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„Was ich mir nach meiner MS-Diagnose wirklich gewünscht hätte“ – Drei Betroffene erzählen

Die Diagnose Multiple Sklerose verändert alles – plötzlich ist das Leben voller Fragen, Ängste und Unsicherheiten. Viele Betroffene fühlen sich in dieser Phase allein und überfordert. In diesem Beitrag teilen Karolina, Anastasia und Franzi ihre ganz persönlichen Gedanken. Sie erzählen offen davon, was sie sich nach ihrer Diagnose gewünscht hätten – und was sie anderen mit auf den Weg geben möchten. Es geht um Unterstützung, Sichtbarkeit, Aufklärung, Selbstbestimmung und Mut. Und vor allem: um die Erkenntnis, dass es nach der Diagnose weitergeht – anders, aber nicht weniger lebenswert.

 

Karolina

 

Hi, ich heiße Karolina und bin 35 Jahre alt. Ich habe kurz nach Weihnachten 2010 meine Diagnose MS (Multiple Sklerose) bekommen. Damals war ich 21 Jahre alt. Meine Welt lag in Trümmern, ich dachte, ich komme nie wieder aus dem schwarzen Loch. 15 Jahre später muss ich gestehen, dass ich mir nie erträumt habe, so ein tolles Leben zu haben. Ich bin seit 12 Jahren verheiratet und habe 3 wundervolle Kinder (Lena (9), Janek (8) und Kostek (3)). Vom Beruf bin ich examinierte Gesundheits- und Krankenschwester, aber zurzeit bin ich Hausfrau und Mutter. Diese Dinge hätte ich nach meiner Diagnose gerne gewusst:

Es ist nicht das Ende!!

Ich glaube, bei fast jeder Diagnose fällt man in ein Loch. Man quält sich mit Gedanken: Wieso ich? Und trauert um sein vorheriges Leben. Man hat Angst, schämt sich, jetzt chronisch krank zu sein und nicht mehr unantastbar! Die Zukunft scheint ungewiss, jetzt auf einmal plötzlich nach der Diagnose. Mit der Zeit habe ich verstanden, dass ich schon vor der Diagnose mit der MS gelebt habe. Ich musste verstehen, dass mich eine Diagnose nicht definiert und ich trotzdem liebenswert bin!!

Nicht nur die Allgemeinmedizin hilft.

Ich musste lernen, der Experte für mich und meine Krankheit zu werden. Ich habe recherchiert und habe viele verschiedene Ärzte kontaktiert. Ich habe gelernt, für mich Verantwortung zu übernehmen und für mich einzustehen. Nicht alles ist schwarz oder weiß. Was mir hilft, heißt noch lange nicht, dass es Dir helfen wird und umgekehrt. Ich habe gelernt, auf meinen Körper zu hören, ich habe gelernt, seine Signale zu erkennen, und ich habe angefangen, mich und meinen Körper wieder zu lieben.

Trenne/befreie dich von negativen Menschen.

Sich von negativen Menschen zu trennen, ist nicht egoistisch, nein, es ist Selbstschutz!! Negative Menschen oder Gedanken ziehen einen runter. Wahre Beziehungen, egal ob freundschaftlich oder liebevoll, basieren auf Vertrauen und Respekt, Unterstützung und Akzeptanz! Rechtfertige dich vor niemandem außer vor dir selber! Hör dir keine gut gemeinten Ratschläge an, ignoriere Sticheleien, denn dein innerer Frieden ist viel wichtiger! Chronisch krank zu sein bedeutet, jeden Tag einen Kampf zu führen. Da braucht man keine negativen Menschen mehr. Chronisch krank zu sein bedeutet, stark zu sein, auch wenn der Körper schwach ist. Es bedeutet aber auch, geduldig mit sich selbst zu sein, kleine Erfolge zu feiern und wieder achtsam und dankbar sein Leben zu führen. Denn unser Leben ist zerbrechlich, zerbrechlicher, als wir dachten, als wir noch keine Diagnose hatten.

Anastasia

Ich habe meine Diagnose (mit 16 Jahren) sehr früh bekommen und denke, auch wenn es natürlich für einen so jungen Menschen ein sehr einschneidendes Ereignis war (ich erinnere mich sehr gut an den Moment, als ich damals nach der Schule zu meiner Mutter ins Krankenhaus gefahren bin und die Hilflosigkeit des Arztes auf der Kinderstation), hatte ich die Möglichkeit, mich dementsprechend früh mit meiner Erkrankung und komplett neuen (oft sehr herausfordernden) Situationen auseinanderzusetzen und diese auch dementsprechend zeitig in mein Leben zu integrieren.

