen. Aber wenn es ein bisschen Spielraum gibt, macht es absolut Sinn, als Patient um eine Zuweisung zu einer zuständigen Klinik zu bitten, wenn das Interesse besteht, nach Überstehen der Krankheit eine Familie zu gründen – um auf Nummer sicher zu gehen, dass die Fruchtbarkeit erhalten wird.

Welche Entscheidungen in Bezug auf meine finanzielle Situation können nach der Diagnose anstehen?

In finanzieller Hinsicht wird sich die Frage stellen, ob die Berufsfähigkeit weiterhin möglich ist. Das richtet sich einmal danach, wie umfangreich und wie lange die Behandlungen geplant sind. Es gibt Formen von Blutkrebs, z.B. akute Leukämie, die einen sehr langen Behandlungszeitraum beinhalten, was mit dem Arbeitgeber oft ein Problem darstellt. Hier macht es Sinn, sich bei der Krebshilfe, im Krankenhaus oder sogar beim Arbeitgeber bzw. beim Betriebsrat Informationen einzuholen, inwiefern der Arbeitsplatz gesichert ist. Es gibt viele Arbeitgeber, die das unterstützen – es gibt aber leider auch Arbeitgeber, die nicht unterstützend handeln. Grundsätzlich gibt es Regelungen, dass man über einen bestimmten Zeitraum Krankengeld beziehen kann, welches dann irgendwann reduziert wird und in weiterer Folge zum Rehabilitationsgeld wird. Wie lange die Therapie dauern wird, ist dann entscheidend, um das ungefähr abschätzen zu können. Es gibt auch Behandlungen, die tagesstationär gegeben werden können; wir haben auch Patienten, die ins Krankenhaus kommen, ihre tagesstationäre Therapie bekommen und am Nachmittag wieder in der Arbeit sind. Das muss man mit seinem behandelnden Arzt besprechen, um ungefähr abschätzen zu können, wie zeitintensiv die Therapie ist und wie realistisch es ist, am normalen Arbeitsweg zu bleiben.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die eigenen Wünsche und Vorstellungen in Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht festzuhalten?

Die sogenannte Patientenanwaltschaft unterstützt Patienten beim Aufsetzen einer Patientenverfügung. Patientenverfügungen waren früher beachtlich und verbindlich auszufüllen – das heißt, dass der Patient seinen Willen erklärt hat und wenn der behandelnde Arzt darüber in Kenntnis gesetzt wurde oder die Patientenverfügung kopiert wurde, ist diese Verfügung einer Mappe beigefügt worden und dann war diese auch gewissermaßen verbindlich. Die rechtsverbindliche Verfügung ist dann die, die auch vom Rechtsanwalt oder vom Notar mit unterschrieben wird. Das hat sich geändert, so dass man endlich dazu angehalten ist, eine rechtsbeachtliche bzw. eine juristisch verbindliche Patientenverfügung zu machen. Diese kann man bei der Patientenanwaltschaft machen, welche einen bei der Umsetzung unterstützt. Man soll die Verfügung in weiterer Folge alle paar Jahre aktualisieren, damit sie weiterhin gültig ist. Das Aufsetzen einer Verfügung kann man als Patient jederzeit machen – ich werde als Psychologe oft gefragt, ob das sinnvoll ist und es wäre ein großer Fehler, das bis zur letzten Möglichkeit hinaus zu zögern. Die Patientenverfügung oder auch die Patientenvollmacht gibt einer nahestehenden Person die Vollmacht, für einen selbst zu entscheiden, sollte derjenige nicht mehr die eigene Entscheidung kundgeben können. Das sind Erklärungen, die man jederzeit machen kann – besonders wenn man in der Situation ist, dass es einem körperlich immer schlechter geht. Wenn man bei seinem behandelnden Arzt ist, dort vielleicht auch eine Kontroll- bzw. Staginguntersuchung durchführen lässt, können dann Themen wie Palliativmedizin auch angesprochen werden. Man sollte auch offen mit dem Arzt besprechen, was passieren soll, wenn sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Hier stellt sich die Frage des Settings – will man im Krankenhaus oder auf der Palliativstation sein bzw. ein mobiles Palliativteam zu Hause haben – das sind die Fragen, die sich im letzten und palliativen Abschnitt stellen. Je besser dann informativ vorbereitet ist, was Patientenverfügung, Testament oder andere rechtlichen Fragen betrifft, desto einfacher wird es dann sein, diese Punkte abzuhaken und alles geregelt zu haben.

Hier geht es zum Video-Interview: „Welche Entscheidungen gibt es bei Blutkrebs?“

Welche Faktoren beeinflussen die Therapieentscheidung?

Welche medizinischen Aspekte fließen in die Therapieentscheidung ein?

