Transkript

In seinem Vortrag wird Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger auf das Gesundheitssystem in Zeiten von Corona eingehen.

Begrüßung

Einen schönen guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag zum heutigen virtuellen Patiententag und möchte mit Ihnen einige Erfahrungen, Gedanken und auch einige Tipps aus Sicht der Patienten-Anwaltschaft teilen.

Übersicht

Mir geht‘s eigentlich darum, dass ich Ihnen einige Informationen gebe zu dem Status des Gesundheitssystems in Zeiten von Corona:

  • Welche Herausforderungen hat es hier gegeben?
  • Welche Kollateralschäden, also unbeabsichtigte Schäden sind hier entstanden?
  • Und ein wichtiger Punkt: Was wurde vor allem daraus gelernt aus diesem ersten Lockdown, aus diesem ersten Herunterfahren des Gesundheitswesens?
  • Wie können wir es in Zukunft besser machen? Wir sind jetzt gerade wieder in einer Phase, wo es darum geht, dass wir diese neuen Herausforderungen auch wirklich meistern können.
  • Es geht darum, dass ich mit Ihnen ein paar Informationen teile: Welche Erfahrungen, Ängste der Patienten und der Angehörigen hat in diesem Bereich gegeben?
  • Und es geht darum, dass wir uns ein bisschen darüber unterhalten: Welche neuen Herausforderungen stehen hier vor der Tür, vor allem in Hinblick auf Verknappungen von Ressourcen? Etwas, was wir bisher im Gesundheitswesen nicht gewohnt waren. Ich möchte hier das Beispiel Grippeimpfung nennen, wo wir sehr viele Beschwerden von den Patienten und von den Bürgern bekommen, und auch die Thematik, die jetzt ganz neu immer wieder genannt wird, ein Wort, das wir bisher nicht gekannt haben, nämlich die Triagierung von Gesundheitsleistungen.
  • Zuletzt bei meinen Ausführungen möchte ich noch auch auf positive Entwicklungen zu sprechen kommen. Es gibt auch einen Nutzen aus dieser Krise, einen Kollateralnutzen. Der zeigt sich vor allem in einem verbesserten Service für die Patienten im Hinblick auf digitale Entwicklungen, die hier gegeben sind.
  • Ganz zum Schluss noch möchte ich einige Fragen beantworten, die Sie uns gestellt haben und die diesen gesamten Block, den ich hier betreue, etwas abrunden sollen.

Patientenanwaltschaften

Ich möchte beginnen mit einer kurzen Vorstellung der Patientenanwaltschaft bzw. der Patientenanwaltschaften. Es gibt in Österreich neun Patientenanwaltschaften. Die sind jeweils in den Bundesländern angesiedelt und sind für ein gesamtes Landesgebiet zuständig und haben hier ihre Tätigkeiten zu entfalten. Also es gibt eine Patientenanwaltschaft in Niederösterreich, eine in der Steiermark, eine in Salzburg, eine in Tirol, ein in Vorarlberg, also insgesamt neun Patientenanwaltschaften.

Als Beispiel dieser Patientenanwaltschaften möchte ich Ihnen meine eigenen Patientenanwaltschaft, nämlich die NÖ-Patienten- und Pflegeanwaltschaft (NÖ PPA) vorstehen.

Es gibt hier vier große Aufgaben, die wir für die Bürger, für die Patienten betreuen.

