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Akzeptanz einer chronischen Erkrankung

Zeit um dankbar zu sein

Tonia ist 28 Jahre alt und hat im Februar die Diagnose bekommen, chronisch an Endometriose erkrankt zu sein. Ziemlich schnell war ihr klar, dass sie diesen Weg nicht alleine gehen wird und hat die Instagramseite @endometrioseinderhose ins Leben gerufen. Mittlerweile schreibt sie auf ihrem Blog endometrioseinderhose über die chronische Erkrankung und widmet sich hauptsächlich den Themen Akzeptanz, Selbstwahrnehmung und positives Mindset. Im Gastbeitrag mit selpers berichtet sie über den Umgang mit ihrer Erkrankung und gibt hilfreiche Ratschläge für chronisch kranke Menschen. 

Das ist keine „9 Schritte bis zur Akzeptanz meiner chronischen Erkrankung“Aufzählung, könnte dir aber dennoch helfen.

Vor acht Monaten habe ich die Diagnose bekommen, chronisch an Endometriose erkrankt zu sein. Ich muss zugeben: Meine Welt stand kurz still. Mucksmäuschenstill. Dann bin ich im Schneckentempo die Phasen der Trauer durchkrochen und habe dabei keine ausgelassen: Leugnen – Wut – Verhandeln – Depression – nochmal ein bisschen Wut – und schließlich der Beginn der Akzeptanz. Und seitdem hat sich bei mir vieles verändert.

„Akzeptanz einer chronischen Erkrankung?“, fragst du dich jetzt vielleicht, „Warum sollte es wichtig sein, eine Krankheit zu akzeptieren, die ich doch gar nicht haben will?“ Ganz einfach: Weil du sie sehr wahrscheinlich nicht wieder loswerden wirst und weil unsere Stress– und Schmerzwahrnehmung auch von unserer inneren Einstellung abhängig ist. Und auch wenn ich jetzt sage, dass es wichtig ist, deine chronische Erkrankung akzeptieren zu lernen, waren die scheinbar endlosen Wochen und Monate, die ich damit verbracht habe, meine Situation nicht wahrhaben zu wollen, ebenso sehr wertvoll für meinen Prozess. Damit möchte ich sagen, unabhängig davon in welcher Phase du dich gerade befindest: Du wirst daraus lernen. Gleichzeitig möchte ich dich vorab wissen lassen, dass das Akzeptieren deiner Erkrankung nicht zu einem zusätzlichen Druckfaktor in deinem Verarbeitungsprozess werden sollte. Gibt dir bitte unbedingt die Zeit, die sich für dich richtig anfühlt.

Welche Weichen ich gestellt habe, die mit etwas Glück auch dir helfen könnten, deine chronische Erkrankung jeden Tag ein wenig mehr zu akzeptieren, findest du in diesem Beitrag.

1.) Hätte, hätte, Fahrradkette!

Das Wichtigste zuerst: Ich habe gelernt, dass es nicht meine Schuld ist, dass ich eine chronische Erkrankung habe. In einer Vorwurfshaltung verharrend, war ich nicht in der Lage, überhaupt einen Gedanken an Akzeptanz zu „verschwenden“. „Hätte ich mehr Sport gemacht“, „Wäre ich nicht immer so gestresst gewesen“ oder „Hätte ich mich doch gesünder ernährt.“ Ein Gedankenspiel, das mich lange Zeit aus der Reserve gelockt hat. Doch: Zum einen ist es in keiner Weise hilfreich und zum anderen ist der Wahrheitsgehalt der Aussagen anzuzweifeln. Welchen Einfluss dein Verhalten auf deine Gesundheit und letztlich wirklich auf deine chronische Erkrankung hatte, steht in den Sternen. Und die Grübelei wird dich nicht gesünder machen. Was dich allerdings sehr wohl gesünder macht, ist Frieden mit dir zu schließen. „Du kannst zu jeder Zeit in deinem Leben nur nach dem Wissen handeln, was du in diesem Augenblick auch besitzt“, ist zu meinem persönlichen Mantra geworden, um die Schuld bewusst und berechtigt von mir abweisen zu können. Versuche dich mit deinen Schuld-Gedanken auseinanderzusetzen und einen Weg für dich zu finden.

