Einleitung
Das Hereditäre Angioödem ist eine Erkrankung, bei der Patienten wiederholt Schwellungen an verschiedenen Körperstellen bekommen. Priv. Doz. Dr. Dr. Sabine Altrichter forscht und arbeitet genau zu diesem Thema. Sie ist Fachärztin für Dermatologie und Allergologie und leitende Oberärztin an der dermatologischen Abteilung des Kepler Universitätsklinikums, das sich im Übrigen auch vor kurzem als Angioödem Referenzzentrum zertifizieren konnte.
Sie wird uns erklären, wie mittels Blutuntersuchungen das hereditäre Angioödem diagnostiziert werden kann und welche neuen Behandlungsmöglichkeiten in der letzten Zeit entwickelt wurden.
Begrüßung (0:55)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass sie heute beim Vortrag zu neuen Therapien für das hereditäre Angioödem dabei sind. Mein Name ist Sabine Altrichter und ich bin Oberärztin am Kepler Universitätsklinikum in der Klinik für Dermatologie und Venerologie. Ich möchte Ihnen heute nach einer kurzen Einführung zum hereditären Angioödem von den aktuellen und zukünftigen Therapieoptionen erzählen.
Was sind die Symptome? (1:35)
Eines der Hauptsymptome des hereditäre Angioödems ist, dass die Patienten unvermittelt, anfallsartig Schwellungen an verschiedensten Körperstellen entwickeln können. Typischerweise auch an der Haut, hier sehen Sie Schwellungen, der Extremitäten und Hände, die sehr belasten und funktionseinschränkend sind, man kann beispielsweise nicht mehr richtig zugreifen. Sehr unangenehm sind auch Schwellungen im Gesicht, der Augen, der Lippen, der Zunge und der Ohren. Diese Schwellungen können sehr entstellend sein, aber auch wirklich schmerzhaft.
An der Haut sieht man bei einigen Patienten außerdem noch kurz bevor solche Attacken auftreten sogenannte Prodromalzeichen. Es kann dann zu solchen roten, ringartigen Rötungen kommen.
Ein Problem ist auch, dass diese Schwellungen nicht nur an der Haut außen auftreten können, sondern auch an den inneren Organen. An diesem Bild kann man sehen, dass die Darmwände so stark anschwellen können, dass der Darm nicht mehr durchgängig ist und es zu Symptomen, wie bei einem Darmverschluss kommt. Dazu zählen Kolik artige, heftige Bauchschmerzen. Das wird oft im ersten Moment von den Ärzten verkannt und führt dazu, dass in dem Glauben operiert wird, dass hier eine echte Darmerkrankung oder Entzündung vorliegt.
Eine bedrohliche Komplikationen dieser Erkrankung ist, dass es bei der Hälfte der Patienten zu Schwellungen im Bereich des Kehlkopfes kommen kann. Wenn das Auftritt und nicht richtig und rechtzeitig behandelt wird, sind sogar Todesfälle möglich.
Symptome – Fehldiagnosen (4:05)
Oftmals ist es so, dass die Diagnose von Ärzten oftmals nicht oder erst nach langer Zeit und nach verschiedenen Fehldiagnosen gestellt wird. Man sieht in dieser Untersuchung, dass bei zumindest der Hälfte der Patienten zuerst eine andere, und somit Fehldiagnose, wie eine Blinddarm- oder Mandelentzündung gestellt wurde. Erst nach vielen Jahren wird die richtige Diagnose gestellt.
Was ist die Ursache? (4:40)
Bei diesen Patienten kommt es zu einem Mangel, sie haben einen genetischen Mangel an C1-Esterase-Inhibitor, entweder handelt es sich um einen Mangel, oder das Enzym kann nicht richtig funktionieren. Dann kommt es in den Blutgefäßen dazu, dass in der Komplementkaskade etwas nicht richtig läuft.
Es gibt normalerweise eine kleine Bremse, damit dieses System nicht durchdreht. Wenn diese Bremse fehlt, da zu wenig des Moleküls vorhanden ist oder es nicht richtig funktioniert, kommt es dazu, dass sehr viel Bradykinin gebildet wird. Das kann an Rezeptoren an den Wänden der Blutgefäße andocken. Daraufhin gehen die Blutgefäße ein bisschen auseinander oder werden sogar löchrig. Durch diese kleinen Löcher können dann flüssige Bestandteile des Bluts austreten und es kommt zu den lokalen Schwellungen.
