Einleitung
Der nächste Vortrag behandelt die Zystinurie. Das ist eine Stoffwechselerkrankung, bei der es vermehrt zur Bildung von Harnsteinen kommen kann, die mitunter schmerzhaft sind und operativ entfernt werden müssen. Der Vortragende Prof. Dr. Thomas Knoll ist ein international führender Experte auf dem Gebiet der Harnsteintherapie.
Er hat zu diesem Thema auch eine Behandlungsleitlinie erstellt, federführend für die Deutsche Urologische Gesellschaft. Er ist Chefarzt der Klinik Sindelfingen und hat Professuren an den Universitäten Mannheim und Heidelberg. Er wird uns diese Erkrankung erklären und darauf eingehen, was Sie tun können, um die Bildung von Harnsteinen zu reduzieren und Ihre Lebensqualität zu verbessern.
Begrüßung (1:00)
Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich Ihnen heute einiges über Harnsteine im Allgemeinen und die Zystinurie, eine besondere Form der Harnsteinbildung erzählen zu dürfen. Mein Name ist Thomas Knoll, ich bin Urologe aus der Region Stuttgart und beschäftige mich seit vielen Jahren beruflich, wissenschaftlich und klinisch mit der Harnsteinerkrankungen.
Was sind Harnsteine? (1:30)
Wenn wir von Harnsteinen entsprechen, sprechen wir in der Regel von Nierensteine. Diese bilden sich in der Niere und können in den Harnleiter fallen. Es gibt auch Blasensteine, diese haben aber eine andere Ätiologie. Steine entstehen durch eine Übersättigung der Flüssigkeit des Urins mit Salzen. Das sehen sie auch in diesem Becher, in dem sich Kristalle bilden, weil die Salzkonzentration im Wasser so hoch ist, sodass es die Salze nicht mehr binden kann.
Die meisten Steine, die wir sehen, bestehen aus zwei Salzen, aus Kalzium und aus Oxalat. Es gibt aber auch Steine, die andere Bestandteile haben. Häufig sind Harnsäuresteine, Calciumphosphatsteine, Magnesium-Ammonium-Phosphat-Steine, Zystinsteine und Steine, die mit Blasenentzündungen oder Harnwegsinfektionen assoziiert sind.
Wie häufig sind Harnsteine (3:00)
Steine sind häufig und diese Grafik zeigt, wie viel Prozent der Einwohner eines Landes bereits einmal Steine hatten. Sie sehen Deutschland rot markiert, dort sind es mehr als 10%. In anderen Ländern, wie Saudi Arabien und den USA gibt es deutlich mehr. Man kann hier von einer Volkskrankheit sprechen, ähnlich wie beim Bluthochdruck oder dem Diabetes mellitus.
Steine werden häufiger, das sehen Sie in dieser Untersuchung, die wir mit der Deutschen Gesellschaft für Urologie in den letzten Jahren durchgeführt haben. Die Prävalenz bezeichnet bereits erkrankte Patienten, die Inzidenz die Neuerkrankungen. Vergleicht man 1984 mit 2000, neuere Daten haben wir für Deutschland leider nicht, dann erkennt man einen Anstieg.
Wer bekommt Harnsteine ? (4:10)
Es gibt Risikofaktoren, einer davon ist das Körpergewicht, der Body-Mass-Index. Normalgewichtige haben relativ selten Steine, nur 6%. Bei den Übergewichtigen und Fettleibigen, nimmt die Häufigkeit von Steinen auf bis zu 12% zu.
Kinder bekommen eigentlich keine Steine oder nur sehr selten. Sie sehen hier jedoch Daten aus den USA und in gelb dargestellt sind die Jugendlichen und Adoleszenten. Hier gibt es über die Jahre einen erheblichen Anstieg der Inzidenz, anders als bei den Kindern. Das liegt vermutlich am Übergewicht, auch Kinder und Jugendliche sind zunehmend übergewichtig, besonders in den USA.
