Einleitung
Unser letzter Vortrag behandelt erbliche Netzhauterkrankungen. Der Experte Assoz. Prof. Priv. Dr. Markus Ritter ist Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie. Er leitet die Ambulanz für erbliche Netzhauterkrankungen am AKH Wien. Er wird uns erzählen, was erbliche Netzhauterkrankungen sind, wie sie diagnostiziert werden und wie sie sich äußern. Natürlich geht er auch auf die Entwicklung ein, die es in der Behandlung der erbliche Netzhauterkrankung in den letzten Jahren gegeben hat und was die neuesten Möglichkeiten bis hin zur Gentherapie sind.
Begrüßung (00:45)
Herzlichen Dank für die Einladung, mein Name ist Markus Ritter und ich bin Oberarzt an der Universitätsklinik für Augenheilkunde in Wien und Leiter der Spezialambulanz für hereditäre Netzhauterkrankungen, auch Netzhautdystrophien genannt. Das ist auch das Thema meines heutigen Vortrags und ich möchte speziell darauf eingehen, wie diese Erkrankungen diagnostiziert werden und was es an neuen therapeutischen Optionen gibt, insbesondere die Gentherapie.
Hereditäre Netzhauterkrankungen (1:20)
Diese hereditären, erblichen Netzhauterkrankungen sind eine große Familie von die äußerst seltenen, genetisch bedingten Netzhauterkrankungen. Es gibt Namen, wie Retinitis pigmentosa, Choroiderämie und Morbus Stargardt, die vielleicht manche von Ihnen bereits gehört haben. Das Wichtige ist, dass diese Erkrankungen als Gruppe die Hauptursache für Blindheit im Kindes- und Jugendalter in den westlichen Ländern sind. Somit sind sie ein wichtiges Thema der an Augenheilkunde, das in den letzten Jahren zunehmend auch beforscht wurde.
Was alle diese Erkrankungen auszeichnet, ist, dass die Patienten oft sehr lange brauchen, bis sie wirklich eine korrekte Diagnose bekommen. Viele Patienten müssen multiple Arztvisiten in Kauf nehmen und oftmals bleiben sie viele Monate ohne Diagnose. Bis vor einigen Jahren gab es keine relevanten Behandlungsmöglichkeiten, glücklicherweise hat sich das jetzt jedoch geändert.
Fortschritte beim molekularen Mapping von Netzhauterkrankungen (2:35)
Ich möchte hier nicht zu sehr auf medizinische Details eingehen, aber Ihnen doch auch einige Kennzahlen mitgeben. Wichtig ist, dass diese Erkrankungen von vielen verschiedenen Genen bedingt werden. Sie sehen hier eine Liste von Genen, die man im Zusammenhang mit diesen Erkrankungen gebracht hat. Diese wurde 1990 begonnen und bis 2022 sind mittlerweile 300 Genen gefunden und in der wissenschaftlichen Literatur als Ursache dieser Erkrankung beschrieben worden.
Das Hauptproblem, das der Augenarzt hat ist, dass die Untersuchungen in seiner Ordination nicht oder nur in wenigen Fällen Rückschlüsse auf das kausale Gen dieser Erkrankungen zulassen. Das heißt, wenn der Netzwerkspezialist den Patienten sieht, kann er nicht häufig eindeutig feststellen, welches Gen die 3 Ursache dieser Erkrankung darstellt.
Sie sehen an diesen sich überlappenden Kreisen, dass die Gene sich unterschiedlich manifestieren können, manchmal beispielsweise als Retinitis pigmentosa oder als eine Makuladystrophie, das macht die Diagnostik so schwierig.
Klinische Untersuchung (4:00)
Wenn jetzt ein nicht spezialisierter Augenarzt einen solchen Patienten vor sich sitzen hat, dann muss er eine Reihe von Informationen sammeln, um in die Nähe einer Diagnose zu kommen. Bei der Anamnese, der Patientenbefragung, ist es besonders wichtig, dass man feststellt, wann die Erkrankung begonnen hat. Man weiß gewisse Formen dieser Erkrankungen beginnen sehr früh oder spät im Lebensalter. Viele dieser Erkrankungen haben ein Leitsymptom eine Dämmerungssehstörung und eine Dunkelsicht Störung. Das ist besonders bei der XXX und anderen Stäbchen- oder Zapfendystrophien. Andere Erkrankungen zeichnen sich durch eine Blendungsempfindlichkeit aus oder Farben Sehstörungen, durch Gesichtsfeldausfälle, das bedeutet, dass periphere, äußere Bereiche des Gesichtsfeldes nicht gesehen werden können.
