Transkript

OA Dr. Jaksch gibt Betroffenen wichtige Tipps und Hilfestellungen für den Alltag mit Schmerzen mit und klärt über die Schmerztherapie in Zeiten von Corona auf.

Einstieg

Ich darf Sie ganz herzlich begrüßen, meine Damen und Herren. Mein Name ist Dr. Wolfgang Jaksch. Ich arbeite im Wilhelminenspital. Ich bin Facharzt für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie. Und das ist auch mein Thema: Schmerzen und Schmerztherapie in Zeiten von Corona.

Was ist Schmerz?

Die Frage ist: Was ist Schmerz? Damit sollten wir uns primär einmal beschäftigen.

  • Schmerz ist nämlich eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit einer echten oder potenziellen Gewebeschädigung einhergeht oder als solche beschrieben wird. Das heißt: Sobald irgendetwas im Körper nicht stimmt, meldet der Körper Schmerz.
  • Ein chronischer Schmerz ist dann ein Schmerzgeschehen, das über eine erwartete normale Heilungszeit hinaus weiterbesteht. Das heißt: Chronische Schmerzen sind dauernde oder immer wieder auftretende Schmerzen, die länger als in der Regel 3 Monate auftreten.

Man kann Schmerz auch andersherum definieren. Die Gesundheit ist das Schweigen der Organe. Das heißt: Wenn wir in unseren Organen nichts spüren, ist alles in Ordnung. Dann haben wir auch keine Schmerzen. Wenn Sie Ihre Gallenblasenschmerzen spüren, dann ist irgendwas nicht in Ordnung mit Ihrer Gallenblase. Möglicherweise haben Sie Gallensteine.

Funktion von Schmerz

Was ist die Funktion von Schmerz? Warum haben wir Schmerzen?

Schmerz ist prinzipiell etwas sehr, sehr Gutes. Wir können ohne Schmerzen nicht überleben. Schmerz ist somit eine so genannte lebensnotwendige Sinneswahrnehmung. Er sichert das Überleben durch Vermeiden von schädigenden Situationen und durch das Erhalten des Gleichgewichts im Körper. Wenn wir Schmerz nicht empfinden können, dann merken wir nicht, dass etwas nicht in Ordnung ist und nehmen Schaden.

CIPA

Es gibt angeborene Schädigungen, also Patienten, die kein Schmerzempfinden haben. Das ist eine dieser Formen. Es gibt verschiedene. Offensichtlich haben auch diese Fakire, die sich oft zur Schau stellen, dass sie Schmerzen überhaupt nicht ertragen, so ein Defizit.

Aber die Abbildung zeigt einen etwa knapp 30-jährigen Patienten, der nur, weil er nicht Schmerzen empfinden kann, sich dauernd selber verletzt und dann zu so verstümmelten Extremitäten kommt.

  • Also es kommt zu Selbstverletzungen,
  • es kommt zu Deformierungen von Gelenken.
  • Die Patienten können weder stumpf noch scharf unterscheiden.
  • In diesem Fall bei dieser Erkrankung ist auch das Temperaturempfinden gestört,
  • und die Patienten schwitzen nicht.

Schmerzeinteilung

Für die Schmerzeinteilung: Man unterscheidet, ganz, ganz wichtig natürlich, Schmerz nach

  • akuten Schmerzen und
  • chronischen Schmerzen.

Dauer:

  • Akute Schmerzen sind kurz, intermittierend, das heißt: Sie treten auf, melden uns, dass etwas nicht in Ordnung ist, und meistens kann man auch sagen, es korreliert mit der Intensität des Reizes. D.h.: Wenn einer sich den Arm bricht, dann hat er ähnliche Schmerzen wie ein anderer, der sich den Arm bricht. Das stimmt nicht ganz, wir wissen das. Es gibt ein Nord-Süd-Ost-Gefälle. Die Nordländer scheinen etwas weniger schmerzempfindlich zu sein als vielleicht Patienten, die aus südlichen Ländern oder südöstlichen Ländern kommen. Man sagt auch immer, dass Männer schmerzempfindlicher sind als Frauen. Prinzipiell, wenn man es genau testet, ist genau das Gegenteil der Fall. Wobei halt dann auch immer die Frage ist, wie man mit Schmerzen umgeht.
  • Chronischer Schmerz ist ein langandauernder Schmerz, der entweder dauernd vorhanden ist oder immer wiederkehrt.

Die Ursachen:

  • Beim akuten Schmerz: Wenn sich jemand den Arm bricht, dann ist es klar, dann weiß man, woher der Schmerz kommt. Wenn der Bauch weh tut, wird man Diagnostik betreiben müssen. Aber wichtig wäre natürlich, die Ursache zu behandeln.
  • Je chronischer ein Schmerz ist, um so weniger genau kann man oft sagen: Woher kommt dieser Schmerz? Und deswegen ist es dann oft schwierig, auch eine ursächliche Therapie für diesen Schmerz zu finden.

