Die Diagnose „Immundefekt“ ist für die meisten Familien anfangs eine große Herausforderung und kann überfordern. Gerade deshalb ist es für Sie als Eltern und für Ihr Kind wichtig zu wissen, dass viel getan werden kann, um einen möglichst normalen Alltag zu ermöglichen. Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Förster-Waldl und Prim. Univ.-Prof. Dr. Christian Huemer beantworten die häufigsten Fragen zu Immundefekten bei Kindern.
Inhaltsverzeichnis
Mein Kind hat einen Immundefekt
Was sind die nächsten Schritte nach der Diagnose eines Immundefekts?
Nun, die Diagnose eines Immundefektes ist selbstverständlich für alle Eltern eines betroffenen Kindes zunächst ein Schock. Natürlich bedeutet die Diagnose, eine lebenslange Erkrankung zu haben. Nur muss man dazu betonen Immundefekterkrankungen sind ein Spektrum von über 300 verschiedenen Ausprägungsgraden. Das heißt, es kann ganz schwere Erkrankungen geben und aber auch sehr leichte Formen. Und natürlich ist die Umstellung, die in jedem Fall in Bezug auf die Diagnose des Kindes zu treffen ist, mehr oder weniger ausgeprägt. Vorweg: es ist sehr viel möglich. Vorweg: diese Umstellungen im Alltag sind nicht so gravierend, dass das Leben der Familie sich vollständig ändern muss. Und man kann heutzutage – Gott sei Dank – sehr viel auch tun als Therapieansätze und wir werden in den nächsten Schritten dann einzelne dieser Aspekte durch besprechen.
Wie kann ich meinem Kind die Diagnose erklären?
Das Immunsystem und das Abwehrsystem des Körpers dem Kind erklären ist ganz wichtig. Warum ist es wichtig? Weil es möglichst früh verstehen muss „Was habe ich eigentlich?“ Und ich würde das so dem Kind erklären, dass wir alle von Geburt an ein Immunsystem, ein Abwehrsystem im Körper haben, das uns schützt vor leichten Infektionen. Nicht jedes Virus, das mit uns in Kontakt kommt, sollte eine schwere Erkrankung auslösen. Wenn wir Staub einatmen, werden unsere Abwehrzellen im Körper aktiviert und wehren dieses ab. Und diese Form eines Immunsystems nennt man das angeborene Immunsystem. Und dann gibt es ein zweites Immunsystem, Abwehrsystem, das ein erlerntes Abwehrsystem ist. Das betrifft zum Beispiel das Thema der Kinderkrankheiten. Wenn das Kind Windpocken hat, zum Beispiel, oder Mumps, hat oder andere Kinderkrankheiten, dann bekommt es die einmal und das Immunsystem lernt gegen diese Erreger (meistens sind es Viren) Zellen zu bauen, die eine erneute Erkrankung verhindern werden. Und diese erlernte, erworbene Immunabwehr ist ein ganz wichtiges System, das uns schützt, dass wir nicht jedes Mal bei erneutem Kontakt mit einem Virus wieder schwer krank werden können. Und bei Immundefekterkrankungen gibt es Fehler in diesem System. Das kann das angeborene System der Abwehr betreffen, von Geburt an, oder auch das nicht ausreichende Ansprechen, wenn wir Kinderkrankheiten durchmachen. Und ein dritter ganz wichtiger Aspekt ist: wir impfen ja unsere Kinder und die Impfungen sollen die Bildung von Abwehrzellen stimulieren. Die schützen vor bestimmten Erkrankungen.
Wie kann ich meinem Kind von Anfang an einen guten Umgang mit der Erkrankung beibringen?
Ich glaube, wichtig ist, dass das Kind – Kinder werden oft unterschätzt – auch junge Kinder wissen wollen: was habe ich eigentlich? Warum muss ich ständig zum Arzt gehen und brauche ständig Medikamente? Man kann auch einem sehr jungen Kind zu erklären versuchen, was im Alltag notwendig ist. Und da sind aus meiner Sicht zwei Dinge ganz wichtig. Der eine Aspekt betrifft Hygiene im Alltag, das heißt das einfache Händewaschen. Das heißt, das Händewaschen, nachdem man aufs Klo gegangen ist, Händewaschen, wenn man irgendwo etwas am Spielplatz oder beim Sport angegriffen hat und verunreinigte Hände hat. Das ist zum Beispiel ein wichtiger Punkt, wo man von Beginn an dem Kind erzieherisch beibringen sollte, dass es nicht zwanghaft, sondern einfach ganz normal im Alltag integriert, diese Dinge beachtet. Das ist natürlich bei Schulkindern, bei Jugendlichen einfacher, aber machbar in jedem Alter. Und ein ganz wichtiger Aspekt auch bereits beim jungen Kind ist Kariesprophylaxe. Man sollte ein Kind bereits im jungen Alter, wenn es wenige Lebensjahre alt ist, daran gewöhnen, dass das Zähneputzen ein Tagesregelwerk ist, das ganz wichtig ist, weil in Bezug auf Immunsystem die Zähne – und Karies zum Beispiel bei Zähnen – eine ganz gefährliche Eintrittspforte sein könnten für Infektionen. Das heißt, das Einführen von Ritualen im Alltag, die das Kind dann selbstverständlich hinnimmt, ist aus meiner Sicht der wichtigste Aspekt, das Kind an dieses leicht geänderte Leben zu gewöhnen.