Alle diese Dinge muss der Augenarzt dokumentieren und sie helfen ihm dabei, in die Nähe einer korrekten Diagnose zu kommen. Natürlich muss man schauen, ob es weitere betroffene Individuen in der Familie gibt, insbesondere, wenn es zum Beispiel dominant vererbte Erkrankungen sind. Das bedeutet, dass in verschiedenen Generationen betroffene Individuen sehr nah sind. Das muss man dementsprechend dokumentieren.
Der letzte Punkt ist mir ein besonderes Anliegen, das wissen nicht viele Augenärzte. Diese Erkrankungen sind oft Teil einer Systemstörung, eines Syndroms. Das bedeutet die Netzhauterkrankung ist verbunden mit Erkrankungen, wie dem Stoffwechsel, spricht Zuckerkrankheit, oder anderen Organsystemen, Herzerkrankungen. Wenn eine solche Erkrankung als Differenzialdiagnose vorliegt, muss man genau schauen, ob nicht eine Systemstörung vorliegt. Das ist wichtig für die korrekte Diagnose.
Analyse des Phänotypen (6:20)
In der Augenheilkunde hat man erhebliche Fortschritte gemacht, diese Erkrankungen mit Geräten zu untersuchen. Sie sehen hier eine Zeitleiste, insbesondere um 2005 hat man diese OCT vermehrt in die Klinik bekommen. OCT bedeutet optische Kohärenztomographie hier sehen Sie ein solches Gerät. Es sieht aus wie eine Kamera und man kann damit Aufnahmen der Netzhaut machen. Das steht heutzutage in vielen Ordinationen und ermöglicht die morphologische Erscheinung der Netzhaut zu dokumentieren. Das hilft eine Krankheit festzustellen und die Diagnose zu spezifizieren.
Wenn man mit der Anamnese und den morphologischen Methoden, die viele Ärzte zur Verfügung haben mit einer Verdachtsdiagnose kommt, dann muss man den Patienten an eine Spezialambulanz für erbliche Netzhauterkrankungen schicken. Diese finden Sie an den großen Krankenhäusern oder Universitätskliniken.
Dort steht eine weitere diagnostische Maßnahme zur Verfügung, die Elektrophysiologie. Viele Patienten kennen das EKG, das ist eine elektrische Dokumentation, der Aktivität des Herzens. Man kann so etwas ähnliches auch am Auge durchführen. Damit werden sozusagen die elektrischen Antworten des Auge, spricht der Netzhaut dokumentiert und analysiert. Diese Untersuchung ist sehr hilfreich, insbesondere bei der Diagnostik der erblichen Netzhauterkrankungen.
Genetische Abklärung – Zugänge (8:10)
Die wichtigsten Untersuchungen, die mittlerweile an allen Zentren angeboten werden und sich ernsthaft mit diesen Erkrankungen auseinandersetzen, die genetischen Untersuchungen. Das Besondere ist, dass man sich dabei auf einzelne Gene konzentrieren kann, beispielsweise kann nur das Stargardt Gen untersucht werden. Möglich sind auch Breitspektrum Untersuchungen.
Die Whole Genome Analyse ist die Wichtigste zur Untersuchung erblicher Netzhauterkrankungen. Dabei werden die über 300 Gene abgedeckt und man findet auch viele neue Varianten. Diese Untersuchung ist sehr effizient und mittlerweile auch gar nicht mehr so teuer. Sie wird in den großen Kliniken angeboten und die Krankenkassen übernehmen die Kosten.
