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Ehlers-Danlos-Syndrom – Ein Blick in Karina Sturms neuen Ratgeber

Das Ehlers-Danlos-Syndrom ist eine Gruppe von Erkrankungen, die sich auf das Bindegewebe auswirken und zu überstreckbaren Gelenken, Fehlstellungen, abnormer Narbenbildung, chronischen Schmerzen und in manchen Fällen zu Herz- und Gefäßproblemen führen können. Karina Sturm kennt die Herausforderungen aus eigener Erfahrung und hat zusammen mit den zwei Expertinnen Frau Dr. Andrea Maier und Frau Dr. Helena Jung einen aufschlussreichen Ratgeber über das Thema verfasst. Was das Buch alles beinhaltet und wie es entstanden ist, erfährst du in diesem Interview.

selpers: Das Ehlers-Danlos-Syndrom ist eine komplexe und seltene Erkrankung des Bindegewebes. Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Aspekte, die Menschen über das Ehlers-Danlos-Syndrom wissen sollten?

Karina: Das ist eine sehr breite Frage. Bindegewebe ist überall im Körper. Das heißt die Ehlers-Danlos-Syndrome können jeden Teil des Körpers betreffen – von den Gelenken, über die Organe bis zu den Blutgefäßen. Zwei Punkte, die mir besonders wichtig sind zu erwähnen, sind:

  • Die Ehlers-Danlos-Syndrome kommen selten allein. Die meisten Betroffenen haben neben EDS, was an sich schon eine Multisystemerkrankung ist, die den ganzen Körper betrifft, auch noch eine Bandbreite an sogenannten komorbiden Erkrankungen, darunter häufig das Mastzellaktivierungssyndrom und das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom. Auch diese beiden Erkrankungen können wieder zu Symptomen in jedem Organsystem führen. Und je mehr komorbide Erkrankungen, desto schwieriger auch das Management, weil sich alle gegenseitig beeinflussen.
  • Betroffene mit Ehlers-Danlos-Syndrom sind häufig Frauen und oft gesund aussehende Menschen. Die Ehlers-Danlos-Syndrome und auch der Großteil der komorbiden Erkrankungen sind unsichtbar. Unsichtbare Erkrankungen und Behinderungen sind für die Dominanzgesellschaft unglaublich schwer zu verstehen, obwohl es so viele chronische Krankheiten gibt, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Doch gerade die Unsichtbarkeit der Erkrankung führt zu vielen negativen Erfahrungen durch die Kommentare des Umfelds. Ganz häufig hören Betroffene: “Du siehst aber gar nicht krank aus.” Oft wird ihnen ihre eigene Körperwahrnehmung abgesprochen, weil auch Mediziner:innen nur glauben, was sie sehen bzw. objektivieren können. Das führt für die Betroffenen zu immensem Stress im sozialen aber auch sozialrechtlichen Bereich, z. B. dann, wenn sie Leistungen der Rente oder Krankenkasse beantragen müssen, ihnen aber nicht geglaubt wird, dass sie krank sind, weil sie nicht krank aussehen.

selpers: Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit zwei Expertinnen Frau Dr. Andrea Maier und Frau Dr. Helena Jung. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Was hat sie dazu motiviert, an diesem Projekt teilzunehmen?

Karina: Ja, das stimmt. Also, ich kann nicht für die beiden sprechen, aber kann sagen, dass ich schon seit vielen Jahren mit beiden in regelmäßigem Austausch stehe. Ich arbeite seit 2014 mit diversen Projekten daran, mehr Aufmerksamkeit auf die Ehlers-Danlos-Syndrome zu lenken und bin schon frühzeitig mit Frau Dr. Maier und Frau Dr. Jung in Kontakt getreten. Als ich die beiden dann zwecks des Ratgebers kontaktiert hatte, haben beide sofort ja gesagt. Beide sind auch privat sehr engagiert für Menschen mit Ehlers-Danlos-Syndromen. Und beiden liegt viel daran, dass Menschen mit EDS gut informiert über die eigene Erkrankung sind. Daher musste ich da gar nicht viel überreden. Die fanden das Projekt beide von Anfang an toll.

selpers: Du sprichst mit deinem Buch sowohl Betroffene von EDS als auch Mediziner:innen an. Was war eure Strategie dabei dieses komplexe Thema für beide Parteien einfach und verständlich zu machen?