Hier geht es zum Video-Interview: „Mein Kind hat einen Immundefekt“
Ich habe einen Immundefekt
Wusstest du, dass du von tapferen Wächtern beschützt wirst? Dein Immunsystem bewacht deinen Körper rund um die Uhr. Unterstützt wird es dabei von einer Gruppe an Wächtern, den weißen Blutkörperchen. Gemeinsam schützen sie deinen Körper vor bösen Feinden und Eindringlingen wie Bakterien und Viren.
Bakterien und Viren sind winzig klein. Trotzdem können sie, wenn sie in unseren Körper kommen, zum Beispiel Fieber, Schnupfen oder Husten auslösen. Die fiesen Eindringlinge müssen deshalb rasch entdeckt und abgewehrt werden. Wenn das Immunsystem so einen Eindringling entdeckt, greifen die weißen Blutkörperchen ihn an und vernichten ihn. Sie passen auf, dass du nicht krank wirst.
Wenn bei dir ein Immundefekt festgestellt wurde, bedeutet das, dass dein Immunsystem nicht ganz so stark ist wie bei anderen Kindern. Deine Wächter haben weniger Schutzschilder, um deinen Körper zu verteidigen. Das kann dazu führen, dass du öfter krank wirst. Aber keine Angst. Deine Ärztinnen und Ärzte können dir dabei helfen, deine Wächter zu stärken und gesund zu bleiben.
Sie kennen eine sehr mächtige Therapie, die dir hilft. Durch die Therapie bekommen deine kleinen Wächter zusätzliche Schutzschilder. Diese Schutzschilder heißen Immunglobuline. Sie machen deine Wächter, die weißen Blutkörperchen, stärker. So können sie die Viren und Bakterien besser bekämpfen. Wenn die Schutzschilder nach einiger Zeit vom vielen Kämpfen kaputt werden, bekommen deine kleinen Wächter durch die nächste Therapie wieder neue Schilder geliefert.
Die winzigen Schutzschilder, die Immunglobuline, werden in deinen Körper gespritzt. Dabei spürst du einen Pieks auf der Haut. Die Spritze bildet eine winzige Rutsche, über die die Schilder in deinen Körper gelangen. Wenn genug Schutzschilder in deinen Körper gerutscht sind, kommt die Rutschbahn wieder weg. Dein Immunsystem hat jetzt alles, was es benötigt für den Kampf gegen die Viren und Bakterien. Und nach einiger Zeit liefern du und deine Ärztinnen und Ärzte wieder neue Schutzschilder zur Verstärkung.
Du kannst auch selbst einiges tun, um dich bestmöglich vor Krankheiten zu schützen. Das Wichtigste sind die kleinen Schutzschilder, die Immunglobuline, die über die Spritzen-Rutsche zu dir kommen. Aber das ist noch nicht alles! Wenn du deine Hände mehrmals am Tag wäschst, hilft dir das, gesund zu bleiben. Das ist besonders wichtig, wenn du von draußen kommst oder bevor du etwas isst. Unsere Hände sind oft schmutzig, auch wenn sie sauber aussehen. Diesen Schmutz möchtest du nicht im Gesicht oder im Essen haben. Durch Händewaschen kannst du das vermeiden. Und auch indem du dein Besteck und deinen Trinkbecher nicht mit anderen teilst. Wenn deine Freunde einen Schnupfen oder Husten haben, solltest du ihnen außerdem für einige Tage nicht zu nahekommen. Sobald sie wieder gesund sind, könnt ihr wieder die Köpfe zusammenstecken.
Das Tolle ist: Wenn du diese paar Sachen beachtest, kannst du mit einem Immundefekt genauso viel Spaß haben wie deine Freunde. Du kannst in die Schule gehen, Freunde treffen, draußen spielen, springen und toben. Du solltest aber darauf achten, deinen Wächtern genug Ruhe und Erholung zu geben. Wenn du merkst, dass du müde wirst, dann leg eine Pause ein. So bleibst du fit und kannst noch mehr Abenteuer erleben.
