Blog | Allgemein

Perfektionismus loslassen – über Selbstakzeptanz mit chronischer Erkrankung

Als bei Evita Witt die Diagnose Lupus erythematodes gestellt wurde, stand die Welt für einen Moment still. Was zunächst nach einem unklaren, fremden Begriff klang, entwickelte sich zu einer tiefgreifenden Lebensreise – mit Schmerz, Umwegen und letztlich mit einer neuen Verbundenheit zu sich selbst. Im Interview erzählt sie, wie sich ihr Alltag verändert hat, welche Rolle Yoga und Achtsamkeit in ihrem Leben spielen – und warum es so wichtig ist, die eigene Erkrankung ernst zu nehmen, ohne sich von ihr bestimmen zu lassen. Ein Gespräch über Selbstfürsorge, innere Klarheit und den Mut, neue Wege zu gehen.

selpers: Liebe Evita, kannst du uns kurz mitnehmen an den Anfang deiner Reise – wie hast du die ersten Symptome erlebt und wie war der Weg zur Diagnose?

Evita: Die ersten Symptome zeigten sich bei mir durch immer wiederkehrende Schmerzen in der rechten Hüfte. Das hat mich im Alltag echt eingeschränkt – ich erinnere mich nicht nur an eine Situation beim Einkaufen: Ich gehe in die Hocke, um meine Tasche zu heben, und plötzlich konnte ich nicht mehr aufstehen. Es war schmerzhaft – nichts ging mehr, nichts! Körperlich wie emotional. Ich fühlte mich entblößt – und gleichzeitig so allein, obwohl Menschen um mich herum waren, die aber nicht helfen konnten. Da bin ich wirklich innerlich viele Tode gestorben.

Die Schmerzen ließen glücklicherweise immer wieder nach, und ich entwickelte eigene Wege, damit umzugehen. Ausschaukeln. Auf Zehenspitzen stellen. So hat das zu Beginn gut funktioniert. Auch den „Darm“ regelmäßig zu entleeren und nicht aufzuschieben, hat mir scheinbar geholfen. Trotzdem bin ich irgendwann zum Arzt gegangen – und es ging dann alles sehr schnell. Mein Blut wurde untersucht, und eines Abends rief mich mein Arzt an: „Sie haben Lupus erythematodes.“ Ich so: „Was?“ – Ein Moment, den ich nie vergessen werde.

selpers: Was hat sich mit der Diagnose Lupus für dich ganz konkret verändert – körperlich, emotional und im Alltag?

Evita: Im ersten Moment: gar nichts. Ich war erst einmal geschockt. Dieses Wort, noch nie gehört! – Lupus erythematodes – klingt schon bedrohlich, und das „Todes“ am Ende hat mich nicht gerade zuversichtlich sein lassen. Klar, ich habe direkt gegoogelt, ob man daran sterben kann. Zum Glück war das, was ich da fand: „nein“. Das hat mich beruhigt. Ich habe dann mit meinen Eltern und meiner damaligen besten Freundin darüber gesprochen – also es war sehr emotional – aber danach war für mich erst einmal Ruhe. Die tiefere Auseinandersetzung mit der Krankheit – das hat gedauert … 10/15 Jahre … Viele Jahre. Und der wirklich entscheidende Wendepunkt kam erst 2024, als ich ins Krankenhaus musste. Die Schmerzen hatten mich über Monate begleitet, ich hatte schleichend 10 kg abgenommen und es gab keinen Tag ohne unerträgliche Schmerzen – bis zu dem Punkt, an dem es um Leben und Tod ging. Ich habe mich dort das erste Mal für eine wissenschaftlich-medizinische Behandlung entschieden. Das war ein großer Schritt, denn bis dahin hatte ich versucht, ohne diese Mittel auszukommen.