Harnsäuresteine (5:20)
Eine hohe Harnsäure finden wir häufig bei Patienten mit Diabetes. Bei Diabetikern ist der Urin pH-Wert saurer als er normalerweise ist. Es gibt aber auch soziale Faktoren, dazu habe ich Daten aus Kalifornien. Man sieht, dass Harnsteine häufiger im Alter vorkommen, wobei das Alter hier bereits mit über vierzig beginnt. Bei Männern, People of Color und Menschen mit einem niedrigen Haushaltseinkommen ist es auch häufiger, zumindest in den USA. Das legt einerseits ein bisschen Genetik nahe, andererseits auch Lebensumstände, Ernährungs- und Bewegungsmuster.
Das Klima spielt auch eine Rolle, es gibt höhere Inzidenzen in Saudi Arabien und im Süden der USA. Man hat für South Carolina in den USA kalkuliert, wie sich die Klimaerwärmung auf die Steinbildung auswirkt. Wenn wir so weitermachen würden, wie in den USA, kommt es bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu einem mittleren Temperaturanstieg von 3,4 Grad Celsius. Wenn wir gegensteuern, sind es knapp über zwei Grad Celsius. Steine, die direkt mit dem Klimawandel assoziiert sind, insgesamt sind es natürlich viel mehr, werden sich vervielfachen.
Der “Steingürtel” (7:20)
Der Begriff des “Steingürtels” wird schon lange verwendet. Dieser zieht um die ganze Welt und Regionen, in denen hohe Temperaturen herrschen, wie der Süden der USA, Nordafrika, die arabische Halbinsel und Teile von Südostasien. Dort sehen wir viel Steinbildung durch den Flüssigkeitsverlust. Die Menschen trinken nicht ausreichend und es kommt zur Kristallisation. Wenn sich das Klima weiter erwärmt, wird sich der Steingürtel nach Norden verschieben.
Was bedeutet es, wenn ich Nierensteine habe? (8:10)
Die Steine in der Niere machen selten Beschwerden. Es kann sein, dass sie dazu führen, dass der Urin ein bisschen blutig wird, vielleicht auch nur mikroskopisch. Es kann sein, dass sie leichten Flankenschmerz machen und auch mal Infekte begünstigen.
Kritisch wird es, wenn die Steine in den Harnleiter fallen und diesen verstopfen, sodass der Urin nicht mehr aus der Niere abfließen kann. Dann kommt es aus dem Nichts zu extrem schmerzhaften Koliken, also Flankenschmerzen. Das bringt die Patienten schnell ins Krankenhaus. Dort wird ihnen in erster Linie ein Schmerzmittel gegeben, um dann zu sehen, ob es ein Stein ist, wo er sitzt, wie groß er ist und welche Therapie man anbieten kann.
Wie diagnostiziert man Harnsteine? (9:15)
Das Verfahren der ersten Wahl ist der Ultraschall, Sie sehen hier auf der linken Seite ein Ultraschallbild. Was Sie erkennen können ist schwarz, das gestaute Nierenbecken, die Kelche. Ursache ist ein Stein, der im Harnleiter steckt und zu einem Abflussproblem der Niere führt.
Den Stein selbst sieht man im Ultraschall meist nicht, weil der Harnleiter für den Ultraschall nur ganz am Anfang oder am Ende gut zugänglich ist. Dazwischen ist er von Darm überlagert und durch die Luft, die sich im Darm meist befindet, kann der Ultraschall nicht durchdringen. Daher ist der Ultraschall nur ein indirekter Hinweis.
Das aktuelle Verfahren der Wahl ist das Bild auf der rechten Seite, eine Computertomographie (CT). Der helle, weiße Punkt, den Sie sehen, ist ein Stein, der relativ weit unten, kurz vor der Blase im Harnleiter steckt.
Was tun mit den Steinen? (10:25)
Der Patient kommt und hat Schmerzen, welche wir mit einem Schmerzmittel behandeln. Dann haben wir den Stein diagnostiziert. Das weitere Vorgehen hängt dann davon ab, wo der Stein steckt. Wenn er unten im Harnleiter steckt und Schmerzen bereitet, wird er in der Regel therapiert.
Anders ist es, wenn ein Stein zufällig diagnostiziert wird. Hier sehen Sie ein CT und der weiße Punkt ist der Stein auf der rechten Seite und das graue darum ist die Niere. Er wurde zufällig diagnostiziert, beispielsweise wenn ein Ultraschall oder ein CT für eine andere Fragestellung durchgeführt wird.