In eine Therapieentscheidung fließen ganz viele Faktoren ein und deswegen ist es so wichtig, dass wir Sie als Patienten am Anfang sehr gut kennenlernen; dass wir uns ausreichend Zeit nehmen und besprechen, wo Sie jetzt im Leben stehen, welche Begleiterkrankungen vorhanden sind, auf die vielleicht Rücksicht genommen werden muss. Manchmal gibt es Therapieformen, die bei bestimmten Begleiterkrankungen einfach nicht anwendbar sind – manche Medikamente können bei einer Herzschwäche nicht zum Einsatz kommen, manche können bei einer Lungen- oder Nierenerkrankung nicht eingesetzt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Begleiterkrankungen, die die Therapie wesentlich beeinflussen können und Therapien zum Teil nicht durchführbar machen. Bei akuten Leukämien stellt sich beispielsweise die Frage, ob eine sehr intensive Chemotherapie oder eine Stammzelltransplantation überhaupt möglich ist. Selbst wenn diese Therapien lebensnotwendig wären, kann es sehr wohl Situationen geben, in denen wir aufgrund von Begleiterkrankungen, Problemen oder Lebensumständen sagen müssen, dass ein zu hohes Risiko eingegangen werden müsste und die Notwendigkeit besteht, einen anderen Weg suchen zu müssen. Die gute Nachricht ist, dass viele neue Medikamente die oft althergebrachte Chemotherapie mit sehr starken Nebenwirkungen ersetzen können und vielleicht sogar wirksamer als diese sind. Das bedeutet, dass das Ganze nicht zu negativ zu betrachten ist – man muss aber auf Begleitumstände ganz besonders viel Rücksicht nehmen und sich Zeit zu nehmen, diese zu untersuchen, bevor eine Behandlung losgehen kann. Das ist von großer Wichtigkeit und hat einen sehr großen Einfluss auf die Therapie, die wir Ihnen am Ende vorschlagen werden.

Wann kann es sinnvoll sein, an einer Studie teilzunehmen?

Eine Studienteilnahme kann in jeder Behandlungssituation für Sie sehr sinnvoll sein. Eine oft vorkommende Situation ist die, dass man sich in einer weit fortgeschrittenen Krankheitssituation befindet. Die gängigen verfügbaren Medikamente haben vielleicht einmal eine Wirkung gezeigt, sind aber jetzt nicht mehr wirksam und es stehen keine zugelassenen Medikamente mehr zur Verfügung. Dann sind viele Patienten dankbar, wenn man eine neue Substanz einsetzen kann, die so noch nicht verfügbar ist. Das kann eine Situation sein, in der man als Betroffener von einer Studienteilnahme profitiert, weil es die Möglichkeit gibt, durch eine neue Substanz, die vielleicht gerade aus der Entwicklung kommt, noch eine Krankheitskontrolle herbeizuführen. Es gibt aber auch andere Situationen, in denen eine Studienteilnahme sehr sinnvoll ist. Es läuft eine Therapieoptimierungsstudie, bei der Medikamente, die man schon gut kennt, in einer anderen Behandlungssituation eingesetzt werden. Das heißt, dass diese z.B. schon in der ersten Therapiephase eingesetzt werden. Davon erwarten wir uns, eine noch bessere Wirksamkeit der Medikamente zu erzielen als das, was als Therapiestandard zugelassen ist. Einen besonderen Vorteil von Studienteilnahmen sieht man an einem Fall aus dem AKH – ein junger Mann hat neben einer Bluterkrankung einen zweiten Krankheitsprozess entwickelt; dieser nimmt an einer Studie teil und jetzt ist sein Knochenmarkmaterial an mehreren Laboratorien in Deutschland in den Zentralen gelagert. Jetzt machen sich 3-4 Laboratorien bzw. Forschergruppen gleichzeitig an die Arbeit, diverse Veränderungen zu charakterisieren und eine Lösung für den jungen Mann zu finden. Das kann ein Vorteil einer Studienteilnahme sein – weil Sie im Rahmen dieser eine besondere Diagnostik und Diagnosemethoden haben können, die sonst in der Routine eines nicht so großen Zentrums gar nicht zum Einsatz kommen. Somit gibt es viele verschiedene Gründe, wie Sie von einer Studienteilnahme profitieren können. Wichtig ist dabei noch zu sagen, dass eine Teilnahme natürlich immer freiwillig ist; es wird Ihnen angeboten werden, es ist jedoch kein Zwang. Wichtig ist uns vor allem, Sie nicht in Gefahr zu bringen; Sie können darüber hinaus zu jedem Zeitpunkt aus einer Studienbehandlung wieder aussteigen. Wenn ein Studienangebot da ist, möchte ich Sie dazu ermutigen, sich informieren zu lassen und diese Chance in Betracht zu ziehen.

Welche persönlichen Prioritäten von mir sollten in die Entscheidung einfließen?