  • Eine Aufgabe, die sich geschichtlich so entwickelt hat, ist das Beschwerdemanagement für die Patienten. Also immer dort, wo es Konflikte im Gesundheitswesen gibt, sei es jetzt im niedergelassenen Bereich, sei es jetzt im Krankenanstaltenbereich, da können wir helfen und unterstützen. Also vor allem, wenn es darum geht, dass hier möglicherweise medizinische Behandlungsfehler vorgekommen sind. Da können wir das außergerichtlich überprüfen. In dieser ersten Säule ein zweiter ganz wichtiger Punkt ist die Interessenvertretung für Patienten. Wir sind sozusagen Sprachrohr für die Patienten, um das, was Patienten bewegt, wo der Schuh drückt, auch an die Verantwortlichen des Gesundheitswesens weiterzugeben, um eben hier dann Verbesserungen zu erzielen.
  • Die zweite Säule ist eine jüngere Aufgabe der Patientenanwaltschaften, nämlich die Patienten-Entschädigungsfonds. Hier geht es um verschuldungsunabhängige Entschädigungen, die über die Patientenanwaltschaften bezahlt werden können, wenn bestimmte Schäden und bestimmten Voraussetzungen für Schäden gegeben sind.
  • Die dritte Säule, das ist eine ganz neue und junge Säule, hängt zusammen mit den neuen digitalen Entwicklungen, nämlich mit der elektronischen Gesundheitsakte, mit ELGA. Hier sind wir für die Patienten Ombudsstellen. Also wenn es Missverständnisse, Konflikte oder auch Serviceleistungen gibt, z.B. das Ausdrucken von eigenen Befunden, dann können wir hier als ELGA-Ombudsstelle für die Patienten Aufgaben übernehmen und diese Patienten und auch Bürger unterstützen, wenn es um Informationsbeschaffungen geht.
  • Und die letzte Säule, das ist eine, die nicht bei allen Patientenanwaltschaften gegeben ist, aber zum Beispiel in Wien, Niederösterreich und Burgenland schon. Das ist nämlich diese Säule, wo es um die Aufgaben im Bereich der Pflege- und Betreuungszentren geht. Auch da können wir in bestimmten Bundesländern als Patienten- und Pflegeanwaltschaften Hilfestellung, Unterstützung für die betroffenen Pflegeheimbewohner und auch für die Angehörigen geben.

Gesundheitssystem in Zeiten von Corona

Jetzt zum eigentlichen Thema: Gesundheitssystem in Zeiten von Corona.

Wir haben in den letzten Wochen, Monaten Herausforderungen gesehen, die wir bisher in dieser Form nicht gekannt haben. Es hat große Überforderungssituationen gegeben. Es hat nichts gegeben, woran wir uns an Erfahrungen halten konnten. Es war alles ganz neu. Es ist teilweise auch ziemlich chaotisch abgelaufen.

Italien / Frankreich / England

Ich denke da an die Bilder, die wir aus Italien gesehen haben mit den überfüllten Intensivabteilungen. Das gleiche waren diese schrecklichen Bilder aus Frankreich oder bzw. auch aus England, was sich hier bei uns März und April an Konsequenzen gezeigt hat.

Das hat natürlich dazu geführt, dass man in Österreich sehr stark darauf reagiert hat, um eben zu verhindern, durchaus mit dem guten Willen, dass es solche Zustände im Gesundheitswesen bei uns nicht gibt.

Beschwerdefälle

Und eine Reaktion damals, im März und April, war eben diejenige, dass man sehr klar versucht hat, das Gesundheitswesen herunterzufahren und alle Ressourcen auf die COVID-Bekämpfung zu konzentrieren.

Wir haben als Patientenanwaltschaften dann im Juni, Juli versucht, diese Situation etwas zu überprüfen und zu evaluieren. Wir haben typische Beschwerdefälle aus ganz Österreich gesammelt, um sie aufzubereiten und um sie weiterzugeben und vor allem auch, um zu lernen aus diesen Beschwerdefällen. Es waren etwa 200 eben österreichweit wirklich vom Neusiedler See bis zum Bodensee. Und diese typischen Beschwerdefälle sind ganz gute Mosaiksteinchen für das Gesamtbild, das sich damals ergeben hat. Es hat auch andere Mosaiksteinchen gegeben, zum Beispiel statistische Erhebungen oder Daten aus dem Gesundheitssystem.