Und denk daran: Du bist nicht allein und deine Eltern und Freunde werden dich immer unterstützen. Wenn du Probleme hast oder dich unwohl fühlst, kannst du dir Hilfe holen. Du kannst mit deinen Eltern oder den Ärzten und Ärztinnen über deine Gefühle und Sorgen sprechen. Dann helfen sie dir dabei, eine Lösung für dein Problem zu finden. Mit ihrer Unterstützung kannst du alle Herausforderungen meistern, denn gemeinsam seid ihr ein unschlagbares Team.
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Alltag mit Immundefekt meistern
Was darf mein Kind mit Immundefekt und was sollte eher vermieden werden?
Also ganz wichtig ist aus unserer Sicht, dem Kind nicht ein Bild zu bieten, dass es gar nichts mehr tun darf. Das kann nicht funktionieren, das wäre kontraproduktiv. Und so würden Sie nie das Vertrauen der Kinder gewinnen, dass das, was es hat, welche Erkrankungen es durchmacht, nicht doch die Lebensqualität ganz, ganz schlimm beeinträchtigt. Das sollte also Dinge im Alltag berücksichtigen, die banale Regeln betrifft. Zum Beispiel, wenn es Freunde besucht, bei Freunden übernachten darf, wenn es auf Schulausflug geht. Dass es die Hygienemaßnahmen, die wir schon besprochen haben, berücksichtigt, dass es zum Beispiel beim Essen und Trinken schon darauf achten sollte, dass es nicht verunreinigte Nahrung isst, dass Obst gewaschen gegessen wird. Und solche einfachen Regeln sind einfache Regeln, aber zugleich äußerst wichtig im Alltag zu integrieren.
Inwieweit kann mein Kind trotz Immundefekt Sport ausüben?
Sport ist sogar ganz wichtig. Sport, Bewegung, Aktivität ist für die Fitness wichtig und es gibt Studien, die zeigen, dass Bewegung und Aktivität auch das Immunsystem positiv beeinflusst. Das heißt, es ist nicht nur wichtig, dass auch Ihr Kind mit einem Immundefekt Sport betreiben darf, sondern es ist durchaus medizinisch relevant. Ich würde bei sportlichen Aktivitäten grundsätzlich keine signifikanten Einschränkungen machen. Auch Schwimmen wird oft diskutiert, ob jetzt das Schwimmen und Kontakt mit öffentlichen Bädern eine Risikokonstellation darstellt. Nein, wir würden meinen, dass gerade in den chlorierten öffentlichen Bädern in unserer Region hier ein sehr geringes Risiko besteht. Also motivieren Sie Ihr Kind! Gerade Ihr Kind sollte Sport betreiben, sollte am Schulsport teilnehmen. Natürlich, Verletzungen sind immer möglich. Aber auch da gilt: auch wenn ein Kind mit einem Immundefekt sich verletzt, ist im Grunde keine Katastrophe zu erwarten. Wunden können gut gereinigt und versorgt werden. Die Versorgung insgesamt bei Sportverletzungen gilt genauso wie beim nicht erkrankten Kind.
Kann mein Kind mit Immundefekt zum Schutz geimpft werden?
Ein Kind wird immer eine Infektion bekommen, unabhängig von einer Diagnose Immundefekt oder nicht Immundefekt. Das heißt es wird so sein, dass auch Ihr Kind plötzlich anfiebern wird, plötzlich einen Hautausschlag bekommen wird, plötzlich möglicherweise eine Kinderkrankheit bekommen kann und das Regelwerk, das wir empfehlen, die Impfempfehlungen für Kinder mit Immundefekten ist ein ganz wichtiges. Es gilt grundsätzlich, gerade bei Ihrem Kind darauf zu achten, dass es alle gängigen Impfungen bekommt, die wir im Impfplan Österreichs, Deutschlands, der Schweiz sehr homogen etabliert haben. Es gibt aber wichtige Einschränkungen, und das ist ein ganz, ein wichtiges Beispiel. Das braucht Ihren Facharzt für Kinderheilkunde. Das braucht möglicherweise auch Ihre Spezialambulanz, genau abzuwägen, ob alle Impfungen angewendet werden dürfen. Besondere Vorsicht ist anzuwenden bei den sogenannten Lebendimpfungen. Das sind Impfungen gegen die Erkrankungen, die Sie als Eltern sicher kennen, wie Masern, Mumps, Röteln. Das sind Impfungen mit sogenannten Lebendimpfstoffen, die potenziell bei bestimmten Immundefekterkrankungen ein Risiko darstellen oder auch die Impfung nicht wirklich ausreichend zu einer Antikörperbildung führt. Also Impfen ja, Impfen aber immer in Rücksprache mit ihrem Facharzt oder der Spezialambulanz.