Symptomlose Nierensteine (11:10)
Wir müssen nicht alle Steine behandeln. Sie sehen hier eine Grafik, die darstellt, wie wahrscheinlich es ist, dass Patienten mit einem primär symptomlosen Nierenstein, im Laufe der nächsten fünf Jahre symptomfrei bleiben. Wir sehen, dass nach fünf Jahren die Hälfte doch Symptome entwickeln. Die meisten Studien, kommen zu dem Ergebnis, dass Patienten mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% bis 30% in irgendeiner Form symptomatisch werden.
Ob man sich dann behandeln lässt, hängt vom Patienten selbst ab. Ist man wenig aktiv, geht man auf Reisen, hat man eine kritische berufliche Tätigkeit, bei der eine Nierenkolik schwierig wäre? So kann man entscheiden, ob man den Stein einfach nur kontrolliert oder ihn behandelt.
Geht der Stein von selbst ab? (12:40)
Nicht in allen Fällen muss man etwas tun. Bei einer Steingröße von 45 Millimetern, wird es immer unwahrscheinlicher, dass ein Stein abgeht. Bis dahin gehen sie gut von selbst ab, beispielsweise mit einer medikamentösen Unterstützung und Schmerzmittel.
Mit einem Medikament wird die Muskulatur im Harnleiter gelockert, sodass der Stein selbst abgehen kann. Das kann jedoch einige Zeit dauern, wie Sie hier in der Grafik sehen. Die größeren Steine, mit vier bis sechs Millimetern, können zum Teil bis zu drei Wochen brauchen und es kann sein, dass in dieser Zeit immer wieder Kolik artige Beschwerden auftreten.
Was für Therapien gibt es? (13:25)
Es gibt drei Verfahren, die heute alle minimalinvasiv sind, Schnittoperationen wie früher gibt es nicht mehr. Sie sehen hier das am wenigsten belastende Verfahren, die extrakorporale Stoßwellen-Lithotripsie. Hier wird ein Stein von außen mittels fokussierter Ultraschallwellen zertrümmert, die Patienten bekommen hierfür keine Narkose. Häufig bekommt man eine leichte Betäubung, ein leichtes Schmerzmittel gespritzt. Im Idealfall wird der Stein von außen zertrümmert. Die Fragmente, die Sie hier sehen, müssen dann über den Harnleiter abgehen können. In manchen Fällen können sie eine Kolik hervorrufen.
Das Problem der Stoßwellenbehandlung ist, dass nicht alle Steine gut auf die Behandlung ansprechen. Sehr harte Steine gehen durch die Stoßwelle nicht kaputt und müssen mit einem anderen Verfahren behandelt werden.
Ein Verfahren, das die offene Schnittoperation Anfang der achtziger Jahre abgelöst hat, war die perkutane Nephrolithotripsie. Man setzt dieses Verfahren bei großen Nierenstein ein. Es ist ein endoskopisches, minimalinvasives Verfahren, bei dem die Niere von außen über die Flanke punktiert wird. Über einen speziellen Zugangsschaft wird das Endoskop eingeführt, eine Kamera, mit der man die Steine visualisieren kann. Kleine Fragmente kann man mit einer Zange oder einem Körbchen entfernen. Größere Steine werden mittels Laser oder Ultraschall zertrümmert und wie genannt extrahiert.
Das letzte endoskopische Verfahren ohne Stich, ist die Ureterorenoskopie, bei der man über die Harnröhre in die Blase geht, dort die Mündung des Harnleiters sucht und mit einem kleinen, dünnen Instrument bis in die Niere geht. Wie die perkutane Nephrolithotripsie wird das unter Röntgenkontrolle gemacht. Man sucht den Stein und zerkleinert ihn mit dem Laser. Das ist feiner als bei der perkutane Nephrolithotripsie, sodass hier eher kleinere oder stecken gebliebene Steine behandelt werden.