Interpretation der Resultate (9:29)
Das Problem dieser Untersuchung ist, dass es doch einiges an Spezialwissen braucht, um die Untersuchungsergebnisse korrekt zu interpretieren und dem Patienten auch mitzuteilen. Eine der Hauptursachen ist, dass es Veränderungen in den Genen gibt, dass Variante unklar signifikant sind. Das bedeutet, dass man nicht genau weiß, ob diese Veränderung wirklich zu einer Erkrankung führt oder nicht.
Dann muss man die Veränderungen, die in der genetischen Untersuchung dokumentiert wurden, in Zusammenhang mit dem setzen, was man als Augenarzt sieht und überlegen, ob es schlüssig ist oder nicht. Schlussendlich muss man den Patienten darüber aufklären, welche Diagnosen man ableiten kann.
Patientenpopulation mit hereditären Netzhauterkrankungen (10:15)
Hier eine kurze Übersicht, was wir in unserer Klinik in den letzten zehn Jahren gesehen haben. Wir haben über 1000 Patienten untersucht und um die 90 verschiedenen Gene gefunden.
Sie sehen hier auffällig, dass ein Gen ein Viertel aller Fälle ausmacht, es handelt sich dabei um das Stargardt Gen ABCA4. Es ist besonders wichtig als Target für neue Therapien. Es gibt noch mehr als ein Viertel mit 69 seltenen Genen, diese kommen so selten vor, dass sie teilweise nur einmal alle fünf Jahre diagnostiziert werden.
Retinitis pigmentosa (11:05)
Im Folgenden präsentiere ich die zwei wichtigsten und häufigsten Netzhauterkrankungen. Zum einen die Retinitis pigmentosa, betroffene Patienten kommen mit den Beschwerden Nachtsicht Störungen, Dunkeladaptation Störungen und einem eingeschränkten Gesichtsfeld. Der Patient bekommt häufig bereits in der unspezialisierten Ordination die Diagnose, da es nicht besonders schwer ist, diese Veränderung der Netzhaut zu erkennen.
Das Problem ist aber, dass es über sechzig verschiedene Gene gibt, die diese Erkrankung verursachen können. Die Rückschlüsse auf das spezifische Gen, ist so nur schwer möglich. Sie sollten als Patient wissen, dass diese Erkrankung in einem spezialisierten Zentrum mit diesen elektrophysiologischen Untersuchungen abgeklärt werden muss, um die korrekte Diagnose zu erhalten. Zusätzlich wird eine genetische Untersuchung durchgeführt.
Morbus Stargardt (12:35)
Die andere Erkrankung ist der Morbus Stargardt. Es ist eine bekannte Erkrankung, eine Makuladystrophie. Die Makula ist der zentrale Teil der Netzhaut Netzwerk, dort spielt sich das Geschehen ab. Entsprechend ist diese Erkrankung mit einem Verlust der Lesefähigkeit ausgezeichnet. Es kommt häufig zu Blendungsempfinden und man sieht als Augenarzt relativ charakteristische Veränderungen.
Das Gen ist das ABCA4 Gen, das häufigste Gen, das wir sehen. Es führt zu einer Veränderung im Stoffwechsel dieser Netzhautzellen, die ein elektrisches Signal aus dem Licht erzeugen und dann das Sehen ermöglichen. Das Besondere an der Vererbung ist, dass die Erkrankung rezessiv vererbt wird. Es gibt also keine Eltern oder Großeltern, die diese Erkrankung schon hatten, sondern nur einzelne Individuen oder Geschwister. Auch diese Erkrankung muss mit dem ERG untersucht werden, denn es die einzige Chance, die Augen als hat, um etwas über das Fortschreiten der Erkrankung sagen zu können.
Um die Ableitungen zu verstehen, muss man die Kurven analysieren und braucht ein entsprechendes Fachwissen. Wenn die Ableitungen schlecht sind und sowohl Stäbchen als auch Zapfen reduziert sind, dann weiß man, dass die Erkrankung mit einer raschen Progression assoziiert ist. Das ist sehr relevant für den Patienten.