Die Lokalisation:

  • Wenn es nicht gerade ein Polytrauma ist wie nach einem schweren Unfall, wo viele Körperstellen verletzt sind, ist beim akuten Schmerz oft eine sehr gut definierte Stelle gegeben.
  • Chronischer Schmerz hat prinzipiell die Tendenz, sich auszubreiten, es tut plötzlich immer mehr weh. D.h.: Es hat einmal irgendwo begonnen, und der Schmerz fängt an, sich auszubreiten. Bei manchen Patienten geht es dann fast zum Ganzkörperschmerz über.

Die Funktion:

  • Akuter Schmerz, wie schon vorher erwähnt, ist ein ganz wichtiges Warnsignal.
  • Chronischer Schmerz ist immer ein sinnloser Schmerz.

Zu den zusätzlichen Symptomen:

  • Beim akuten Schmerz abhängig vom Alter, sogar bei Kindern, kann Angst dazu kommen, bei manchen Erwachsenen bei größeren Verletzungen oder wenn plötzliche Schmerzen auftreten.
  • Beim chronischen Schmerz gibt es ganz, ganz viele Begleiterkrankungen. Da gibt es als Begleiterkrankung auf jeden Fall mal die Depression. Ein ganz wichtiger Punkt die Schlafstörungen, ist auch ein Ansatz für die Therapie. Ganz, ganz wichtig. Patienten vereinsamen mit ihrem chronischen Schmerz. Auch der beste Freund hält es mit der Zeit nicht aus, wenn jemand immer klagt über seine Schmerzen. Libidoverlust ist ein Problem der chronischen Schmerzpatienten. Und der chronische Schmerz ist eine der häufigsten Ursachen, dass Patienten versuchen, sich das Leben zu nehmen.

In der Behandlung:

  • Natürlich beim akuten Schmerz die Ursache. Aber es muss bei akutem Schmerz auch sehr, sehr gut behandelt werden, damit nicht ein chronischer Schmerz aus dem akuten Schmerz wird.
  • Und beim chronischen Schmerz spricht man von einer multimodalen Schmerztherapie. Ich komme dann später auf das zurück. Das heißt: Man braucht viele verschiedene Ansätze, um den Schmerz gut in den Griff zu bekommen.

Und zusammenfassend:

  • Der akute Schmerz ist immer das Symptom einer Erkrankung. Das heißt, wir werden durch den Schmerz dazu gebracht, vielleicht auch medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
  • Bei chronischem Schmerz: Man kommt immer mehr drauf, dass es eigentlich ein eigenes Krankheitsbild ist, die Schmerzkrankheit.

Akuter Schmerz?

Akuter Schmerz: Was tun wir, vor allem in Zeiten von Corona?

Es wird gerade wieder alles runtergefahren. Wir kommen in den Lockdown.

Wenn die Ursache bekannt ist: z.B. Verletzungen, kleine Verletzungen, also jetzt nicht gerade ein Bruch einer Extremität, eines Armes oder Beines, Kopfschmerzen, die immer wieder auftreten, aber selten auftreten, die bekannt sind, bei Verletzungen eher Schonung, Kühlung, eventuell auch Selbstmedikation. Gehen Sie in die Apotheke, lassen Sie sich beraten.

Wenn eine neue Schmerzart auftritt, wenn Sie nicht die Ursache wissen, warum haben Sie diese Schmerzen, die Schmerzen halten an, sie sind starke Schmerzen oder die Intensität nimmt sogar zu, dann ist es ein Warnsignal. Also noch einmal: Gesundheit ist das Schweigen der Organe.

Und wenn einfache Schmerzmittel ohne Erfolg sind, die Schmerzmittel, die Sie ohne Rezept in der Apotheke bekommen, dann bitte nehmen Sie frühzeitig medizinische Hilfe in Anspruch. Auch in Corona-Zeiten. Schmerz ist ganz einfach ein wichtiges Warnsignal. Lassen Sie es nicht anstehen. Sie werden behandelt. Sie können in die Notaufnahme gehen. Sie müssen vielleicht Tests machen beim Eintreten in ein Krankenhaus. Bzw. gehen Sie primär zu einem praktischen Arzt natürlich, der Sie kennt vielleicht. Erzählen Sie ihm das. Er wird die weiteren diagnostische Schritte in die Wege leiten. Aber akuter Schmerz, den Sie nicht kennen, der anhält, der stark ist, zunimmt in der Intensität – Bitte klären Sie das ab, auch in Corona-Zeiten, nicht in Kauf nehmen.