Was ist bei der Ernährung meines Kindes zu beachten?
Wir haben vorhin über die Wichtigkeit von Sport und Bewegung und der Stärkung des Immunsystems gesprochen. Eine sehr vergleichbare Regel gilt in Bezug auf Ernährung. Wir wissen, dass eine – das Stichwort ist tatsächlich gesunde und ausgewogene Ernährung – soll heißen eine Ernährung mit einem hohen Anteil an pflanzlichen Produkten. Eine Ernährung mit einem hohen Anteil an Vitaminen, vor allem Vitamin D ist hier zu nennen, ein gutes Potenzial hat das Immunsystem Ihres Kindes zu stärken und zu unterstützen. Es gibt hier keine Einschränkungen. Es gibt nicht die Diät, die das Immunsystem stärkt. Leider, sonst hätten wir das schon längst empfohlen. Aber zum Beispiel ausreichend dafür zu sorgen, dass Ihr Kind Vitamin D zu sich nimmt. Vitamine in anderer Form, Vitamin A, Vitamin C und Spurenelemente sind sehr wichtig in der täglichen Ernährung.
Hier geht es zum Video-Interview: „Alltag mit Immundefekt meistern“
Die richtige Hygiene mit Immundefekt
Wie können wir ausreichende Hygiene im Alltag gewährleisten?
Also Hygiene im Haushalt ist schon ein Thema, das wichtig ist zu berücksichtigen. Wir haben nun alle vor wenigen Jahren eine absolute Krisensituation weltweit, nämlich eine Pandemie, hinter uns. Und eigentlich sind wir als Familien, Sie als Eltern, sehr kompetent geworden. Wie gehe ich mit ansteckenden Erkrankungen an? Was muss ich zu Hause beachten an möglichen Schutzmaßnahmen? Wie wichtig ist Händedesinfektion? Wie wichtig ist es, wenn ein Familienmitglied erkrankt, den Rest der Familie zu schützen? Da ist viel an Kompetenz gewachsen, was vor ein paar Jahren noch nicht so selbstverständlich war. Und da können Sie auch vieles mitnehmen, zum Beispiel Hygiene in Bezug auf Händedesinfektion, in Bezug auf sanitäre Räume im Haushalt, zum Beispiel Hygiene im Umgang mit Lebensmitteln. Zum Beispiel wenn ein Familienmitglied gerade einen Schnupfen hat, Fieber hat und hustet, ja, dann macht es Sinn, dass man nun (das wäre vor ein paar Jahren noch unmöglich gewesen) das Familienmitglied bitten würde, zum Beispiel für ein, zwei Tage auch einen Mundschutz zu tragen, um ihr Kind nicht zu gefährden. Ja, also es ist schon wichtig, hier im Haushalt gewisse Regeln einzuführen, um sich nicht zusätzlich Stress einzuhandeln.
Also viele Eltern sind natürlich sehr ängstlich, ob Unreinheit in jeder Form eine Gefahr für das Kind darstellen kann. Dazu ist grundsätzlich viel zu sagen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Erde, Schmutz, nicht immer hochgefährlich für ein Kind mit Immundefekt ist. Das Immunsystem des Kindes kann mitunter auch solche natürlichen Verunreinigungen gut abwehren. Ich würde aber zum Beispiel, wenn es zum Thema Spielzeug, den Teddybären, das Kuscheltier, das arg verunreinigt ist, weil das Kind es viele Monate gar nicht mehr aus der Hand lässt, es fällt auf dem Boden, möglicherweise auf die Straße: da würde ich schon raten, ab und zu das Spielzeug auch zu reinigen, aber nicht zu desinfizieren. Also es ist wichtig, dass Sie als Eltern hier schon eine Balance finden zwischen Vorsicht und Übervorsicht. Vorsicht Macht Sinn, Übervorsicht wäre für das Kind auch sehr beunruhigend, wenn es mitbekommt, dass da im Grunde vieles gar nicht mehr möglich ist.
Wie sieht die richtige Mundhygiene für ein Kind mit Immundefekt aus?