Gentherapie (14:30)
Über die Gentherapie wird häufig in den Medien berichteten, es ist eine Therapieoption für manche, aber leider nicht für viele dieser erblichen Netzhauterkrankungen. Es ist eine sehr interessante Therapieoption, die eine Revolution in der Medizin darstellt. Sie müssen wissen, dass das nicht von heute auf morgen in der Medizin etabliert wurde. Es ist etwas, das bereits in den 70er Jahren entwickelt wurde. Dort gab die ersten Proof-of-Principle Studien und in den 90ern hat man einen Patienten, Jesse Gelsinger behandelt. Dieser litt an einer Stoffwechselerkrankung und wurde mit der Gentherapie behandelt. Leider ist er daran verstorben. Das war ein großer Rückschlag, da die Sicherheit nicht gewährleistet war.
Zu Beginn der 2000er Jahre hat man begonnen Bluterkranken, wie Hämophilie B relativ erfolgreich mit Gentherapie zu behandeln. Das hat immer bessere Resultate gezeigt. Jetzt ist es so, dass nicht nur Bluterkrankungen, sondern verschiedenste Erkrankungen in der Medizin mit Gentherapie behandelt werden können. Diese Erkrankungen sind neurologischer Art, teilweise Tumoren, andere Augenerkrankungen und spinale Muskelatrophie.
Was ist Gentherapie? (16:15)
Ganz vereinfacht gesagt möchte man gesundes, normales genetisches Material in lebende Zellen transportieren. Das Ziel ist, diese Erkrankung zu behandeln, bestenfalls zu halten. Es ist derzeit so, dass um 2300 oder mehr Gentherapie Studien in den USA laufen, aber das bezieht sich auf die gesamte Medizin, keinesfalls nur auf die Augenheilkunde.
Hier sehen Sie die derzeit beforschten Gebiete. Es gibt Gentherapien für unterschiedlichste Erkrankungen, für die zystische Fibrose, eine Lungenerkrankung, neurologische Erkrankungen, die spinale Muskelatrophie und onkologische Krankheitsbilder.
Gen-Augmentationstherapie (17:00)
Nun gehe ich etwas spezifischer auf die Gen-Augmentationstherapie ein. Diese Therapie ist derzeit für die Netzhautdystrophie relevant. Dabei wird eine zusätzliche, gesunde Kopie eines existierenden Gens in den Körper eingebracht.
Die Voraussetzung dafür ist, dass das Geh des Patienten eine Veränderung hat, die zu einem kompletten Funktionsverlust führt. Es gibt verschiedene Mutationen, manche führen zu einer vermehrten Produktion von Proteinen, wir benötigen hierfür einen Funktionsverlust.
Virale Vektoren (17:45)
Das genetische Material wird über einen Virus, das ist der Transporteur oder auch Vektor genannt in die Zelle eingebaut. Ein Punkt ist besonders kritisch zu betrachten und macht einigen Patienten Angst. Es ist die Frage inwiefern sich dieses genetische Materialien in die Genetik des Menschen ein und zu welchen Veränderungen führt es.
Man weiß, dass es Viren gibt, die das Wirtsgenom, das genetische Material des Menschen wirklich verändern. Es gibt jedoch auch andere, welche draußen bleiben, episomale Vektoren. Diese Gentherapie, insbesondere die zugelassene baut sich nicht in das genetische Material ein.
Das Auge als optimales Einsatzgebiet für Gentherapien (18:50)
Das Auge hat einige Charakteristika, dies es besonders attraktiv für Gentherapie machen. Zum einen ist es ist geschlossenes System, das heißt, wenn sie genetisches Material oder einen Virus oder in das Auge spritzt, bleibt es dort. Es ist ein immunprivilegiertes Organ und das Immunsystem kann nicht direkt dort zuschlagen und diese Viren inaktivieren. Deshalb haben sie eine Chance, dort ihre Wirkung zu entfalten.
Zum anderen sind die Netzhautzellen, die sie behandeln möchten, Zellen, die sich nicht stetig erneuern, sie persistieren. Wenn diese behandelt werden, kommt es zu einem dauerhaften Effekt.