Karina: Ich glaube der Trick dabei war, dass ich das Buch mit zwei Ärztinnen zusammen geschrieben habe. Und dabei habe ich auch sehr viel gelernt. Z. B. hatte ich im Buch vorgeschlagen, dass Patient:innen alle Arztbefunde immer nur an sich selbst schicken lassen sollen. Denn nur so kann man vermeiden, dass Fehldiagnosen von Ärzt:innen zu Ärzt:innen weitergereicht und abgeschrieben werden. Meine Meinung kam aber bei meiner Ko-Autorin Dr. Andrea Maier nicht so gut an. Sie meinte, dass durch ein solches Vorgehen Versorgungslücken entstehen können, die für sie aus Ärztinnensicht problematisch wären. Wir haben dann noch ein bisschen hin und her diskutiert, aber letztlich konnte ich ihren Punkt sehen und sie verstand auch, wo ich als Patientin herkam.

Durch diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe haben wir es geschafft das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Denn natürlich ist man als selbst Betroffene immer ein bisschen biased (voreingenommen) aus Sicht der Betroffenen und als Mediziner:in sieht man eben auch meist nur die eine Seite. Doch durch unseren permanenten Austausch und unsere eigene Reflektion haben wir ein großes Verständnis für die jeweils andere Seite entwickelt und das auch so im Buch widergespiegelt.

Meiner Meinung nach hat das Buch dadurch eine sehr einmalige Sichtweise, weil es Mediziner:innen- und Patient:innensicht vereint. Das sorgt für mehr Verständnis auf beiden Seiten. Wir haben z. B. für die Expert:innen alle Fachbegriffe im Buch genutzt, diese aber für die Betroffenen dann auch erklärt. Es ist ja genauso für Betroffene wichtig, die sonst ihre Befunde gar nicht verstehen können. Das lässt sich eigentlich ganz einfach zusammenführen.

selpers: Was hat deiner Meinung nach in der bereits verfügbaren Literatur zu EDS gefehlt und wie hast du versucht diese fehlenden Informationen in dein Buch zu integrieren?

Karina: Im deutschsprachigen Raum gibt es leider generell nur sehr wenig Informationen zu EDS – vor allem im Vergleich zu englischsprachigen Ländern. Fachliteratur wird in der Regel in Englisch publiziert und der Grund dafür warum es dieses Buch, aber auch meinen zweisprachigen Blog gibt ist, weil ich immer und immer wieder von Betroffenen die Frage gehört habe: Warum gibt es das denn nicht auf Deutsch? Irgendwann dachte ich mir: Ja, warum gibts das denn nicht auf Deutsch? Ich hoffe dass dieses Buch eine Lücke schließt und zumindest die Basis an Informationen zur Verfügung stellt, die gerade frisch diagnostizierte Menschen mit EDS brauchen.

Karinas Ratgeber zum Ehlers-Danlos-Syndrom

Ratgeber Ehlers-Danlos-Syndrome. Komplexe Bindegewebserkrankungen einfach erklärt.

Karina Sturm (MA), Andrea Maier (Dr.), Helena Jung (Dr.); SPRINGER Nature Verlag, ISBN: 978-3-662-65040-0

Mehr Infos

selpers: Was hoffst du, dass die Leser:innen aus deinem Buch mitnehmen?

Karina: Ich hoffe, dass Betroffene aus dem Buch viele fachliche Details mitnehmen und so ein Grundverständnis von EDS und den komorbiden Erkrankungen bekommen. Gleichzeitig gibt das Buch viele praktische Tipps im Umgang mit der Erkrankung, wodurch die Betroffenen dann hoffentlich nicht nur wissen, was in ihrem Körper passiert, sondern gleichzeitig auch einigermaßen gut damit umgehen können. Die Leser:innen lernen dadurch nicht nur die wichtigsten Basics, sondern werden auch mit an die Hand genommen und Schritt für Schritt durch den Prozess der Diagnose und des Managements geführt.

Das Buch gibt auch einen kleinen Einblick in Forschung zu allen Themen rund um EDS und sorgt so für mehr Verständnis über die Zusammenhänge von EDS mit den Komorbiditäten und hilft Betroffenen wissenschaftliche Erkenntnisse besser einordnen zu können. Was das Buch meiner Meinung nach besonders macht sind vor allem die 18 Videos im Buch, die gleichzeitig zusätzliche Informationen anbieten, die nicht in schriftlicher Form im Buch sind. Am Ende geht es darum, dass die Betroffenen sich auch unabhängig von ihren Ärzt:innen sicher im Umgang mit der Erkrankung fühlen.