Also täglich, idealerweise nach jeder Mahlzeit Zähneputzen wäre das optimale Vorgehen. Wir sind in einer realen Welt und das ist leicht gesagt. Aber, das muss man betonen, morgens und abends ausreichend Zähneputzen, Mundhygiene, sei es mit einer elektrischen Zahnbürste oder mit einer normalen weichen Zahnbürste und zusätzlich, wenn das Kind alt genug ist, auch eine Gurgellösung zu nehmen, das macht Sinn. Weiche Zahnbürste ist etwas, was wir schon empfehlen, weil viele Kinder, wenn sie zu heftig, übermotiviert, manchmal die Zähne putzen, leichte Zahnfleischblutungen provozieren. Und das ist eher ungünstig. Leichte Blutungen im Bereich der Mundhöhle sind immer grundsätzlich mögliche Eintrittspforten für Keime. Das heißt Hygiene unbedingt, in einer Form, wo Sie als Eltern schon die Pflicht haben, möglichst darauf zu achten, dass Ihr Kind das auch sehr früh im frühen Alter regelmäßig bekommt oder auch selbst durchführt. Und darauf achten, dass es nicht zu heftig die Zähne putzt.
Wie können wir auch unterwegs eine ausreichende Hygiene sicherstellen?
Reisen ist für alle Familien wichtig. Auch ein Kind mit einer mit einer akuten Erkrankung wie Immundefizienz soll reisen. Das ist für die gesamte Familie eine wichtige Erfahrung und daher zu unterstützen. Es macht gar keinen Sinn, hier Einschränkungen grundsätzlich zu planen und sich selbst zu sehr zu beschränken. Das ist nicht gut. Was wir aber schon dringend empfehlen, ist: wenn Sie eine Reise planen, informieren Sie sich. Wohin geht die Reise? Ist das möglicherweise ein fernes Land, wo bestimmte Erkrankungen bestehen, für die eine spezielle Impfung notwendig ist, zum Beispiel eine Gelbfieberimpfung? Die Gelbfieberimpfung wäre eine Einschränkung.Die kann ein Kind mit Immundefizienz höchstwahrscheinlich nicht erhalten und andere Impfungen auch nicht.
Also wichtig ist, gut informiert eine Reise anzutreten, wenn Sie eine Fernreise antreten. Sehr wichtig: innerhalb Europas können Sie davon ausgehen, dass sowohl die medizinische Versorgung als auch schwerwiegende Infektionen kein Risiko für Ihr Kind und Sie darstellen werden, das Sie nicht mit einfachen Mitteln oder den dort zur Verfügung stehenden Mitteln managen können. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist natürlich die Reiseapotheke. Nehmen Sie zwei Dinge auf jeden Fall mit: Der erste Bereich sind Wundversorgung, sind Desinfektionsmittel, Pflaster. Wenn Ihr Kind sich schneidet, verletzt, dass Sie sofort etwas tun können, um zu verhindern, dass sich eine Wunde entzündet und Ihr Kind möglicherweise gefährdet.
Der zweite Aspekt betrifft Medikamente. Nehmen Sie einfache Medikamente mit, um Beschwerden, Symptome lindern zu können, Fieber senken zu können, Schmerzen stillen zu können. Und durchaus gilt die Empfehlung, ein Breitbandantibiotikum vom Kinderarzt rezeptiert zu bekommen, mitzunehmen, um jedenfalls dem Kind, wenn es hoch fiebert, etwas geben zu können und sich gleichzeitig zu kümmern, wo im Reiseland eine allgemeinmedizinische Praxis für sie geöffnet hat. Wenn Kontakt mit anderen Menschen besteht, die offensichtlich unklar erkrankt sind, dann würde ich als Eltern schon etwas vorsichtiger sein. Zum Beispiel in einem Bus, in einem Flugzeug. Wenn Sie Mitreisende sehen, die husten, die offensichtlich krank sind, dann würde ich aus Elternsicht das Kind schon etwas mehr schützen. Sie haben auch die Möglichkeit, eine Schutzmaske für Ihr Kind mitzunehmen. Das ist je nach Alter des Kindes etwas, was die Kinder gut lernen auch und erklärt bekommen können, dass es geschützt wird, um einfach nicht bei ansteckenden Erkrankungen, die zunächst unklar sind, gefährdet zu sein.
Hier geht es zum Video-Interview: „Die richtige Hygiene mit Immundefekt“
Familiärer Umgang mit Immundefekt
Was bedeutet der Immundefekt meines Kindes für uns Angehörige und das Umfeld?