Rezeptfreie Schmerzmittel – Risiken?

Apropos rezeptfreie Schmerzmittel. Ich möchte auch ein bisschen auf die Risiken eingehen, und ich habe da vielleicht ein anschauliches Beispiel.

Zwei Ereignisse vergleichen wir:

  • Das eine Ereignis, das gibt es schon seit 100 Jahren. Etwa 12 Millionen Menschen sind diesem Ereignis ausgesetzt gewesen. Trotzdem: In den 100 Jahren hat es insgesamt 15 Todesfälle gegeben.
  • Das andere Ereignis: Ein Monat, 80.000 Leute sind dem ausgesetzt, und es kommt insgesamt unter diesen in einem Monat 80.000 ausgesetzten, also exponierten Patienten zu 20 Todesfällen. Also das zweite Ereignis ist bei weitem gefährlicher als das erstere.

Das erste Ereignis ist dieser Stierkampf, bei dem die Stiere durch die Stadt Pamplona in Spanien getrieben werden. Ist natürlich auch verrückt, aber natürlich über 15 Todesfälle in 100 Jahren. Wir brauchen diese Todesfälle nicht wirklich.

Aber das andere ist die Einnahme von einfachen Schmerzmitteln, die man in der Apotheke bekommt. NSAR heißt Nicht-steroidale Antirheumatika. Die kriegt man teilweise ohne Rezept in der Apotheke.

Deswegen: Wenn Sie in der Apotheke sich Schmerzmittel holen, besprechen Sie bitte genau mit Ihrem Apotheker:

  • Haben Sie Allergien auf irgendwelche Medikamente?
  • Haben Sie Begleiterkrankungen? Ganz wichtig: Bluthochdruck, Diabetes, koronare Herzkrankheit, Magen-Darmprobleme. Ist Ihre Niere nicht komplett funktionsfähig, oder auch Ihre Leber?
  • Welche Medikamente nehmen Sie sonst noch? Das ist ganz, ganz wichtig. Es gibt ziemlich viele Wechselwirkungen mit diesen Schmerzmitteln. Auch pflanzliche Arzneimittel fallen da hinein, z.B. Johanniskraut kann die Wirkung von anderen Medikamenten massiv beeinflussen.

Keine langfristige Selbstmedikation.

Und Vorsicht bitte mit Bezug von Medikamenten aus dem Internet. Sie bekommen gar keine Beratung.

Also noch besser: Gehen Sie zum Apotheker. Lassen Sie sich beraten. Und Sie wissen ganz genau, welche Medikation Sie sonst einnehmen, welche Begleiterkrankungen Sie haben.

Therapieziele

Was sind Therapieziele in der Schmerztherapie? Was ist klinisch relevant?

Natürlich: Jeder Patient hat individuelle Therapieziele. Und es ist auch unterschiedlich, welche Schmerzlinderung man bei Patienten erreichen muss, um die Lebensqualität zu verbessern.

Ich komme auf das gleich noch einmal zurück.

Wenn man sich das jetzt anschaut.

  • Beim akuten Schmerz ist natürlich immer das Therapieziel „schmerzfrei“.
  • Beim chronischen Schmerz, den Schmerzen, die Patienten vielleicht schon seit vielen, vielen Jahren haben, müssen wir ganz andere Ziele setzen. Ich komme auch auf diesen Punkt kurz später noch einmal zu reden.

Schmerzarten – Verschiedene Mechanismen

Ganz wichtig ist es auch: Was für Schmerzen hat der Patient?

  • Es gibt natürlich diesen „normalen“ Schmerz, der Schmerz, der in der Peripherie, also zum Beispiel durch Feuer wahrgenommen wird und ins Gehirn weitergeleitet wird und der eine Schutzfunktion hat, also das Warnsymptom. Da bedarf es aber wirklich schädigender Reize, die Gewebe zerstören, eine hohe Reizstärke.
  • Es gibt ganz andere Schmerzarten: Es gibt die chronische Entzündung, also Rheuma zum Beispiel. Die krankhaften Heilungs- und Reparaturprozesse führen dann zu solchen Händen z.B.
  • Ein ganz anderer Schmerz ist der Nervenschmerz. Das wäre eine Gürtelrose z.B. Die kann chronisch werden. Das ist natürlich ein krankhafter Schmerz.
  • Und es gibt so dysfunktionalen Schmerz. Dazu gehört zum Beispiel die Fibromyalgie. Sie werden sicher schon einmal davon gehört haben. Kein schädlicher Reiz, keine Entzündung, kein Nervenschaden, aber die Schmerzverarbeitung im Körper ist offensichtlich anders als bei anderen Patienten.

