Die studierte Ökotrophologin Lisa ist 26 Jahre alt und hat vor sechs Jahren die Diagnose Colitis ulcerosa erhalten. Seit ihrer Diagnose engagiert sie sich auf Instagram, klärt über die Erkrankung auf und unterstützt andere Betroffene. Im Gastbeitrag mit selpers klärt sie über das Leben mit der Erkrankung auf und gibt hilfreiche Tipps für andere Betroffene.
Vor 6 Jahren merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Eigentlich war alles wie immer, abgesehen von dem Blut am Toilettenpapier, das von einem auf den anderen Tag da war. Natürlich hatte ich erst mal Panik, denn Blut gehört da nicht hin und beunruhigt erst mal. Glücklicherweise stellte sich beim Arzt heraus, dass es nur eine “Entzündung” des Enddarms (in der Fachsprache Proktitis) war und ich bekam Zäpfchen, mit denen die Symptome ziemlich schnell wieder verschwanden. Ich war erleichtert – nur leider ging ein paar Wochen später alles wieder von vorne los. Mit der Zeit und mit 1,2 weiteren Schüben wurde klar, dass es sich um eine chronische Entzündung handelt. Genauer gesagt eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung namens Colitis ulcerosa. Diese Erkrankung kannte ich bisher nur aus meinem Studium, aber dort hörte sie sich ganz anders an, die Symptome wurden anders beschrieben und da mir die Diagnose irgendwie so zwischen Tür und Angel mal gesagt wurde, konnte ich mich darin nicht wiederfinden. Ich hatte doch nur eine “chronische Entzündung” und keine lebenslange, unheilbare Erkrankung. Oder doch…?
Deswegen hat es einige Zeit gedauert, bis ich diese Diagnose annehmen konnte und mir eingestand, dass ich von der Erkrankung betroffen war. Einerseits war es gut, dass ich mich anfangs nicht verrückt machte und eher dachte “das ist alles halb so schlimm”. Immerhin hatte ich das Glück, nur leichte Symptome zu haben. Aber spätestens beim nächsten Schub, wo ich dann merkte, okay, diese Erkrankung ist auch weiterhin da und mir geht es jetzt doch nicht so gut wie gedacht, fiel ich in ein tiefes Loch. Die Vorstellung, dass ich immer wieder Phasen mit Beschwerden haben würde und jedes Mal Darmspiegelungen über mich ergehen lassen und Medikamente nehmen müsste, machte mich fertig. Ich erinnere mich, wie ich phasenweise nur im Bett lag und nicht mehr aufstehen wollte. Wie ich aus diesem Zustand wieder heraus kam, was mir geholfen hat und was ich in den letzten Jahren für mich gelernt habe, möchte ich mit dir teilen. Aber erst mal ist es hilfreich zu verstehen, was überhaupt bei der Erkrankung vor sich geht:
Was genau ist Colitis ulcerosa?
Colitis ulcerosa gehört zu den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, so wie auch Morbus Crohn. Sie tritt überwiegend im jungen Erwachsenenalter erstmalig auf (zwischen 20 und 30 Jahren). Wie der Name schon sagt, handelt es sich um Entzündungen des Darms (genauer gesagt der Darmschleimhaut), die oft schubweise auftreten. Meist ist der Enddarm von der Entzündung betroffen, sie kann sich im Verlauf der Erkrankung aber auch auf weitere Teile des Dickdarms ausbreiten. Wenn nur der Enddarm betroffen ist, spricht man von Proktitis ulcerosa (wie es bei mir der Fall ist). Das Hauptsymptom der Colitis ist blutiger Durchfall. Weitere Symptome sind Koliken, Übelkeit, Fieber und Gewichtsverlust. Die Ursache der Colitis ulcerosa ist noch ungeklärt. Genetische Faktoren und Umwelteinflüsse scheinen eine Rolle zu spielen. Bisher ist die Erkrankung nicht heilbar, aber durch Medikamente kann Linderung geschaffen werden. Bei gutem Ansprechen auf die Medikamente klingt die Entzündung ab, die Darmschleimhaut erholt sich und man kommt in eine Remissionsphase, also Beschwerdefreiheit. Diese versucht man, so lange wie möglich zu erhalten.