Also eine Immundefektdiagnose bei einem Kind bedeutet, dass die Eltern und das größere Umfeld sich mit der konkreten Diagnose ein bisschen auseinandersetzen sollten. Wenn wir Immundefekt sagen, gibt es ja viele unterschiedliche Immundefekte. Wir kennen heutzutage mehr als 450 angeborene immunologische Erkrankungen und je nachdem, in welche Kategorie von Immundefekt die Erkrankung des Kindes einzuordnen ist, wird es unterschiedliche Dinge für die Familie, für das Kind, auch für das größere Umfeld bedeuten. Man muss sich natürlich selbst auch über die Erkrankung informieren. Wir wissen alle, dass das heutzutage sehr viel über digitale Medien passiert. Ich halte es für ganz essenziell, dass eine Vertrauensbasis, eine große Vertrauensbasis mit den ärztlichen Betreuungspersonen aufgebaut wird, damit zusammengesammelte Informationen mit diesen ärztlichen Betreuungspersonen auf ihren evidenzbasierten, medizinisch richtigen Gehalt überprüft werden können. Denn nur wenn es eine gute Vertrauensbasis mit den ärztlichen Betreuungspersonen aus einem renommierten Immundefektzentrum gibt, dann wird es möglich sein, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen, wie zum Beispiel schwerwiegende Infektionen, die mit vielen Immundefekten einhergehen.
Wie kann ich mir als Elternteil Unterstützung holen?
Unterstützung, vor allem für das Wissen und für den Umgang mit der Erkrankung wird heutzutage vielfach über gut organisierte Selbsthilfegruppen bereitgestellt. In Österreich zum Beispiel gibt es die österreichische Selbsthilfegruppe für primäre Immundefekte ÖSPID, seit langer Zeit, die von einer Betroffenen selbst gegründet wurde und regelmäßig Treffen veranstaltet und auch eine eigene Homepage bereitstellt, wo einerseits grundlegende Verständnisfragen zu Immundefekten beantwortet werden, aber auch ein Netzwerk bereitgestellt wird, das einzelne Diagnosen bzw. die Betroffenen von einzelnen Diagnosen sich miteinander verbinden können, in Kontakt treten und über ihre jeweilige Lebenssituation konkret austauschen.
Worauf sollten wir achten, wenn wir auf Urlaub fahren?
Die Frage nach Urlaubsreisen mit Immundefekt-kranken Kindern halte ich für eine ganz essentielle und wichtige. Eine allgemeine Antwort darauf ist auch hier wiederum nicht möglich, weil, wie erwähnt, wir von 450 unterschiedlichen Erkrankungen sprechen könnten. Es ist wichtig, sich rechtzeitig mit den ärztlichen Betreuungspersonen dazu auszutauschen.
Es ist wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass eine eventuelle Dauermedikation in ausreichendem Maß zur Verfügung steht, die auch mitgenommen werden kann. Hierfür schreiben wir häufig Atteste, dass es wirklich medizinisch notwendig und korrekt ist, im Reisegepäck Nadeln mit sich zu führen, Ampullen mit sich zu führen und das gesamte Verbrauchsmaterial, wie es zum Beispiel für eine Immunglobulin-Infusionstherapie notwendig ist.
Es kann aber auch vorübergehend sinnvoll und notwendig sein, eine antibiotische Prophylaxe zu verordnen oder auch nur Antibiotika im Reisegepäck zu haben für den Fall, dass plötzlich schwere Infektionszeichen auftreten würden.
Für ganz wichtig halte ich es auch, rechtzeitig mit reisemedizinischen Zentren zu sprechen. Es gibt natürlich auch Reiseimpfungen für Immundefekt-Patientinnen und Patienten. Und es gibt Reiseimpfungen, die für manche Länder zu empfehlen sind, die aber bei manchen Immundefekten kontraindiziert sind, wie zum Beispiel die Gelbfieberimpfung, die eine Lebendimpfung ist für Menschen mit einem kombinierten Immundefekt. Aus meiner Sicht sind Länder, die eine Gelbfieberimpfung benötigen würden, für Menschen mit kombinierten Immundefekten zu meiden.
Hier geht es zum Video-Interview: „Familiärer Umgang mit Immundefekt“
Vermittlung der Diagnose Immundefekt in Kindergarten und Schule
Kann mein Kind mit Immundefekt in Kindergarten und Schule gehen?
Ich halte es für ganz essentiell, dass Kinder mit Immundefekten – und auch hier wäre natürlich wieder zu unterscheiden zwischen leichten Immundefekten oder schwerwiegenden Immundefekten – ein möglichst normales, natürliches Aufwachsen erleben und somit – mit eventuellen Vorsorgemaßnahmen, Präventionsmaßnahmen – in die ganz üblichen sozialen Umfelder eingegliedert werden, wie sie für Kinder vorgesehen sind, also sprich Kindergartenbesuch oder Schulbesuch.