Das Auge ist klein, jedoch haben wir exzellente chirurgische Instrumente, die wir über Jahrzehnte entwickelt haben. Es steckt eine sichere OP Methodik dahinter und es gibt gute Tiermodelle, an denen wir das ausprobieren. Wir haben auch gute Techniken, die den Erfolg dokumentieren können, wie Imaging Methoden, das OCT habe ich Ihnen bereits gezeigt.
AAV Vektoren in der Augenheilkunde (20:25)
Es gibt aktuell über dreißig laufende klinische Studien zu den Gen Augmentationstherapien bei Netzhauterkrankungen und ophthalmologischen Erkrankungen. Die erste zugelassene Gentherapie ist die Voretigene Neparvovec. Dabei ist relevant, dass die Therapie für eine spezielle Form der Retinitis ist, für die Retinitis pigmentosa und die Lebersche Kongenitale Amaurose. Das Wichtige ist, dass die genetische Ursache das Gen RPE65 sein muss.
RPE65-assoziierte Netzhautdystrophien (21:20)
Wir nennen diese Erkrankung deswegen auch RPE65 assoziierte Netzhautdystrophie. Wenn man den Patienten jedoch als Augenarzt vor sich hat, dann sieht man einen Patienten mit Retinitis pigmentosa. Wenn die Erkrankung bereits im frühen Lebensalter beginnt, nennt man es Lebersche Kongenitale Amaurose.
Es ist das Spektrum, eine variable Präsentationen der gleichen Erkrankung. Die Ursache ist eine Mutation im RPE65 Gen. Die Patienten beschreiben durchwegs eine sehr schlechtes Dämmerungssehen, eine stark ausgeprägte Nachtsicht Störung. Sie können sich bei diesen Lichtverhältnissen so gut wie nicht orientieren und brauchen lange sich einer schlechten Beleuchtung anzupassen. Zusätzlich haben sie, wenn die Beleuchtung sehr gut ist, eine Art Lichtsensitivität. Wenn die Erkrankungen nicht behandelt wird führt sie in einem gewissen Lebensalter zu einer Erblindung.
Die Rolle von REP65 im visuellen Zyklus (22:50)
Lassen Sie sich hier nicht von den Fachbegriffen erschrecken. Was Sie wissen sollten ist, dass dieses RPE65 Gen im Vitamin A Stoffwechsel eine Rolle spielt. Das Vitamin A ist ein Stoff, der im Auge wichtig ist. Dort findet eine fehlerhafte Umwandlung dieser Substanzen statt, bedingt durch einen Verlust der Funktion dieses Gens.
Prävalenz der RPE65-assoziierten Netzhautdystrophien (23:25)
Die Erkrankung zählt zu den ultraseltenen Erkrankungen mit einer geschätzten Häufigkeit von ungefähr 1 zu 200.000. Das heißt auf 4.000 Menschen ist ein betroffener Patient. Das ist ein recht kleiner Anteil an allen Patienten mit Retinitis pigmentosa und Leberscher Kongenitaler Amaurose im Einstelligen Prozentbereich.
Verabreichung und Wirkungsweise von Voretigene Neparvovec (23:55)
Wir wissen, dass das RPE65 Gen nicht funktioniert und die Ursache der Netzhauterkrankung ist. Daher soll eine gesunde Kopie des Gens über einen Virus in den Patienten eingeschleust werden. Wir möchten mit dem Virus die Netzhaut behandeln und spritzen eine Lösung mit einer Suspension unter die Netzhaut. Dort baut sich die Substanz ein und entfaltet seine Wirkung. So behandeln wir die Patienten mit Gentherapie.
Voretigene Neparvovec: Meilensteine in der Entwicklung (24:35)
Auch diese Therapie hat sich über vielen Jahre entwickelt. Es hat um das Jahr 2000 mit den ersten Tiermodellen begonnen. 2007 wurden die ersten Menschen behandelt und Phase I. Dann hat es eine Dosisfindung gebraucht und 2012 hat die Zulassungsstudie begonnen. Diese hat letztendlich dazu geführt, dass die Therapie zugelassen wurde.