Etablierte Behandlungsmethoden (5:55)
Wie ist jetzt die Therapie, wenn man solche Schwellungen hab? Es gibt es einerseits eine Behandlung, akut für diese Attacken. Der fehlende Faktor kann dem Patienten intravenös gegeben injiziert werden, es gibt aber auch eine Therapie mit einem Medikament, das an diese Rezeptoren bindet und verhindert, dass Bradykinin seine Wirkung entfaltet. Das Medikament wird subkutan gespritzt.
Es handelt sich um etablierte Behandlungsmethoden für diese Patienten. Sie wirken oft sehr gut und schnell und sind gut verträglich, sie haben kaum Nebenwirkungen und können, wenn sie frühzeitig eingesetzt werden, nicht nur die Ausprägung der Schwellung, sondern auf die Dauer deutlich reduzieren.
Der Nachteil ist, dass die intravenöse Gabe nicht so einfach ist. Man braucht entweder medizinisches Personal dafür, einige Patienten, die geschickt sind, können das auch selbst erlernen. Außerdem müssen diese Medikamente immer parat sein. Es handelt sich um eine wichtige und gute Behandlung für Patienten, die eine nur geringe Häufigkeit und Schwere der Schwellungsattacken haben. Wenn Patienten diese Attacken jedoch oft, bis zu mehrmals die Woche haben, dann ist diese Therapie eher unbefriedigend.
Prophylaxe (7:50)
Bei diesen Patienten ist es natürlich besser, wenn man eine Therapie hat, die gleich prophylaktisch gegen diese Attacken wirkt. Bereits vor Jahrzehnte hat man versucht, die Attacken mit Medikamenten zu verhindern. Die damaligen Medikamente waren jedoch eher unzuverlässig oder hatten sehr viele und extreme Nebenwirkungen, sodass sie heute nicht mehr empfohlen werden.
Eine Therapie, die sich inzwischen gut etabliert hat ist das C1-Esterase-Inhibitor. Der fehlende Faktor wird dem Patienten regelmäßig gegeben, sodass es zu keinen Schwellungsattacken kommen kann. Einerseits ist das eine gute Methode, da sie gut vertragen wird und kaum Nebenwirkungen hat, jedoch muss das Medikament jeden dritten bis vierten Tag intravenös verabreicht werden.
Studie: Wirksamkeit (8:55)
In dieser Studie mit 22 Patienten haben diese ein Tagebuch geführt und jeder rote Balken steht für eine Schwellungsattacke. Man sieht, dass wenn das Medikament regelmäßig, prophylaktisch gegeben wird, die Attacken deutlich abnehmen. 20% der Patienten haben gar keine Beschwerden mehr.
Neue Behandlungsmethoden: C1-Esterase-Inhibitor (9:30)
Die intravenöse Gabe ist durchaus problematisch für viele Patienten, sodass lange daran gearbeitet wurde, ob das Medikament nicht auch anders gegeben werden kann. Beispielsweise mit einer subkutanen Injektion. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren eine Firma bemüht, das umzusetzen. Es kann zwei Mal pro Woche ein C1-Esterase-Inhibitor gespritzt, wie ein kleines Depot gesetzt werden. Es wird von den Nebenwirkungen her gut vertragen bis auf mögliche lokale Nebenwirkungen.
Studie: Wirksamkeit (10:10)
In dieser Studie wurden 45 Patienten mit einem hereditären Angioödem mit einem Placebo behandelt. 70% dieser haben sehr schwere Erfassung und niemand von diesen Patienten hatte keine Attacken. 40% der Patienten, die mit der Prophylaxe behandelt wurden, waren beschwerdefrei und ohne Attacken. Nur einige wenige hatten hier noch schwere Attacken. Also eine sehr gute Therapie.
Neue Behandlungsmethode: Lanadelumab (10:45)
Neu ist dazu gekommen ist das Medikament Lanadelumab. Dies ist ein Antikörper, der gegen das Plasma Kallikrein wirkt. Der Vorteil ist, dass es nur alle zwei Wochen gegeben werden muss, sogar nur alle vier Wochen wird gut vertragen und Nebenwirkungen sind selten.