  • Was sich gezeigt hat, aber das sage ich jetzt wirklich vollkommen ohne Kritik an den damaligen Verantwortlichen, denn man wusste es wirklich nicht besser damals. Aber was sich gezeigt hat, war, dass das Gesundheitswesen vollkommen fokussiert wurde und den Blickwinkel nunmehr gerichtet hat auf die Herausforderungen von COVID-Bekämpfungen. Also, es war fast so, dass man sagen kann, das Gesundheitswesen hat Scheuklappen aufgesetzt bekommen und es hat sich nur mehr darauf konzentriert, diese möglichen schrecklichen Konsequenzen von diesen Infektionen hintanzustellen.
  • Es hat der teilweise Überreaktionen auch gegeben, die auch damit begründet waren, dass es große Probleme mit den Schutzmasken und den Schutzausrüstungen gegeben hat. Also auch bei den Gesundheitsberufen hat es teilweise Überreaktionen gegeben.
  • Und wir haben da und dort, und das haben wir auch sehr negativ festgestellt, hat es auch in dem Bereich von Pflegeheimen zu Anzeichen von Machtmissbrauch gegeben, wo wirklich überschießende Reaktionen im Hinblick auf Freiheitsbeschränkungen von Heimbewohnern wirklich gegeben waren, die auch zu klaren Schäden geführt haben, z.B. dass Demenzkranke dann in einen viel schlechteren Zustand durch dieses rasche Einschränken der sozialen Kontakte gekommen sind. Und das kann man dann nicht mehr gut machen. Da kann man nicht einfach danach Medikamente geben und den Demenzkranken kann man wieder einen besseren Zustand geben. So einfach geht das nicht, sondern es hat zu bleibenden Schäden auch geführt.
  • Die Verunsicherung war sehr groß. Es waren auch die Vorgaben, wie gesagt, man hat es eben nicht besser gewusst, waren eben auch teilweise diffus und haben dann diese Verunsicherung noch weit verstärkt.
  • Ein besonderes Gebiet waren die psychiatrischen Abteilungen. Da war es eigentlich gar nicht verständlich, dass hier der Betrieb so weit und so rasch runtergefahren wurde. Und auch da haben wir sehr viele Schadensfälle auch gesehen, die man eigentlich im Nachhinein, wir sind jetzt eben gescheiter, im Nachhinein hätte vermeiden können.

Lernpotenzial: Aufrechterhaltung der Grundversorgung

Was war also das Lernpotenzial, das wir aus diesen Informationen und aus dem Aufarbeiten dieser Situationen von März/April bekommen haben?

Das Lernpotenzial war eigentlich ein sehr einfaches, nämlich dass die Grundversorgung aufrechterhalten werden muss.

Und das ist sozusagen nicht, wie auch Patienten und Angehörige immer wieder uns mitgeteilt haben, dass es nicht nur darauf ankommen kann, dass man COVID-erkrankt ist, um eben Leistungen im Gesundheitswesen zu bekommen, sondern dass es natürlich viele andere Leistungen im Gesundheitswesen gibt, die genauso aufrechterhalten werden müssen, sprich chronisch Kranke, sprich Diabetes-Versorgung, sprich Operationen, die notwendig sind, weil die Patienten sehr große und sehr viele Schmerzen haben, oder seien es auch Brustkrebsvorsorge-Untersuchungen und Darmkrebsvorsorge-Untersuchungen, die auch aufgeschoben wurden und, wie wir jetzt wissen, dazu geführt haben, dass dann die die Erkrankungswahrscheinlichkeit doch etwas höher ist, als es vor dieser COVID-Herausforderung war.

Das hat sich, muss ich wirklich sagen, eigentlich durchgesetzt, diese Erkenntnis, dass die Grundversorgung aufrechterhalten werden muss.

Und wir sehen jetzt, wie wir ja gerade jetzt aktuell in diesen Zeiten des zweiten Lockdowns sind, dass die Vorgangsweise im Gesundheitswesen in den Krankenhäusern vor allem wirklich um einiges besser geworden ist, also dass man sich wirklich bemüht, auch die Grundversorgung aufrecht zu halten, und dass man sich vor allem bemüht, dass die das die Kommunikation und die Information im Hinblick auf die Patienten und die Angehörigen sehr intensiviert wird. Also dass die Patienten nicht den Informationen nachlaufen müssen, sondern dass man proaktiv mit ihnen Kontakt aufnimmt, ihre medizinische, gesundheitliche Situation individuell nochmal anschaut und erst dann entscheidet, ob eventuell eine Verschiebung einer Operation notwendig ist. Das ist sehr wichtig, um auch das Vertrauen der Patienten und der Angehörigen weiter aufrechtzuerhalten.