Wann welche Therapie? (16:05)
Es hängt auch immer vom Patient, vielleicht auch von der Klinik ab, in der Sie sich vorstellen. Grundsätzlich kann man sagen, dass die großen Nierensteine mittels der perkutane Nephrolithotomie und die kleinere Nieren- und Harnleitersteine mit einer Ureterorenoskopie und einer extrakorporalen Stoßwellen-Lithotripsie entfernt werden. Die Harnleitersteine, gerade wenn sie Symptome hervorgerufen haben, werden heute mittels der Spiegelung und nicht mittels Zertrümmern von außen behandelt. Denn so sind die Patienten schneller Stein frei.
Was machen wir nach der Behandlung? (16:45)
Wenn die Steine behandelt sind und der Patient nach Hause geschickt wurde, hoffen wir, dass nie wieder Steine auftauchen.
Was tun bei wiederholter Steinbildung? (16:50)
20% bis 30% der Patienten bilden wiederholt Steine und das ist natürlich immer eine Belastung. Schmerzen aus dem Nichts und ein minimalinvasiver, aber doch operativer Eingriff folgen. Man hat in vielen Studien zeigen können, dass Patienten per se eine schlechtere Nierenfunktion haben, wenn sie immer wieder Steine bilden, bis hin zu dem Risiko, dass letztlich eine Blutwäsche, eine Dialyse notwendig wird.
Deswegen macht es Sinn, bei den Patienten zu kontrollieren, welche Art von Steinbildung vorliegt. Der erste Schritt ist die Steinanalyse, hier ist es wichtig, dass ein geeignetes Verfahren wählt. Beide Steine, die Sie hier sehen, sind Calciumoxalatsteine, sie sehen jedoch ganz unterschiedlich aus. Das liegt daran, dass auf der linken Seite eine Monohydrat Kristallisationsform und auf der rechten Seite eine Dihydrat Kristallisationsform vorliegt. Während die eine Form davon abhängig ist, dass zu viel Oxalat ausgeschieden wird, ist die andere davon abhängig, dass zu viel Kalzium ausgeschieden wird.
Das spielt natürlich eine Rolle, wenn ich Patienten weiter im Stoffwechsel abkläre, auch für eine Beratung hinsichtlich präventiver Maßnahmen. Auf Basis der Steinanalyse wird entschieden, ob es sich um einen Hochrisiko oder Niedrigrisikopatienten handelt. Bei Hochrisikopatienten ist eine erweiterte Abklärung nötig.
Wer gehört zur Risikogruppe? (18:30)
Wenn man viele Steine bildet, ist man ein Patient, der immer der Hochrisikogruppe zugehörig ist. Viele Steine bedeutet zwei bis drei Calciumoxalatsteine in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren. Dazu kommen Patienten, die eigentlich keine Steine bilden sollten, wie Kinder und Jugendliche.
Zur Hochrisikogruppe zählen auch Patienten, die andere Formen von Stein Zusammensetzungen bilden, wie Zystin, Infektsteine und Harnsäuresteine. Auch Personen, die nur eine Niere oder eine schlechte Nierenfunktionen haben und Personen, die bestimmte Vorerkrankungen haben gehören dazu.
Auf Basis dieser Risikoeinschätzung, der Steinanalyse, wird eine Stoffwechselabklärung initiiert. Auf Basis dieser kann neben einer reinen Ernährungsanpassung auch eine medikamentöse Behandlungen initiiert werden.
Was tun zur allgemeinen Prävention? (19:40)
Wenn Sie bereits einen Stein hatten, eine nicht Risikosituationen, können Sie trotzdem gewisse Ratschläge befolgen. Ein wichtiger Ratschlag ist, dass Sie mehr trinken sollte, ideal wäre Mineralwasser oder neutrale Tees. Im Zweifelsfall ist es mir auch lieber, wenn jemand abends mal ein oder zwei Bier trinkt, weil auch das die Urinausscheidung anregt.
Es ist wichtig, dass man den Patienten keine strengen Regelungen vorgibt, denn es ist immer eine Frage der Dosis. Natürlich kann mal ein Glas Wein oder ein Bier getrunken werden. Wichtig ist, dass man ausreichend trinkt. Man sollte mindestens zwei Liter Urin am Tag produzieren, alles andere ist das, was sie immer hören, wenn es um gesunde Ernährung geht. Es gibt die Ernährungspyramide, bei der es nach oben immer weniger werden soll.