2.) Du bist der Star in deinem Leben!

Mag sein, dass Selbstliebe zu einem zugegebenermaßen etwas inflationär genutzten Modewort geworden ist. Dennoch gleiten scheinbar gerade alle auf einer sanften Selbstliebewelle dem Sonnenuntergang entgegen. Warum nicht auch du? Dennso häufig der Begriff auch momentan genutzt wird: Es ist etwas dran an diesem Mysterium Selbstliebe. Dich selbst grundlegend zu lieben, ebnet dir den Weg auch deine weniger „liebenswerten“ Anteile annehmen zu können. Kleine Rituale, liebevolle Eigenmassagen oder ein freches Augenzwinkern, was nur deinem Spiegelbild gilt, können dir dabei helfen. Sei für dich da, zeige dir selbst, dass du es mehr als verdient hast, liebevoll Anerkennung zu bekommen. Denn was wir uns von Kindesbeinen an abtrainieren, aber dringend wiedererkennen dürfen: Du bist der Star, die oberste Priorität in deinem Leben – versuche diese Tatsache nach und nach in deinen Alltag zu etablieren.

3.) Werde dir deiner Selbstwirksamkeit bewusst!

Selbstwirksam..was? Ein Wort, das uns im Gegensatz zur Selbstliebe, gar nicht mal so häufig zu Ohren kommt, aberdeshalb nicht minder wichtig ist. Doch was genau bedeutet das jetzt? Der amerikanische Psychologe Albert Bandura versteht unter dem Begriff Selbstwirksamkeit, die Überzeugung, dass wir auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen können. Den Kopf in den Sand zu stecken, erscheint dir vielleicht viel einfacher und auch etwas bequemer. Mag es kurzfristig eventuell auch sein, aber auf lange Sicht gesehen, werden dir einige Dinge um einiges schwerer fallen, wenn du deine Selbstwirksamkeit nicht ans Tageslicht förderst. Überlege dir, ob du schon mal ähnlichen Herausforderungen in deinem Leben begegnet bist. Wie bist du damit umgegangen? Erkennst du Verhaltensweisen, die dir auch in deiner jetzigen Situation helfen könnten? Erkenne dein Potential, dir selbst zu helfen und dass deine Handlungen und Entscheidungen etwas bewirken können. Denn: Es fällt uns leichter etwas zu akzeptieren, wenn wir das Gefühl haben, einen gewissen Einfluss nehmen zu können. Dafür ist es unerlässlich, dass du dich mit deiner Erkrankung auseinandersetzt, um die möglichen Ansatzpunkte ausfindig zu machen.

4.) Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte. Achte auf deine

Na, wer weiß, wie es weitergeht? Schlaues Kerlchen dieser Buddha! Schon lange bevor meiner Diagnose habe ich mich mit den positiven Auswirkungen von Affirmationen auf mein Denken und Handeln beschäftigt. Doch erst seitdem ich weiß, dass ich eine chronische Erkrankung habe, ist die Wirkung tatsächlich spürbar für mich. Es ist nicht einfach, die Gedanken und somit unsere Gefühle zu beeinflussen. Doch mit kleinen Übungen ist es durchaus möglich. Eine Affirmation lässt sich am besten als einen selbstbejahenden Satz beschreiben, den du dir regelmäßig sagst, um schlussendlich auch deine Gedanken „umzuformen“. Im Idealfall geht mit der Veränderung der Gedanken, eine veränderte Gefühlslage einher und ein tatsächlicher Einfluss auf dein Handeln. Affirmationen leben davon, so oft wie es geht eine Rolle in deinem Leben zu spielen. So kannst du dir deine Affirmationen morgens beim Aufstehen vorsagen, deinem Spiegelbild lächelnd zuflüstern, beim Kaffeekochen laut trällern, in dein Notizbuch oder an den Spiegel schreiben oder vor dem Schlafengehen in deine Meditation einbinden. Durch Affirmationen kannst du dich selbst stärken und ein starkes Selbstbewusstsein hilft dir, an dich zu glauben und dich anzunehmen. Meine Top 3 Affirmationen in Bezug auf meine chronische Erkrankung sind: „Ich darf jeden Tag ein bisschen mehr heilen“, „Ich bin stark“ und „Ich erlaube mir, meinen Körper zu lieben, wie er ist.“