Es gibt eine ganze Reihe von Prioritäten, die in die Entscheidungsfindung einfließen können. Es stellt sich die Frage, wie Ihre Lebensumstände sind – ob Sie berufstätig sind, in welcher geographischen Region Sie leben, wie weit die Entfernung zum Zentrum ist; ob Sie es schaffen, überhaupt für eine Studienteilnahme oder auch für andere Behandlungen mehrfach in der Woche an das Studien- oder Behandlungszentrum zu kommen. Wenn dieser Weg beschwerlich ist, sollte man gegebenenfalls nach Möglichkeiten suchen, eine Behandlung in Tablettenform zu finden – falls diese zur Auswahl steht. Es gibt leider Erkrankungsformen, bei denen wir diese Wahl gar nicht haben. Wenn für Sie aber gewisse Dinge gar nicht in Frage kommen – beispielsweise ein etwaiger Haarausfall – muss das klar angesprochen werden, damit man sich nach Möglichkeit für einen anderen Behandlungsweg entscheiden kann. Oftmals gibt es diese Alternative nicht, z.B. bei akuter Leukämie, wo ich das Medikament, das den Haarausfall verursacht, nicht weggelassen werden kann, da dadurch ein eklatanter Nachteil in der Behandlung entsteht und diese dann nicht erfolgreich ist. Auch Lebensumstände wie der Glaube können oft eine Rolle spielen – manche Patienten gehören einer Glaubensgemeinschaft an, bei denen die Gabe von Blutprodukten nicht möglich ist bzw. dem Glauben widerspricht. Auch das muss man im Vorhinein ansprechen und klar thematisieren, weil beispielsweise ohne Blutkonserven eine Stammzelltransplantation sehr schwierig durchzuführen ist. Es kommen auch Situationen vor, bei denen Patienten Angst vor Nadeln oder Untersuchungen in einer engen Röhre haben und bei denen Kompromisse gemacht werden müssen, da dies oft nicht vermeidbar ist. Sprechen Sie das rechtzeitig im Gespräch an und nehmen Sie sich genug Zeit, die Therapie und das, was auf Sie zukommt, im Detail zu besprechen und dann auch von Ihrer Seite klar zu sagen, wenn etwas überhaupt nicht infrage kommt – dann muss man sich Alternativen überlegen und eine andere Lösung finden.

Welchen Einfluss hat meine persönliche Lebenssituation die Entscheidungen?

Es hat einen großen Einfluss, in welcher Lebenssituation Sie eine Diagnose trifft – ob Sie sehr jung sind, mitten im Leben stehen, wie Ihre Familiensituation aussieht, ob Sie unabhängig sind; grundsätzlich, was für Sie im Vordergrund steht und wie das Netzwerk zu Hause aussieht. Das hat einen sehr starken Einfluss auf die Therapie – ob man es sich beispielsweise aus beruflicher Sicht leisten kann, sich in wenigen Monaten einer intensiven Therapie oder einer Transplantation zu unterziehen, wenn das bedeuten würde, dass man den eigenen Beruf – vor allem bei einer Selbstständigkeit – für mehrere Monate nicht ausüben kann. Es ist also ganz wichtig einzukalkulieren, wo Sie im Leben stehen und was die Therapie für einen Einfluss auf die Lebensplanung hat. Es gibt manchmal auch die Alternative, mit einer Behandlung noch zuzuwarten, bis ein wichtiger Lebensabschnitt oder eine berufliche Sache abgeschlossen ist und sich dann in eine Therapie zu begeben wenn man weiß, dass man dann nicht mit voller Kraft da sein kann. Leider gibt es eben auch Situationen, in denen es keine andere Wahl gibt und Sie von einem Moment auf den anderen aus dem Leben gerissen sind. In dieser Situation brauchen Sie ganz viel Unterstützung durch Ihr Umfeld, um diese Zeit zu überbrücken und danach umso stärker, wenn die Behandlung erfolgreich war, wieder zurückzukommen.

Hier geht es zum Video-Interview: „Welche Faktoren beeinflussen die Therapieentscheidung?“

Gute Entscheidungen treffen

Woher weiß ich, dass eine Entscheidung eine gute Entscheidung ist?

Eine gute Entscheidung ist für mich eine kongruente Entscheidung. Ich bin Psychologe – ein Arzt würde sagen, dass eine gute Entscheidung eine optimale Entscheidung zur bestmöglichen Behandlung und zur Erhöhung der Lebenszeit ist, wobei die Lebenszeit sicher nicht die einzige Komponente ist. In Wirksamkeitsstudien von medizinischen Therapien bzw. Chemotherapien geht es um die Lebenszeit und -qualität; aber der Einwand, den ich als Psychologe einbringen möchte ist der, dass Lebensqualität ein Konstrukt ist. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität bedeutet für viele Ärzte eine Zusammenfassung von Symptombelastungen. Wenn z.B. ein urologischer Patient nach einem Eingriff inkontinent ist, dann hat er keine Lebensqualität mehr, weil er ja inkontinent geworden ist. In der Psychologie ist die Sache ein bisschen komplexer – da spielen die Symptombelastung, die psychische Verarbeitung und der daraus reduzierende Stress und die Lebensqualität im Positiven eine Rolle. Das heißt, dass Patienten trotz Symptombelastung eine gewisse Lebensqualität haben können und umgekehrt nicht jeder Patient, der symptomfrei ist, automatisch eine sehr hohe Lebensqualität hat. Der Terminus Lebensqualität wird dennoch durch Symptomchecklisten und Fragebögen definiert – das ist ein gewisses Spannungsfeld. Wenn man dann den Patienten kennenlernt, kann man auch hinterfragen, was die Situation konkret für jemanden bedeutet. Das ist für mich die stimmige und die kongruente Entscheidung – für sich die gute Entscheidung zu treffen bedeutet, die Wünsche, die Ängste und die Bedürfnisse dieses Menschen zu kennen und mit zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sollte die Therapie nicht nach der Norm oder nach internationalen Vorgaben entschieden werden, sondern danach, gemeinsam mit dem Patienten auf dessen Wünsche einzugehen oder etwaige unrealistische Erwartungen zu entkräften und diese richtig zu stellen.