Bei all diesen Erkrankungen kann es sein, dass sogar schon niedrige Reize Schmerzen auslösen. Das kann so weit gehen, dass das Berühren eines Hemdes oder einer Bluse Schmerzen verursacht. Ein leichter Druck macht Schmerzen, zum Beispiel bei der diabetischen Polyneuropathie: Die Patienten halten die Bettdecke auf ihren Füßen nicht aus.

Neuropathische Komponente – worauf sollte man achten?

Neuropathischer Schmerz sollte erkannt werden, dass es ein Nervenschmerz ist. Worauf sollte man achten? Wie kommt man darauf, dass es kein normaler Schmerz ist, kein gesunder Schmerz ist, sondern eher ein Nervenschmerz ist, ein sogenannter neuropathischer Schmerz.

Da kommt es darauf an, wie es weh tut, nicht wie stark es weh tut, sondern wie es weh tut: Wie spüren Sie den Schmerz?

  • Haben Sie Kribbeln, Ameisenlaufen?
  • Ist es elektrisierend, einschießend?
  • Brennt es wie Feuer?
  • Haben Sie Taubheitsgefühl?
  • Oder, was ich vorher schon erwähnt habe: Die Schmerzverstärkung durch die leichte Berührung, Kleidung oder Bettdecke bei der diabetischen Polyneuropathie.
  • Oder wenn man in den Nervenwurzeln an der Wirbelsäule beeinträchtigt wird, gemacht durch einen Bandscheibenvorfall, der Schmerz strahlt in andere Körperregionen aus.

Das sind neuropathische, das sind Nervenschmerzen.

Und da möchte ich gleich dazusagen: Gehen Sie bei Nervenschmerzen nicht in die Apotheke und holen Sie sich ein Voltaren oder ein Ibuprofen oder was auch immer. Die wirken ganz einfach nicht bei diesen Schmerzen. Da braucht es ganz andere Schmerzmittel. Und das ist Aufgabe eines Arztes, Sie genau auf dieses Schmerzmittel einzustellen. Das sind teilweise Antidepressiva, die eingesetzt werden, oder Medikamente gegen epileptische Anfälle, die die Nerven wieder beruhigen können. Das ist aber nicht ganz einfach einzustellen, und man muss genau schauen, wie Sie drauf reagieren. Also das gehört in ärztliche Hände.

Therapieziele

Therapieziele habe ich vorher angesprochen. Wir lesen so etwas immer wieder, leider Gottes: „Schmerzfrei leben“, „Nie mehr Schmerzen“. Es hat immer wieder die Schlagzeile gegeben: „Kein Patient muss Schmerzen haben.“

Ich muss Sie leider enttäuschen. Wenn Sie lange, lange chronische Schmerzen haben, ist es meistens oder bei vielen Patienten nicht möglich, eine komplette Schmerzfreiheit zu erreichen.

Aber das soll Sie jetzt nicht demotivieren. Wir müssen uns andere Ziele gemeinsam setzen.

Praxis

Das heißt: Schmerzfreiheit ist bei vielen chronischen Patienten ganz einfach nicht erreichbar.

Aber: Wir sollten gemeinsam Therapieziele festlegen. Es geht natürlich um Schmerzlinderung. Das ist das primäre Ziel. Der Schmerz muss gelindert werden, um die Lebensqualität zu verbessern, um Ihren Schlaf zu verbessern, um Ihren Aktivitätslevel zu verbessern, dass Sie wieder etwas machen können, was Sie früher vielleicht gekonnt haben und durch den Schmerz nicht mehr können.

Es gibt eine Schmerzskala, die sehr, sehr sinnvoll ist: Change Pain. Das ist eine internationale Expertengruppe, die das entwickelt hat. Sie kennen vielleicht diese Schmerzskalen, die von 0 bis 10 gehen, von „Kein Schmerz“ bis „Stärkster vorstellbarer Schmerz“. Dann ist es wichtig: Wo liegen Sie momentan?  Schmerzstärke vielleicht bei 7, 8 – ganz starke Schmerzen. Und dann machen Sie sich gemeinsam mit Ihrem Arzt aus: Wo wollen Sie hin? Was für eine Schmerzlinderung ist notwendig, um Ihre Lebensqualität zu verbessern, um Ihren Aktivitätslevel zu verbessern, vielleicht auch den Schlaf zu verbessen?

