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AML: Was waren hilfreiche Dinge nach deiner Diagnose?

Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine schwere Erkrankung, die viele Fragen aufwirft. Neben der Frage nach dem „Warum“ sind Wut und Angst typische Reaktionen. Auch der Weg der Behandlung ist für Betroffenen und Angehörige herausfordernd, lang und erfordert viel Durchhaltevermögen. Der gegenseitige Austausch kann daher sehr hilfreich sein. Roman bekam mit 25 Jahren die Diagnose AML. Mit welchen Tipps er es geschafft hat mit seiner Erkrankung umzugehen und gleichzeitig auch noch sein Studium der med. Biotechnologie erfolgreich abzuschließen, erzählt er in diesem Beitrag.  

Im März 2009, kurz vor der Abschlussphase meines Studiums, erkrankte ich mit 25 Jahren leider schwer an einer akuten myeloischen Leukämie (AML). 80% meines Knochenmarks waren bereits vom Krebs befallen und die Zeit danach war u.a. geprägt von schweren, langandauernden Fieberzuständen, Pilzpneumonien und Sepsen. Die Behandlung erstreckte sich über ein halbes Jahr fast durchgehend stationär und setzte sich bis in den Frühling 2010 ambulant fort. Nach der Therapie war ich vollkommen ausgelaugt. Leider blieben durch die Erkrankung und Therapien einige fühl – und messbare Störungen im Blutbild erhalten, sodass ich in den anschließenden Jahren sehr gehäuft u.a. unter Infekten, Schwächezuständen sowie Blutungen litt. Auch plagten mich immer wieder depressive Phasen, u.a. da ich nicht mehr zu gewohnter Stärke zurückfand und die vielen „verlorenen Jahre“ mir stark zu schaffen machten.

Trotz allem fand ich die Kraft in der med. Forschung zu arbeiten und nach einigen Jahren endlich mein Studium zu beenden sowie anschließend als Doktorand zu arbeiten. 2016 traf mich dann erneut die AML. Wieder musste ich mehrere Chemotherapien und eine Ganzkörperbestrahlung über mich ergehen lassen. Ein Spender wurde glücklicherweise gefunden, sodass im August 2016 transplantiert werden konnte. Ende Oktober 2016 wurde ich endlich, nach einer schweren EBV-Infektion (vom Spender) und CMV-Reaktivierung, die mich nach der Transplantation ereilte, entlassen. Ich konnte bis Ende des Jahres kaum essen, laufen, musste andauernd brechen und benötigte noch einen Rollstuhl. Zum Jahreswechsel wurde schlussendlich die Immunsuppression abgesetzt. Die Jahre seitdem waren begleitet von weiteren Spätfolgen wie z.B. Polyneuropathien, schweren Schlafstörungen, chronischer Erschöpfung und Schmerzen, verschlimmert und chronifiziert vermutlich durch meinen zu frühen Wiedereinstieg in die Berufswelt 2018.

Familie

All die Jahre waren für meine Eltern und meine Partnerin sicherlich nicht leicht. Doch sie und meine besten Freunde hielten immer zu mir. 2020 wurde ich durch die, im 3. Versuch erfolgreiche, künstliche Befruchtung schließlich Vater einer wundervollen Tochter. Die letzten zwei Jahre waren für mich wunderschön, aber auch extrem anstrengend.  Meine Partnerin bekam schwangerschaftsbedingt ebenfalls starke gesundheitliche Probleme, wodurch auch ich ständig über meinen Grenzen kam und nur noch funktionieren musste. Seit mittlerweile einem Jahr geht meine Tochter nun schon in den Kindergarten. Im Prinzip trainiert sie mich auf allen Ebenen, durch die ständigen KiTa-Infekte vor allem aber auch mein noch recht naives/neues Immunsystem.

Was mir geholfen hat: Tipps für andere Betroffene der akuten myeloischen Leukämie