Wie komme ich zu einer guten Entscheidung?

Bezüglich des Entscheidungsprozesses ist es wesentlich, sich die notwendigen Informationen einzuholen, um abzuwägen, ob es verschiedene Therapien für einen selbst gibt oder ob es sowieso nur einen Therapievorschlag gibt und ob man diesen annehmen will. Das kann durchaus eine sehr komplexe Situation sein und hier ist Information wesentlich, um abschätzen zu können, welcher der beste Weg ist. Es macht manchmal Sinn, dieses Gespräch ein bisschen zu antizipieren – dieses vielleicht mit einem Angehörigen durchzubesprechen, um die richtigen Fragen formulieren zu können. Das sind oft Verständnisfragen oder medizinische Fragen, aber auch Fragen, wie sich die Erkrankung entwickeln wird, wie der Arzt diese einschätzt oder ob der Arzt dieselbe Therapie wählen würde. Das geht bis hin zur Entscheidungshilfe; je weniger Verständnis man für die Krankheit hat, desto eher wird ein Patient den Arzt bitten, die Entscheidung für ihn zu treffen. Ich halte das grundsätzlich für einen schlechten Weg – ich glaube es ist sehr sinnvoll, gemeinsam mit dem Grundsatz des gemeinsamen Verständnisses zu entscheiden. In der Vergangenheit gab es durchaus dieses Modell des Paternalismus bzw. der paternalistischen Entscheidungsfindung, dass man als Patient mehr oder weniger unmündig war und den Arzt für sich entscheiden hat lassen. Natürlich kann man schon davon ausgehen, dass ein Arzt einen guten Therapievorschlag bringt – aber das bedeutet nicht automatisch, dass diese Therapie auch erfolgreich sein wird. Dem Arzt ist völlig klar, dass es um Wahrscheinlichkeiten geht – es gibt überhaupt keine hundertprozentigen Versprechen in der Medizin, das ist völlig unrealistisch und das bedeutet einfach für den Patienten, auch Entscheidungen mitzutragen und zu verstehen, ob Wahrscheinlichkeiten gut, mittel oder schlecht sind. Die Ärzte sind im Krankenhaus sehr bemüht, für die Patienten das Bestmögliche herauszuholen – aber die Patienten brauchen hier sozusagen eine Vorstellung von einer gewissen Kosten-Nutzen-Rechnung; wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie auf die Therapie ansprechen und was sie diese kostet. Das bezieht sich nicht auf die finanzielle Komponente, sondern auf die Belastung durch die Symptome, die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus oder die Folgen einer Chemotherapie. Das muss im Vorfeld verstanden werden, um überhaupt zustimmen zu können – wenn das nicht passiert, wird relativ schnell klar, dass die Erwartungshaltungen unrealistisch ist und dass die Patienten auch dazu neigen, z.B. Therapien abzubrechen oder sich zu beklagen, dass Sie nicht aufgeklärt wurden. Es kommt auch manchmal dazu, dass sie sich alternativmedizinischen Angeboten zuwenden – das ist für mich ein klares Zeichen, dass man den Patienten verloren hat, dass irgendwann ein Vertrauensbruch erfolgt ist und das gilt es auf jeden Fall zu vermeiden. Leider geht in diesen Fällen eine nicht gelingende Kommunikation mit dem Arzt fast immer zu Lasten vom Patienten.

Was sind die nächsten Schritte, nachdem ich eine Entscheidung getroffen habe?

Ich glaube, dass Entscheidungen schwierige Prozesse sind, die verschiedene Phasen durchlaufen und eine Art Willensbildung beinhalten. Wenn dann die Entscheidung für eine Therapie getroffen ist, geht es in eine praktische Phase in der es darum geht, Termine zu finden, Ressourcen frei zu machen und den kompletten Ablauf zu definieren. Was den einzelnen Personen hilft, ist völlig unterschiedlich, da Menschen sehr unterschiedlich gestrickt sind und jedem individuell etwas anderes als Unterstützung dient. Es ist immer wieder überraschend und bereichernd zu sehen, wie Menschen strukturiert sind und funktionieren und was Menschen konkret in diesen Entscheidungen oder in diesen schwierigen Phasen hilft. Das heißt, dass es keine generelle Antwort gibt – man muss sich auf den Patienten einlassen und ein bisschen Zeit zur Verfügung haben, um in einem möglichst geschützten Rahmen zu fragen, welche konkreten Fragen es jetzt gibt, was dem Patienten besonders wichtig ist und was am meisten Angst macht. Das sind die lohnenswerten Fragen, um irgendwo anknüpfen zu können und den Patienten abzuholen – das ist besonders in einem sehr großen Krankenhaus wie dem AKH Wien extrem wichtig, weil sonst der Patient das Gefühl bekommt, eine Nummer zu sein. Ansonsten verliert man den persönlichen Kontakt und das ist etwas, das wir auf jeden Fall vermeiden wollen, weil wir den Patienten als Mensch und Entscheidungsträger einfach nicht verlieren dürfen.

