Weihnachtszeit, stressige Zeit – Anti-Stress Tipps für die Feiertage
Die Weihnachtsfeiertage gelten als die schönste Zeit des Jahres. Doch für viele bedeuten sie meist eines: Stress.Wie man mitWeihnachtsstress, Einsamkeit und Pandemie- oder krankheitsbedingten Zukunftsängsten umgehen kann, verrät Ihnen FrauMag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer,Leiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Wien,in unserem Interview.
selpers: Ihrer Erfahrung nach,warum bereitet gerade die besinnliche Weihnachtszeit so vielen Menschen Stress und was sind die größten Stressauslöser?
Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer: Die besinnliche Zeit ist nicht besinnlich, sondern sehr hektisch. Allesmussnoch vor Weihnachten erledigt werden. In vielen Branchen ist das diestressigsteZeit des Jahres, die meistenMenschen haben gerade vor Weihnachten ein enormes Arbeitspensum zu erfüllen. In den Schulen jagen ein Test und eine Schularbeit die andere, wie sollen sich die Kinder da entspannen können?Und „nebenbei“ jagen wir etwas nach, um diese unrealistischen Idealvorstellungen des besinnlichen Weihnachten zu erfüllen. Die perfekten Geschenke, das Haus muss dekoriert werden, das perfekte Essen und natürlich müssen am Weihnachtsabend alle glücklich sein.Wir strengen uns fruchtbar an, um eine nicht erfüllbare Fantasiewelt zu erschaffen und dann kommt natürlich die große Enttäuschung unter dem Weihnachtsbaum.
selpers: Haben Sie konkrete Tipps, wie wir mitdiesen Stresssituationenund unseren oftmals unrealistischen Erwartungen an einen perfekten Weihnachtsabend besser umgehen können?Wie lässt sich mehr Ruhe in den Alltag bringen?
Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer:Realistische Vorstellungen entwickeln!Halten Sie kurz inne undfragenSie sich: Was ist mir und meinen Nächsten wirklich wichtig?Schenken Siezum Beispielstatt materiellen Geschenken lieber etwas Zeit. Und ganz wichtig: Seien Sie milde mit sich selbst– es muss nicht alles perfekt sein! Machen Sie sich bewusst, dass das Leben auch nach Weihnachten weitergeht und Dinge, diebis dahin nicht erledigt werden konnten, auch danach noch erledigt werden können.Versuchen Sie, auf Perfektionismus so gut es geht zu verzichten und nicht alle Vorbereitungen auf den letzten Tag zu verschieben.
selpers: Wieso kommt es gerade rund um Weihnachten vermehrt zu familiären Konflikten undwie lassensich diesevermeiden?
Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer: Viele haben gerade zu Weihnachten ein sehr großes Harmoniebedürfnis und eben auch möglicherweise sehr unrealistische Erwartungshaltungen.Zu Weihnachten müssen sich alle gut verstehen, aberKonflikte, die schon das ganze Jahr bestehen,werden am Weihnachtsabend nicht plötzlich verschwinden.ÜberlegenSie sich, was für Sie und IhrUmfeld passt. Was ist uns wichtig? Wie fühlen wir uns wohl?Beispielsweisemüssen Sie zum Weihnachtsessen nicht alle einladen. Verwandte einzuladen,mit denen man unter dem Jahr (aus gutem Grund) nichts zu tun hat, wird nicht zur Harmonie und zum Wohlbefinden beitragen. Haben Sie den Mut, die Zeit mit Menschen zu verbringen, in deren Anwesenheit Sie sich auch unter dem Jahr wohl fühlen.Es ist auch völlig in Ordnung, wenn man dem ganzen Trubel aus dem Weg gehen will und bewusst allein sein möchteoder verreist.
selpers: Die kalteJahreszeit führt bei vielen Menschen zu einem Stimmungstief. Welche Tipps können Sie gegen diesen Winterblues geben?
Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer: Da muss man unterscheiden, woran es liegt. Zunächst ist es wichtig, zu akzeptieren, dass wir eben nicht immer gleich motiviert und aktiv sind. Im Winter, wenn es früh dunkel wird, sind die meistenMenschen einfach weniger aktiv undwerden früher müde. Ich denke,es ist wichtig, dem einfach auch nachzugeben und nicht von sich zu erwarten, dass man immer gleich aktiv und gut gelaunt ist. Die Lichtverhältnisse haben eben einen Einfluss aufunser Aktivierungsniveau und auch auf unsere Stimmung.Ich denke,es ist wichtig, sich das zuzugestehen und milde mit sich selbst zu sein. Es gibt aber auch Menschen, bei denen daszu einer sogenannten Winterdepression führt. Da hängt es davon ab, wie ausgeprägt das ist. Aber auf jeden Fall sollte man sich professionelle Hilfe suchen. Was immer gut ist, ist trotzdem nach draußen zu gehen und sichan der frischen Luft zu bewegen. Auch Lichtlampen helfensehr gut.
selpers: Nicht jeder hat Familie oder Freunde mit denen er/sie die Festtage verbringen kann. Vor allem im Hinblick auf Social Distancing spieltEinsamkeit eine große Rolle. Was können Personen tun, die sich vor dem Alleinsein an Weihnachten oder Silvester fürchten?
Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer: Zu Weihnachten allein zu sein ist besonders schwer, weil uns ja von überall her vermittelt wird, dass mangerade jetzt zusammen seinund das Fest der Liebe und derFamilie feiern sollte.Wennman da allein ist, wirdeinem suggeriert,man hätte etwas falsch gemacht oder nicht geschafft. Ich denke, es kann helfen, sich etwas von den gängigen Klischees zu distanzieren und zu überlegen, wie man es für sich nett gestalten kann. Tun Sie sichvielleicht mit Bekannten oderFreundenzusammen, die ebenfalls allein sind. Vielleicht einfach mal über Weihnachten oderSilvester verreisen? Machen Sie sich bewusst,dass das im Grunde Tage wie alle anderen sind und dass sievorübergehen. Man kann sie also auch verbringen, wie man sonst seine Tage verbringt.Und ganz wichtig: es istkein persönliches Versagen,an den Festtagen alleine zu sein.
selpers: Rund um den Jahreswechseldenkenvieledaran, was das nächste Jahr bringen wird.DieserGedankekann– vor allem im Hinblick auf die Pandemieoder für chronisch kranke Menschen– oft mit Angst verbundensein. Haben Sie Tipps, wie man mit diesen Zukunftsängsten umgehen kann?
Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer: Seit fast zwei Jahren sind wir durch die Corona Pandemie alle sehr belastet. Gerade, wenn man denkt, jetzt könnte es endlich vorbei sein, kommt wieder eine neue Mutation, ein neuerLockdown. Das macht hilflos und unsicher. Gerade für junge Menschen, die ins Leben starten sollten, ist das sehr schwierig. Aber auch für einsame Menschen, für Kranke, eigentlich für alle. Es gibt niemanden mehr, der nicht belastet ist.Es hilft mit anderen darüber zu sprechen. Wenn Sie die ständigen,meist negativen Nachrichten überfordern, reduzieren Sie Ihren Nachrichtenkonsum. Planen Sie in kleinen Zeiteinheiten undversuchenSie,sich eine Tagesstruktur zu schaffen. Beschäftigen Siesich bewusst mitschönen Dingenund lenken Sie sich ab. Blicken Sie zurück und führen Sie sich vor Augen, was Sie schon alles im Leben geschafft und bewältigt haben und überlegen Sie sich, was noch möglich ist. Wenn der Stress und die Angst zu überwältigend werden, müssen Siekeine Scheuhaben,professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.Der Bedarf an Psychotherapie war noch nie so hoch wie jetzt. Zumindest soweitich dasüber die letzten 30 Jahre überblicken kann.Auch das zeigt, dass die Belastung einfach enorm ist und es ist gut, jede Hilfe anzunehmen, die man bekommen kann. VersuchenSie, so gut es geht im Hier und Jetzt zu leben undsichan den sogenannten kleinen Dingen zu erfreuen, die in Wahrheit gar nicht so klein sind.
selpers: Was ist Ihre wichtigste Botschaft, die Sie den Lesern Ihres Buches mitgeben wollen?
Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer: Ich glaube, es tut uns allen gut, wenn wir von Zeit zu Zeit unsere Lebenssituation sorgfältig hinterfragen und uns überlegen, was wir optimieren können. Man muss sich um etwas bemühen, damit man etwas zurückbekommt. Solange wir gesund sind, sehen wir die Veranlassung dazu oft nicht. Aber genau das ist der richtige Moment. Das sind Investitionen in uns selbst, die wir wichtig nehmen sollten.
Herzlichen Dank für das Interview.
Falls Sie das Thema noch sehr beschäftigt oder Sie mit Einsamkeit zu kämpfen haben, können wir Ihnen den hilfreichen Vortrag von Frau Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer empfehlen, den Sie bei einem unserer Patiententage gehalten hat. Sie gibt hilfreiche Tipps für den Umgang mit Einsamkeit und zeigt wie man tägliche Herausforderungen, besonders jetzt in dieser schwierigen Zeit, meistern kann.
Frau Mag. Dr. Birgit Hladschik-Kermer
Univ. Ass. Dr. Mag. Birgit Hladschik-Kermer ist Psychotherapeutin, Psychologin, Supervisorin und Leiterin der Abteilung für medizinische Psychologie an der Medizinischen Universität Wien. Außerdem ist sie Lehrbeauftragte an zahlreichen Bildungseinrichtungen.