Blog | Allgemein

Chronische Erkrankung & Schwangerschaft: Wie Hebammen sicher durch die Geburt begleiten

Was braucht es, damit sich werdende Eltern sicher und gut vorbereitet fühlen? Welche Rolle spielt eine Hebamme – gerade, wenn chronische Erkrankungen mit im Spiel sind? Und wie gelingt es, im Dschungel der vielen Meinungen auf die eigene Intuition zu hören? Hebamme Annemarie Kögler spricht im Interview über die besondere Rolle von Hebammen, die Bedeutung einer guten Vorbereitung und darüber, wie Frauen mit chronischen Erkrankungen ihre Schwangerschaft und Geburt selbstbestimmt erleben können. Sie teilt Erfahrungen aus dem Kreißsaal, klärt über häufige Mythen auf und gibt konkrete Tipps, wie ein gelungener Start ins Familienleben aussehen kann.

selpers: Was hat dich dazu bewegt, Hebamme zu werden, und was begeistert dich bis heute an diesem Beruf?

Annemarie Kögler: Schon als Kind hat mich das Thema Geburt und Schwangerschaft sehr begeistert. Ich habe mit meinen Puppen immer Geburt „gespielt“ und war sehr fasziniert von Schwangeren. Mit ca. 14 Jahren habe ich dann mitbekommen, dass es einen Beruf zu diesem Thema gibt: Hebamme. Nach der Schule habe ich mich direkt auf das Studium beworben und bin zum Glück gleich genommen worden.

selpers: Welche Rolle spielen Hebammen heute – besonders im Spannungsfeld zwischen medizinischer Versorgung und persönlicher Begleitung?

Annemarie Kögler: Hebammen spielen eine wichtige Rolle. Sie haben eine einmalige Mischung aus medizinischer und psychosozialer Ausbildung. Ein Hauptaugenmerk im Studium liegt unter anderem auf einer gewaltfreien Kommunikation, interdisziplinärer Zusammenarbeit und Stärkung der Eigenkompetenz der zu betreuenden Frau. Das sind ganz konkrete Beispiele, die wir üben. Ein Anamnesegespräch mit einer Schwangeren zum Beispiel. Dabei achten die Dozentinnen nicht nur auf korrekte medizinische Datenerhebung, sondern auch darauf, wie empathisch und gewaltfrei die Studierenden Fragen stellen. Hebammen sind ein guter Ansprechpartner bei allen möglichen Fragen und Sorgen zu den Themen Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und erstes Babyjahr. Zu all diesen Themen sind wir ausgebildet.

Schulung Kinderwunsch bei Brustkrebs

selpers: Wie erlebst du die Betreuung von Schwangeren mit chronischen Erkrankungen – und was ist in der Begleitung besonders wichtig?

Annemarie Kögler: Ich halte eine gute Anamnese bereits in der Frühschwangerschaft für wichtig, ebenso eine gute Geburtsplanung, in die sowohl die Schwangere als auch alle mitbetreuenden Fachrichtungen eingebunden sind. Gemeinsam kann so Wichtiges entschieden werden, wie zum Beispiel die Wahl des richtigen Geburtsortes.
Ich selbst erlebe die Betreuung von Frauen mit chronischen Erkrankungen unterschiedlich. Frauen, die sich gut mit ihrer eigenen Erkrankung auskennen und selbstbewusst Möglichkeiten und Grenzen in der Geburtshilfe mit Fachpersonen diskutieren, erleben Geburten meist sehr positiv und bestärkend. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass sich Schwangere bereits im Vorfeld Gedanken darüber machen, was ihre Prioritäten sind, und gleichzeitig flexibel bleiben. Wenn die Gebärende im Kreißsaal ihre Wünsche offen kommuniziert, ist es für das geburtshilfliche Team leichter, darauf einzugehen. Schwangerschaft und Geburt sind in ihren Details nie planbar. Deswegen ist es immer gut, sich nicht zu sehr auf eine genaue Vorstellung, wie die Geburt ablaufen soll, zu versteifen.

selpers: Was können werdende Eltern selbst tun, um gut vorbereitet und möglichst selbstbestimmt in die Geburt zu gehen?

Annemarie Kögler: Sich informieren, zum Beispiel auf der Homepage des österreichischen Hebammengremiums oder auch in einem Geburtsvorbereitungskurs. Von Instagram und Co. als primäre Wissensquelle rate ich ab. Genauso wichtig ist, gut auf sich selbst zu hören. Was sagt mir mein Körper? Was brauche ich, um mich wohlzufühlen? Mein Tipp wäre, bereits in der Schwangerschaft darauf zu achten, ob ich mich gut mit den betreuenden Fachpersonen verstehe und ihnen vertrauen kann. In kaum einer anderen Zeit im Leben bekommt man so viele verschiedene Meinungen von allen möglichen Leuten, meist ungefragt, mitgeteilt, wie während der Schwangerschaft und im Wochenbett. Sich bewusst abzugrenzen, ist essenziell. Gleichzeitig ist es maßgeblich, Vertrauenspersonen zu haben, deren Tipps und Hilfe man annehmen kann.

selpers: Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es während der Schwangerschaft, wenn die gesundheitliche Situation besondere Aufmerksamkeit erfordert?