Es handelt sich um ein Studiendesign, das den wissenschaftlichen Standards entspricht. Es gab eine Kontrollgruppe gegeben, das sind Patienten, welche die Erkrankung haben und nicht behandelt wurden. Im Vergleich dazu gab es Patienten, die behandelt wurden. Es waren nur zwanzig zu zehn Versuchspersonen, da die Erkrankung so selten ist.
Multi-Luminance mobility test (25:35)
Es wurde ein Outcome Parameter entwickelt, das ist eine Art von Test, um den Erfolg zu dokumentieren. Sie sehen hier ein Labyrinth und die Patienten wurden aufgefordert, bei verschiedenen Beleuchtungsverhältnissen durch dieses Labyrinth zu laufen. Dabei wurden sie gefilmt und die beurteilende Person wusste nicht, ob der Patient behandelt wurde oder nicht.
Dieses Labyrinth wurde umgestellt, wenn die Patienten zum zweiten Mal kamen, um die Therapieeffekte zu beurteilen. Man konnte eindeutig erkennen, dass sich die Patienten bei dunklen Lichtverhältnissen besser zurecht finden konnten.
Phase III Übersicht Behandlungssicherheit (26:20)
Es gibt eine Liste an Nebenwirkungen, jedoch sind die meisten Nebenwirkungen durch den chirurgischen Eingriff entstanden. Dazu zählen Augendrucksteigerungen, Netzhautlöcher und Entzündungen. Diese sind aber nicht spezifisch durch die Gentherapie verursacht.
RPE65 – assoziierte Netzhautdystrophie (27:15)
Ich präsentiere Ihnen jetzt eine unserer zwei Patienten, die wir behandelt mit dieser Gentherapie am AKH behandelt haben. Es ist ein junges Mädchen, zehn Jahre alt. Es hatte eine Sehleistung von ungefähr 5% und eine massive Nachtsicht Störung. Wir haben das entsprechend dokumentiert und die Ströme abgeleitet, bei denen man sieht, dass bei dieser Netzhaut so gut wie nichts mehr funktioniert.
Daraufhin haben wird die Gentherapie chirurgisch appliziert. Wir haben an der Netzhaut mit dieser Lösung eine Blase gebildet, diese Stelle ist auf dem Bild etwas unscharf. So konnten wir den Virus an den Ort der Wirkungsentfaltung bringen. Die Netzhaut legt sich dann wieder an und die Blase löst sich auf.
Kinetische Perimetrie (28:15)
Ich möchte Ihnen auch die Dokumentation nicht vorenthalten. Hier sehen Sie die Gesichtsfelder. Präoperativ war die Linien, die der Patient erkennen wesentlich enger und vor allem im Zentrum. In den peripheren Regionen konnten die Linien erst nach der Behandlung erkannt werden. Das Gesichtsfeld hat sich massiv ausgedehnt.
Das Plateau, das Maximum der Wirkung haben wir bei unserem Patienten in Monat vier gesehen. Man weiß aus den Studien, dass man die größte Wirkung nach Monat eins, vier Wochen nach der Operation sehen kann. Es dauert jedoch offenbar eine gewisse Zeit, bis der Virus seine Wirkung entfalten kann.
Vier Monate post OP (29:25)
Die Patientin hat berichtet, dass Sie sich auch bei Dunkelheit deutlich besser orientieren kann. Sie kann jetzt allein nach Hause gehen, was auch in einem Zeitungsartikel dokumentiert wurde. Sie kann sich bei schlechter Beleuchtung besser orientieren, sieht aber im Hellen nicht so viel besser, was wir auch bereits aus Studien wissen.
Choroiderämie (29:55)
Ich möchte noch kurz auf weitere Gentherapien eingehen, die hoffentlich bald Einzug in die Klinik erhalten. Es gibt eine Gentherapie für Choroiderämie . Das ist eine Erkrankung, die unter die Gruppe der Retinitis pigmentosa fällt. Sie ist schwerwiegend und führt bei vielen Patienten schnell zur Erblindung.
Es wurde 2012 die Entwicklung erster Mausmodelle und die Behandlung begonnen. Mittlerweile gibt es Phase-III Studien.