Was kann bei Ja-oder-Nein-Entscheidungen helfen?

Also für Ja-oder-Nein-Entscheidungen, speziell in Bezug auf Therapien, ist es sinnvoll, Angehörige mit einzubeziehen oder sich auch eine medizinische Zweitmeinung einzuholen. Auch da spricht überhaupt nichts dagegen – es ist wahrscheinlich auch sinnvoll, Informationen aus anderen Quellen zu beziehen. Wenn das gemacht wird ist es wichtig, sich seriöse Informationen einzuholen – eine gute Informationsquelle wäre natürlich die Krebshilfe. Es gibt auch den sogenannten Krebsinformationsdienst, der sozusagen das deutsche Pendant darstellt und ebenfalls Unterstützung bietet. Was viele Patienten für Informationsbeschaffung nutzen, sind Gruppen auch auf Facebook oder in Internetforen – da gibt es jedoch auch teilweise dubiose oder nicht seriöse Informationen. Die Frage ist dann, ob man als Patient mit Informationen gut umgehen kann oder einen die Information verschreckt und man etwas erfährt, was man gar nicht wissen wollte, weil es einen zu sehr beschäftigt. Das Hauptproblem mit vitalen Informationen, die zum Überleben beitragen sollen, ist, dass man in eine Art Schockzustand kommen kann, der ähnlich wie bei einer posttraumatischen Belastungsstörung abläuft. Daraus resultieren bestimmte psychische Symptome wie z.B., dass man an nichts anderes als die Erkrankung mehr denken kann, immer wieder die gleichen Gedanken hat, nicht zur Ruhe kommen und schlafen kann und bestimmte Szenen immer wieder erlebt (wie beispielsweise Aufklärungsgespräche beim Arzt). Im schlechtesten Fall blockiert das den Patienten völlig, sodass er vielleicht nicht mehr in ein Krankenhaus gehen will, weil die Ängste überhandgenommen haben. Entscheidungen werden nicht mehr rational getroffen, sondern von Gefühlen wie der Angst motiviert und sind somit schlecht begründet. Es ist hier wichtig, die Berufsgruppen hinzuzuziehen, die eine beratende Funktion haben (Psychologen, Onkologen usw.), die Sorgen behandeln können und die Ängste wieder normalisieren können. Wenn das dazu beitragen kann, dass die Patienten bessere Entscheidungen treffen, dann ist es auch absolut wert, gemeinsam zu reflektieren und zu überlegen, ob eine gute Entscheidung gelingen kann. Es kann somit auch bei Ja-Nein-Entscheidungen, auch wenn diese vorrangig nach einer reinen Arzt-Patienten-Entscheidung klingen, sehr sinnvoll sein, auch mit anderen Berufsgruppen ein beratendes, reflektorisches Gespräch wahrzunehmen.

Was kann bei komplizierteren Entscheidungen mit mehreren Möglichkeiten helfen?

Komplizierte Entscheidungen sind für mich klassischerweise Entscheidungen mit verschiedenen Therapiemöglichkeiten. Welche Therapieform, entweder eine Chemo- oder eine Strahlentherapie etwa bei einem Prostatakarzinom die richtige Option ist, ist schwer zu sagen, da diese Behandlungen von vielen Ärzten als gleichwertige Therapiemöglichkeiten gesehen werden. Es stellt eine massive Überforderung für Patienten dar, aus dem Bauch heraus zu sagen, für welche Therapie sie sich entscheiden. Man braucht für solch komplexe, schwierige Entscheidungen enorm viel Information; die kann einem der Experte bzw. der Mediziner vermitteln. Es gibt auch Ärzte, die den Patienten anbieten, dass sie in die Ordination kommen sollen, um eine ausführlichere Besprechung als im Krankenhaus möglich zu machen. Es lohnt sich auf jeden Fall, den Arzt auch im Krankenhaus-Setting um ein zusätzliches, klärendes Gespräch zu bitten – da den Ärzten natürlich klar ist, dass diese Entscheidung für den Patienten eine sehr schwierige ist. Hilfreich sind bei komplexen Entscheidungen außerdem genügend Bedenkzeit, das Einholen von zusätzlichen Informationen und das Inkludieren von Angehörigen, Freunden und Familie. Was das Inkludieren von Kindern und Jugendlichen betrifft ist es oft so, dass diese inkludiert sein wollen und sich andernfalls ausgeschlossen fühlen – das muss jedoch im Einzelfall bewertet werden. Je mehr Familienmitglieder und Freunde diese Entscheidung mittragen, umso besser und tragfähiger ist die Entscheidung dann im Endeffekt auch für die Therapien.

Hier geht es zum Video-Interview: „Gute Entscheidungen treffen“

Arzt-Patienten-Gespräch

Was versteht man unter dem Begriff Shared Decision Making?