Ich habe meinem Körper einen Brief geschrieben und ihm ein Ultimatum gestellt. Wenn „er“ innerhalb von 24 h nichts macht – werde ich die Medikamente nehmen (den Brief habe ich noch!). Was soll ich sagen – es trat keine Besserung ein. In diesem Moment habe ich es zugelassen: Ich darf Hilfe annehmen. Ich darf loslassen. Das war mit vielen Tränen verbunden und auch mit einer inneren Denkweise, dass ich versagt habe. Letztendlich war das aber auch ein Schlüssel. Ich habe meinen Perfektionismus – alles auch ohne wissenschaftliche Medizin zu schaffen – losgelassen – und das war das größte Geschenk in all dem Schmerz. Den Perfektionismus ließ ich auch in anderen Bereichen meinem Lebens los: z.B. unterrichte ich derzeit kein Yoga mehr – ich könnte zwar – aber ich bin nicht mehr bereit, den Preis dafür zu zahlen. Heute mache ich Yoga, wie es bei mir passt. Ohne Termindruck und vielleicht auch bald wieder für andere – das lasse ich offen. Ich erlaube es mir.

selpers: Du hast erwähnt, dass du lernen musstest, dich neu kennenzulernen, und dass du deine Erkrankung auch als Chance siehst. Was genau meinst du damit?

Evita: Diese „neue“ Evita kam nicht über Nacht. Es war ein echt langer Weg. Aber der Moment, der alles verändert hat, war – wie gesagt – der Krankenhausaufenthalt 2024. Ich musste körperlich kapitulieren, bevor ich innerlich wirklich erkennen konnte: „Ich kann so nicht weitermachen.“ Ich darf weicher werden. Ehrlicher, vor allem zu mir selbst. Ich habe aufgehört, nur zu funktionieren. Ich habe begonnen, meine Bedürfnisse ernst zu nehmen und sie auch zu sehen. Und ich habe erkannt: Der Perfektionismus war ein Schutzmechanismus. Aber ich brauche ihn nicht mehr. Darin liegt meine Chance: Ich habe begonnen, mich selbst zu fühlen. Und das verändert alles. Ich stehe auch dazu. Ich habe Lupus. Und das ist schlimm. Sehr schlimm. Warum habe ich das? Keine Ahnung! Aber ich bin auf der Suche nach Antworten. Und ich muss die Antwort nicht sofort haben.

Ich habe meinen Perfektionismus losgelassen – und das war das größte Geschenk in all dem Schmerz.

selpers: Gibt es etwas, das du dir damals – rund um die Zeit der Diagnose – gewünscht hättest? Vielleicht ein Rat, ein Gespräch oder einfach ein Gefühl von „Ich bin nicht allein“?

Evita: Ja. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand da ist, der mir wirklich zuhört, ohne mich gleich in ein Behandlungsschema zu drücken. Zum Glück habe ich dann eine Ärztin gefunden, die genau das für mich war: klar, professionell, freundlich, mit viel Zeit – und nicht angstmachend. Sie hat mich mit anthroposophischen Behandlungsmethoden begleitet, aber nie ausgeschlossen, mir auch wissenschaftlich-medizinisch zu helfen, wenn es nötig wäre. Das war für mich genau die richtige Balance. Ich brauchte keinen Alarmismus. Ich brauchte Vertrauen, Verständnis, ein achtsames Auge, das immer alles Wichtige untersucht – und das habe ich bei ihr gespürt.

selpers: Yoga spielt eine zentrale Rolle in deinem Leben. Wie kamst du dazu?