5.) Der Ton macht die Musik

Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz meiner chronischen Erkrankung sind die Worte, die ich wähle, um über meine Krankheit zu reden, und die Wahrheiten, die ich für mich selbst dadurch definiere. Ein gutes Beispiel dafür ist: „Ich bin chronisch krank“ und „Ich habe eine chronische Erkrankung.“ Diese beiden Aussagen hören sich im ersten Moment doch ziemlich ähnlich an, aber wenn du genauer darüber nachgedenkst, bemerkst du den Unterschied. „Ich bin chronisch krank“ beschreibt mich als Mensch, als das, was ich bin, nicht nur als eine Eigenschaft, sondern Ganzes, als meinkomplettes Sein. Dahingegen ist die Aussage „Ich habe eine chronische Erkrankung“ als einen Teil von mir zu werten. Ich habe eine chronische Erkrankung – ja, das ist ein unumstrittener Fakt – aber ich BIN eine Tänzerin, ich BIN eine Visionärin, ich BIN ein Schüler, ein Vater oder besterFreund. Du verleihst deiner Krankheit durch deine Sprache eine Macht, die du ihr eventuell gar nicht zusprechen möchtest. Genauso kannst du deiner Erkrankung mit vorsichtig gewählten Worten etwas Schwere nehmen, um sie so etwas leichter zu akzeptieren.

6.) Chronisch krank: Für immer krank = nie wieder gesund?

Die Diagnose zu erhalten chronisch krank zu sein, kann einem erst einmal den Boden unter den Füßen wegreißen. Nach meiner eigenen Diagnose hallte mir in Dauerschleife der Satz “Ich bin chronisch krank” durch den Kopf. Doch recht schnell ist mir bewusst geworden, dass, obwohl ich chronischerkrankt bin, ich nicht immer wirklich krank bin und sein werde.

Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, war ich ja auch schon vor der Diagnose chronisch krank, aber hab mich nicht jeden Tag krank gefühlt. Was schließe ich daraus: Die Diagnose an sich hat einen immens großen Einfluss auf die Wahrnehmung meines Krank- bzw. Gesundseins und auf meine Psyche.

Zwischenfrage: Spule mal kurz zurück in die Zeit vor deiner Diagnose. Hast du jeden Tag gedacht, dass du krank bist? Ich wage die Vermutung, dass du auch Tage erlebt hast, ohne daran zu denken. Und genau das geht noch immer!

Um das alles auch ein wenig wissenschaftlicher zu betrachten: In der modernen Gesundheitswissenschaft werden Gesundheit und Krankheit nicht als unabhängige Zustände voneinander betrachtet. Ein Mensch erlebt weder das vollkommene Gesundsein, noch das vollkommene Kranksein. Zwischen diesen beiden Extremen liegen fließende Übergänge, verschiedene Schattierungen und zahlreiche Befindlichkeiten. Und das Ganze nennt sich: Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Gesundsein sowie Kranksein unterliegen somit dynamischen Prozessen, die ständig (!) in Bewegung sind und sich jederzeit ändern, intensivieren oder auch abschwächen.Der Gedanke das Gesund- bzw. Kranksein kein statischer Fakt ist, hilft mir ungemein zu akzeptieren, dass ich trotz chronischer Erkrankung gesund sein darf.