Ganz wichtig ist, dass Sie Kalzium nicht vermeiden, das ist ein Reflex, den viele haben, wenn Kalziumsteine nachgewiesen wurden. Es ist nicht nur das Kalzium, es ist auch das Oxalat. Wenn Sie Kalzium meiden, dann nehmen sie mehr Oxalat aus der Nahrung auf und bilden unter Umständen sogar mehr Steine. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ist ein Gramm Kalzium am Tag. Sie sehen hier eine Übersicht, wie Sie sich das zusammenstellen können.
Apps zur Hilfe (22:10)
Es gibt Apps, die Ihnen Produkte auflisten und in welche Sie Ihre Ernährung eintragen können. Sie sehen dann genau, was in welcher Menge wo enthalten ist. Das muss man nicht immer nutzen, jedoch hilft es gelegentlich, um ein Gespür dafür zu bekommen, was ernährungstechnisch sinnvoll ist.
Stoffwechsel Untersuchungen (22:30)
Bei den Risikopatienten sind Stoffwechsel Untersuchungen notwendig. Diese müssen zweimal 24-Stunden-Urin sammeln und die Salze, die sie ausscheiden, werden analysiert. Danach kann der Urologe oder Nephrologe auch Empfehlungen geben. Es sollte nach einer Steinbehandlung zwei bis drei Monate gewartet werden.
Senkung des Rezidivrisikos (23:05)
Wichtig ist, dass Sie dies befolgen und ausreichend regelmäßiges Trinken, mindestens zwei Liter am Tag, besser mehr, wenn es heiß ist oder Sie viel Sport machen. Empfohlen wird die gesunde, mediterran orientierte Ernährung, Bewegung, Abbau von Übergewicht und bei Risikopatienten ist zusätzlich eine Medikation sinnvoll.
Man muss dies befolgen, der Begriff Non-Compliance bezeichnet, wenn Patienten nicht machen, was wir Ärzte ihnen sagen. Das mag manchmal sinnvoll sein, aber bei Empfehlungen, die sinnvoll sind und das sind die Empfehlungen, die ich Ihnen gegeben habe, muss man diese befolgen. Es ist bei der Steinbildung oft ein Problem, das viele Patienten diese Empfehlungen nicht befolgen.
Zystinurie (23:50)
Kommen wir von den allgemeinen Steinerkrankungen zu der speziellen und seltenen Zystinurie. Auch hier werden Nierensteine gebildet, es handelt sich aber um eine angeborene Erkrankung, die auf zwei Chromosomen lokalisiert ist, ein autosomal rezessiver Erbgang. Das bedeutet, dass Vater und Mutter tragen die entsprechenden Mutationen, sind aber nicht krank.
Wenn sie Kinder bekommen, dann ist die Wahrscheinlichkeit 1:4, dass ein gesundes Kind geboren wird, das Risiko 2:4, dass die Kinder, wie die Eltern eine Mutation tragen, die sie potenziell weitergeben können und ein Risiko von 1:4, dass ein krankes Kind durch das Zusammenkommen der beiden Mutationen geboren wird.
Die Inzidenz ist relativ niedrig, sie variiert in den USA, in Deutschland ist relativ niedrig, während sie in Israel, im Vorderen Orient und in der Türkei hoch ist.
Durch die genetische Störung entsteht ein Transportdefekt in der Niere und es werden vier Aminosäuren, das sind Eiweißbestandteile, vermehrt ausgeschieden. Dazu zählen Zystin, Lysin, Ornithin und Arginin und nur das Zystin ist relevant für die Steinbildung. Es kommt es zu einer Kristallisation im Urin und es entstehen Zystinsteine.
Natürlicher Verlauf der Zystinurie (25:25)
Diese entstehen sehr schnell und häufig, 17% der Patienten bilden immer wieder Steine, zum Teil mehrfach im Jahr. Vor sechzig Jahren sind viele der Patienten noch verstorben, zum Teil jung, auch in den siebziger Jahren mit einer mittleren Lebenserwartung von fünfundvierzig Jahren. Dank besserer medizinischer Maßnahmen ist das heute, durch minimalinvasive Therapien besser, trotzdem bleibt es weiterhin ein Problem.
