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Interview mit dem deutschen Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e.V

Länger und gesünder leben

Die Diagnose Prostatakrebs kann Betroffene und deren Angehörige erstmals überfordern. Der deutsche Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e.V. (BPS) will hier Unterstützung bieten. In über 230 Gruppen helfen sich betroffene Männer* gegenseitig. Im Gespräch mit stv. Vorsitzenden Ernst-Günther Carl erfahren Sie, wie Mann* richtig vorsorgt, wie gefährlich das Corona-Virus für Krebs-Erkrankte ist und was der Verein mit der beliebten Bart-wachs-Aktion „Movember“ zu tun hat.

 

selpers: Der Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe Deutschland hat ein breites Angebot für Prostatakrebs-Erkrankte. Was wird am meisten in Anspruch genommen?

Ernst-Günther Carl: Aktuell Kontakte zu unserer Hotline und Besuch einer unserer mehr als 200 Selbsthilfegruppen.

Wir bieten vom Kontakt zur lokalen Selbsthilfegruppe – davon gibt es mehr als 200 in Deutschland – Arbeitskreise zu bestimmten Themen und Zuständen in Verbindung mit der Erkrankung Prostatakarzinom. Das geht von dem Thema fortgeschrittener PCa über Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen bis hin zu komplementären Themen. Für die breitere Patientenschaft bieten wir eine Hotline unter der kostenfreien 0800 Telefonnummer, dort können sich PCa Betroffene und deren Angehörige Ratschläge von Betroffenen für Betroffene holen.

selpers: Sie bieten auch Selbsthilfegruppen und Beratung unter Betroffenen an. Warum ist das wichtig und wie ist die Resonanz der KlientInnen?

Ernst-Günther Carl: Es gibt unserer Erfahrung nach eine Menge Themen, die Patienten schlecht verstehen, sei es dass der Krebs hier einwirkt, sei es, dass Ärzte das mangels eigener Erfahrung nicht so deutlich rüber bringen können, dafür ist der direkte Kontakt mit Betroffenen unabdingbar. Die können aus eigener Erfahrung schildern was bei ihnen während Diagnose Therapie etc. abgelaufen ist. Auch zu den heiklen Themen Inkontinenz und erektile Dysfunktion sprechen Männer direkt zusammen eher Punkte dazu an und tauschen Erfahrungen aus. In einer Reihe von Fällen hat es sich als sehr positiv erwiesen die Ehepartnerin / Lebensgefährtin dazu ebenfalls einzuladen.

Es gibt bei  Prostatakrebs Punkte, die ein Patient, der die Erkrankung erlebt oder hinter sich hat weitaus besser beantworten kann als ein behandelnder Facharzt oder Hausarzt.

selpers: Wer muss zur Prostata-Früherkennung und mit welcher Regelmäßigkeit?

Ernst-Günther Carl: Männer, die mindestens 45 Jahre alt sind und eine mutmaßliche Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren haben, sollten über die Möglichkeit einer Früherkennung informiert werden. Bei Männern mit erhöhtem Risiko für ein Prostatakarzinom kann diese Altersgrenze um 5 Jahre vorverlegt werden.

selpers: Was erwartet Patienten bei einer Prostata-Vorsorge-Untersuchung?

Ernst-Günther Carl: Eine vernünftige Aufklärung mit Darstellung der Chancen und Risiken der frühen Erkennung, der Ermittlung ob der Betroffene die Früherkennung wirklich will die positiv oder negativ ausgehen kann. Mittels PSA Test und DRU wird der Urologe das Thema angehen, wobei eine rektale Untersuchung deutlich weniger problematisch ist als vermutet und zur PSA Bestimmung eine einfache Blutentnahme reicht.

selpers: Ist Corona gefährlicher für Menschen mit Prostata-Erkrankungen?

Ernst-Günther Carl: Generell nicht, es gibt bis dato wenig Evidenz dazu, wir glauben aber, da der Prostatakrebs median eher im Alter 65+ auftritt, dass hier altersgemäß eine Risikogruppe betroffen ist. Was uns hier eher beunruhigt ist der Punkt, dass Corona bedingt die an sich notwendige Anzahl der Zweitmeinungen erheblich zurückgeht was in einer Vielzahl von Fällen die Therapieentscheidung erschwert.

selpers: Bald startet wieder die internationale Initiative Movember, die der Verband in Deutschland organisiert. Wer mitmacht, rasiert sich den ganzen Monat November über nicht den Bart um auf Männer*-Erkrankungen aufmerksam zu machen. Was waren Ihre Beweggründe dafür?

Ernst-Günther Carl: Wir, der BPS sind für jede Bewegung, die Betroffene unterstützt dankbar und verfügbar und haben die Movember Bewegung bereits vom Beginn an unterstützt. Zusammen mit Movember als Finanzbasis, der Deutschen Krebsgesellschaft und Onkozert haben wir die PCO Studie deutlich unterstützt, Deutschland ist aktuell eines der großen Teilnehmerländer, die das Thema „compare and reduce“ deutlich unterstützen.

selpers: Der Verband organisiert die Aktion schon seit 2012 und sammelt dadurch viele Spendengelder. An wen gehen diese?

Ernst-Günther Carl: Movember unterstützt globale Themen, hier z.B. die PCO Studie, die auch wir maßgeblich unterstützten und stellt die notwendige Finanzierungsbasis dar. Es wurden auch mit Hilfe von Movember Finanzmitteln lokale kleinere Studien und Ansätze unterstützt, das geht hin zu Sport und Metastasierung, Suizid Gefahr bei (jungen) Männern bis hin zum Thema Hodentumor.

selpers: Trans*personen leiden im Gesundheitssystem oft unter Diskriminierungen. Viele von Ihnen müssen auch zur Prostata-Vorsorge. Gibt es dafür eigens sensibilisierte ÄrztInnen?

Ernst-Günther Carl: Ein spezielles Programm dafür ist uns in der Fläche nicht bekannt, wir können jedoch aus dem Erfahrungshorizont unserer flächendeckenden Selbsthilfegruppen hinsichtlich Fachärzten der Urologie schöpfen, wenn uns Betroffene Kenntnis geben welche Ärzte es hier zu empfehlen gibt..

selpers: Als Bundesverband setzen Sie sich auch im deutschen Gesundheitswesen für die Interessen von Erkrankten ein: wo gibt es noch Bedarf an Verbesserung?

Ernst-Günther Carl: Es fehlt einfach aufgrund der langen Wege in unserem Gesundheitssystem an wesentlichen zum Abschluss zu bringenden Grundthemen die auf dem Wege in, im G-BA und danach in der Umsetzung stehen. Beispiele: seit fast 2 Jahren gibt es eine Diskussion im G-BA zur PSA gestützten Früherkennung nicht abgeschlossen, seit 8 Jahren eine Diskussion zu Qualitätsindikatoren nicht abgeschlossen, es fehlt ein DMP Programm komplett die wesentlichen weitergehenden Themen wie DNA / Genetik etc., die z.B. beim Brustkrebs bereits Alltag sind wurden / werden noch nicht angegangen. Das vor dem Hintergrund von jährlich mehr als 60000 neu diagnostizierten Betroffenen und mehr als 11000 Toten. Der Prostatakrebs ist mittlerweile die häufigste Erkrankung des Mannes.

Herzlichen Dank für das Interview.

Ernst-Günther Carl
Ernst-Günther Carl ist Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe e.V. und Leiter einer Selbsthilfegruppe.

Hier finden Sie die Website des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe e.V.

Interview wurde geführt von:  selpers red.

Bildnachweis: JoPanuwatD