Die Behandlung chronischer Schmerzen

Und das geht bei chronischen Schmerzen immer nur multimodal. Das heißt:

  • Wir müssen durch schmerzmedikamentöse Maßnahmen oder auch vielleicht durch Infiltrationen, was auch immer, den Schmerz reduzieren, die Nerven beruhigen, die körpereigene Schmerzhemmung wieder fördern. Das ist die Aufgabe des Arztes. Gar keine Frage.
  • Es geht aber auch um andere Punkte. D.h. Sie brauchen Entspannung. Sie müssen abgelenkt werden, die Schmerzaufmerksamkeit reduzieren.
  • Es geht um Bewegung. Ein ganz wichtiger Punkt: Versuchen Sie, immer in Bewegung zu bleiben. Ganz egal, welche Erkrankungen dahinterstecken. Ich komme da noch einmal darauf zurück, warum Bewegung so wichtig ist.
  • Und es geht um Schmerzbewältigung. „Schmerzgedächtnis“ werden Sie vielleicht ganz auch schon mal gehört haben, das zu löschen ist fast nicht möglich, aber Sie müssen Strategien entwickeln, vielleicht in Zusammenarbeit mit einem Psychologen. Ganz, ganz wichtig: Sie werden Hilfe brauchen, wenn Sie sehr, sehr lange schon chronische Schmerzen haben, nicht nur von Ärzten, auch von Psychologen. Sonst werden Sie keinen Erfolg haben.

Chronische Schmerzen – Was tun?

Was machen Sie jetzt mit chronischen Schmerzen, wieder in Corona-Zeiten?

  • Wenn Sie schon in Behandlung sind, dann werden Sie vielleicht den Arzt oder das Schmerzzentrum nur bei wirklich deutlicher Verschlechterung aufsuchen. Wenn Sie schon in Behandlung sind, vielleicht einfach ein Telefonkontakt.
  • Wenn Sie in der Behandlung von Physiotherapeuten stehen: Wenn möglich, machen Sie weiter. Aber Sie können hoffentlich auch selbstständig was tun. Ich hoffe, Sie haben aktive Übungen gelernt vom Physiotherapeuten, nicht nur Massagen, Stromtherapie, sondern ist es immer wichtig, dass Sie selbst aktiv werden.
  • Beim Psychotherapeuten: Auch das sollte möglichst weitergeführt werden. Das geht teilweise wirklich auch über Telefon.
  • Und Entspannung: Entspannungsübungen kann man sehr gut selbstständig durchführen. Wenn Sie es hoffentlich schon gelernt haben, dann machen Sie selbstständig weiter. Es ist ganz, ganz wichtig. Es gibt auch CDs dazu, Sie finden im Internet Entspannungsübungen. Das kann sein in Form von progressiver Muskelrelaxation nach Jacobsen, Anspannung von Muskulatur und wieder aktiv entspannen. Versuchen Sie selbst aktiv zu werden.

Das sind einmal die wichtigsten Punkte.

Auch der Schmerzpatient ist Teil dieses multimodalen Therapieansatzes. Wenn man alles zusammenrechnet: In der Regel kommen Schmerzpatienten zu etwa  drei Stunden pro Jahr, dass Sie mit dem Arzt wirklich in Kontakt sind, und die restlichen 8.733 Stunden pro Jahr sind Sie auf sich alleine gestellt. Also es ist wichtig, dass Sie aktiv werden, dass Sie sich mit einbringen.

7 Werkzeuge für SchmerzpatienInnen

Das heißt: Sie müssen aktiv werden. Vor allem in Zeiten von Corona. Es ist nicht möglich, die Schmerzbetreuung so aufrecht zu erhalten, die momentan nicht grade die optimale ist in Österreich. Das kommt auch noch dazu.

Ein wichtiger Punkt, aber ich kann Ihnen nur empfehlen: der Schmerzwerkzeugkoffer. Das schaut ein bissel lächerlich aus, aber es gibt sehr gute Tipps da drinnen. Es wurde von einem Schmerzpatienten, jemandem, den ich persönlich kenne, für Schmerzpatienten verfasst. Sie können das über www.changepain.at oder besser wahrscheinlich über www.Schmerz-Allianz.at beziehen.

  • Ein wichtiger Punkt ist: Akzeptieren Sie, dass Sie Schmerzen haben. Das heißt jetzt nicht, dass der Schmerz weiter Ihr Leben bestimmen muss. Ganz wichtig wäre, dass Sie wieder die Kontrolle über den Schmerzgrad erreichen. Aber da gibt’s einige Werkzeuge, die wichtig sind.
  • Die Eigeninitiative
  • Das richtige Tempo: Übertreiben Sie es nicht.
  • Prioritäten setzen: Was können Sie machen? Was hilft Ihnen weiter?
  • Machen Sie sich Ziele, Aktionspläne, wie ich es vorher schon gesagt habe. Es gibt Ziele: Dass Sie vielleicht besser schlafen können, etwas mehr Bewegung, dass Sie doch wieder rauskommen aus Ihrer Wohnung.
  • Haben Sie Geduld.
  • Und erlernen Sie Entspannungstechniken. Ganz, ganz wichtig in diesem Zusammenhang.