Altersgerechte Aufklärung

Es wäre mit Sicherheit sehr wichtig gewesen, eine Ansprechperson zu haben, die mir alles „kind- oder jugendgerecht“ erklärt. Von Verlaufsmöglichkeiten und Medikation bis hin zu Tipps, mit denen ich meinen Alltag „MS-freundlich(er)“ gestalten kann (Ernährung, Bewegung, Schlafrhythmus etc.), ohne schon so früh (Zukunfts-)Ängste zu schüren.

Rückhalt

Auf einer persönlichen Ebene wäre es mit Sicherheit gut gewesen, wenn meine Umgebung „anders“ mit meiner neuen Situation umgegangen wäre. Sowohl Familie, Freunde und Lehrkräfte als auch medizinisches Personal hatten, ob meines Alters, die unterschiedlichsten Schwierigkeiten damit, mit meiner damals als „besonders“ geltenden Situation umzugehen. Das hat mich wiederum oft dazu veranlasst, die Rolle der „starken und tröstenden Person“ einzunehmen, und ich hatte somit relativ wenig Zeit, meine eigene Rolle zu finden und die Diagnose ausreichend zu verarbeiten.   Das soll keinen Vorwurf darstellen (klar ist es nicht leicht, wenn Angehörige erfahren, dass sie chronisch und damit unheilbar krank sind), aber etwas mehr „Yes, du schaffst das, ich helfe dir, wenn du mich brauchst“ und das ohne entsetzte Gesichter wäre schön und mit Sicherheit auch sehr wichtig gewesen.

Sichtbarmachung junger Betroffener

2007 war der Tenor noch der, dass „MS erst ab Ende 30, Anfang 40“ in das Leben der Menschen platzt. Dementsprechend war das medizinische Personal, die Literatur, jegliche Selbsthilfegruppen etc. nur auf diese Altersgruppe ausgelegt. Diesen Umstand habe ich damals auch an offizielle Stellen kommuniziert und bin, wenn auch eher zaghaft, von einigen mit offenen Ohren empfangen worden.  Zu wissen und zu sehen, dass es auch andere gleichaltrige Menschen mit meiner Erkrankung gibt und eine selbstbestimmte Zukunft möglich ist – wenn auch nur Informationsbroschüren – hätte mit Sicherheit viele Fragen besser und Entscheidungen einfacher machen können.

Schulungsreihe Multiple Sklerose

Franzi

Hi, ich bin die Franzi, 33 Jahre alt und habe seit nun 20 Jahren die Diagnose Multiple Sklerose. Ich lebe im schönen Bayern, bin verheiratet und habe seit 2,5 Jahren eine kleine Tochter, welche momentan meinen Alltag gestaltet, da ich noch in Elternzeit bin. Vor der Schwangerschaft war ich PTA mit Leib und Seele in einer öffentlichen Apotheke.

Aufklärung

Vor 20 Jahren auf jeden Fall mehr Aufklärung und Information über die MS. Da es damals auch noch kein Internet gab, so wie heute, war es schwer für meine Eltern, überhaupt an Informationsmaterial zu kommen. Was ja zum Glück heute durch so viele Plattformen und die Forschung anders ist!

Austausch

Mehr Austausch mit Betroffenen und deren Geschichte. In meiner Kleinstadt kannte ich niemanden mit MS. Internet gab es noch nicht so wie heute. Mir hätte es sehr geholfen, mich auszutauschen mit jemandem, der/die das gleiche Schicksal wie ich teilt, vor allem in der Anfangszeit. Deshalb mache ich das hier auf Instagram:

@ms_wolkenfrei

Zukunftsoptimismus

Früher habe ich mich oft gefragt: Wie geht es mir wohl in 20 Jahren? Ich hatte Angst, blind zu sein oder ein Pflegefall zu werden. Heute kann ich sagen, ich führe ein total normales Leben mit Arbeit, Kind, Hobbys, Freunden und Sport. Hätte ich das früher gewusst, hätte mir das vielleicht viele Sorgenfalten erspart. Heute blicke ich der Zukunft trotz MS positiv und optimistisch entgegen.

Vielen lieben Dank an Franzi, Karolina und Anastasia!

Interview wurde geführt von: selpers Redaktion

Bildnachweis: Franzi und Karolina