Und das sehe ich zumindest vorerst, dass es ist wirklich ein großes Bemühen gibt und dass man aus diesem ersten Lockdown eigentlich diese Bereiche jetzt besser umgesetzt hat, als es beim ersten Lockdown war.

Erfahrungen aus dem Verhalten der Patienten

Was sind denn Erfahrungen, die wir von den von den Patienten aus dem ersten Lockdown mitbekommen haben?

Eine Erfahrung im Hinblick auf Corona und COVID war, das es durchaus einen großen Anteil von Patienten geben hat, die zwar durchaus ernsthaft erkrankt waren, also       Herzinfarkt, Schlaganfall oder etwas Ähnliches, die aber aus Angst vor einer Ansteckung, vor einer möglichen Ansteckung in einer Ordination oder in einem Krankenhaus bewusst nicht in diese Gesundheitseinrichtungen gegangen sind, weil sie eben hier Infektionsrisiko vermeiden wollten.

Das mag durchaus am Anfang, wie gesagt, wo die Hygienestandards noch nicht so hoch waren, wo das Verhalten noch, wo man noch keine Erfahrungen gehabt hat, wo die Schutzausrüstungen noch nicht so gut gegeben waren, mag das durchaus ein sinnvolles Verhalten gewesen sein.

Jetzt und heute muss man sagen, dass sich da sehr viel verändert hat und dass es eigentlich kein Problem mehr ist, wenn man es braucht, dass man auch die Gesundheitseinrichtungen kontaktiert und dass man in die Gesundheitseinrichtungen geht.

Die zweite Gruppe von Patienten waren diejenigen, die eigentlich für sich so den Eindruck hatten: „Ich habe zwar jetzt ein Gesundheitsproblem, aber die Türen ins Gesundheitswesen sind mehr oder minder verschlossen. Ich will sie auch gar nicht aufmachen, weil ich will nicht die beschränkten Ressourcen im Gesundheitswesen noch zusätzlich belasten und halte mich halt zurück.“

Das hat auch dazu geführt, dass manche gesagt haben: „Na ja, so arg wird’s bei mir schon nicht sein. Und ich warte einfach jetzt ab…“

Und da gibt es Studien dazu, die zeigen, dass z.B. jetzt nach und nach in den Krankenhäusern z.B. Herzinfarkt-Übergangene auftauchen, die man früher eigentlich so nicht gesehen hat, eben weil bestimmte Menschen dann das als große Hemmschwelle und Türe gesehen haben, in die Gesundheitseinrichtungen zu kommen.

Angebote des Gesundheitswesens wahrnehmen

Also auch das ist jetzt etwas, wo man wirklich eindeutig und klar sagen muss: Wenn es notwendig ist, verwenden Sie bitte die Angebote des Gesundheitswesens. Hier gibt es einige, die durchaus für die verschiedenen Institutionen sehr gut geeignet sind.

  • Die erste Anlaufstelle ist natürlich immer wieder, sei es jetzt telefonisch, per Mail oder auch persönlich die hausärztliche Ordination.
  • Aber es gibt durchaus auch andere Möglichkeiten. Sie alle kennen 1450. Wir wissen, dass in manchen Regionen die Wartezeiten sehr lang sind. Trotzdem müssen wir sehr froh sein, dass es 1450 gibt und dass wir diese Möglichkeit von 1450 auch haben. Und 1450 ist eben nicht nur dazu da, um Corona-Verdachtsfälle abzuklären, sondern vor allem auch dazu da, um andere Krankheitssituationen in Hinblick darauf, ob sie schwer sind oder ob sie leicht sind, abzuklären.
  • Oder auch Notruf 144 ist etwas, was man nach wie vor verwenden sollte. Auch da wird dann bei einem Anruf nochmal überprüft, ob wirklich die Voraussetzungen eben sind, dass der Rettungshubschrauber kommt, dass der Rettungswagen kommt, dass der Notarzt kommt. Also auch der ist eine entsprechende Betreuung.
  • Es gibt ganz neue Angebote. Zum Beispiel in Wien ist jetzt ein Symptom-Checker vor 1450 als erste Anlaufstelle in Betrieb gegangen, wo man sich selbst dann vorevaluieren kann, ob man dann eine telefonische Beratung braucht oder ob man vielleicht ohne das jetzt warten kann und die Situation einfach noch überprüft und dann später vielleicht nochmal.