Alter beim ersten Steinereignis (25:55)
Interessanterweise ist es so, dass obwohl es eine angeborene Erkrankung ist, viele Patienten erst im zweiten Lebensjahrzehnt, teils sogar später, durch eine Steinbildung symptomatisch werden und vorher die Diagnose gar nicht gestellt war. Deswegen ist es wichtig, dass eine Steinanalyse durchgeführt wird, weil man sonst nicht zur Diagnose kommt.
Diagnose (26:20)
Die Diagnose läuft wie gehabt mit Bildgebung, Computertomographie, Röntgenuntersuchungen und Steinanalyse. Man kann die Kristalle aber auch mikroskopisch nachweisen. Sie haben eine hexagonale Form, wie ein Stoppschild. Man kann auch im Sammelurin die Zystin Ausscheidung messen.
Nierenfunktion bei Zystinurikern (26:45)
Durch die häufige Steinbildung besteht ein hohes Risiko einer Nierenfunktionschädigung, die GFR, die glomeruläre Filtrationsrate, ist ein Maß für die Nierenfunktion. Wenn diese über neunzig ist, dann handelt es sich um eine normale Nierenfunktion, das war in der Untersuchung bei nur einem Viertel der Patienten der Fall. Alle anderen hatten eine zum Teil geringe, aber auch eine schwere Nierenfunktionseinschränkung. Das nimmt mit dem Älterwerden noch zu.
Je mehr Stein Ereignisse und Stein Interventionen, desto häufiger sind schwere Nierenfunktionseinschränkung. Was hier gleich läuft, ist die Entwicklung von Bluthochdruck, denn der Blutdruck wird unter anderem über die Niere gesteuert. Das schafft weitere Probleme, wie Arteriosklerose und Herzerkrankungen.
Einer meiner typischen Zystinurie Patienten (27:55)
Hier sehen Sie zusammengefasst einen meiner typischen Zystinurie Patienten. Er ist 35 Jahre jung und wir haben bei Ihm bereits 25 Mal Steine von außen zertrümmert. Wir haben ihn sogar schon offen operiert, perkutane Eingriffe und Spiegelungen gemacht, am Ende sogar ein Stück Harnleiter durch Darm ersetzt. Es zeigt sich, dass man sich unbedingt darum kümmern muss.
Säulen der Prävention von Zystinsteinen (28:25)
Was können die Patienten tun? Sie müssen ausreichend Flüssigkeit aufnehmen, ein gutes Glas Wasser jede Stunde wäre ideal. Sie müssen so viel trinken, dass Sie nachts ein bis zweimal aufwachen, um zur Toilette zu gehen. Dann muss auf dem Nachttisch ein Glas Wasser stehen, das Sie wieder trinken müssen. Ansonsten ist der Urin über die Nacht sehr konzentriert und es bilden sich vermehrt Steine.
Sie müssen Ihren Urin alkalisieren, das heißt, Sie müssen den sauren pH-Wert auf über 7,5 anheben. Das kann man mit Brausetabletten, dann verdreifacht sich die Löslichkeit des Zystins. Es ist dann trotzdem noch vorhanden, führt aber nicht mehr zur Kristallisation.
Sie müssen auch die Ernährung anpassen, weniger Salze und Eiweiß zu sich zu nehmen, zur Verhinderung der Zystinstein Bildung, ist günstig. Wenn das nicht ausreicht, gibt es das Medikament Tiopronin, was die Zystin Kristalle spaltet, sodass es nicht zur Kristallisation kommt.
Das funktioniert, Sie sehen hier etwas ältere Daten eines Kollegen aus Dresden, der eine große Serie von Patienten untersucht hat, die ohne eine Form von Prävention 5,8 Steine pro Jahr gebildet haben. Das ist wirklich eine Menge und Sie sehen, obwohl es reduziert wurde, kommt es immer noch zu einem Stein pro Jahr. Das zeigt, dass man hier wirklich rangehen muss, sonst stehen die Patienten alle vier Wochen mit dem nächsten Stein in der Klinik zur Therapie.