Gentherapie für Choroiderämie – Zulassung (30:40)
Es gab leider einen Rückschlag, was die Effektivität der Therapie betrifft und wurde einiges modifiziert. Es gibt mehrere Firmen, die sich damit befassen und diese fortgeschrittenen Phase-III Studien durchführen.
Gentherapie für x-linked Retinitis pigmentosa (31:10)
Eine weitere ist die Gentherapie für x-linked Retinitis pigmentosa. Hier ist auch wichtig, dass Sie sehen, dass die Häufigkeit wesentlich höher ist mit einer Prävalenz von 1 zu 15.000. Die Erkrankung ist X-Chromosomal vererbt, daher sind vor allem Männer betroffen. Es gibt verschiedene Firmen, die diese Therapie vorantreiben, es handelt sich um eine gewissen Konkurrenzsituation. Es gibt Phase-I und II Studien und wenn die Resultate gut sind, kann die Therapie vielleicht bald eingesetzt werden.
Gentherapie für Achromatopsie (32:05)
Die Achromatopsie ist die Farbenblindheit und besteht von Geburt an. Das Gehirn hat sozusagen verlernt zu sehen und auch die Netzhaut kann nicht mehr zu einer Verbesserung des Sehens führen. Nichtsdestotrotz kann man das Blendungsempfinden und das Kontrastsehen verbessern. Auch diese Erkrankung ist ein Kandidat für eine Zulassung.
Patientenpopulation mit hereditären Netzhauterkrankungen (33:00)
Hier sehen Sie eine Liste mit Genen, die als Ursache an unserem Zentrum detektiert wurden. Die Rot eingekreisten Gene sind jene, die bereits mit der Gentherapie behandelt werden. Das große Fragezeichen ist die ABCA4-assoziierte Erkrankung, der Stargardt. Hier ist die Gentherapie jedoch leider noch nicht erfolgreich.
In absehbarer Zukunft gibt es jedoch die Resultate von Substanzen, die in den Metabolismus des Vitamin A eingreifen. Diese haben keine so starke Wirkung wie die Gentherapie, für RPE65, trotzdem können sie vielleicht das Krankheitsbilder verändern.
Zusammenfassung (33:55)
Es gibt bei vielen dieser Netzhauterkrankungen, auch beim niedergelassenen Augenarzt eine relativ gute Verdachtsdiagnose. Aber die Patienten müssen in ein großes Zentrum überwiesen werden, weil nur dort die Spezialgeräte vorhanden sind, die es braucht, um eine konkrete und korrekte Diagnose zu stellen. Dann kann auch über therapeutische Optionen gesprochen werden, beispielsweise die Gentherapie.
Die erste zugelassene Gentherapie ist Voretigene Neparvovec, es gibt aber auch einige andere Kandidaten, die in den nächsten Jahren zugelassen werden. Das ultimative Ziel, welches wir verfolgen ist, alle Netzhauterkrankungen und das Gen, was dahinter steckt, behandeln zu können.
Teilnehmerfragen
Wie hoch sehen Sie die Chancen, dass die Retinitis pigmentosa durch neue Entwicklungen in der Gentherapie heilbar sein wird? (35:25)
Das entscheidende ist, dass man die Diagnose hat und weiß, welches Gen der Auslöser. Dann kann man schauen, wie viele neue Therapien in den nächsten fünf Jahren Einzug halten. Anteilsmäßig muss man realistisch sagen, dass hier eine Minderzahl der Patienten mit Retinitis pigmentosa in der Zukunft behandelt werden können.
Ich habe in einem Zeitungsartikel gelesen, dass es Diskussionen gab, ob die Gentherapie auch ein Krebsrisiko darstellt. (36:20)
Wir haben dazu keine Daten und das genetische Material baut sich nicht in das Genom des Patienten ein. Daher kann ich mir keine karzinogene Wirkung erklären.
Ich bin kurzsichtig (-4 Dpt / -6 Dpt) und hatte eine Netzhautablösung am weniger kurzsichtigen Auge, ist das erblich?(37:00)
Kurzsichtigkeit wird zu einem gewissen Teil vererbt. Es gibt eine erbliche Komponente, aber es ist nicht so einfach wie bei den Netzhautdystrophie oder erblichen Netzhauterkrankungen. Es gibt mehrere Gene, es ist eine komplexe Erkrankung und Sie zählen nicht zu den klassischen Netzhauterkrankungen. Deswegen ist dieser Vortrag, den ich hier eingebracht habe, jetzt nicht wirklich für dieses Thema Kurzsichtigkeit relevant.