Also das sind jetzt, glaube ich, Maßnahmen, die sehr interessant sind und die auch zur Entlastung des Gesamtsystems beitragen können.

Eigenes Verhalten

Sie selbst und das möchte ich wirklich noch einmal sagen, Sie hören es eh an allen Ecken und Enden, aber ich möchte es trotzdem nochmal betonen, können auch einen ganz wesentlichen Mosaikstein dafür leisten, dass die Systeme entlastet werden.

Der Virologe Christian Drosten aus Deutschland hat das sehr gut formuliert. Er hat gesagt: „Verhalten Sie sich bitte so, wie wenn Sie selbst positiv wären. Und auch im Hinblick auf irgendwelche sozialen Kontakte verhalten Sie sich so, wie wenn die Frau, der Mann Ihnen gegenüber, diese Person Ihnen gegenüber, wie wenn die auch positiv wäre.“ Wenn man sich daran hält und das so als Richtschnur seines Handelns nimmt, dann kann man wirklich einen ganz wesentlichen Beitrag leisten zur Entlastung des Gesundheitssystems und zum Weiterfunktionieren des Systems. Denn eins muss man ganz deutlich sagen: Der Kampf gegen Corona und gegen COVID-19 wird nicht in den Gesundheitseinrichtungen gewonnen, sondern wird von uns allen gewonnen, nämlich in der Hinsicht,

  • dass wir uns an die Hygienestandards halten,
  • dass wir Hände waschen,
  • dass wir Masken tragen, wo es nur möglich ist,
  • und dass wir auch diese soziale Distanzierung möglichst gut aufrecht erhalten und soziale Kontakte einschränken.

Das ist wirklich der Schlüssel dann zum Erfolg. Und hoffentlich erfahren wir auch in den nächsten Tagen, dass die Infektionszahlen aufgrund unseres Verhaltens dann zurückgehen und auch die Intensivabteilungen entlastet werden.

Also man muss dieses COVID-Risiko einfach managen, und wir als Patienten und als Bürger können da wirklich einen ganz guten Beitrag dazu leisten.

Neue Herausforderungen im Gesundheitssystem durch die Grippeimpfung

Neue Herausforderungen im Gesundheitssystem durch die Grippeimpfung — Sie haben in den letzten Monaten und Jahren immer wieder gehört: Man soll sich gegen Grippe impfen lassen. Wir hatten ganz niedrige Durchimpfungsraten. Jetzt plötzlich ist der Bedarf sehr raufgegangen und das, was vorhanden ist, reicht in vielerlei Hinsicht nicht aus. Das ist leider so, weil die Bestellungen für die Grippe-Impfungen schon lange vor den Kenntnissen von COVID-19 gemacht werden mussten und eben nicht einfach so nachproduziert werden kann, sondern wir jetzt auch Engpässe haben und man sich überlegen muss: „Wie schafft man es, dass diejenigen, nämlich vulnerable Patientengruppen, die es wirklich brauchen, dann auch zu dem Impfstoff kommen und der Impfstoff nicht mit der Gießkanne verteilt wird?“

Triagierung

Und eine zweite Situation: Bei den Intensivabteilungen hören Sie immer wieder jetzt ein Wort, das man bisher nicht gekannt hat, nämlich das Wort Triagierung.

Das kannten wir aus anderen Gesundheitssystemen, aber in Österreich eben nicht. Das kommt aus den napoleonischen Kriegen, wo es darum geht, dass man versucht hat, das Gesundheitswesen oder die Gesundheitsversorgung von Verletzten und von Kranken insgesamt aufrechtzuerhalten, indem man die knappen Ressourcen auf diejenigen konzentriert hat, die es wirklich brauchen und halt andere dann entsprechend nicht versorgt hat.

