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Notruf 144: Einblicke in den Berufsalltag eines Notfallsanitäters

Was passiert eigentlich genau, wenn man den Notruf wählt? Wie läuft ein typischer Tag im Rettungsdienst ab – und was bedeutet „typisch“ überhaupt, wenn es um Notfälle geht? In diesem Interview gibt Max, 22 Jahre alt und seit vier Jahren als Notfallsanitäter im Einsatz, einen offenen und eindrucksvollen Einblick in seinen Berufsalltag. Er spricht über herausfordernde Einsätze, Teamarbeit unter Hochdruck und darüber, wie wichtig es ist, als Laie im Ernstfall keine Angst vor dem Helfen zu haben. Was ihn persönlich bewegt – und was er sich für die Zukunft der Notfallmedizin wünscht: All das erfährst du in diesem Interview.

selpers: Wie bist du Notfallsanitäter geworden? Und was genau ist eigentlich der
Unterschied zwischen einem Rettungssanitäter, Notfallsanitäter und einem
Notarzt?

Max: Ich bin im Rahmen des Zivildienstes zum Rettungsdienst gekommen, dabei habe ich die Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Später habe ich die Ausbildung zum Notfallsanitäter begonnen. Die baut auf der des Rettungssanitäters auf und umfasst etwa 480h. Zusätzlich gibt es noch 3 Zusatzausbildungen (Notfallkompetenzen): die der Arzneimittellehre (+40h), des Venenzugangs (+50h) und der Intubation (110h). Die Ausbildung zum Notarzt ist eine gänzlich andere, sie schließt an das Studium
Humanmedizin an.

selpers: Wie sieht ein typischer Arbeitstag als Notfallsanitäter aus, oder gibt es in deinem
Beruf überhaupt „typische“ Tage?

Max:  Gibt es schon. Der Tag beginnt immer mit der Kontrolle des Equipments. Auf einem typischen Rettungswagen in Wien fährt man dann etwa 4-6 Ausfahrten pro 12h Dienst. Die Einsätze an sich sind dann natürlich sehr individuell. Es zieht sich aber, zumindest durch die Behandlung, immer der gleiche rote Faden. Beginnend mit dem
standardisierten Assessment, über diverse SOPs, bis hin zu antrainierten Abläufen. Nach einem Einsatz wird er bei Bedarf nachbesprochen, das Fahrzeug und das Equipment werden gereinigt, und es wird wieder in Richtung Wache gefahren. Zu Dienstende wird das Fahrzeug für die nächste Mannschaft wieder mit dem verbrauchten Material bestückt und gründlich gereinigt.

selpers: Stell dir vor, ich stehe plötzlich in einer Notfallsituation – was kann ich als Laie
tun, bevor ihr eintrefft? Und was passiert eigentlich genau, wenn jemand den
Notruf wählt?

Max: Das Wichtigste ist, keine Angst davor zu haben, zu helfen. Optimal wäre es, wenn man davor einen Erste-Hilfe-Kurs besucht hat. Aber das Wichtigste in Kürze: Eine reglose Person, die atmet, muss in die stabile Seitenlage (mit dem Kopf überstreckt, also ganz im Nacken!). Eine reglose Person, die nicht atmet, braucht eine kontinuierliche Herzdruckmassage. Wenn man 144 wählt, kommt man in die Leitstelle (in Wien in die der Berufsrettung Wien). Dort führt der Leitstellenmitarbeiter das Gespräch und stellt Fragen. Die wichtigsten Erste-Hilfe Maßnahmen werden telefonisch angeleitet. Bei potenziell lebensbedrohlichen Situationen bleibt der Leitstellenmitarbeiter bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes am Telefon.

Schulung: Notfall anaphylaktischer Schock

selpers: Gibt es Dinge, die die meisten Menschen über den Rettungsdienst komplett falsch
einschätzen? Und merkst du, dass solche Missverständnisse deine Arbeit
manchmal schwerer machen?

Max: Der Rettungsdienst kann wenige medizinische Probleme nachhaltig lösen. Es geht primär um den sicheren Transport in eine Klinik. Für Patienten, die akut lebensbedroht sind oder es aus anderen Gründen nicht schaffen selbst das Krankenhaus aufzusuchen. Abgesehen vom Transport, sind die Maßnahmen, die der Rettungsdienst setzt, hauptsächlich stabilisierender Natur, also um noch Schlimmeres zu verhindern. Den Rettungsdienst zu rufen, ohne den Wunsch, in ein Krankenhaus zu kommen (mit Ausnahme für schwer mobilitätseingeschränkte Personen in hilfsbedürftigen Situationen) ist nicht sinnvoll.

selpers: Was sind die größten Herausforderungen und was ist das Beste an deinem Beruf?

