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Mit Hämophilie B den Alltag meistern – Interview mit Ben Wolf

Wie lebt es sich mit Hämophilie B im Alltag – im Job, auf Reisen und in der Familie? Ben Wolf weiß das aus eigener Erfahrung. Seit seiner frühen Kindheit ist das Leben mit der seltenen Blutgerinnungsstörung für ihn Alltag. Im Interview mit selpers spricht er offen über Routinen, Herausforderungen auf Reisen und die Bedeutung von Austausch unter Betroffenen. Mit viel Humor und Bodenständigkeit erzählt er, wie er gelernt hat, seine Erkrankung in den Alltag zu integrieren, warum er sich im Buddy-Programm der Interessensgemeinschaft Hämophiler (IGH) engagiert – und was er sich für die Zukunft der Hämophilie-Therapie wünscht.

selpers: Wann wurde bei Ihnen Hämophilie B diagnostiziert? Wie haben Sie die Diagnose erlebt?

Ben Wolf: Als ich ca. ein Jahr alt war, haben meine Eltern aufgrund einer größeren Blutung den Test veranlasst. Da meine Mutter examinierte Kinderkrankenschwester war, konnten meine Eltern recht schnell auch bereits zu Hause spritzen (mein Vater brachte sich das Spritzen recht schnell selbst bei). Mit der Gründung der IGH haben wir uns dann auch direkt mit anderen Betroffenen zusammengetan und ausgetauscht. Über die Jahre waren meine Eltern dann recht aktiv in der IGH und wir haben an gemeinsamen Urlauben, Wochenenden und Erlebnisfreizeiten teilgenommen. In meiner Erinnerung war das Spritzen also immer schon Teil einer täglichen oder zweitäglichen Routine. Entweder vor der Schule oder vor der Arbeit. Zum Glück hatte ich auch wenige Blutungen als Kind und konnte mit viel Bewegung und Sport gegensteuern. Dabei war sicherlich auch die gute Versorgung im Bonner Hämophilie-Zentrum ausschlaggebend.

selpers: Wie wirkt sich die Erkrankung auf Ihren Alltag aus? Gibt es besondere Herausforderungen?

Ben Wolf: Im besten Fall wirkt sie sich nicht direkt auf meinen Alltag aus. Es gibt allerdings mittlerweile schon ein paar Probleme mit Gelenken, die auf die Hämophilie zurückzuführen sind. Ansonsten zeigt es sich am meisten beim Reisen (privat oder für die Arbeit). Im Urlaub oder auf Geschäftsreise muss Konzentrat zur Verfügung stehen und es muss sichergestellt sein, dass ich schnell an neues kommen kann. Ärzt:innen und Krankenhäuser müssen gescoutet werden.

Schulung Hämophilie B behandeln

selpers: Wie gehen Sie mit der Prophylaxe oder anderen Therapien um?

Ben Wolf: Mittlerweile ist die Prophylaxe dank einer hohen Halbwertszeit fast gar kein Problem mehr. Früher war es noch ein relativ routinierter Ablauf (jeden Tag morgens vor der Schule/Arbeit), aber heute, mit nur noch alle 5 Tage spritzen, passiert es auch schon mal, dass ich erst nachmittags oder abends spritze, weil es eben nicht mehr Hauptbestandteil meines Tages ist.

selpers: Gibt es bestimmte Routinen, die Ihnen helfen, gut mit der Erkrankung zu leben?

Ben Wolf: Mit anderen Betroffenen oder meiner Familie darüber reden. Zu sehen, wie gut es uns eigentlich mit der Prophylaxe und der Behandlung generell in Deutschland geht, setzt das Ganze immer ganz gut in Perspektive. Insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern oder sogar anderen Krankheiten, die oftmals deutlich mehr Einschränkungen oder Probleme mit sich bringen.

selpers: Wie geht Ihr Umfeld, Ihre Familie oder Freund:innen mit Ihrer Erkrankung um? Wie unterstützen diese Sie?

Ben Wolf:Alle sind informiert und im Notfall kann mich meine Frau beispielsweise auch selbst spritzen. Das war ihr zu Beginn unserer Beziehung ganz wichtig. Freund:innen wissen Bescheid und nehmen Rücksicht bzw. sind neugierig, wenn sie das erste Mal beim Spritzen dabei sind.

Dein personalisierter Hämophilie Coach

selpers: Sie engagieren sich im Buddy-Programm der Interessensgemeinschaft Hämophiler (IGH) – was motiviert Sie dazu?