Wollen Sie ein Medikament, das…

Ich habe von einem Kollegen aus Belgien diese Abbildung bekommen. Das ist in vielen Apotheken dort gehangen, und das hat, glaube ich, sehr viel gebracht.

Wollen Sie ein Medikament, das…

  • Sie glücklich macht,
  • Ihre Muskelkraft stärkt,
  • Angst und Depression verdrängt,
  • Blutdruck und Cholesterin senkt,
  • die Muskulatur hervorhebt,
  • auch Ihre intellektuellen Fähigkeiten steigert,
  • die Ausdauer verbessert,
  • das Körpergewicht senkt, positiv beeinflusst,
  • Ihre Aufmerksamkeit, die Konzentration schärft?

Dieses Medikament ist überall erhältlich, ohne Rezept. Es ist auch für Kinder sicher.

Wissen Sie, worum es sich handelt? Es wird „Bewegung“ genannt.

Ich kann Sie nur motivieren, auch wenn es Ihnen wehtut. Fangen Sie langsam an, aber versuchen Sie, sich zu bewegen.

Warum Bewegung?

Warum Bewegung?

  • Jede Bewegung, auch bei jedem Schmerz, wenn Sie es konsequent machen, reduziert den Schmerz.
  • Die körperliche Aktivität trägt sicher dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern.
  • Natürliche körperliche Aktivität senkt das Risiko für viele andere chronische Erkrankungen, wie Bluthochdruck zum Beispiel, für koronare Herzkrankheit.
  • Und ganz, ganz wichtig, das ist relativ neu: Wir wissen, dass bei chronischen Schmerzpatienten es zu einer Entzündungsreaktion im zentralen Nervensystem kommt. Das kann man durch Ernährung positiv beeinflussen, aber vor allem auch die körperliche Aktivität. Diese Entzündung wird weniger, die Schmerzen werden weniger. Aber das geht eben nur durch körperliche Aktivität.

Welche Bewegung ist sinnvoll?

  • Jede körperliche Aktivität besser als keine.
  • Von der WHO wird empfohlen: 30 Minuten 5 Mal pro Woche, oder, wenn möglich, 10.000 Schritte pro Tag. Die meisten Handys haben so eine Funktion, sie zeichnen auf, wie viele Schritte Sie gegangen sind. Wenn Sie chronischer Schmerzpatient sind, Sie werden wahrscheinlich keine 10.000 Schritte primär schaffen, aber fangen Sie an und versuchen Sie, ein wenig sich zu bewegen.
  • Setzen Sie sich Ziele mit einfacher körperlicher Aktivität.
  • Und machen Sie, wenn irgendwie möglich, körperliche Aktivität, die Ihnen immer schon Spaß gemacht. Sie werden schlussendlich profitieren davon. Zum Beispiel Wandern, Tanzen, was auch immer, was Ihnen möglich ist. Natürlich nicht mit den Schmerzen. Möglicherweise, wenn Sie erst wieder beginnen, am Anfang kann es ein bisschen mehr wehtun. Aber Sie werden sehen: Sie machen Fortschritte.

Das sind alles wichtige Punkte, die Sie speziell in Zeiten von Corona selbst durchführen können.

Ihre Fragen

Ich habe einige Fragen bekommen, die ich jetzt am Ende noch gerne beantworten möchte.

Frage 1: Als RisikopatientIn mit Migräne in die Schmerzklinik?

Eine Frage: Ich habe Angst, in die Klinik zur Schmerztherapie zu gehen, weil ich Risikopatientin bin. Gibt es eine Möglichkeit, die Therapie als Migränepatientin von zuhause durchzuführen?

Als Migränepatientin, wenn Sie noch nicht in Behandlung waren, wenn die Diagnose noch nicht festgestellt wurde, wenn es noch nicht abgeklärt ist, dann werden Sie zu einem Neurologen gehen müssen. Es gibt auch neue Medikamente übrigens zur Migränetherapie, die erst unlängst auf den Markt gekommen sind. Dann sollten Sie natürlich vielleicht noch einmal primär zu einem niedergelassenen Neurologen gehen. Da kann man sich einen Termin ausmachen. Ob es dann notwendig ist, in eine Klinik zur Schmerztherapie zu gehen, muss man bezweifeln bei einem Migränepatienten. Wahrscheinlich ist alles machbar, auch von außerhalb.

Frage 2: Schmerzambulanz-Alternativen

Eine andere Frage: Die Schmerzambulanz meiner Klinik wurde geschlossen. Welche anderen Möglichkeiten gibt es für mich, schmerztherapeutische Betreuung in Anspruch zu nehmen? Ich habe Polyneuropathie.