Evita: Ich war schon immer offen für neue Wege – besonders für alles Spirituelle. Dogmatisches Yoga hat mich nie angesprochen, aber ich habe viel ausprobiert und irgendwann mein Zuhause im Kundalini-Yoga gefunden. Nach der Gründung meines Yoga-Onlineshops „Glanzvoller“ habe ich dann sogar eine Ausbildung zur Kundalini-Yogalehrerin gemacht – etwas, das ich lange vor mir hergeschoben hatte, weil ich dachte: „Meine Kinder sind noch zu klein.“ Aber eine Yogalehrerin hat mir damals gesagt: „Mach es jetzt. Es ist eine wunderbare Ergänzung – auch für dein Muttersein.“ Und das war für mich der letzte Schubs, den ich gebraucht habe. Heute weiß ich: Diese Entscheidung war goldrichtig. Ich bin da durchgegangen und habe es geschafft.

selpers: Welche Rituale oder Übungen helfen dir am meisten, mit dem Lupus im Alltag umzugehen? Gibt es einen typischen Tagesablauf oder bestimmte Routinen?

Evita: Als Rituale bezeichne ich für mich Dinge, die regelmäßig wiederkehren – und die mir helfen, in meinem Körper und in meinem Gefühl zu bleiben. Morgens beginne ich den Tag mit dem Zungeschaben – das hilft, die Giftstoffe loszuwerden, die sich über Nacht gesammelt haben. Danach trinke ich gefiltertes Wasser – viel davon, über den Tag verteilt. Ein ganz wichtiger Teil meines Lebens ist auch die tiefe Atmung. Ich habe viele Jahre gebraucht, bis ich wirklich gelernt habe, bewusst und tief zu atmen – aber heute ist es mein Rettungsanker in stressigen oder schmerzhaften Momenten. Ich bewege mich täglich – aber angepasst. Wenn ich Schmerzen habe, gehe ich so langsam, wie mein Körper es braucht. Ich zwinge mich nicht. Ich folge ihm. Und ich sage es auch offen und ehrlich anderen. Was ich vor 2024 nicht getan habe. Da habe ich alles runtergespielt. Ein typischer Tag beginnt also achtsam. Ich koche fast immer frisch – weil ich glaube, dass Ernährung ein zentraler Schlüssel zur Heilung ist. Und ich versuche, meine Energie so zu lenken, dass ich mich zur rechten Zeit ausruhe. Und das brauche ich wirklich noch oft. Zur Zeit behandeln wir auch meine Fatigue – ich finde, ganz erfolgreich.

Und ja – ich halte es wie in dem alten Spruch:

„Wer rastet, der rostet.“

Aber ich sage lieber:

„Wer sich bewegt, bleibt lebendig.“

Schulung Achtsamkeit zur Entspannung

selpers: Du hast einen Yoga-Onlineshop, glanzvoller, gegründet – wie verbindest du dein Herzensprojekt mit deinem gesundheitlichen Weg?

Evita: Glanzvoller ist für mich viel mehr als ein Shop. Es ist eine Vision. Ein Raum, in dem Achtsamkeit, Schönheit, Erdung und Leichtigkeit zusammenkommen dürfen. Durch meine eigene Krankheitsgeschichte weiß ich, wie wichtig es ist, sich mit Dingen zu umgeben, die uns nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich berühren. Meine Produkte sind alle so ausgewählt, dass sie Herz und Körper gleichermaßen ansprechen. Yogamatten, Kissen, Accessoires – aber alles mit Seele und immer mit viel Liebe und Dankbarkeit auf den Weg zum „Besteller“ gebracht. Ich sehe „glanzvoller“ als eine Brücke zwischen dem, was wir fühlen, und dem, was wir leben. Es ist mein Beitrag, anderen einen achtsamen Alltag zu ermöglichen – auch dann, wenn das Leben schwer ist. Und es ist mein eigenes Stück Heilung. Ein Herzensprojekt, das mit mir gewachsen ist.

selpers:  Gibt es etwas, das du dir von der Gesellschaft, dem Gesundheitssystem oder auch der Community wünschst im Umgang mit chronischen Erkrankungen wie Lupus?