Es geht also darum, dass in Wirklichkeit eine medizinische Prognose gemacht wird, eigentlich versucht wird vorauszusehen: „Wie ist der Erfolg bei diesem Kranken?“ Und dann auch demjenigen diese knappen Ressourcen zu geben. Wichtig dabei ist, dass man vor allem medizinische Hintergründe dafür verwenden sollte. Es darf keinesfalls so sein, dass man irgendeine Altersgrenze nur einführt und sagt: „Ab 85 bekommen Sie das nicht mehr.“ Aber es kann natürlich passieren, dass Sie dann in solchen Situationen sind, dass ein 35-jähriger Familienvater mit fünf Kindern ins Krankenhaus muss, weil er eine Intensivbehandlung braucht. Gleichzeitig haben Sie einen Schlaganfallpatienten mit 85 Jahren. Und das Bett ist aber derzeit, das man braucht von einem COVID-Patienten mit vielleicht 90 Jahren belegt. Und es wird noch länger dauern, bis das Bett frei wird.

Das sind ganz schwierige Herausforderungen für das Gesundheitspersonal. Und wir alle wollen eben, dass solche Entscheidungen nicht getroffen werden müssen, sondern dass wir vorher durch unser eigenes Verhalten solche Triagierungs-Situationen vermeiden.

Potitives

Es gibt aber auch Positives zu sagen:

Sehr viele Reformen im Gesundheitswesen sind plötzlich um einiges schneller möglich gewesen als früher. Die Patienten sagen uns auch: Sie wollen nicht mehr, dass die Zeit zurückgedreht wird, dass dieser Service, der bisher da ist, dass der bleibt.

  • Beispiel 1450: Auch wenn es da Überlastung gibt, zum Glück haben wir es.
  • Beispiel die Mobilität von Gesundheitsdienstleistungen: Es muss nicht mehr der Patient zu den Gesundheitsdienstleistungen, sondern die Gesundheitsdienstleistungen kommen über digitale Möglichkeiten zum Patienten, also digital vor ambulant vor stationär. Das ist etwas, was ganz neu ist.

Kontaktfreie Medikamentenverschreibung

Die kontaktfreie Medikamentenverschreibung oder Tele-Verordnung von Medikamenten ist ein ganz wichtiger Punkt, der sich eigentlich als sehr großes Servicegewinn für die Patienten herausgestellt hat.

Tele-Konsultationen

Telle-Konsultationen und Video-Konsultationen über verschiedene Möglichkeiten sind da sehr stark im Kommen.

Ihre Fragen

Zuletzt und am Schluss noch meiner Ausführungen möchte ich ein paar Fragen beantworten, die Sie mir gestellt haben im Vorhinein.

Frage 1: Maskenbefreiung

Eine Frage geht jetzt im Hinblick auf Maskenbefreiungen. Es fragt eine Patientin an: Sie hatte doppelseitige Lungenembolie, erhebliche Atemnot, und es ist ihr nicht möglich, eine Maskenbefreiungs-Bestätigung zu bekommen. Sie sagt, wie ich das auch gut verstehen kann: „Niemand will hören: Ich bekomme zu wenig Luft.“ Sie hat unter massiver Atemnot zu leiden, und sie will einfach fragen, ob ich ihr etwas raten kann.

Hintergrund ist: Wir alle kennen die Vorgänge, die fast ein bisschen skandalös waren im Hinblick auf die Atteste, die von manchen Ärzten in Hinblick auf die Maskenbefreiung sehr leichtfertig ausgestellt wurden. Da hat es auch in Deutschland und auch in Österreich sehr negative Vorkommnisse gegeben.

Und das hat dazu geführt, dass viele Ärzte da sehr vorsichtig sind und übervorsichtig sind, wenn es um solche Atteste für Maskenbefreiungen geht.

Auf der einen Seite werden wir natürlich auch immer wieder, dass gerade das Tragen von Mund-Nasen-Masken eine ganz wesentliche Maßnahme ist, um das Infektionsrisiko zu vermeiden.

Aber man darf halt nicht vergessen, dass es auch eine kleine Patientengruppe gibt, die wird nicht sehr groß sein, aber sie ist doch da, die sehr große gesundheitliche Beschränkungen auch hat durch diese Masken, weil eben Atemnot ganz massiv vorhanden ist.

Und dazu führt dann, dass z.B. nicht einmal mehr das Einkaufen möglich ist, weil man die Atemluft nicht bekommt.