Bei der Antikörpertherapie wird dem Patienten ein künstlich hergestellter Antikörper gegeben, der gegen das Kallikrein wirkt. So wird verhindert, dass vermehrt Bradykinin gebildet wird.
Studie: Wirksamkeit (11:25)
Es gibt wieder die Placebo Gruppe, in der es nur wenige Patienten gab, die in dem Beobachtungszeitraum keine Beschwerden hatten. Unter der Therapie mit diesem Medikament waren drei Viertel der Patienten völlig beschwerdefrei. Das Medikament hat eine gute Wirksamkeit.
Neue Behandlungsmethode: Berotrastat (11:50)
Neu ist die Tablette, ein orales Medikament mit einem synthetisches Molekül, das auch als Inhibitor gegen das Kallikrein wirkt. Es hat einen ähnliche Angriffspunkt, wie das vorherige Medikament, mit dem Vorteil, dass nicht mehr gespritzt wird. Die Tablette kann einmal am Tag geschluckt werden, jedoch sind leichte Nebenwirkungen zu Beginn möglich.
Studie: Wirksamkeit (12:25)
Das Medikament funktioniert besser als das Placebo. Man sieht, dass 50 Milligramm besser wirken als eine geringe Dosierung, sodass man sich für diese Dosierung entschieden hat.
Die Nebenwirkungen sind bekannt, meistens Schnupfen oder Kopfschmerzen. Eine Spezifität dieses Medikaments ist, dass ein Anteil von Patienten vermehrt Bauchschmerzen und Durchfall als Nebenwirkung hatten. Aus den Daten nach einem und zwei Jahren der Einnahme kann man erkennen, dass je länger man es nimmt, es immer besser wirkt. Bei der Hälfte der Patienten kommt es bei langer Behandlung zu keinen Attacke mehr.
Zusammenfassung (13:35)
Zusammengefasst möchte ich nochmal kurz über die Therapien berichten, die wir beim hereditären Angioödem schon jahrelang durchführen und kennen. Dazu zählt eine bedarfsweise oder Notfallmedikation mit intravenösen oder subkutanen Therapien. Was neue dazu gekommen ist, sind gute Medikamente für die prophylaktische Behandlung, einerseits Medikamente, die wir schon kennen, wie den C1-Esterase-Inhibitor, als intravenöse oder subkutane Prophylaxe. Neu dazugekommen ist die Antikörpertherapie mit Lanadelumab oder einem Small Molecule, das als orale Formulation gegeben wird.
Teilnehmerfragen
1. Ist ein C1-INH-Mangel immer ein Hinweis auf ein hereditäres Angioödem? (14:30)
Nein, das ist er nicht. Jedoch kann es innerhalb dieser seltenen Erkrankungen selten sein, dass es sich nicht um einen angeborenen Mangel handelt, sondern einen erworbenen. Dabei ist es dann typisch, dass der Mangel erst deutlich später auftritt. Andere Familienangehörige können davon folglich nicht betroffen sein. Oftmals ist das aber in Begleitung mit anderen Erkrankungen zu sehen. Das Ganze muss dann noch einmal genau abgeklärt werden, da es einen Faktor gibt, der dahinter steckt.
2. Macht es bei der Vorbeugung einen Unterschied, ob ich Antikörper oder C1-Inhibitoren wähle? Ich habe viele Zahnprobleme und meine Ärztin meinte, C1-Inhibitoren wären dann vielleicht günstiger, weil sie kurzfristig wirken. Aber gibt es neue Forschungsergebnisse, die sagen, ob eine Methode besser wirkt als die andere?
Leider gibt es noch keine Studie, in der zwei Gruppen jeweils eine Therapie erhalten und die Ergebnisse verglichen werden. Es gibt jedoch eine Metaanalyse, die versucht Patienten aus zwei Studien zu vergleichen. Die zwei Gruppen erhielten entweder intravenös C1-Esterase-Inhibitor Prophylaxe oder die neue Antikörpertherapie mit Lanadelumab. Hier kann man sehen, dass die Antikörpertherapie, bezüglich der Anzahl der Attacken, besser abschneidet.