Lebensqualität (30:20)
Diese Folie zeigt eine Analyse der Lebensqualität. Dafür gibt es standardisierte Fragebögen. Die rote Linie ist der Mittelwert der Lebensqualität von Menschen in den USA. Mit jedem Steinereignis rutschen die Zystinurie Patienten unter diese rote Linie und bis sie dort wieder angekommen sind, dauert es bis zu sechs Monate. Wenn Sie wissen, dass Sie teilweise alle drei bis vier Monate einen Stein bekommen, dann sind Sie immer in Ihrer Lebensqualität eingeschränkt.
Das Medikament Tiopronin führt tatsächlich dazu, dass die Lebensqualität steigt, obwohl man immer denkt, dass man jetzt ein Medikament nehmen muss, das möglicherweise Nebenwirkungen hat. Das ist beim Tiopronin nicht anders.
Praktische Probleme (31:20)
Ein Problem im Management dieser Patienten ist für uns Ärzte die Verlässlichkeit. Wie oft kann ich den Patienten einbestellen? Wie oft kommen die Patienten? Das ist tatsächlich auch hier ein Problem, obwohl man denken würde, dass Betroffene ein großes Bedürfnis haben, dass man Ihnen hilft. Sie verschwinden oft einige Monate und kommen dann ungeplant, mit einem symptomatischen Stein wieder.
Eine Zystin Bestimmung im Urin ist möglich, aber technisch nicht einfach. Das heißt ein Monitoring, wie gut unsere Maßnahmen greifen, ist oft nur daran möglich, dass man sieht, ob neue Steine da sind und wie schnell sie gekommen sind. Ich habe viele Patienten, die bereits seit Jahrzehnten unter der Zystinurie leiden, die bis heute aber keine meiner Therapieempfehlungen befolgt haben und wenn, dann nur für kurze Zeit. Die Compliance ist sehr wichtig.
Informative Websites (32:20)
Das waren jetzt viele Informationen für Sie, diese finden Sie aber auch zum Nachlesen im Internet. Es gibt von der Europäischen Urologischen Gesellschaft eine sehr schöne Seite, woher auch die Videos sind, die ich Ihnen gezeigt habe. Es gibt speziell Patienteninformationen für Nieren- und Harnleitersteine, aber auch für andere Erkrankungen, wenn Sie sich dafür interessieren.
Hier ist unsere Internetadresse: patients.uroweb.org. Wir haben auf unserer Website der Urologischen Klinik Sindelfingen, die ich als Chefarzt leitete, einen Filmbericht eingestellt. Es ist ein Interview, ein Verlauf einer Patientin, die letztes Jahr im ZDF gezeigt wurde. Vielleicht können sie auch daraus die ein oder andere Information erhalten.
Verabschiedung (33:10)
Wenn sie noch weitere Fragen haben, scheuen Sie sich nicht und schicken Sie mir gerne eine E-Mail, ich freue mich Ihnen weiterhelfen zu können. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass es interessant für Sie war.
Zystinurie – Welche Risiken gibt es und was kann man als Betroffener tun?
27.02.2022 | 16.00 – 16.30 Uhr
Die Zystinurie (auch Cystinurie) ist eine seltene angeborene Erkrankung, die zu häufiger Bildung von Harnsteinen führt. Diese Steine verursachen Schmerzen und müssen oft operativ entfernt werden. Die PatientInnen können jedoch Maßnahmen ergreifen, die das Risiko der Harnsteinbildung deutlich reduzieren. In seinem Vortrag gibt Prof. Dr. Knoll einen Überblick über die Erkrankung und zeigt PatientInnen, wie sie den Verlauf der Erkrankung selbst positiv beeinflussen können. Im Anschluss geht er auf die eingereichten Publikumsfragen ein.
Vortragender
Prof. Dr.
Thomas Knoll
Prof. Dr. Thomas Knoll ist Chefarzt der Urologischen Klinik Sindelfingen und apl. Professor an der Universitätsmedizin Mannheim, Universität Heidelberg, Deutschland. Er ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Harnsteintherapie und hat die Behandlungleitlinie Urolithiasis der Deutschen Gesellschaft für Urologie federführend erstellt. Er ist Vorstandsmitglied der Leitlinienkommission der Europäischen Gesellschaft für Urologie.
Kostenlos und ohne Anmeldung