Shared Decision Making heißt nichts anderes als das, was letztlich am Ende jedes guten Arzt-Patienten-Gespräches stehen sollte – nämlich eine gemeinsame Entscheidung zu einer bestimmten Behandlung oder zu keiner und darin fließen alle vorher genannten Faktoren ein. Der Arzt stellt eine Diagnose und schlägt eine an die Situation angepasste Behandlung vor – darin fließen aber ganz viele weitere Punkte mit ein; die Lebenssituation, die Lebensumstände und persönliche Präferenzen. Dann stellt sich die Frage, ob die vorgeschlagene Therapie der gemeinsame Weg sein kann oder diese Faktoren verändert bzw. angepasst werden müssen. Wenn es die Situation zulässt, gelangt man nach Abwägen aller Argumente am Schluss zu einer Therapieentscheidung. Ganz wichtig ist dabei, dass der Arzt aber auch ganz ehrlich eine Wertung vornimmt und die wirksamste Therapie mit den besten Erfolgschancen vorschlägt, um die Erkrankung bestmöglich behandeln zu können. Es muss gemeinsame gute Argumente geben, wenn diese Therapieentscheidung abgeändert werden will; dabei ist zentral, dass der Therapieplan verändert werden kann und am Ende eine gemeinsame Entscheidung bei der Behandlungsstrategie herauskommt. Sie als Patient müssen diese Behandlung durchhalten und oft ist es so, dass die Behandlung nicht über eine kurze Zeitspanne von wenigen Wochen andauert, sondern dass eine Behandlung über mehrere Wochen oder Monate, bis hin zu Jahren dauern kann. Damit diese Entscheidung lange anhalten kann, braucht es eine gute Beziehung zwischen dem Arzt und dem Patienten.

Was kann ich als PatientIn zum Shared Decision Making beitragen?

Sie können sehr viel zur gemeinsamen Entscheidungsfindung beitragen, indem Sie den Mut finden, ganz klar Ihre Wünsche, Ängste und Sorgen auf den Tisch zu legen, auch wenn es eventuell schwerfällt. Manchmal werden von Patienten Entscheidungen angenommen und sie kommen erst danach darauf, welche Konsequenzen diese Entscheidungen haben. Um das zu verhindern ist es mit Sicherheit eine gute Idee, einen Angehörigen oder eine andere Bezugsperson zu dem Gespräch mitzunehmen, sich vorher ein bisschen zu informieren und gemeinsam Stärke und Unterstützung zu finden. Zwei Menschen verstehen und hören mehr als einer, der alleine und aufgeregt beim Arztgespräch sitzt. Wenn etwas nicht verstanden wurde, fragen Sie nach und machen Sie sich einen zweiten Termin aus. Das ist in den meisten Fällen möglich, da nicht in der Sekunde eine Entscheidung getroffen werden muss; sprechen Sie ihre Ängste, Unklarheiten und Präferenzen klar aus – nur dann kann auch ein gutes Gespräch herauskommen.

Wie kann ich mich auf das Gespräch mit meiner Ärztin/meinem Arzt vorbereiten?

Die Vorbereitung hat für mich zwei Komponenten – einen formellen und einen inhaltlichen Part. Bei der formellen Vorbereitung ist es sicherlich gut, im Vorfeld die wichtigsten Fragen zu sammeln und in Stichworten oder ausformuliert auf einen Zettel zu schreiben. Das hat den Grund, dass man im Krankenhaus eine Zeit lang im Warteraum sitzen muss; die Zeit im Ambulanzbereich bzw. direkt beim Arzt ist jedoch limitiert. Deshalb macht es Sinn, das Maximum aus diesem doch eher kompakten Zeitraum herauszuholen. Momentan ist es aufgrund der Pandemie schwieriger geworden, Angehörige mitzunehmen (derzeit ist das nur in Ausnahmefällen möglich, beispielsweise wenn der Patient eingeschränkt mobil ist); was jedoch für das Arztgespräch sinnvoll ist, da man zusammen bei den Fragen noch einmal weiter in die Tiefe gehen kann. Inhaltlich ist für die Vorbereitung wichtig, sich medizinisch mit der Erkrankung zu beschäftigen, um die richtigen Fragen stellen zu können. Die “richtigen” Fragen sind in diesem Fall Fragen, mit denen man dem Arzt auf Augenhöhe begegnet und seine Expertise abfragen kann; das sind hauptsächlich Fragen nach dem bestmöglichen Behandlungsweg. Dabei spielen Komponenten wie die eigene Vorstellung bzw. Erwartung an die Therapie, die Belastung durch die Therapie oder die Lebensqualität, die die Therapie bieten kann, eine große Rolle. Was ist mir als Mensch wichtig, das mir erhalten bleibt? Wenn man seine eigenen Wertigkeiten gut kennt – was einem im Leben wichtig ist -, ist man auch besser auf das Arztgespräch vorbereitet und kann seine Bedürfnisse dem Arzt auch rückmelden. Wenn beispielsweise aufgrund einer späteren Lebensphase nicht extrem viel Zeit im Krankenhaus verbracht werden möchte oder nur dann, wenn von ärztlicher Seite die große Hoffnung besteht, dass man gut darauf anspricht, soll das dem Arzt mitgeteilt werden. Sich selbst reflektorische Fragen der Lebensführung zu stellen, was einem wichtig ist – das kann auch eine gute Vorbereitung für ein Arzt-Patienten-Gespräch sein.