3. Ich soll ein Tagebuch über Schwellungsattacken führen, bin aber sehr schreibfaul. Haben Sie einen Tipp für mich: Wird es auch Neuerungen geben, die die Behandlung für Betroffene vereinfachen, z.B. Handyprogramme, um leichter Buch zu führen? (17:05)
Das Tagebuch zu führen ist wirklich wichtig, nicht nur im Rahmen von klinischen Studien, auch für die Ärzte, welche die Patienten behandeln. Nur so können wir sehen und entscheiden, ob die Therapie, die gerade gemacht wird gut ist oder ob man sie umstellen muss.
Zur Frage, ob es nicht etwas Moderneres gibt, wie das klassische Tagebuch, das man vielleicht auch nicht immer dabei hat. Ich habe ein bisschen recherchiert und herausgefunden, dass es eine kostenfreie, Deutsche App für das Handy gibt. Diese kann einfach im App Store heruntergeladen und verwendet werden.
4. Welche Lebensqualität kann ich mit den neuen Therapien erwarten? Wie kann ich mir das konkret im Alltag vorstellen (im direkten Vergleich zu den bisherigen Therapien)? Ab wann werde ich Zugang dazu haben? (18:00)
Zu dieser Frage habe ich versucht, ein paar Daten zu finden. Gerade in den neuen Studien gibt es einen großen Fokus auf die Lebensqualität. Man kann hier sehen, dass insbesondere im Bereich des täglichen Funktionierens, die Einschränkungen geringer werden. Je höher der obere Wert ist, desto größer ist die Einschränkung der Lebensqualität. Auch Angst und Scham durch die plötzlichen Schwellungen wurden verringert.
Ähnliche Daten wurden für eine neue Tablette präsentiert. Man sieht dass die Balken herunter gehen, das heißt die Einschränkung der Lebensqualität unter dieser Therapie wird geringer. Im Bereich des täglichen Funktionierens und der Angst gibt es deutliche Verbesserungen.
Insgesamt kann man sich von diesen neuen Therapien wirklich eine Verbesserung der Lebensqualität. Zur Verfügbarkeit dieser Therapien, die Antikörpertherapie gibt es bereits schon länger. Wir haben auch einige Patienten in unserem Zentrum auf dieser Therapie. Das orale Medikament steht in den Startlöchern und wird bald erhältlich sein.
Verabschiedung (20:15)
Damit möchte ich meinen Vortrag abschließen und Ihnen für die Aufmerksamkeit danken. Ich möchten darauf hinweisen, dass, wenn Sie vom hereditären Angioödem betroffen sind und bisher noch nicht irgendwo gut eingebunden sind, dann suchen Sie sich eine Klinik oder einen Spezialisten, der sich mit dieser Erkrankung auskennt.
Auf der ganzen Welt gibt es Netzwerke von Spezialzentren, die sich zusammenschließen und austauschen. In Österreich haben sich zwei Zentren, das Uniklinikum Linz und Wien als Angioödem Zentrum zertifiziert. Auch die Uniklinik in Graz hat eine ausgewiesene Expertise für die Behandlung von Patienten mit hereditärem Angioödem. Danke und auf Wiedersehen.
Hereditäres Angioödem – neue Therapien
27.02.2022 | 17.00 – 17.30 Uhr
Das hereditäre Angioödem ist eine potentiell lebensbedrohliche Erkankung, bei der Patienten wiederholt Schwellungen an verschiedenen Körperstellen bekommen können. Bei klinischem Verdacht kann mittels Blutuntersuchungen in vielen Fällen eine klare Diagnose gestellt werden. Kürzlich sind zusätzlich zu Blutprodukten auch neue wirksame Therapien dazugekommen.
Vortragende
OÄ Priv Doz. Dr.Dr.
Sabine Altrichter
Fachärztin für Dermatologie
Sabine Altrichter hat an der Medizinischen Universität Wien Medizin studiert. Im Anschluss absolvierte sie ihre Ausbildung zur Dermatologin und Allergologin an der Klinik für Dermatologie und Allergologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland. Dort arbeitete sie in der Forschungsgruppe bei Prof. Marcus Maurer an Mastzell-vermittelten Erkrankungen und deren Differentialdiagnosen. Seit kurzem lebt sie in Linz, Österreich, und ist leitende Oberärztin in der dermatologischen Abteilung des Allergiezentrums des Kepler Universitätsklinikums, welches sich kürzlich als ACARE (Angioedema Centers of Reference and Excellence) zertifizieren konnte.
Kostenlos und ohne Anmeldung