  • Energiemanagement: Spare deine Kräfte und Energie und teile sie dir gut ein, tue nichts unnötig Anstrengendes oder Stressiges was dir deine Kräfte und Nerven raubt. Vor allem in der Zeit der kräftezehrenden Therapien und Wiederaufbauphasen
  • Schlafen ist die beste Medizin“, trotzdem hatte ich mehrere Phasen vor und nach den Therapien in denen ich wegen Ängsten/Unsicherheit bzw. „Gott wer weiß warum“ (vermutlich hormonelle Umstellungen) teils monatelang nicht schlafen konnte. Lass dich nicht verrückt machen davon, übe dich in Gelassenheit.
  • Gesunder Egoismus sowie kurz- bzw. mittelfristige Verdrängung: Damit meine ich, sich von Ärzten/med. Mitarbeitern/Personen/Informationen/Gedanken, welche einen übermäßig überfordern oder nicht gut tun zu distanzieren. Das Gegenteil sogar – umgib dich mehr mit positiven Wesen, Tätigkeiten, Situationen welche dir guttun. In meinem Falle war dies z.B. einmal die glückliche Fügung, einen wunder- und humorvollen Bettnachbarn, zu haben. Wir schauten uns gemeinsam Serien wie „Two and a half Men“ oder Hollywoodstreifen an, spielten Nintendo und Playstation, lachten viel und verbreiteten „Ferienlagerstimmung“. Beim nächsten Einrücken ins Krankenhaus suchten und fanden wir uns wieder. Wenn ich allein im Krankenhaus war und die Kraft dazu ausreichte, spielte ich ebenso Nintendo oder auf meiner Gitarre. Versuche also trotz aller Widrigkeiten Spiel, Spaß und Humor in deinen Krankenhausalltag zu integrieren.
  • Damit komme ich zum Thema der Intuition: Achte auf deine Körpersignale- und gefühle. Wenn dir übel, mulmig im Bauch zumute wird oder du Schwäche verspürst, vertraue darauf und meide die Situation wenn du kannst. Wenn du sie nicht meiden kannst, sei achtsamer mit dir.
  • Mindset: Als Jugendlicher trainierte ich einige Jahre im Bereich Leistungssport. Aus irgendwelchen Gründen betrachtete ich daher die anstrengende und leidvolle stationäre Therapiezeit mit so einer Art „Trainingslager-Logik“. Das half mir sehr! Ich nahm, wenn die Kraft halbwegs ausreichte, stationäre Physiotherapie-Angebote die im Bett durchgeführt wurden an. Während der Stammzelltransplantation stellte ich mir sogar einen Ergometer (als einziger in der Station) ins Zimmer, fuhr darauf fast täglich ,auch wenn oft nur kurz, steckte mir das Zimmer ab und versuchte darin täglich 1000 Schritte zu laufen. Auch wenn es mir nur ab und an gelang, so erreichte ich die 1000 Schritte doch immer wieder mal. Achte aber trotzdem darauf, dass du dich nicht verausgabst!
  • Zur Trainingslagerlogik zähle ich auch Disziplin zu haben, wo und wann es notwendig/wichtig ist. Ein Beispiel für die Disziplin ist die Munddesinfektion, die zumindest während der Stammzelltransplantation sehr wichtig sein kann. Zum Mindset zähle ich auch sich im Glauben, dem Willen und der Zuversicht zu üben, dass alles zu schaffen ist und du wieder gesund werden kannst. Das bedarf täglicher Übung!
  • Wenn ein Kinderwunsch besteht, informiere dich über Möglichkeiten die Zeugungsfähigkeit zu erhalten.
  • Darmflora: Durch die schweren Antibiosen und Darmdekontaminationen wird dein Mikrobiom irreversibel zerstört. Wenn dein Immunsystem wieder halbwegs normal arbeitet, baue die Darmflora durch Fermente (Milch- und Wasserkefir, Joghurt, Kombucha, fermentiertes Gemüse/Kimchi/Sauerkraut/saure Gurken etc.) und eine gesunde, vollwertige Ernährung wieder auf. Am besten zu sprichst das mit deinem Behandlungsteam ab.
  • Desinfektion: die meisten Desinfektionsmittel verursachten durch den Geruch und die Chemos eine enorme Übelkeit in mir. Zum Desinfizieren kann man auch Franzbranntwein nehmen (dieser enthält neben dem Ethanol auch Campher und natürliche Pflanzenöle), das riecht viel besser, schont die Haut mehr und einem wird nicht so übel.
  • Hilfe: Gesunde Verdrängung funktioniert nie langfristig. In den Phasen, in denen es dir wieder etwas besser geht, suche nach Entspannungskursen, Selbsthilfegruppen, onkologische Psychologen/innen (Stichwort: „Trauma Verarbeitung“) oder Krebsvereine auf wie z.B. Eisvogel e.V. oder Lebensdurst-ICH e.V. und arbeite das Erlebte auf.
  • Eigenverantwortung: Hinterfrage deine Gewohnheiten, Glaubenssätze und ändere die ungesund gewordenen. Höre dabei auf dein Innerstes, deine Gefühle und Schmerzen – sie weisen dir den richtigen Weg.
  • Finanzen: Die unverschuldet lange Studienzeit und der “unglücklich gewählte” Zeitpunkt des Rückfalls, brachten mich in eine echte finanzielle Notsituation. Vor allem da mich der Rückfall genau zwischen der Beendigung meines Studiums und dem Unterschreiben meines Arbeitsvertrages erwischte. So lag ich erneut das gesamte Jahr 2016 statuslos, ohne Krankengeld oder ähnliche finanzielle Unterstützung im Krankenhaus und verbrauchte mein wenig Angespartes. Meine Eltern (damals kurz vorm Rentenalter) übernahmen schließlich wieder sämtliche anfallenden Kosten. Wenn man mit dem Überleben beschäftigt ist, verschieben sich sämtliche Prioritäten. Mir war deswegen die „Geldfrage“ zunächst vollkommen unwichtig: „Hauptsache überleben, wieder gesund!“. Abgesehen davon besaß ich auch keine Kraft und Nerven mehr, um mich mit solchen Themen auseinanderzusetzen, geschweige denn, irgendwelche Anträge auszufüllen. Daher mein Rat: frage nach Sozialarbeitern, welche dir oder deinen Verwandten helfen können, soziale Hilfen oder Einmalhilfen (z.B. Bundespräsidialamt, Deutsche Krebshilfe e.V., Deutsche Leukämiestiftung und Lymphomhilfe, Berliner Krebsgesellschaft e.V.) und einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Nimm eventuelle Fördermöglichkeiten (Arbeitsamt, Jobcenter) für den Wiedereinstieg ins Berufsleben wahr.
  • Freunde und Familie – halte dich an sie und fühle dich unendlich geliebt. Wir sind eine Menschheit und schaffen das gemeinsam! ♥️

Roman
Roman erkrankte 2009 an AML. Trotz der Diagnose, konnte er sein Studium der medizinischen Biotechnologie erfolgreich abschließen und ist mittlerweile stolzer Papa einer kleinen Tochter. Unter @cancerhoggne bloggt Roman regelmäßig auf Instagram über seinen Alltag und seine Krankheit.
Instagram: @cancerhoggne

AutorIn: selpers Red.

Bildnachweis: Bigstock