Evita: Ich wünsche mir mehr Feingefühl – besonders im medizinischen Bereich. Ich habe mehrfach erlebt (im Krankenhaus, beim Rheumatologen oder auch in der Reha), dass mir gesagt wurde: „Wenn Sie das nicht nehmen, sterben Sie.“ Und ja – ich weiß, die Ärzt:innen meinen es gut. Sie wollen retten, helfen, Leben sichern. Aber gerade wenn man eine chronische Krankheit hat, ist die Psyche ein entscheidender Faktor. Das ist scheinbar sogar wissenschaftlich bewiesen. Wenn ich mich bewusst gegen eine bestimmte Behandlung entscheide – zumindest zeitweise –, dann wünsche ich mir, dass man mir trotzdem auf Augenhöhe begegnet. Dass man mir meine Selbstwirksamkeit lässt. Heilung ist nicht immer nur eine Tablette. Manchmal ist es ein inneres „Ja“. Und manchmal braucht man Zeit, um das zu finden. Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr auf die Weisheit im Menschen vertrauen – und nicht nur auf das, was im Lehrbuch steht.

Denn am Ende gilt:

„Wer heilt, hat recht.“

Und in meinem Fall – läuft es gerade ganz gut.

Meine Blutwerte sind nach 15 Jahren das erste Mal im Normbereich. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Aber auch hier habe ich positiv affirmiert. Einen Zettel geschrieben, auf dem ich die Normwerte eingetragen habe. So sollten sie sein.

selpers: Und zum Schluss: Was möchtest du anderen Betroffenen mitgeben, die vielleicht gerade erst ihre Diagnose erhalten haben oder nach Halt suchen?

Evita: Lass dich nicht unterkriegen – weder von der Diagnose noch von den Stimmen im Außen. Lupus ist ein Teil von dir, aber er ist nicht du. Es wird Tage geben, an denen du nicht weißt, wie du aufstehen sollst – und dann wirst du trotzdem aufstehen. Du darfst deinen eigenen Weg gehen. Du darfst Fragen stellen. Zweifeln. Dich umentscheiden. Und du darfst dir Zeit nehmen, zu fühlen, was für dich stimmt. Und du darfst an Heilung glauben. Immerhin gibt es bereits erste wissenschaftliche Erfolge in dem Bereich und die erste Lupuspatientin ist bereits über 1000 Tage beschwerdefrei.

Du bist nicht allein – auch wenn es sich manchmal so anfühlt.

Und wenn du nur einen Schritt tun kannst: Dann atme.

Tief. Langsam. Liebevoll.

Das ist der Anfang von allem.

 

Herzlichen Dank für das Interview, Evita.

Nimm Kontakt auf

Du lebst selbst mit Lupus und hast Fragen an Evita?
Wenn du dich mit Evita austauschen möchtest oder Fragen zum Leben mit Lupus hast, kannst du uns gerne schreiben. Schicke einfach eine E-Mail an redaktion@selpers.com – wir leiten deine Anfrage an Evita weiter.

Evita Witt ist Yoga-Lehrerin, angehende Spiritual-Life-Coachin, Gründerin von Glanzvoller und angehende Buchautorin – mit Herz, Humor und einer Prise Magie. Mummy, Kroatin im Herzen und spirituelle Kreativqueen mit einem Hang zu Glitzer, innerer Arbeit und ehrlichen Worten. Statt Kaffee gibt’s bei ihr Zitronenwasser mit Klarheitsfaktor – am liebsten mit Blick ins Leben. Evita glaubt daran, dass in uns allen ein Funkeln steckt, das nur darauf wartet, wieder zu leuchten. Sie liebt echte Verbindungen, Manifestieren, kleine Rituale mit großer Wirkung und freut sich riesig über Austausch – schreib ihr gern!

Erzähl uns deine Geschichte

Du hast eine chronische Erkrankung und möchtest deine Geschichte teilen? Wir bei selpers freuen uns, wenn Betroffene ihre Erfahrungen weitergeben. Wenn du deine Geschichte erzählen und damit anderen Mut machen möchtest, schreib uns an redaktion@selpers.com – wir melden uns gerne bei dir!

Interview wurde geführt von: selpers Redaktion

Bildnachweis: Evita Witt