Was mir im Umgang mit der Colitis hilft
Ich möchte dir ein paar Tipps mitgeben, die mir persönlich sehr im Umgang mit der Erkrankung helfen.
- Selbstfürsorge und Selbstverantwortung groß schreiben
Was ich in all den Jahren mit der Colitis an erster Stelle gelernt habe, ist, dass mein Körper das höchste Gut ist und ich ihn auch so behandeln sollte. Aber auch um meine Psyche muss ich mich gleichermaßen kümmern, denn irgendwie hängt ja alles auch zusammen (das merke ich bei mir besonders bei Nervosität, wenn dann Magen und Darm verrückt spielen). Mir wurde klar, dass ich mich selbst oft nicht wie eine Freundin behandelte, sondern eher wie einen mehr oder weniger ungebetenen Gast. Wie jemand, der einfach da ist, aber dessen Bedürfnisse ich oft gar nicht hörte oder beachtete. Und nicht immer so liebevoll behandelte. Viele kennen das bestimmt, es ist erschreckend, wie streng man mit sich selbst reden kann, wenn man mal etwas nicht schafft oder die eigenen Ansprüche nicht erfüllen kann. Würde man so mit einem Freund/ einer Freundin reden?
Selbstfürsorge und Selbstverantwortung- das sind Dinge, die ich erst in den letzten Jahren gelernt habe und an denen ich immer noch viel arbeite. Ich finde es so wichtig zu verstehen, dass man selbst die größte Verantwortung für sich trägt. Keine Ärzt*innen, keine Angehörigen und keine Therapeut*innen. Auch wenn das alles Personen sind, die unterstützen können und deren Begleitung extrem wertvoll sind. Aber kein*e Außenstehende*r kann in dich reinfühlen und genau wissen, was du gerade brauchst. Und die Entscheidungen musst du in erster Linie selbst treffen. Egal ob es darum geht, sich Pausen zu gönnen, wenn man erschöpft ist, das Treffen mit Freund*innen abzusagen, weil man gerade Beschwerden hat oder sich Hilfe zu suchen, wenn man sie benötigt.
- Akzeptanz der Erkrankung
Nur wenn man die Erkrankung akzeptiert, kann man in Frieden damit leben. Verstehe mich nicht falsch: Es ist durchaus berechtigt (und auch wichtig) traurig zu sein, das alles blöd zu finden und Tage zu haben, wo man die Krankheit verflucht und einfach keine Lust mehr hat. Jedoch glaube ich, dass es wichtig ist, zu akzeptieren, dass man von der Krankheit betroffen ist, um nicht ständig das Gefühl zu haben, gegen den eigenen Körper ankämpfen zu müssen. Oder das Ganze zu verdrängen, weil man es nicht wahrhaben will. Denn wenn Zeiten kommen, in denen es einem schlechter geht, kann man es nicht mehr ausblenden und muss sich der Realität stellen. Ich denke, es ist super, nicht Tag und Nacht daran zu denken, dass man chronisch erkrankt ist. Es ist wundervoll, wenn es dir soweit gut geht, dass du das auch mal ausblenden kannst und einfach dein Leben genießen kannst. Aber ich finde es sehr wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Eine Krankheit zu akzeptieren, das ist nicht leicht und passiert nicht über Nacht, sondern ist ein stetiger Prozess. Aber es lohnt sich.