Was sind Situationen, in denen mein Kind besser von Kindergarten oder Schule daheimbleiben sollte?
Das ist prinzipiell eine sehr schwierig zu beantwortende Frage, weil es auch hierfür keine allgemeingültige Antwort gibt. Ich halte es für sehr wichtig, dass in der Schule die Vertrauenslehrer:innen und auch die Direktion Bescheid weiß, wenn ein Kind eine chronische Krankheit hat. Das gilt für einen Immundefekt und das gilt auch für einen insulinabhängigen Diabetes. Warum soll man das aus meiner Sicht der Schule mitteilen? Weil man ihnen dann auch mitteilen kann, dass es wichtig ist, bestimmte Informationen zu Krankheiten im Umfeld möglichst schnell an die betroffene Familie weiterzugeben. Um ein Beispiel zu nennen: eenn eine Masernepidemie oder Windpockenepidemie in der Schule ausbrechen sollte oder auch eine sehr hohe Anzahl an Covid-19 Fällen in einer Klasse gerade aktiv sind, dann kann es für ein von Immundefekt betroffenes Kind wichtig sein, diese Information sehr frühzeitig zu erhalten und für ein oder eventuell zwei Wochen den Schulbesuch zu vermeiden.
Wie können wir das Thema Immundefekt den Betreuungspersonen sowie anderen Eltern und Kindern vermitteln?
Das Thema Immundefekt in der Umgebung des Kindes zu erklären, kann wichtig sein, kann aber auch völlig irrelevant sein. Ich würde tatsächlich eher dazu neigen, nur im Falle der Betroffenheit des Umfeldes zu erzählen, dass das eigene Kind krank ist. Ich halte es für ganz wichtig, dass Kinder mit einer möglichst – wir nennen es störungsfreien Umgebung – heranwachsen können. Dass sie möglichst wenig immer nur mit der Erkrankung gesehen werden, mit dem sogenannten Makel. Da kann es durchaus auch wichtiger sein, dass nicht alle von der Erkrankung wissen, sondern dass sich das Kind möglichst auch in seiner Vielfalt, ohne der Erkrankung, irgendwo eingliedern kann ins soziale Umfeld.
Ein Punkt, der mir immer wichtig erscheint, wenn die Familie oder auch das betroffene Kind seine Krankheit in das schulische Umfeld oder auch in das Kindergartenumfeld hineintragen möchte: dass klar wird, dass eine angeborene Immundefekterkrankung keine ansteckende Erkrankung ist und dass manche Schulabwesenheitszeiten zur Behandlung von Infektionen notwendig sind. Und dass aber keine Gefahr für andere davon ausgeht. Ich würde sowieso am meisten begrüßen, wenn im Biologieunterricht mehr über das Immunsystem gelehrt wird und im Unterricht über das Immunsystem und eventuell auch die persönliche Erfahrung mit Immundefekten von Betroffenen einfließen kann.
Hier geht es zum Video-Interview: „Vermittlung der Diagnose Immundefekt in Kindergarten und Schule“
Gemeinsam die Therapie eines Immundefekts gut bewältigen
Wie kann ich mein Kind in unangenehmen oder angstauslösenden Situationen unterstützen?
Für viele Kinder sind natürlich die Besuche in der Klinik, in der Spezialambulanz, bei Arzt und Ärztin mit Angst vor Stichen, mit Angst vor Blutabnahmen, mit unangenehmen körperlichen Untersuchungen verbunden. Ich denke, es wird am wichtigsten sein, selbst als erwachsene Begleitperson möglichst angstfrei und mit viel Vertrauen zu diesen ärztlichen Visiten zu gehen. Dann werden die Kinder am ehesten lernen, ebenso die Situation möglichst sachlich über sich ergehen zu lassen. Sonst gibt es eine ganze Anzahl auch von Schulungsmaterialien, sowohl in Buchform oder im Internet, teilweise auch über kleine Filme wie so eine ärztliche Visite gestaltet ist und wie unangenehme Erfahrungen, wie zum Beispiel die Blutentnahme, möglichst schnell hinter sich gebracht werden können. Also zusammengefasst: es gibt Bücher, es gibt kleine Videomaterialien. Online-Informationen sind breit erhältlich und nur um ein bisschen in die Zukunft zu schauen: es gibt auch viele Bereiche, wie zum Beispiel die operativen kinderärztlichen Bereiche, die auch schon mit 3D-Brillen arbeiten. Da können zum Beispiel Kinder dann durch ihren eigenen Körper mit animierten Materialien wandern. Und aus meiner Sicht ist das Verständnis über das, was passiert, immer der allerbeste, angstlösende Faktor und beruhigende Faktor, um solche Erfahrungen hinter sich zu bringen.