Gibt es bereits künstliche Netzhauterneuerungen durch Transplantation? (37:45)
Das ist ein Thema, das stark beforscht wird und in dem es viele Fortschritte in den letzten Jahren gab. Beispielsweise im Basel, in Deutschland hat man sich damit sehr befasst. Es ist sehr komplex und schwierig, daher könnte ich Ihnen leider keinen Zeitraum nennen, wann das möglich wird. Es gab dort aber auch Durchbrüche, die unerwartet waren, welche die Einschätzung schwierig machen.
Gibt es etwas, das ich als Patient mit Morbus Stargardt machen kann, wie die Ernährung umzustellen? (38:25)
Bitte nehmen Sie auf keinen Fall Vitamin A haltige Tabletten ein. Die Erkrankung ist eine Erkrankung des Vitamin A Stoffwechsel der Netzhaut, daher wäre dieses verhalten kontraproduktiv. Was sie tun können und das gilt für alle Netzhauterkrankungen, dass Sie sich Lutein reich zu ernähren, beispielsweise grüne Gemüsesorten. Das ist jedoch nicht spezifisch für Morbus Stargardt. Die Bildschirmarbeit wird aktuell immer wieder diskutiert, aber eine wirkliche Evidenz, welchen Effekte das hat ist noch unklar. Mehr Tipps kann ich Ihnen dazu leider nicht geben.
Wie sieht es aus mit Nahrungsmittel bei Retinitis pigmentosa? (39:15)
Da würde ich Ihnen auch eine Lutein reiche Diät empfehlen. Es ist nicht erwiesen, dass zum Lutein Tabletten, die man bei altersbedingter Marketingaktion verschreibt, auch hier einen Effekt haben. Das ist jedoch auch noch nicht ausreichend untersucht. Daher würde ich auch nicht dazu raten.
Kann das Makulaödem bei erblichen Netzhauterkrankungen auftreten? (39:45)
Das Makulaödem kann manchmal bei erblichen Netzhauterkrankungen, vor allem bei Retinitis pigmentosa auftreten. Dazu kann ich sagen, dass die Hälfte der Patienten die Behandlung mit Carboanhydrase Hemmern in lokaler Form oder systemisch, eine Wirkung zeigt. Das sollte man auf jeden Fall versuchen. Diese Tropfen muss man dreimal am Tag verwenden oder Tabletten einnehmen. Die Tabletten kann man jedoch nicht über einen langen Zeit einnehmen. Der Arzt kann Ihnen diese Substanzen verordnen, und nach einem Intervall von einem Monat können Sie sehen, ob sie darauf ansprechen.
Verabschiedung (40:55)
Damit möchte ich mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
Netzhauterkrankungen und Gentherapien
27.02.2022 | 18.00 – 18:30 Uhr
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Markus Ritter wird eine Einführung in die erblichen Netzhauterkrankungen (wie z.B. Retinitis Pigmentosa, Morbus Stargardt etc.) geben.
Unter anderem wird es darum gehen, wie sich diese Erkrankungen bei den PatientInnen äußern, wie häufig sie sind, wie sie diagnostiziert werden und wie sie behandelt werden.
Außerdem wird Prof. Dr. Ritter auf den aktuellen Stand der Gentherapie eingehen und wie sie im Rahmen der erblichen Netzhauterkrankungen eingesetzt werden. Er stellt zudem besonders aussichtsreiche Phase-3 Studien vor. Im Anschluss geht er auf Ihre Fragen ein.
Vortragender
Assoz. Prof. Priv. Dr.
Markus Ritter
Facharzt für Augenheilkunde u. Optometrie
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Markus Ritter ist Facharzt für Augenheilkunde und Optiometrie. Er ist Leiter der Ambulanz für erbliche Netzhauterkrankungen am AKH Wien.
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