Was kann ich während des Gesprächs tun, um zu einer guten Entscheidung beizutragen?

Es ist wichtig sich zu trauen, Verständnisfragen noch einmal zu stellen, wenn etwas unklar geblieben ist. Das klingt sehr simpel – ist es aber überhaupt nicht, weil tendenziell ältere Patienten immer einen sehr großen Respekt vor Ärzten haben und sich manchmal ihre Fragen nicht stellen trauen; das sehen wir sehr häufig im Krankenhaus. Junge Patienten lesen sich teilweise sehr intensiv in die Erkrankungen ein, meist im Internet, wo sie ganz viele Informationsquellen haben und dann vielleicht aufgrund einer gewissen Informationsmenge auch keine Fragen stellen, weil sie über das Thema bereits gelesen haben. Die richtigen Fragen zu stellen ist essenziell, um hier zu Entscheidungen zu kommen, die auch tragfähig sind.

Kann ich eine Zweitmeinung einholen, wenn ich mir unsicher bin?

Sie können sich gerne eine Zweitmeinung einholen und das ist sogar sehr wichtig, da es in vielen Erkrankungssituationen theoretisch mehrere Wege gibt, die man einschlagen kann. Manchmal entsteht auch die Situation, dass man sich mit dem Arzt nicht auf Anhieb versteht, die Chemie nicht stimmt und man teilweise nicht versteht, wohin der Arzt mit seinen Aussagen will. Die Zeit ist außerdem oft knapp und man fühlt sich als Patient vielleicht nicht wohl. Dann ist es ein guter Weg, mit ein bisschen Abstand die Information, die man zuerst bekommen hat, ein wenig sitzen zu lassen und wenn Sie sich unsicher sind, eine Zweitmeinung einzuholen. Da sind wir nicht beleidigt – das ist sogar ganz wichtig, weil es oft lebensverändernde Entscheidungen sind, für die es in manchen Situationen mehr als eine richtige Antwort gibt. Wenn man unsere Leitlinien ansieht, ist oft nicht ein festgelegter Weg vorgezeichnet; es gibt möglicherweise mehrere gleichwertige Wege, die man gemeinsam gehen kann. Es gibt unterschiedliche Gründe, warum man im Gespräch vielleicht nicht auf diese Wege kommt und man gerne die Möglichkeiten noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten möchte. Unter dem Strich ist das Einholen einer Zweitmeinung kein Ausdruck des Misstrauens, sondern ein wichtiger Schritt, wenn Sie Ihre Situation aus einer anderen Perspektive betrachten wollen; am Ende kommt vielleicht eine bessere und tragfähigere Entscheidung heraus, mit der man dann den Weg weitergehen kann.

Hier geht es zum Video-Interview: „Arzt-Patienten-Gespräch“

Meine Unterstützung

Wer kann mich bei der Entscheidung unterstützen und wie?

Bei der Entscheidung können natürlich die Professionisten unterstützen – die Arbeiter im Gesundheitswesen bzw. Ärzte, Pflegepersonal, Psychologen oder in manchen Fällen auch der Radiotechniker. Bei Bestrahlungen gibt es viele Berufsgruppen, die einen direkten Patientenkontakt haben; all diese Berufsgruppen können in diesem übergreifenden Feld der Psychonkologie auch zusätzliche Fortbildungen machen. Diese können auf jeden Fall in der Entscheidung unterstützend sein. Das sogenannte Zwiebelprinzip bedeutet, dass der Patient immer im Mittelpunkt steht, es geht ja um dessen Heilung bzw. um die Herstellung des Krankheitsstillstandes. Um den Patienten herum befinden sich in der Regel die Familie, die Eltern, die Kinder und die engsten Freunde und im erweiterten Kreis Arbeitskollegen oder auch andere Personen, die man nicht so häufig trifft. Alle diese umstehenden Personen können sehr betroffen sein, wenn der Patient die Diagnose bekommt – aber all diese Personen um ihn herum können auch eine unterstützende, stärkende Wirkung entfalten. Wir sehen das immer wieder im Spital, dass Arbeitskollegen Nachrichten schicken, Updates geben, was sich in der Arbeit tut oder sich einfach melden und sagen, dass sie an den Patienten denken. Somit können all diese Personen eine unterstützende Wirkung entfalten; von wem ein Patient unterstützt wird, kann er aber natürlich selbst entscheiden. Es gibt dabei keine Pflicht, weder berufsrechtliche noch ethisch, dass man als Erkrankter allen Personen erklären muss, wie es einem geht – es ist auch völlig in Ordnung, sich hier nur auf den engsten Familien- und Freundeskreis zu stützen. Alle diese Personen helfen bei Entscheidungen – aber auch die Professionisten unterstützen in jedem Fall, wo sie können. Es gibt im AKH Wien auch eine onkologische Pflegeberatung, die häufig in Anspruch genommen wird – weiters helfen alle Sachkundigen im Feld der Psychoonkologie, den Patienten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und bei Entscheidungen zu helfen.

