selpers: Was ist denn der beste Zeitpunkt, um mit den Kindern über die Krankheit zu sprechen?
Frau Broeckmann: So früh wie möglich, ganz einfach. Die Kinder bekommen sowieso mit, dass etwas nicht stimmt. Je mehr sie fantasieren können, desto schwieriger wird es. Es muss nicht ganz sofort sein, nicht in der ersten Stunde und nicht unbedingt in der Diagnosephase. Aber sobald die Eltern Klarheit haben, muss geredet werden.
selpers: Wie nehmen Kinder im Allgemeinen die Nachricht auf? Woran merkt man zum Beispiel, dass ein Kind die Situation nicht bewältigen kann?
Frau Broeckmann: Die Faustregel heißt: Wenn die Eltern klarkommen, kommen die Kinder auch klar. Trotzdem gibt es manchmal Warnzeichen, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt: Das sind alle andauernden gravierenden Veränderungen, wenn Kinder zum Beispiel wieder einnässen, sich dauerhaft von ihren Freunden zurückziehen, die Leistungen in der Schule massiv abfallen und so weiter. Ein bisschen beunruhigt bin ich auch immer, wenn Kinder zu brav sind. In der Krise sind fast alle Kinder nett und versuchen, zu entlasten. Aber wenn die akute Krise vorbei ist, dann sollen sie auch wieder genau so schwierig sein, wie sie vorher waren. Dann sind sie immer noch in der Pubertät oder im Trotzalter oder was eben gerade ansteht.
selpers: Ist es empfehlenswert, eine andere erwachsene Person zu dem Gespräch dazuzunehmen, vielleicht einen Onkel oder eine Freundin der Eltern?
Frau Broeckmann: Wenn die Eltern das Gefühl haben, dass sie ganz persönlich dadurch entlastet werden, dann sollen sie es ruhig machen. Aber wenn die Eltern sich zutrauen, das einigermaßen hinzukriegen, würde ich eher empfehlen, es alleine zu machen. Die Intimität in der Familie ist auch für Kinder ein eigenes Gut, sie werden sich also eher trauen, ganz offen zu reagieren, wenn keine andere Person dabei ist.
selpers: Gibt es etwas, das Erwachsene außerhalb der Familie tun können? Lehrer oder Verwandte zum Beispiel?
Frau Broeckmann: Unbedingt! Sie können einfach für die Kinder da sein, ohne sie zu fragen. Nichts ist schlimmer als so ein betroffenes „Wie geht’s dir denn?“ oder „Wie geht’s denn deinem Papa gerade?“ Stattdessen sollten sie für das Kind da sein, ihm etwas anbieten, zum Beispiel Aktivitäten, die ihm Spaß machen, oder Unterstützung im Alltag. Lehrer sollten einfach ein Auge auf das Kind haben. Und wenn sie Veränderungen feststellen, dann sollten sie Rückmeldung an die Eltern geben und nicht mit dem Kind direkt sprechen. Unter Umständen können Lehrer dem Kind einmal sagen: „Ich weiß, was bei dir los ist, wenn etwas ist, kannst du dich bei mir melden.“ Und damit sollte es auch genug sein.