Ich kann der Patientin insofern einen Rat geben und ich kann es auch gut verstehen, was sie sagt, dass sie sich bitte an die örtlich zuständige Ärztekammer wenden soll. Dort kriegt sie Informationen, welche Ärzte das nach wie vor machen.

Es wird natürlich eine entsprechende Untersuchung notwendig sein. Es geht sicher nicht, dass man es telefonisch oder per Mail erledigt. Sondern es wird eine entsprechende Untersuchung in einer Ordination notwendig sein. Wenn es aber so ist, wie die Patientin sagt, dass sie doppelseitige Lungenembolie hat und erhebliche Atemnot, dann denke ich, dass es sehr gerechtfertigt ist und sie auch diese Maskenbefreiung, dieses Attest auch bekommen wird.

Also bitte an die örtlich zuständige Landesärztekammer zu wenden.

Frage 2: Telefonische Krankmeldung

Zweite Frage: Kann man sich jetzt auch telefonisch krankmelden lassen, wenn man keine typischen Corona-Symptome hat, oder muss ich dafür zum Arzt?

Ich habe dazu widersprüchliche Informationen gefunden, da muss man zwei Dinge auseinanderhalten:

  • Also die Erlaubnis, dass wieder telefonische Krankmeldungen erfolgen, ist jetzt quasi von Seiten der Krankenkasse wieder gekommen. Das heißt: Die Ärzte, die Hausärzte dürfen jetzt wieder telefonische Krankmeldungen auch ohne direkten persönlichen Face-to-face-Kontakt ermöglichen.
  • Es ist aber nach wie vor eine Entscheidung des Arztes, ob er das beim Herrn Meier oder bei der Frau Müller macht. Also es kann durchaus sein, dass ein Arzt dann in einem Einzelfall einmal sagt: „Nein, also jetzt telefonisch ist mir das zu unsicher. Ich bin mir da jetzt nicht sicher bei Ihren Symptomen, möchte Sie mir wirklich auch so anschauen und möchte mit Ihnen vielleicht auch direkt sprechen, muss Sie abhören oder was immer, oder muss irgendeine Zusatzuntersuchung machen.“ Und da kann es natürlich schon auch sein, dass man sagt: „Kommen Sie zu mir in die Ordination und lassen Sie sich untersuchen. Und erst dann kann ich entscheiden, ob eine solche telefonische Krankmeldung erfolgt.“

Also es kommt schon immer auf den Einzelfall an, aber grundsätzlich durch die Krankenkassen ist das jetzt wieder ermöglicht worden,

Frage 3: Verschieben von Operationen

Solche Anfragen, dass Operationen verschoben werden, kommen natürlich immer wieder.

Meine Erfahrung ist, dass die medizinische Überprüfung jetzt viel intensiver und besser erfolgt und auch die Kommunikation mit dem Patienten viel besser erfolgt als beim ersten Lockdown.

Aber es kann natürlich immer wieder auch Missverständnisse und Fehler geben. Und wenn es so ist, wie der Patient fragt, dass er gesundheitliche Folgeschäden möglicherweise leidet, dann ist es durchaus etwas, was er an die Patientenanwaltschaft herantragen kann und was von der Patientenanwaltschaft auch überprüft werden kann.

Bevor er aber das macht, ist es wichtig, vielleicht nochmal beim Krankenhaus nachzufragen und nochmal zu besprechen, wie es ausschaut mit der Situation und erst dann an die Patientenanwaltschaft herantritt.

Frage 4: Influenza-Impfung

Eine Patientin, ein Patient fragt, wie es mit den Grippeimpfungen, Influenza-Impfungen ausschaut. Er gehört oder sie gehört zur Risikogruppe und hat die Information bekommen, dass es derzeit keine Impfstoffe mehr gibt. Und die Frage ist, ob man als Risikopatient einen Anspruch darauf hat.

Als einen rechtlichen Anspruch im eigentlichen Sinne hat man leider nicht, weil wenn es sozusagen faktisch keinen Impfstoff mehr gibt, dann kann man ihn auch nicht herzaubern. Es ist aber bereits etwas nachbestellt.