- Dankbarkeit
Was mir auf jeden Fall sehr hilft, ist den Blick auf Dinge zu richten, für die ich dankbar bin. Eine chronische Erkrankung zu haben, ist nicht schön, da sind wir uns denke ich einig. Jede*r von uns könnte wahrscheinlich getrost darauf verzichten und besonders, wenn es uns nicht gut geht, fällt es oft schwer, die schönen Dinge im Leben zu sehen. Was mir persönlich sehr hilft, ist die Überzeugung, dass diese Dinge trotzdem da sind! Und dabei kann es sich um “banale” Kleinigkeiten handeln, wie jeden Morgen aufwachen zu dürfen, Vögel draußen zwitschern zu hören, Musik zu hören, mit einem lieben Menschen zu sprechen, eine Tasse vom Lieblingstee zu trinken…
Vielleicht kennst du das, dass man nach einer harten Zeit vermeintlich selbstverständliche Dinge auf einmal viel mehr schätzt, weil sie eben nicht immer selbstverständlich waren. Egal ob das bedeutet, schmerzfrei zu sein, weniger häufig auf Toilette zu müssen, einfach mal durchatmen zu können. So können wir uns auch antrainieren, diese Dinge generell zu sehen und zu schätzen. Mein Tipp: Probiere es mal mit einem Dankbarkeitsbuch bzw. einfach einem kleinen Notizbuch, in das jeden Abend drei Dinge schreibst, wofür du dankbar bist. Wenn du das zu deiner Routine machst, kannst du mal beobachten, ob sich etwas an deiner allgemeinen Zufriedenheit ändert und du vielleicht im Alltag viel achtsamer bist. Und man findet immer etwas, was man aufschreiben kann. Auch wenn der Tag total blöd war und man im ersten Moment gar nicht weiß, wofür man überhaupt dankbar sein soll.
- Auch die negativen Gefühle zulassen
Genauso wichtig wie die Dankbarkeit ist es meiner Meinung nach, zuzulassen, wenn es einem schlecht geht. Wie schon erwähnt, bringt es nichts, die negativen Gefühle und Gedanken zu verdrängen, denn nur weil man sie verdrängt, sind sie nicht weg. Sie kommen wieder und im schlimmsten Fall bauen sie sich sogar auf und werden immer schlimmer und treffen dich dann auf einmal so richtig. Statt sie also zu verdrängen oder zu bewerten, können wir versuchen, sie zu akzeptieren. Sie gehören, genauso wie die Erkrankung selbst, zu uns. Und wenn wir sie als einen Teil von aus annehmen, können wir sie auch wieder loslassen und umso gestärkter nach vorne blicken. Und ganz ehrlich, es ist nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen und “wir können alle so toll damit umgehen und sind so positiv”. Nein, das ist nicht menschlich. Zum Umgang mit einer Erkrankung gehören Höhen und Tiefen, so wie mit allem im Leben.
- Ein positives Umfeld
Wie du dich selbst behandelst, spielt eine große Rolle und genauso ist es wichtig zu schauen, mit welchen Menschen du dich umgibst. Als chronisch kranke Person hat man meistens schon genug, womit man tagtäglich kämpfen muss. Da braucht man wirklich nicht noch Menschen, die dich runterziehen oder dir ein schlechtes Gefühl geben, wenn du dich mit ihnen umgibst. Vielleicht kannst du die Erkrankung als Anlass nehmen, wirklich mal zu überlegen, wen du gerne in deinem Leben hast und ob es vielleicht Menschen in deinem Leben gibt, bei denen du schon länger ein ungutes Gefühl hast oder bei denen du dich fragst, ob du diese Beziehung aufrechterhalten willst.
Verständnis für eine chronisch kranke Person im Umfeld aufzubringen, das kann nicht jede*r. Und das ist auch okay, aber vielleicht hat diese Person dann einfach nichts in deinem Leben zu suchen. Es ist nicht leicht, in seinem Umfeld “auszusortieren”, aber denk dran: Du bist die wichtigste Person für dich selbst!
- Alles braucht seine Zeit
Und zu guter Letzt: Gib dir Zeit. Keine Veränderung passiert über Nacht und jede*r hat seinen eigenen Rhythmus und seine eigene Weise, um Dinge zu verarbeiten, sich zu informieren, über Probleme zu sprechen, herauszufinden was einem gut tut etc. Versuche, dir alle Zeit der Welt zu geben, denn das hast du absolut verdient. Und wenn du merkst, dass du alleine nicht klarkommst, dann scheue dich nicht, Hilfe zu suchen: Egal ob in Form von Psychotherapeut*in, Selbsthilfegruppe, familiäre Unterstützung oder Austausch mit anderen Betroffenen auf Social Media. Niemand muss alleine so etwas durchstehen.
Experten-Sprechstunde „Coronavirus und chronisch entzündliche Darmerkrankungen“