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Jung und Krebs – Interview mit der Krebshilfe Wien

Die Bedürfnisse jüngerer Menschen, die eine Krebsdiagnose erhalten, unterscheiden sich in vieler Hinsicht von jenen älterer Menschen. Bislang wird auf diese Bedürfnisse kaum oder zu wenig eingegangen. Aus diesem Grund hat die Krebshilfe Wien eine Initiative gestartet, die auf die spezifischen Herausforderungen dieser Patientengruppe hinweisen und einen Anstoß für eine verbesserte Betreuung geben soll. selpers hat mit der Koordinatorin der Initiative gesprochen.  

selpers: Was ist der Grund für Ihre Initiative “Jung und Krebs”?

Frau Mag. SonnbichlerIn unsere Beratungsstelle kommen zusehends mehr junge Patientinnen und Patienten. Wir haben gesehen, dass sie mit ganz speziellen Themenkreisen konfrontiert sind und dass man diesen Themenkreisen derzeit oftmals nicht gerecht wird. Wir haben gesagt, das muss sich ändern, wir müssen den Fokus darauflegen.

selpers: Was haben Sie unternommen?

Frau Mag. Sonnbichler: Wir haben eine psychoonkologisch geleitete Gesprächsgruppe für junge PatientInnen ab 18 Jahren gegründet, um zu sehen, wie wir auf psychoonkologischer Seite unterstützen können. Es hat sich herauskristallisiert, dass auf vielen Ebenen Unterstützungsangebote fehlen. Um eine medizinische und gesellschaftspolitische Diskussion in Gang zu bringen und Awareness zu schaffen, haben wir als Initialzündung die Broschüre „Jung und Krebs“ auf den Weg gebracht.

selpers: Welche PatientInnengruppen sprechen Sie an?

Frau Mag. Sonnbichler: Junge Menschen leiden nicht an anderen Erkrankungen als ältere, aber in anderen Häufigkeiten. Bei jüngeren Menschen sehen wir vor allem Leukämien, Lymphome, Schilddrüsen- und Gehirntumoren, Melanome, Hodenkrebs oder Karzinome des weiblichen Genitaltrakts. Auch die Biologie der Tumoren ist unterschiedlich. Das findet noch zu wenig Aufmerksamkeit. Es braucht mehr klinische Studien, die Schnittstelle zwischen pädiatrischer und Erwachsenenonkologie bedarf einer speziellen Beachtung und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen diesen verschiedenen klinischen Bereichen wäre wichtig und notwendig.

selpers: Was sind die besonderen Herausforderungen für KrebspatientInnen in diesem Lebensabschnitt?

Frau Mag. Sonnbichler: Betrachten wir das Thema einmal anhand der Diagnose. Häufig kommt es zu einer Verzögerung zwischen Symptom auftreten und der Diagnosestellung. Einerseits haben jüngere Menschen oft eine besondere Scheu, Symptome beim Arzt zu erwähnen, auf der anderen Seite werden Symptome von den ÄrztInnen auch schwerer erkannt als bei älteren PatientInnen, weil es noch wenig studienbasierte Erfahrung mit Krebs und auch keine Screening-Programme für diese Altersgruppe gibt. Auf psychosozialer Ebene trifft es einen Menschen, der zum Beispiel Anfang oder Mitte Zwanzig ist, in einer Lebensphase, wo man normalerweise erwartungs- und hoffnungsvoll in die Zukunft schaut und nicht an eine Erkrankung denkt, schon gar nicht an eine schwerwiegende. Damit ist man in den meisten Fällen auch so ziemlich der einzige im Freundeskreis mit einer solchen Diagnose. In diese Lebensphase fallen sehr viele entscheidende Themen wie Partnersuche, Familienplanung, Ausbildung, Berufswahl, Selbstbild und Loslösung vom Elternhaus. Darüber hinaus sind die medizinischen, mentalen und psychosozialen Spätfolgen andere, als wenn man in höherem Alter an einer Krebserkrankung leidet. Jüngere PatientInnen müssen diese Spätfolgen über viele Jahre tragen und mit ihnen leben.

selpers: Wie kann man jüngere KrebspatientInnen gezielt unterstützen?

Frau Mag. Sonnbichler: Wir haben ein weitreichendes Ziel- und Forderungspaket ausgearbeitet. Psychoonkologische Unterstützungsangebote sind ganz wichtig. Darüber hinaus müssen spezifische Versorgungsangebote entwickelt und an der Schnittstelle zwischen pädiatrischer und Erwachsenenonkologie implementiert werden. Man muss die willkürliche Grenze „Erwachsen mit 18“ auflösen. Das ist ein fließender Übergang und sollte es auch im Rahmen der Versorgungskette sein, von der Akutbehandlung über den niedergelassenen Bereich bis hin zur ganz wichtigen Rehabilitationsphase. Es wäre wichtig, im Bereich AYA (Adolescents and Young Adults) mehr klinische Studien zu haben, mehr Aufmerksamkeit auch auf Vorsorge und Früherkennung zu lenken. Weiters wäre eine Finanzierungsübernahme fertilitätserhaltender Maßnahmen durch die Kranken- bzw. Gesundheitskassen dringend erforderlich. Momentan ist es so, dass eine junge Frau oder ein junger Mann, die mit dem Thema Krebs konfrontiert werden und ein Zeitfenster von drei Wochen für die Therapieentscheidung haben, auch noch entscheiden müssen, ob eine Fertilitätsmaßnahme ergriffen werden soll, für die sie tausende Euro investieren müssen. Insgesamt muss man sich anschauen, wie es mit den unerfüllten Bedürfnissen dieser Zielgruppe aussieht, und valide Antworten darauf geben.

selpers: Gibt es in Österreich Institutionen, die bereits auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Patientengruppe eingehen?

Mag. Sonnbichler: Generell gibt es in Österreich noch wenige Angebote. AYA sind ein recht unbearbeitetes, neues Feld. Einzelne Reha-Anstalten spezialisieren sich in Richtung AYA und bieten Programme an, die die Anforderungen dieser Patientengruppe berücksichtigen und Gruppen wie zum Beispiel die „Survivors“, die aus der Kinderonkologie entstanden sind, kümmern sich um erwachsen gewordene kinderonkologische PatientInnen. Es gibt das eine oder andere Programm, aber all das ist nicht konzertiert. Die Schnittstellen funktionieren noch nicht, und der eine weiß oft vom anderen nichts. Es braucht Vernetzung und eine Betrachtung, was es an Angeboten einerseits und unerfüllten Bedürfnissen andererseits gibt.

selpers: Wie können Betroffene an Ihre Broschüre „Jung und Krebs“ kommen?

Mag. Sonnbichler: Die Broschüre steht zum Download auf unserer Internetseite https://www.krebshilfe.net bereit. Betroffene können sie aber auch in allen über sechzig Beratungsstellen der Österreichischen Krebshilfe kostenlos anfordern.

Herzlichen Dank für das Interview.

Mag. Gaby Sonnbichler

Frau Mag. Gaby Sonnbichler ist Geschäftsführerin der Österreichischen Krebshilfe Wien und Initiatorin von „Jung und Krebs“. Mit ihrer Arbeit unterstützt sie Betroffene und sorgt für mehr Aufklärung über Krebserkrankungen in unserer Gesellschaft.

Hier gehts zur Österreichischen Krebshilfe Wien

Interview wurde geführt von:  selpers Red.

Bildnachweis: Frau Mag. Sonnbichler