Annemarie Kögler: In vielen Großstädten gibt es in Kliniken Ambulanzen, die spezialisiert sind und an denen man als Schwangere mit chronischer Krankheit gut angebunden ist. Häufig gibt es auch Hebammenzentren, die viel mit anderen medizinischen Disziplinen zusammenarbeiten, gut vernetzt sind und im Zweifel weiterverweisen können.

Schulung Familienplanung bei Psoriasis

selpers: Was sind häufige Mythen oder Unsicherheiten rund um Schwangerschaft und Geburt, denen du begegnest?

Annemarie Kögler: Kinder kommen nicht meistens in der Nacht auf die Welt, sondern die Wehen beginnen häufig abends, wenn die Schwangere zur Ruhe kommt. Vor allem beim ersten Kind kann es dann aber erst am Tag darauf so weit sein, dass es Zeit für den Kreißsaal wird. Es fangen nur ca. ein Drittel aller Geburten mit einem Blasensprung an. Gewöhnlich beginnt eine Geburt mit Wehen, die einen langen Abstand haben, der sich im Laufe der Geburt immer mehr verkürzt.

Auch haben Kinder nicht unbedingt viele Haare, wenn die Mutter Sodbrennen in der Schwangerschaft hat, und ein spitzer Bauch bedeutet nicht, dass es ein Junge wird. 😊

selpers: Wie wichtig ist die Zeit nach der Geburt – gerade für Mütter mit chronischen Erkrankungen? Was hilft beim Ankommen im neuen Alltag?

Annemarie Kögler: Egal ob chronische Krankheit oder nicht – Wochenbett heißt WochenBETT, also viel ausruhen, um sich von der Geburt zu erholen und um sich gegenseitig gut kennen lernen zu können. Hier ist wichtig, bereits in der Schwangerschaft vorzusorgen: Kann sich der Partner/die Partnerin in der Zeit freinehmen? Gibt es ein unterstützendes Umfeld, das die Mahlzeiten kochen, im Haushalt helfen und/oder sich um Geschwisterkinder kümmern kann? Das müssen nicht unbedingt die Verwandten sein, sondern zum Beispiel auch Freunde. Vielleicht bildet sich eine „Unterstützergruppe“, die täglich abwechselnd frische Mahlzeiten vor die Türe stellt? Wichtig ist, zu kommunizieren und Grenzen zu ziehen. Diese Anfangszeit gehört nur der jungen Familie. Gut wäre es, bereits in der Schwangerschaft mit dem näheren Umfeld über die Wochenbettzeit zu sprechen und zu informieren, dass die Jungfamilie Ruhe braucht (wie viel Ruhe ist selbstverständlich von Familie zu Familie unterschiedlich und muss jedes Paar für sich selbst entscheiden). Wenn sich alle frühzeitig mit diesen Tatsachen auseinandersetzen können, kommt es zu weniger Enttäuschungen. Absolut empfehlenswert ist eine Hebamme für die Wochenbettbetreuung. Sie kommt in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt zu der Familie nach Hause, gibt Stilltipps, schaut, ob das Kind gut gedeiht, und kontrolliert den Heilungsprozess der Mutter. Frauen mit chronischen Erkrankungen finden häufig auch Tipps in Foren oder in den sozialen Medien bei Frauen, die selbst eine chronische Erkrankung haben und gerade Mutter geworden sind.

selpers: Welche Botschaft möchtest du Frauen mitgeben, die mit einer chronischen Erkrankung schwanger sind oder darüber nachdenken?

Annemarie Kögler: Schwangerschaft und Geburt sind an sich physiologische Prozesse, die der Körper kann. Der Geburtsschmerz ist der einzige Schmerz, den der Körper nicht als Warnzeichen produziert, sondern der etwas Positives bewirkt: die Geburt des eigenen Kindes. Wichtig ist, sich mit Wehenarbeit bereits in der Schwangerschaft auseinanderzusetzen.

Chronische Krankheiten können sehr unterschiedlich sein. Vielleicht gibt es eine Hebamme in der Nähe, die auf die vorliegende Krankheit spezialisiert ist? Nicht jede Hebamme kennt sich mit jeder Krankheit gut aus. Es ist empfehlenswert, sich frühzeitig in der Schwangerschaft mit der betreuenden Hebamme in Verbindung zu setzen, damit diese auch die Möglichkeit hat, sich vorbereiten zu können.

Herzlichen Dank für das Interview.

Annemarie Kögler hat Hebammenkunde in München studiert und arbeitet seit einem Jahr im Kreißsaal einer Geburtsklinik in Graz.

Interview wurde geführt von: selpers Redaktion

Bildnachweis: Annemarie Kögler