Schauen Sie, wenn Sie schon in Behandlung waren, dann nehmen Sie einmal die Medikation, die hoffentlich sinnvoll ist, eben so Antidepressiva, konsequent weiter.

Es ist möglich, mit einer Neuropathie auch beim niedergelassenen Arzt eine Betreuung zu bekommen. Versuchen Sie, ein Zentrum zu finden, einen Arzt zu finden, in dem Fall vielleicht Neurologe oder niedergelassener Schmerztherapeut, es sind immer wieder auch Anästhesisten, die das machen, zu dem Sie Vertrauen fassen. Es ist die Polyneuropathie eine langjährige Erkrankung. Auch da geht es um Schmerzlinderung. Es ist wahrscheinlich nicht notwendig, unbedingt in eine Klinik zu gehen. Vor allem, wenn Sie schon eine Therapie haben.

Ist es neu aufgetreten, die Polyneuropathie, dann müssen Sie mal zum niedergelassenen Arzt gehen, und der kann das Management übernehmen, ob Sie jetzt weiter zu einem Neurologen und Facharzt gehen bzw. ob auch ein Schmerzzentrum notwendig ist, um die Therapie weiterzuführen.

Frage 3: Terminpausen überbrücken

Aufgrund der Abstandsregelung kann meine Schmerzeinrichtung nicht mehr so viele Patienten gleichzeitig betreuen. Wie schaffe ich es bestmöglich, die Pause zwischen den Terminen zu überbrücken? Ich leide am Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom der 2. Stufe, nachdem bei einer Verletzung ein peripherer Nerv am Arm verletzt wurde.

Offensichtlich auch dieser Patient, ich weiß nicht genau die Hintergründe, ist in Behandlung von einem Schmerzzentrum oder Schmerzeinrichtung. Die Therapie: Bei dieser Erkrankung ist sehr viel Üben ganz wesentlich. Ich weiß nicht, ob Sie instruiert wurden in der sogenannten Spiegeltherapie. Es geht auch viel um kleine Bewegungen. Man kann mit Reiskörnern viel üben daheim. Es ist nicht wahnsinnig viel, was in der Klinik gemacht wird. Wenn Sie das gelernt haben, Spiegeltherapie, dann organisieren Sie sich einen Spiegel. Machen Sie es daheim.

Wenn Sie gelernt haben, diese Feinmotorikübungen zu machen, das kann man alles daheim machen. Deshalb versuchen Sie, daheim aktiv zu werden. Auch da ist Bedarf der Eigeninitiative. Ich glaube nicht, dass es so notwendig ist, unbedingt sehr oft in die Schmerzeinrichtung zu gehen. Man kann vieles daheim machen. Machen Sie es nur konsequent.

Frage 4: Schließung vieler Schmerzambulanzen

Das ist ein Thema, was mich besonders betrifft: Warum haben so viele Schmerzambulanzen im Frühjahr zugemacht? Ich dachte immer, das sind medizinisch relevante Bereiche.

Ich möchte kurz dazu sagen: Ich war vor ein paar Jahren der Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft. Es war eines meiner vordringlichsten Ziele zu schauen, dass möglichst viele Schmerzambulanzen vorhanden sind. Es ist nicht erst im Frühjahr viel zugemacht worden. Es wurde schon in den letzten Jahren viel zugemacht. Die Schmerzversorgung in Österreich ist sicher nicht ideal.

Das Problem ist: Ich bin schon der Meinung, dass es medizinisch relevante Bereiche sind. Aber im österreichischen Strukturplan Gesundheit kommen Schmerzambulanzen eigentlich gar nicht vor.

Es war eigentlich immer die Initiative von einigen wenigen, die dazu geführt hat, dass es überhaupt Schmerzambulanzen gibt in Österreich.

Ich kann Sie nur motivieren: Wenn Sie keine schmerztherapeutische Einrichtung finden, es wäre hilfreich, wenn sich Patienten mehr beklagen würden. Es gibt Patientenanwälte, und ich habe vorher diese Adresse gezeigt: Schmerz-Allianz.at. Es ist die Zusammenfassung von Selbsthilfegruppen. Auf dieser Homepage gibt es auch eine Unterschriftenliste, eine Petition an die Gesundheitspolitik. Die Gesundheitspolitik hat momentan sehr viele andere Themen, gar keine Frage. Aber es sollte deswegen nicht vergessen werden, auch diese wichtigen Einrichtungen für Schmerzpatienten zu schaffen und ihnen die Möglichkeit zu geben, zu einer guten Schmerzversorgung zu kommen.

Deutschland ist zum Beispiel, unser Nachbarland, deutlich besser aufgestellt mit schmerztherapeutischen Einrichtungen als Österreich.

