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Hilfe für Paare nach Krebsdiagnose: Herausforderung gemeinsam bewältigen

Krebsdiagnose als Paar bewältigen

Eine Krebsdiagnose und -behandlung ist nicht nur für den Betroffenen selbst ein gewaltiger Einschnitt ins Leben, sondern auch für den Partner/die Partnerin oder andere enge Angehörige. Prof. Dr. rer. nat. Tanja Zimmermann von der Medizinischen Hochschule Hannover widmet diesem Thema einen großen Teil ihrer Forschungsarbeit. Mit einem speziellen Kommunikationstraining hilft sie Paaren, die neuen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Im Interview erklärt sie, worauf es dabei ankommt.

selpers: Sie haben sich sehr viel damit beschäftigt, welche Folgen eine Krebsdiagnose für ein Paar oder eine ganze Familie hat. Was sind dabei die größten Probleme?

Frau Prof. Zimmermann: Das hängt sehr vom Zeitpunkt am, an dem man die Paare befragt. Direkt nach der Krebsdiagnose sehen wir oft einen sogenannten Kohäsionsprozess: Das Paar rauft sich zusammen, rückt näher zueinander und versucht, mit vereinten Kräften die Erkrankung zu bewältigen. Die Partner, die nicht erkrankt sind, übernehmen viel Verantwortung und auch viele konkrete Aufgaben. Das finden wir auch in Familienstrukturen, wenn zum Beispiel ein Elternteil erkrankt.

Fragt man die Paare zu einem späteren Zeitpunkt, kann die Erkrankung zu Problemen führen. Die medizinische Behandlung ist irgendwann abgeschlossen und dann kann es sein, dass eine Entwicklung in unterschiedliche Richtungen stattgefunden hat. Der Partner oder die Partnerin möchte vielleicht möglichst schnell zum Alltag und zur Normalität zurückkehren, aber für den Krebspatienten hat sich vieles geändert. Die Erkrankung ist ein einschneidendes Erlebnis, Prioritäten verschieben sich, Dinge, die früher wichtig waren, verlieren jetzt an Bedeutung und umgekehrt. Das kann auch die Paarziele verändern. Und natürlich kann eine Krankheit auch dazu führen, dass man bestimmte Pläne und Ziele, die man mit einem Partner hatte, nicht mehr realisieren kann. Das kann die Partnerschaftszufriedenheit deutlich verschlechtern und schließlich auch zu einer Trennung führen.

selpers: Wie unterstützen Sie die Paare in dieser Situation?

Frau Prof. Zimmermann: Wir haben mit unserem Projekt „Seite an Seite“ ein Training für Paare entwickelt, das vor allem die Kommunikation verbessern soll. Wir statten sie mit Strategien aus, um ihnen diese Zeit zu erleichtern. Es geht darum, sich gegenseitig darüber auf dem Laufenden zu halten, was sich bei beiden Partnern ändert, und das geht am besten durch das Gespräch.

Unser Training besteht aus vier Einheiten. In der ersten Einheit betrachten wir gemeinsam mit dem Paar, welche Veränderungen sich durch die Krankheit ergeben haben. Wir sprechen darüber, wie sich die Partner gegenseitig unterstützen können. Oft geht es auch darum, Situationen einfach gemeinsam auszuhalten, weil es im Moment keine Möglichkeit gibt, sie zu verbessern. Ganz praktisch vermitteln wir auch Kommunikationsregeln, zum Beispiel, dass der Sprecher von sich und den eigenen Gefühlen spricht und bei der konkreten Situation bleibt. Der Zuhörer soll aktiv zuhören und – eine etwas ungewöhnlichere Regel – immer wieder zusammenfassen, was er oder sie verstanden hat und nachfragen. Solche Regeln trainieren wir gemeinsam.

In den weiteren Einheiten geht es darum, mit nicht hilfreichen Gedanken umzugehen. Da geht es zum Beispiel um Ängste, was alles passieren könnte. Es gibt Strategien, solche nicht hilfreichen Gedanken abzuschwächen. Dann geht es auch darum, wieder gemeinsame Aktivitäten aufzunehmen. Ich sage den Paaren immer: „Zusammen zum Arzt zu gehen, ist keine Paaraktivität.“

Ein großer Part ist außerdem die Sexualität. Wenn man mit Paaren arbeitet, muss man dieses Thema einfach ansprechen. Leider ist es immer noch ein großes Tabu. Patienten möchten meistens Informationen dazu, trauen sich aber oft nicht zu fragen. Viele Experten sagen dann von sich aus nichts, deshalb haben wir das Thema als wichtigen Punkt in unser Training mit aufgenommen.

Und es gibt noch einen wichtigen Punkt, dem wir oft begegnen: Die Partner, die nicht erkrankt sind, halten sich mit ihren eigenen Ängsten und Sorgen oft zurück, weil sie den anderen nicht belasten wollen. Man nennt das „protective buffering“. Nach solchen Prozessen schauen wir mit den Paaren und erklären ihnen, warum das ungünstig ist.

selpers: Wie weit verbreitet ist ein solches Training? Wie können Paare Unterstützung finden?

Frau Prof. Zimmermann: Leider ist das noch nicht so verbreitet, wie wir es gerne hätten. Wir bieten es in Hannover an und es gibt auch niedergelassene Therapeuten, an die man sich wenden kann. Außerdem gibt es Beratungsstellen, die Paartherapien anbieten. Aber noch muss man leider sehr aktiv suchen und es gibt noch zu wenige Angebote in dieser Richtung.

Um Paare zu unterstützen, haben wir ein Selbsthilfebuch geschrieben: „Seite an Seite – eine gynäkologische Krebserkrankung in der Partnerschaft gemeinsam bewältigen“. Die Perspektive bezieht sich zwar auf Paare, in denen die Frau an Krebs erkrankt ist, weil wir genau das in unserer Studie untersucht haben, aber das meiste lässt sich auch auf andere Situationen übertragen.

selpers: Haben Sie den Eindruck, dass es noch zu wenig Bewusstsein dafür gibt, dass eine Krebsdiagnose auch für die Angehörigen ein großes Problem ist?

Frau Prof. Zimmermann: Im großen klinischen Umfeld schon. In der Wissenschaft ist das schon lange bekannt, aber wenn man sich die tatsächliche klinische Versorgung anschaut, gibt es noch zu wenige Angebote. Angehörige denken oft, sie müssen nach der Krebsdiagnose stark sein und dürfen ihre Ängste und Sorgen nicht zeigen, aber sie haben sehr häufig keine Anlaufstelle für ihre eigenen Probleme. Auch Kinder krebskranker Eltern werden noch viel zu wenig berücksichtigt.

selpers: Was können Paare selbst tun, damit es gar nicht erst zu großen Problemen kommt?

Frau Prof. Zimmermann: Entscheidend ist, dass man nicht in eine Sprachlosigkeit verfällt. Das gilt nicht nur bei einer Krebserkrankung, auch generell ist es das, was glückliche von unglücklichen Paaren unterscheidet: viel miteinander zu sprechen, auch und gerade über die Dinge, die uns bewegen.

selpers: Was möchten Sie Paaren noch mitgeben, welcher Aspekt ist Ihnen besonders wichtig?

Frau Prof. Zimmermann: Wichtig ist, dass es nicht nur negative Seiten gibt. Es gibt auch viele Paare, die nach einiger Zeit sagen, die schwierige Situation hat sie noch näher zusammengebracht. Partnerschaften können auch an solchen Zeiten wachsen und umso stabiler und inniger werden.

Herzlichen Dank für das Interview!

Interview wurde geführt von:  Birgit Oppermann.

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