Max: Herausforderungen gibt es viele, die größten für mich sind: die Kommunikation mit den verschiedenen Parteien während eines Einsatzes, fachlich immer auf dem letzten Stand zu sein, und der Umgang mit eigenen Fehlern. Das Beste an meinem Beruf ist es, einen wichtigen und greifbaren Beitrag zur Genesung oder zum Wohlbefinden eines Patienten zu leisten.

selpers: Kannst du uns von einem besonders denkwürdigen Einsatz erzählen, der dir im
Gedächtnis geblieben ist? Gab es dabei eine besondere Herausforderung oder
etwas, das dich persönlich bewegt hat?

Max:  Wenn man in der Notfallrettung unterwegs ist, bekommt man unweigerlich einen ungefilterten Einblick in die Gesellschaft. Dabei trifft man auf viele denkwürdige Schicksale. Ich glaube, es ist nicht fair, hier ein spezifisches zu teilen. Persönlich bewegen mich Einsätze, wo man der ständigen Anforderung, keine Fehler zu machen, nicht ganz gerecht wird, besonders wenn die Auswirkungen greifbar sind.

Das Wichtigste ist, keine Angst davor zu haben, zu helfen.

selpers: Manche Einsätze können ja ziemlich belastend sein – wie gehst du mit stressigen
oder sogar traumatischen Erlebnissen um? Hast du bestimmte Strategien, um
damit klarzukommen?

Max:  Viele Situationen, die für Außenstehende stressig sein mögen, sind für Personal im Rettungsdienst Routine. Trotzdem gibt es natürlich auch die nicht alltäglichen Einsätze, bei denen viel auf dem Spiel steht. Da ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein, damit man auch in diesen Situationen auf gefestigtes Wissen zurückgreifen kann. Mit traumatischen Erlebnissen gehe ich um, indem ich zuerst alleine darüber nachdenke und dann mit vertrauten Kollegen darüber spreche.

selpers: Wie läuft die Teamarbeit bei euch ab? Und wie gut funktioniert die
Zusammenarbeit mit anderen Rettungsdiensten oder dem
Krankenhauspersonal?

Max:  Die genaue Arbeitsteilung variiert von Team zu Team, die grob gleiche Struktur findet sich aber in den allermeisten Teams wieder. Es gibt einen Transportführer, einen Fahrzeuglenker und optional einen Assistenten. Am Einsatzort übernimmt der Transportführer die Kommunikation mit dem Patienten und leitet das Assessment. Dabei delegiert er Aufgaben an den Lenker und Assistenten, wie die Erhebung von Vitalwerten, Vorbereitung von Maßnahmen oder administrative Tätigkeiten. Dabei ist es wichtig, dass alle relevanten erhobenen Informationen wieder zurück zum Transportführer fließen, damit dieser informierte Entscheidungen treffen kann. Damit
hierbei, auch in chaotischen Situationen, keine Fehler passieren, wird besonders auf explizite Kommunikation geachtet, einschließlich Rückmeldung.
Bei großen Einsätzen oder bei schwer kranken Personen kommt es oft dazu, dass mehrere Teams spontan miteinander arbeiten müssen, die sich vorher noch nie gesehen haben. Dafür ist es wichtig, dass allgemeine hierarchische Strukturen bekannt sind, damit die Verantwortungsgebiete klar sind.
Die Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus reduziert sich auf die verbale Übergabe und die Übersendung des Einsatzprotokolls. Besonders bei schwer erkrankten Patienten ist es wichtig, hier genau zu sein, damit keine Details verloren gehen.

selpers: Wenn du etwas an der Notfallmedizin oder im Rettungsdienst verändern
könntest – was wäre das? Was würde dir und deinem Team den Alltag
erleichtern?

Max: 

● ELGA für den Rettungsdienst. Also Krankenakten auch digital zugänglich zu
machen. Am besten mit einer Übersichtsseite speziell für den Rettungsdienst.
Sonst sind wir auf die sorgfältige Aufbewahrung der ausgedruckten Unterlagen
angewiesen, oder auf mündliche Aussagen.
● Ein Feedbacksystem einführen, um zu sehen, ob die präklinische Einschätzung
sich in der Klinik bewahrheitet. Das würde die Qualität, vor allem die Rate
falsch negativer Diagnosen, denke ich, systemisch reduzieren. Mit bedacht auf
den Datenschutz natürlich.

selpers: Und zum Schluss: Was würdest du jungen Leuten raten, die überlegen, selbst in
den Rettungsdienst zu gehen?

Max:  In Österreich ist die Eintrittsbarriere, um in den Rettungsdienst hineinzuschnuppern, relativ niedrig. Ich finde, es ist ein sehr spannender Beruf, also wenn die Überlegung besteht, würde ich sie ermutigen, den Schritt zu wagen 🙂

Herzlichen Dank für das Interview.

Max ist 22 Jahre alt und seit vier Jahren als Notfallsanitäter im Einsatz. Der gebürtige Wiener engagiert sich mit viel Herz ehrenamtlich im Rettungsdienst und hilft Menschen in akuten Notlagen – professionell, ruhig und empathisch.

Interview wurde geführt von:  selpers Redaktion

Bildnachweis: KI generiert