Frage 5:

Und noch eine letzte Frage: Guten Tag, Herr Dr. Jaksch. Ich hatte vor Beginn der Pandemie einen Bandscheibenvorfall und bin kurzzeitig zur Ultraschalltherapie gegangen, was mit den Schmerzen sehr geholfen hat. Wie kann ich diese möglichst gleichwertig daheim durchführen? Vielen Dank für die Informationen.

Also, da kann ich auch aus eigener Erfahrung mich dazu einbringen. Auch ich hatte vor etwas mehr als einem Jahr einen Bandscheibenvorfall. Und ich hatte keine Ultraschalltherapie, sondern mir wurden sehr bald Übungen gezeigt, die ich machen muss oder soll, um meine Muskulatur, meine Rückenmuskulatur, meine Bauchmuskulatur, meine Brustmuskulatur zu stärken. Ultraschalltherapie ist eine passive Therapie, die kurzfristig zu einer leichten Erleichterung führt.

Aber wenn Sie diesen Bandscheibenvorfall gehabt haben vor Beginn der Pandemie, dann sollten Sie eigentlich jetzt in einem Trainingsprogramm sein. Ich kann auch da Ihnen nur raten: Ich hoffe, Sie haben Übungen gelernt. Es wäre schlecht, wenn Sie die nicht gelernt hätten. Die können Sie in der Regel daheim durchführen. Und das möglichst jeden Tag. Das ist das, was Ihnen auf Dauer wirklich helfen wird gegen Ihre Schmerzen, wenn Sie noch Schmerzen haben nach dieser Bandscheiben-Operation oder nach dem Bandscheibenvorfall. Nur die Bewegung hilft.

Ich kann Sie nur motivieren: Versuchen Sie, regelmäßig jeden Tag, wenn möglich oder zumindest an 5 von 7 Tagen in der Woche ein Programm durchzuführen. Das sollten Sie in Ihren Alltag einbauen. Nur so kommen Sie zu einer Besserung.

Abschluss

Ich hoffe, ich habe Ihnen ein paar Tipps geben können. Es kommt viel auf Eigeninitiative an.

  • Haben Sie akute Schmerzen? Sind Schmerzen neu aufgetreten? Sind chronische Schmerzen deutlich schlechter geworden? Bitte nehmen Sie medizinische Hilfe in Anspruch, auch in Zeiten von Corona. Es darf nicht sein, dass Sie Schaden nehmen, weil Sie nicht zum Arzt gehen.
  • Anders: Haben Sie chronische Schmerzen? Dann bitte versuchen Sie, auch eigeninitiativ zu werden. Auch ohne Arzt kann man relativ viel machen. Schauen Sie, dass Sie weiter Ihre psychologische Betreuung irgendwie geregelt kriegen. Machen Sie Ihre Bewegungsübungen. Versuchen Sie, Entspannungsübungen zu lernen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fr. Dr. Herscovici

Danke für diesen wichtigen Beitrag.

Bauchwandbrüche werden immer häufiger diagnostiziert, und gerade planbare Eingriffe wurden im Frühjahr oft verschoben. Um dieses Thema geht es im nächsten Vortrag. Chefarzt Dr. Golo Brodik wird auf verschiedene Fragen eingehen, die in diesem Zusammenhang aufgekommen sind und welche Möglichkeiten es in der Behandlung von Bauchwandbrüchen gibt. Am Ende gibt es wieder Antworten auf Fragen, die Sie uns im Vorfeld geschickt haben.

Bleiben Sie dran.

Schmerztherapie in Zeiten von Corona

22.11.2020 | 15.10 – 15.40 Uhr

OA Dr. Jaksch erklärt in seinem Vortrag, warum Schmerzen vor allem auch in Zeiten von Corona ernst genommen werden sollten und ab wann Sie Hilfe in Anspruch nehmen sollten. Daneben geht er auf die Wichtigkeit des eignen Umgangs mit Schmerzen bzw. chronischen Schmerzen ein und gibt Betroffenen wichtige Tipps und Hilfestellungen für den Alltag mit Schmerzen mit.

Hinweis: In diesem Beitrag sind Fotos von medizinischen Eingriffen zu sehen.

Vortragender

OA Dr. Jaksch

Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin
OA Dr. Wolfgang Jaksch

OA Dr. Wolfgang Jaksch ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin. Er ist an der Klinik Ottakring des Krankenanstaltenverbundes Wien schon seit mehr als 25 Jahren tätig und hat in dieser Zeit die dortige Schmerzambulanz und den Schmerzkonsiliardienst aufgebaut. Der Schmerzexperte hat sich in der Vergangenheit als Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) für die Optimierung der Schmerzversorgung in Österreich eingesetzt.

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