Was kann dabei helfen, eine schwierige Entscheidung zu treffen?

Patienten hilft es sehr, sich auf das ärztliche Gespräch vorzubereiten, in dem sie sich die wichtigsten Fragen und die eigenen Motivatoren, die bei Entscheidungen helfen, auf Listen aufschreiben. Weiters kann das Miteinbeziehen von nahen Familienangehörigen hilfreich sein; außerdem kann es Sicherheit bieten, die eigenen Fragen genau zu formulieren. Patienten müssen sicherlich nicht zu Hilfsärzten werden und sich besonders in die Materie vertiefen, aber es macht großen Sinn, sich ein bisschen damit zu beschäftigen, um die medizinischen Termini zu verstehen. Ärzte sind es oft sehr gewohnt, in diesen Begriffen zu denken und es kann für sie schwierig sein, umzuschalten und völlig laienverständlich zu sprechen. Das macht es für Patienten oft besonders sinnvoll und lohnenswert, sich damit auch ein wenig zu beschäftigen. Ich will in dem Zusammenhang auf die vielen hilfreichen Videos der Myelom- und Lymphomhilfe Österreich und der Krebshilfe hinweisen, in denen Ärzte Interviews geben. Es gibt auch die Seite “Leben mit Krebs”, auf der Vorträge von Ärzten für Patienten aufgezeichnet sind; man kann sich somit auch in Zeiten von Corona von zu Hause aus ganz viel hochwertige Information holen. Das sind die Strategien, die ich den Patienten sehr nahelege; wobei es auch Patienten gibt, die es nicht schaffen, sich emotional mit der Erkrankung zu beschäftigen – dann kann es hilfreich sein, wenn sich ein Angehöriger stattdessen einliest. Diese Personen haben eine Art Schutzwall errichtet – die nahestehende Person sucht dann für sie die notwendigen Informationen und ist dann sozusagen eine Art Experte. Wenn das so gehandhabt wird, ist es aber sehr wichtig, dass diese Person auch zum Arztgespräch mitkommt oder in irgendeiner anderen Form involviert ist, damit diese Person, die dann für die Entscheidung so wichtig ist, auch genügend inkludiert wird.

Was muss ich beachten, wenn ich Informationen einhole?

Wenn Informationen eingeholt werden, muss man erstens darauf achten, ob diese Information für einen selbst brauchbar ist und ob sie seriös ist – das ist das allerwichtigste.  Es gibt mittlerweile unendlich viel Information im Internet – wenn man nach etwas bestimmten sucht, findet man mich Sicherheit Seiten, die einen in der eigenen Meinung bestätigen. Das sind aber nicht automatisch seriöse Informationen – das ist aber für einen nicht medizinkundigen Patienten oft sehr schwierig einzuschätzen. Das ist problematisch, weil diese Informationen dazu führen können, dass sie in die Entscheidung mit einfließen, da der Schulmedizin oder z.B. der Chemotherapie misstraut wird und man sich stattdessen auf die Komplementärmedizin verlässt. Das ist ein enormer Verlust, da man den Patienten dann in einer gewissen Art und Weise verloren hat. Der tatsächliche Terminus der Komplementärmedizin bedeutet jedoch, dass sie ergänzend zum schulmedizinischen Angebot besteht, keinen Widerspruch dazu bildet und es nicht die Frage nach dem “Entweder-Oder” gibt. Insofern ist die Komplementärmedizin völlig in Ordnung – das zuvor Gesagte bezieht sich auf die Alternativmedizin. Die Qualität und die Seriosität der Informationen, die sich der Patient selbst aneignet, ist enorm wichtig. Es gibt auch Patienten, die sich zu viel Information einholen und sie diese daraufhin nicht mehr einschätzen können und nicht gewichten können; dafür wäre es dann wieder notwendig, einen Experten hinzuzuziehen. Die Informationen, die ich für meinen Entscheidungsprozess brauche, um ein realistisches Bild zu bekommen, muss ich mir auf jeden Fall von guten Quellen einholen – da sind die Krebshilfe und die Broschüren der Deutschen Krebshilfe wirklich eine ganz große Unterstützung. Wenn ich wirklich das Gefühl habe, dass ich menschlich mit einem Arzt nicht kann oder mich nicht gut aufgehoben fühle, dann ist es unter Umständen sinnvoll, den Arzt zu wechseln. Es soll jedoch erwähnt werden, dass es im AKH auch Spezialambulanzen und Experten für seltene Situationen gibt – es wäre schade, diese Expertise nicht nutzen zu können. Alles, was zu einem guten Verständnis und einer guten Kommunikation beiträgt ist sehr wertvoll, da im Prinzip alle am gleichen Strang ziehen und sich eine Verbesserung und eine mögliche Heilung des Patienten von der Krebserkrankung erhoffen.

Hier geht es zum Video-Interview: „Meine Unterstützung“

Geprüft OA Dr. Martin Schreder und Mag. Philipp Schützl: Stand September 2021

Die Kurse sind kein Ersatz für das persönliche Gespräch mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt, sondern ein Beitrag dazu, PatientInnen und Angehörige zu stärken und die Arzt-Patienten-Kommunikation zu erleichtern.