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Kündigung im Krankenstand: Wissenswertes für Patient:innen

Doris Kiefhaber, Geschäftsführung Österreichische Krebshilfe, erläutert in diesem Interview die Problematik des derzeit fehlenden Kündigungsschutzes für schwerkranke Menschen – und was Betroffene bereits im Vorfeld beachten sollten.

In Österreich gibt es derzeit keinen generellen Kündigungsschutz im Krankenstand. Arbeitgeber können das Arbeitsverhältnis von kranken Mitarbeiter:innen jederzeit kündigen. Das Thema „Kündigung im Krankenstand“ war vor kurzem in den Medien und sorgte für viel Aufregung.  Unmittelbar danach reagierte die Österreichische Krebshilfe und fordert seither von politisch Verantwortlichen, einen effektiven Kündigungsschutz für schwerkranke Menschen gesetzlich zu verankern.

selpers setzt sich seit der Gründung dafür ein, die Gesundheitskompetenz von kranken Menschen zu stärken. Patient:innen und deren Angehörige sollen ihre Rechte kennen und werden ermutigt,  sich aktiv Beratung und Unterstützung zu holen. Betroffene sollen dadurch selbstbestimmt agieren und entscheiden können, welche Behandlung sie möchten – und welche Maßnahme auch nicht.

Die aktuelle Diskussion nimmt selpers daher zum Anlass und bittet Doris Kiefhaber zum Interview.

selpers: Frau Kiefhaber, wie ist die derzeitige Situation? Welche Rechte haben Patient:innen?

Doris Kiefhaber: Grundsätzlich kann auch während eines Krankenstandes eine Kündigung ausgesprochen werden. Dies gilt nicht, wenn es im Kollektivvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag ausdrücklich ausgeschlossen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, können Patient:innen auch während des Krankenstandes kündigen, aber auch vom/von der Arbeitgeber:in gekündigt werden.

Im Falle einer Krebserkrankung kann von einer Behinderung im Sinne des Diskriminierungsverbotes gem. Behinderteneinstellungsgesetz ausgegangen werden. Danach dürfen Krebspatient:innen aufgrund der Tatsache der Krebserkrankung nicht benachteiligt d.h. nicht gekündigt werden. Es besteht daher die Möglichkeit, die Kündigung anzufechten. Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass sich viele Menschen gerade in der Zeit von belastenden Therapien dieser gerichtlichen Auseinandersetzung nicht stellen (können), insbesondere als nur sehr kurze Fristen bestehen, gegen die Kündigung vorzugehen.

Im Fall einer Kündigung sollten Patient:innen daher umgehend Kontakt mit ihrer Gewerkschaft oder der Kammer für Arbeiter und Angestellte aufnehmen.

selpers: Was raten Sie aktuell Krebspatient:innen, die Sorge um ihren Job haben? Wohin sollen sich Betroffene wenden?

Doris Kiefhaber: Krebspatient:innen können sich jederzeit an eine der 63 Krebshilfe-Beratungsstellen wenden. Viele Informationen gibt es auch in unserer Broschüre „Krebs und Beruf“. Natürlich stehen auch Gewerkschaften und die Arbeiterkammer mit Auskünften und hilfreichen Informationen zur Verfügung.

selpers: Krebspatient:innen haben bereits die Möglichkeit, einen Antrag auf „begünstigten Behindertenstatus“ zu stellen und erlangen dann einen Kündigungsschutz. Ist diese Maßnahme nicht ausreichend? Wo sehen Sie hier Problematiken?

Doris Kiefhaber: Um sich vor einer Kündigung zu schützen, können Krebspatient:innen einen Antrag auf „Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 und 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes“ beim Sozialministeriumservice einreichen. Eine Voraussetzung ist eine Behinderung von mind. 50%. Der erweiterte Kündigungsschutz tritt ab Einreichen des Feststellungsantrages in Kraft, obwohl noch kein Bescheid des Sozialministeriumservice vorliegt.

Wird eine Kündigung in der Zeit zwischen Antragsabgabe und endgültigem Bescheid ausgesprochen, so ist diese rechtswidrig und muss beim Sozialministeriumservice eingereicht werden und auf deren Zustimmung oder Ablehnung gewartet werden. Das Dienstverhältnis eines/einer begünstigten Behinderten kann nur gekündigt werden, wenn mindestens 4 Wochen Kündigungsfrist eingehalten werden und der Behindertenausschuss, der bei den Landesstellen des Sozialministeriumservice eingerichtet ist, zustimmt. Man sollte meinen, dass dies einen ausreichenden Kündigungsschutz darstellt. Leider zeigt die Erfahrung, dass es vor diesem Ausschuss in sehr vielen Fällen nicht zum Aufheben der Kündigung/Wiedereinstellung kommt, sondern zu Abschlagszahlungen an den Dienstnehmer/die Dienstnehmerin.

selpers: Sie fordern einen gesetzlichen Schutz vor Kündigung im Krankenstand etwa durch Angleichung an den Schutz vor Kündigung von Schwangeren oder durch Sperrfristen für Kündigungen für die Dauer von krankheitsbedingten Arbeitsunfällen nach dem Schweizer Modell. Welche Variante eignet sich Ihrer Meinung nach am besten für eine Umsetzung und weshalb?

Doris Kiefhaber: Wir sind grundsätzlich für alles offen. Wichtig ist, dass es jetzt rasch zu entsprechenden Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern kommt.

selpers: Was sind die nächsten Schritte der ÖKH zum Thema Kündigungsschutz?

Doris Kiefhaber: Wir beobachten sehr genau, ob es zu Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern kommt und falls nicht, werden wir diese massiv einfordern. Viele Medien haben zugesagt, dass sie weiter berichten werden, und dieses Angebot nehmen wir dankend an.

selpers: Was möchten Sie Krebspatient:innen noch mitgeben?

Doris Kiefhaber: Auch wenn es sehr schwer ist, im Moment der niederschmetternden Diagnose Krebs an Vorkehrungen, wie den Antrag auf „begünstigen Behindertenstatus“ zu denken, appellieren wir an alle Patient:innen, sich das zumindest zu überlegen. Viele Patient:innen berichten uns, dass sie niemals damit gerechnet haben, vom Dienstgeber gekündigt zu werden. Aber verlassen kann sich niemand darauf. Umso wichtiger ist es, sich bereits im Vorfeld gut zu informieren.

Herzlichen Dank für das Interview.

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Doris Kiefhaber
Doris Kiefhaber ist seit 2001 Geschäftsführerin der Österreichischen Krebshilfe und u.a. auch Initiatorin der Pink Ribbon Kampagne in Österreich und des Krebshilfe-Soforthilfe-Fonds. Sie setzt sich leidenschaftlich für Verbesserungen im Bereich der Krebsvorsorge und Anliegen von Krebspatient:innen ein.

 

Interview wurde geführt von:  selpers Red.

Bildnachweis: Doris Kiefhaber