Ich darf meinem Prachtkörper für all die gesunden Anteile in mir danken, putzmunter zu Destinys Child tanzen und in der Sonne Eiskaffee schlürfen, ohne daran denken zu müssen, dass ich krank bin. Gleichzeitig darf ich aber auch anerkennen, dass ich dunkle Tage habe, an denen ich mich vor Schmerzen zusammenrolle und dass ich eine chronische Erkrankung in mir trage. Versuche zu lernen, dass du chronisch krank UND chronisch gesund bist! Der eine Zustand kann nicht ohne den anderen existieren.

7.) Was du nicht kennst, kannst du auch nicht akzeptieren

Meine Diagnose hinterließ im ersten Moment (und auch im zweiten) nichts außer Fragezeichen. Ich wusste nicht, wie ich mit der neuen Situation umgehen sollte. Rückblickend erkenne ich, dass es für mich sehr hilfreich war, mich mit meinen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, sie zu erkennen und sie auch ernst zu nehmen. Denn wenn ich meine Bedürfnisse kenne, habe ich erst die Chance, sie ernst zu nehmen und sie somit auch zu akzeptieren. Du wirst mit der Zeit erkennen, was du brauchst, was dir guttut und was nicht. Versuche dabei nicht allzu streng mit dir selbst zu sein. Du wirst mit der Zeit lernen, was das Richtige für dich ist. Ganz nach der Devise: Mit kleinen Schritten kommst du an dein Ziel. Wenn du deine Bedürfnisse ausfindig gemacht hast, stehe für deine Bedürfnisse ein und lerne sie zu kommunizieren. All deine Bedürfnisse haben eine Berechtigung, so abwegig sie im ersten Moment auch für dich erscheinen mögen.

8.) Und zu guter Letzt: Hinfallen. Aufstehen.

Akzeptanz ist (leider) kein dauerhafter Zustand. Ich habe lange Zeit gehofft, dass ich eines morgens aufwache und denke: „Oh, ab heute akzeptiere ich meine chronische Erkrankung“ und ein dickes Kreuz mit einem roten Filzstift im Kalender hinterlasse. Weit gefehlt, denn etwas zu akzeptieren ist ein Prozess. Ich akzeptiere meine Krankheit jeden Tag ein bisschen mehr und an anderen Tagen dann wieder weniger. Du solltest im Hinterkopf behalten, dass es zu Rückschlägen kommen kann, die dich vielleicht dazu bringen, rein gar nichts mehr zu akzeptieren und es wird eventuell auchdunkle Tage geben, an denen du dich wieder ganz und gar den Trauerphasen hingeben wirst. Und das ist auch vollkommen in Ordnung so. Auch diese Zeiten sind berechtigt, nur wichtig dabei ist, dass du irgendwann nach dem Hinfallen wieder aufstehst.

Zum Abschluss:

Für den gesamten Prozess seit meiner Diagnose war es hilfreich, mir Zeit zu geben. In vielerlei Hinsicht: Zeit nur für meine Gedanken, Zeit für das Pläneschmieden, Zeit für die Umsetzung, das Ausprobieren, das „Für gut“ – Befinden und auch das Verwerfen meiner Ideen. Versuche geduldig mit dir zu sein und dir selbst mit dem gleichen Wohlwollen zu begegnen, wie deinem:r besten Freund:in.

Mehr zum Thema:

Blogbeitrag „Selbstbewusstsein und chronische Krankheit“

Tonia Kanitz

Tonia ist 28 Jahre alt und  hat die chronische Erkrankung Endometriose. Nach ihrer Diagnose hat sie begonnen ihre Erfahrungen auf Instagram und ihrem eigenen Blog für andere Betroffene zu teilen. Sie widmet sie sich vor allem Themen wie Akzeptanz, Selbstwahrnehmung und positives Mindset.

Hier finden Sie Tonias Blog

Hier finden Sie Tonias Instagram

 

Autorin: Tonia Kranitz

Bildnachweis: Tonia Kranitz