Wenn Betroffene ihre Symptome verstehen und wissen, warum ihr Körper reagiert wie er reagiert, dann gibt das Sicherheit. Sie werden unabhängiger und können auch mental besser mit der Erkrankung umgehen. Zusätzlich erlaubt das Wissen über die eigene Erkrankungen den Patienten:innen einen Kommunikation auf Augenhöhe mit den behandelnden Ärzt:innen. Das ultimative Ziel muss daher immer sein, den Betroffenen genug Werkzeuge an die Hand zu geben, um mit den regulären Symptomen alleine umgehen zu können. So werden sie empowered ein aktiver Teil ihres Krankheitsmanagement sein zu können.

selpers: Patient:innen informieren sich auch durch Erfahrungsberichte um die Erkrankung besser zu verstehen, zu akzeptieren und vor allem neuen Mut daraus schöpfen. Inwiefern kommen Erfahrungsberichte in deinem Ratgeber vor?

Karina: Erfahrungsberichte sind im Ratgeber kaum vertreten. Teilweise fließt natürlich meine Perspektive ein – das kann man als Betroffene gar nicht ganz vermeiden, aber primär ging es hier nicht um subjektive Erfahrungen von Betroffenen sondern darum medizinische Fakten zu vermitteln, denn die sind am Anfang besonders wichtig, um überhaupt erstmal zu wissen, wo man steht und wie man jetzt weitermacht. Erfahrungsberichte finden sich heutzutage ja fast überall im Internet, in Onlinegruppen und nicht zuletzt auch in meinem Blog. Daher liegt der Fokus des Buchs nur auf den Fakten.

selpers: Welche Reaktionen hast du bisher von deinen LeserInnen erhalten? Gab es spezielle Rückmeldungen oder Geschichten, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Karina: Bislang habe ich tatsächlich nur positives Feedback erhalten, was mich sehr überrascht hat. Wir haben mittlerweile über 35 Reviews auf verschiedenen Plattformen. Die meisten auf Amazon und alle sind größtenteils positiv. Was mich immer am meisten berührt und gleichzeitig auch total motiviert sind die vielen privaten Nachrichten von Betroffenen, die mir erzählen, dass ihnen dieses Buch durch die schwerste Zeit ihres Lebens geholfen hat. Da weiß man dann auch wirklich, wofür man jahrelang an einem Buch zu einem Nischenthema schreibt. (Lacht)

selpers: Gibt es Pläne für weitere Bücher oder Projekte?

Karina: Ja, tatsächlich kommt im Januar ein neues Buch raus. Das hat aber diesmal gar nichts mit Medizin zu tun, sondern ist eher ein aktivistisch motiviertes Buch zum Thema Ableismus (die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen aufgrund von Vorurteilen. Zusammen mit Anne Gersdorff habe ich das Buch “Stoppt Ableismus! Diskriminierung erkennen und abbauen” geschrieben, das voraussichtlich am 30.01.2024 im Rowohlt Verlag erscheinen wird. 

Herzlichen Dank für das interessante Interview! 

Karina Sturm 

Karina ist eine Filmemacherin und Journalistin aus Deutschland. Durch ihre Ausbildung zur medizinisch-technischen Laboratoriumsassistentin und die darauffolgende mehrjährige Tätigkeit in einer deutschen Forschungseinrichtung erlangte Karina ein breites medizinisches Wissen, das sie heute in den Journalismus einbringt. Aufgrund mehrerer chronischer Erkrankungen fand Karina 2013 ihre Leidenschaft für die Medienproduktion und ist seither als freie Journalistin tätig. 2019 beendete sie ihr Masterstudium mit der Produktion des Dokumentarfilms ‘We Are Visible,’ der Menschen, die mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom leben, porträtiert. Karinas Fokus liegt darauf, Menschen mit Behinderungen in den Medien akkurat zu repräsentieren, um Vorurteile und Stereotypen abzubauen.

Hier finden Sie alle Infos zum Buch
Hier finden Sie Karinas Website karina-sturm.com

 

Die Co-Autorinnen Dr. Andrea Maier (links) und Dr. Helena Jung (rechts).

Interview wurde geführt von:  selpers Red.

Bildnachweis: Karina Sturm