Und ich würde mir natürlich wünschen als Patientenanwalt, dass die Kriterien, dass zum Beispiel Risikopersonen, chronisch Kranke, ältere Personen, dass die Priorität an diesen Impfstoff bekommen, dass die vom Gesundheitsministerium vorgegeben werden. Das haben wir derzeit nicht.

Und wir müssen auch überlegen: Wie wird es dann sein, wenn wir in den COVID-Impfstoff haben? Auch dann wird eine Situation eintreten, dass es viel mehr Bedarf danach gibt, als man besorgen kann. Und auch da muss man überlegen anhand von Vorgaben und Kriterien: Wer soll jetzt diesen Impfstoff bekommen, und wer muss, kann vielleicht oder aufgrund seiner gesundheitlichen Situation noch etwas länger warten?

Frage 5: Vorteile von Telemedizin

Dann die letzte Frage, die gekommen ist: Wo sind denn die Vorteile von Telemedizin für mich? Lebt die Medizin nicht auch vom direkten Gespräch zwischen Arzt und Patient?

Ja, natürlich. Das ist vollkommen richtig. Auch die Maßnahmen von Telemedizin sollen ja nicht den Arzt und den direkten Kontakt mit dem Arzt ersetzen. Aber sie sollen es ergänzen.

Es gibt sicher sehr viele Möglichkeiten. Ich denke z.B. an Befundbesprechungen, die man per Telefon oder per Video-Konsultation durchaus durchführen kann. Es geht dann um erste Informationen, um Erstberatung, die man durchaus telefonisch durchführen kann.

Also es gibt einen großen Bereich, wo man auch eine Entlastung für die Ärzte und Patienten erreichen kann und wo auch die Hoffnung besteht, dass man durch diese Entlastung dann mehr Zeit für das ärztliche Gespräch hat und damit auch die Telemedizin das machen kann, was sie wirklich machen soll, nämlich nicht den Arzt ersetzen, sondern eine gute Ergänzung für den Arzt zu geben.

Abschluss

Ja, zuletzt möchte ich mich noch bedanken für Ihre Aufmerksamkeit. Es war einiges an Informationen, die ich Ihnen gegeben habe.

Ich hoffe sehr, dass das für Sie verständlich und begreiflich war.

Und das Letzte, was ich Ihnen wünsche: Gesund bleiben und sich gut verhalten. Dann werden wir gemeinsam diese Pandemie schaffen.

Herzlichen Dank und einen schönen Tag noch.

Fr. Dr. Herscovici

Vielen Dank für diesen interessanten Vortrag.

Die Pandemie hat vieles in Bewegung gebracht, und dadurch ist auch die Telemedizin viel stärker in den Fokus gerückt. Unser nächster Experte erklärt Ihnen, welche Anwendungen es in der Telemedizin gibt, welche Möglichkeiten es gibt.

Dr. Andrea Braga ist Facharzt für Chirurgie und Allgemeinmedizin und wird Ihnen vor allem erklären, wie Sie die Möglichkeiten der Telemedizin nutzen können.

Auch hier werden wieder Fragen beantwortet, die wir im Vorfeld von Ihnen erhalten haben. Es wird sicher spannend.

Gut durch die Pandemie kommen – Tipps vom Patientenanwalt

21.11.2020 | 11.45 – 12.15 Uhr

In seinem Vortrag wird Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger auf das Gesundheitssystem in Zeiten von Corona eingehen.

  • Was waren die Schwierigkeiten in den vergangenen Monaten?
  • Was hat das Gesundheitssystem daraus gelernt?
  • Was sollten PatientInnen jetzt beachten?
  • Hat die Krise für neue Möglichkeiten z. B. im Bereich der Telemedizin gesorgt?
  • Was habe ich als PatientIn davon?

Vortragender

Dr. Bachinger

Patientenanwalt
Dr. Gerald Bachinger

Dr. Gerald Bachinger ist Patientenanwalt in Niederösterreich und Sprecher der Österreichischen Patientenanwälte. Er ist unter anderem Vorstandsmitglied der Plattform für Patientensicherheit, Mitglied der NÖ Ethikkommission und Mitglied der Gesundheitskommission des Bundes. Darüber hinaus lehrt Dr. Bachinger an der Medizinischen Universität Wien und an der Donau Universität Krems.

Diesen Vortrag widmet Ihnen:

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