Ben Wolf: Meine Eltern haben die IGH gegründet und daher habe ich mich immer dazu ermutigt gefühlt, dieses Engagement weiterzutragen (da es ja schließlich auch um mich geht). In der IGH bin ich daher schon sehr lange aktiv und habe an einigen Programmen teilgenommen. Gerade jüngeren Familien/Betroffenen kann man mit einem einfachen, kurzen Gespräch schon viele Sorgen und Ängste nehmen. Das motiviert mich am meisten daran. Sorgen und Ängste zu reduzieren, indem man einfach nur über seine Erfahrungen spricht. Natürlich gibt es auch bei anderen Komplikationen oder Sonderfälle, aber insgesamt kann man sich recht gut mit anderen vergleichen oder ein gemeinsames Thema finden.

selpers: Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, über Hämophilie B aufzuklären?

Ben Wolf: Trotz des Status als seltene Erkrankung ist die Hämophilie oder Bluterkrankheit durchaus bekannt in der Allgemeinheit, aber eben oftmals nur lückenhaft. Die „Kaiser- oder Königskrankheit“ ist vielen ein Begriff, weil sie es mal in Biologie in Vererbung oder im Geschichtsunterricht gehört haben. Oftmals begegnet einem aber immer noch die kindlich naive Aussage: „Ah, Bluter, wenn du dich verletzt, dann stirbst du, weil du verblutest, richtig?“ Diese überzogene Sichtweise ist oftmals ein humoristischer Einstieg für eine Erklärung, wie es wirklich ist. Es ist daher, wie bei anderen Erkrankungen auch, wichtig, ein Verständnis und eine Sensibilisierung für das Thema bei nicht Betroffenen zu bewirken. Damit sie Rücksicht nehmen können, aber eben auch verstehen, was es wirklich bedeutet, eine Gerinnungsstörung zu haben.

selpers: Gibt es etwas, das Sie sich von der Gesellschaft, vom Gesundheitssystem oder von medizinischer Forschung für die Zukunft wünschen?

Ben Wolf: Zum Glück ist die Versorgung für Hämophilie-Patient:innen in Deutschland momentan nicht gefährdet. Ich würde mir wünschen, dass es so bleibt und dass wir weiterhin die großen Fortschritte in der Forschung machen, die wir die letzten 30 Jahre gemacht haben. Ich weiß noch, dass es in meiner Kindheit wenig Hoffnung auf „Heilung“ oder zumindest Verbesserung der Behandlung gab, aber heute reden wir schon von vielfach verminderten Halbwertszeiten und Gentherapie, und ich glaube daher fest daran, dass ich es noch miterleben werde, dass wir gegebenenfalls nur noch eine Tablette einnehmen müssen oder es ähnlich wenig Aufwand zur Therapie bedarf.

selpers: Was würden Sie anderen Betroffenen oder neu diagnostizierten Patient:innen gerne mit auf den Weg geben?

Ben Wolf: Verbindet euch mit Patientenorganisationen, tauscht euch aus und sprecht gerade auch mit älteren Betroffenen. Trefft euch regelmäßig mit anderen und sprecht über eure Probleme und Sorgen. Nehmt nach Möglichkeit an Treffen wie der Ferienfreizeit am Werbelinsee der IGH teil. Das hat damals für mich als Kind so viel bewirkt, weil ich einfach mit anderen Hämophilen, gesunden Kindern, aber auch mit Kindern mit anderen Behinderungen gemeinsam 2 Wochen Ferienfreizeit verbringen konnte. Das hat das Ganze irgendwie in Perspektive gesetzt. Alle haben sich umeinander gekümmert, egal ob gesund oder erkrankt. Das lässt einen diesen „Sonderstatus“ vergessen und hält einem vor Augen, dass es einem trotzdem gut geht.

 

Herzlichen Dank für das Interview.

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Du lebst selbst mit Hämophilie B und hast Fragen an Ben Wolf?
Wenn du dich mit Ben austauschen möchtest oder Fragen zum Leben mit Hämophilie B hast, kannst du uns gerne schreiben. Schick einfach eine E-Mail an redaktion@selpers.com – wir leiten deine Anfrage an Ben weiter. Gerne kannst du dich auch direkt an die IGH wenden: https://www.igh.info/

Ben Wolf, geboren 1990 in Lindlar, lebt mit seiner Familie und (zu) vielen Katzen im Bergischen Overath. Er ist verheiratet, Vater einer kleinen Tochter und beruflich als Head of Producing bei einem Düsseldorfer Spiele-Publisher tätig. Seit vielen Jahren engagiert er sich in der Interessensgemeinschaft Hämophiler e.V. (IGH), die seine Eltern mitgegründet haben. In seiner Freizeit geht er gerne wandern, schwimmen oder spielt Videospiele – am liebsten mit seiner Familie oder Freund:innen.

 

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Interview wurde geführt von:  selpers Redaktion

Bildnachweis: Ben Wolf