Was kann ich tun, wenn mein Kind medizinische Behandlungen verweigert?
Das ist eine schwierige Frage, die jedes Mal in der konkreten Situation individuell entschieden werden muss. Wir nehmen davon Abstand, Kinder zu jagen, zu knebeln und dann zu zwingen, sich eine medizinische Untersuchung oder Maßnahme aufdrängen zu lassen.
Natürlich werden wir, bevor wir den Termin als sinnlos wieder absagen, mit viel Überredungskunst und eben mit jenen Materialien, die uns zur Verfügung stehen, Verständnis für die notwendige Maßnahme schaffen. Es ist aus unserer Erfahrung aber tatsächlich so, dass wenn Eltern mit viel Vertrauen zum ärztlichen Personal in die Untersuchungssituation hineingehen, dass es selten passiert, dass mit Geduld und Hingebung nichts erreicht werden könnte.
Wie gehe ich vor, wenn mein Kind Erkältungssymptome hat?
Erkältungen gehören, wie wir wissen, zum Alltag, insbesondere in der kalten Jahreszeit. Als geschulte Eltern eines immundefektkranken Kindes wird es möglich sein, nach den ersten Monaten nach Diagnoseeröffnung zu unterscheiden, ob es ein banaler Schnupfen ist, den natürlich auch ein Immundefektkind einmal haben kann, oder ob es eine Verkühlung ist, eine Infektion ist, die die Tendenz hat, invasiv zu werden und schwerwiegend zu werden. Selbstverständlich ist es so, dass immundefektkranke Kinder im Falle von Infektionssymptomen eher früher zu einer ärztlichen Untersuchung gebracht werden sollen als Kinder, die keinen Immundefekt haben. Wir geben als Richtwert immer so 1 bis 2 Tage nach Beginn der Symptomatik an und anhand von den entsprechenden Untersuchungen – dazu können natürlich auch Blutuntersuchungen gehören, messen der Entzündungsparameter, körperliche Untersuchung, abhorchen, ob man eine Lungenentzündung hört. Dadurch wird es dann möglich sein, zu unterscheiden, ob die Kinder sehr früh bereits ein Antibiotikum bekommen sollen, um die Infektion möglichst rasch wieder in den Griff zu bekommen, oder ob es möglich ist, noch ein bisschen zuzuwarten und 1 bis 2 Tage später nochmals eine körperliche Untersuchung zu machen.
Eltern, die bereits Erfahrung haben mit ihrem immundefektkranken Kind, können üblicherweise sehr gut abschätzen, ob es sich um eine oberflächliche, banale Infektion handelt, die auch mit herkömmlichen, symptomatischen Mitteln abklingen wird, oder ob diese Infektion dabei ist, tiefer zu schreiten, invasiv zu werden, eventuell eine Lungenentzündung auszulösen. Die Parameter, die Eltern beobachten, sind die Fieberentwicklung, die Atmung, das allgemeine Empfinden. Und Menschen mit chronischen Erkrankungen, natürlich auch Kinder mit Immundefekten bekommen üblicherweise einen sogenannten Notfallpass ausgestellt, wo die Diagnose vermerkt ist und können überall, wo es Krankenhäuser gibt, 24 Stunden, sieben Tage die Woche, zu einer ärztlichen Untersuchung gehen.
Wie kann ich meinem Kind die Zeit im Krankenhaus erleichtern?
Es ist sicherlich gut, das Kind zu begleiten. Mindestens ein Elternteil sollte auch bei stationären Aufenthalten aus meiner Sicht dabei sein. Das ist natürlich abzustimmen auf das Alter des Kindes. Ein fünfjähriges Kind wird eher eine dauernde elterliche Anwesenheit schätzen als ein 16- jähriges Kind, das kein Kind mehr ist, sondern eine jugendliche, beinahe erwachsene Person. Vorbereitung ist wichtig. Von vornherein sagen, mit welchen Aufnahmezeiten im Krankenhaus zu rechnen ist. Und selbstverständlich ist es gut, wenn man vertraute Gegenstände, vertraute Spiele neben den digitalen Medien mitnimmt oder auch vertraute Bücher und eine ganz altmodische Vorlesestunde macht. Selbstverständlich ist auch jede Form von digitaler Ablenkung in so einem Zusammenhang hilfreich. Schöne Filme, den Lieblingsfilm am Computer noch einmal gemeinsam anschauen und natürlich immer da sein für eventuelle Sorgen, Ängste oder Ablenkung.
Hier geht es zum Video-Interview: „Gemeinsam die Therapie eines Immundefekts gut bewältigen“