Transkript

Einführung

Das multiple Myelom ist eine sehr schillernde Erkrankung und viele Patienten mit dieser Diagnose werden zufällig der Diagnose zugeführt, indem bei einer Routineuntersuchung ein auffälliges Bild gefunden wird. Beim Großteil der PatientInnen treten jedoch bereits vor Diagnosestellung Symptome auf. Dazu gehören vor allem Schmerzen im Bereich der unteren Wirbelsäule oder im Beckenbereich; Müdigkeit und Schwäche finden sich gelegentlich.

Das Infektionsrisiko ist auch erhöht. 50 % der PatientInnen haben schon vor der Diagnose ein erhöhtes Infektionsrisiko. Es kommt außerdem bei manchen Menschen zu einer Nierenfunktionseinschränkung, diese kann dann zur Diagnose multiples Myelom führen.

Selten passiert es auch, dass Knochenbrüche oder Rückenmarkskompressionen zu einer Diagnose führen, vor allem, wenn PatientInnen schon vorher Beschwerden hatten. Gewichtsverlust und Nachtschweiß kommen auch vor. Zusätzlich gab es früher Symptome durch erhöhte Eiweißproduktion, was jetzt kaum mehr vorkommt.

Die drei Säulen des multiplen Myeloms

Die Diagnose der Erkrankung besteht aus drei Säulen – einerseits geht es darum, die Myelomzellen (bösartig veränderte Plasmazellen) nachzuweisen, was durch eine Knochenmarksuntersuchung gemacht wird. Zweitens möchte man das abnorme Paraprotein (auch M-Komponente oder M-Spike genannt) feststellen und drittens gibt es bei etwa 80% der PatientInnen bereits vor Diagnosestellung myelomtypische Skelettveränderungen wie zum Beispiel im Schädel, in der Wirbelsäule oder im langen Röhrenknochen. Im Anschluss werden eine Blutuntersuchung, eine Harnuntersuchung und bildgebende Untersuchungen wie ein Ganzkörper-CT, ein Ganzkörper-MR oder ein PET-CT durchgeführt. Darüber hinaus untersucht man das Knochenmark auf die Infiltrationsdichte (Anzahl der Plasmazellen im Verhältnis zur gesamten Zellzahl) und untersucht die Myelomzellen genetisch. Das genetische Untersuchen der Myelomzellen erfolgt mit einer FISH-Untersuchung – hier kann man sehen, dass die Zeit von den ersten Symptomen bis hin zur Diagnose stark schwanken kann, was in Extremfällen sogar ein Jahr oder länger dauern kann. Das ist vor allem bei Personen der Fall, die ein kleines bzw. einen Leichtkettenparaprotein haben oder in anderen Fällen gar kein Paraprotein haben, sodass man aufgrund der Bildgebung von der Gesamtsituation der Blutbefunde auf das Myelom schließen muss. Das kann oft erst dann erfolgen, wenn sich der Patient bei einem/einer Facharzt/Fachärztin vorstellt. Bei einer Elektrophorese ist die M-Komponente hoch, wenn Paraprotein vorhanden ist, welches von den Myelomzellen gebildet wird – wenn diese dann zytogenetisch untersucht werden, kann etwas bei den Chromosomen fehlen. Man spricht in diesem Fall von einer Deletion 17p. Es gibt auch die Trisomie (das Vorliegen von drei Chromosomen), die sich in einer Gruppe befinden. Skelettläsionen befinden sich vor allem in der unteren Wirbelsäule, aber auch in der Lendenwirbelsäule, im Becken oder in der Schädelkalotte. Seltener auch in den langen Röhrenknochen.

Die Hauptsymptome, die zur Diagnose führen, sind Knochenschmerzen und seltener pathologische Frakturen, Hypercalcämie oder eine Rückenmarkskompression. Zur Stellung der Diagnose gibt es ein konventionelles und drei moderne Bildgebungsverfahren: das konventionelle Röntgen, das aber bei der Untersuchung des Schädels sehr sensitiv ist und Knochenveränderungen im Schädel sehr gut nachweisen kann. Außerdem können Knochenbrüche mit dem Röntgen gut dargestellt werden. Alle anderen Myelom- bzw. Skelettveränderungen werden durch die anderen drei Verfahren besser dargestellt. Hier gibt es den Low-Dose-CT, den Ganzkörper-MRI und den PET-CT. Beim Low-Dose-CT kann man nicht nur Läsionen im Skelett nachweisen, sondern auch, wie diese in die Weichteile hineinwachsen. Das Ganzkörper-MRI bietet sehr gute Informationen über die diffuse Infiltration der Wirbelsäule und der PET-CT zeigt mithilfe von hellen, roten Bereichen an, wenn Veränderungen vorliegen. Bei einem negativen Wert muss man hierbei aufpassen, da PatientInnen vielleicht einen Mangel an einem Enzym, welches die Glucose verwertet, hat. Dann kommt es nicht zu positiven Befunden und der/die PatientIn bleibt trotz einer Myelonläsion negativ. Die Behandlung eines/einer PatientIin mit multiplem Myelom erfolgt mit einer konventionellen Chemotherapie, mit einer Stammzelltransplantation, mit immunmodulierenden Substanzen, mit Antikörpern oder mit zellulären Immuntherapien, die jetzt langsam in den Vordergrund rücken. Weiters wird die Strahlentherapie angewendet – diese ist eine gute Methode, um lokale Schmerzen rasch zu lindern. Außerdem werden orthopädische Interventionen benötigt, wenn Frakturen oder Dislokationen an langen Röhrenknochen vorhanden sind, welche dann korrigiert und neu eingestellt werden müssen. Ansonsten sollte man sich mit einer Operation zurückhalten.

Therapiemöglichkeiten

Der Therapiealgorithmus ist seit Jahren gleich geblieben. Die PatientInnen, die fit genug sind, sollen einer Hochdosistherapie und einer Transplantation unterzogen werden. Das sind PatientInnen im Alter bis 70+ mit einer normalen Organfunktion und erfolgreicher Stammzellsammlung (zusätzlich wird die Präferenz des*der Patient*in miteinbezogen). PatientInnen, die dafür nicht geeignet sind, werden mit der konventionellen Chemotherapie behandelt (wenn keine Stammzellen verfügbar sind und eine Multimorbidität besteht).

In den letzten sechs Jahren wurden viele neue Medikamente entwickelt, welche ihren Nutzen in großen Studien unter Beweis stellten. Dazu gehören Panobinostat, Carfilzomib, Ixazomib, Elotuzumab, Daratumumab, Isatuximab, Belantamab, Selinexor und zelluläre Therapien. Diese stellen eine unglaubliche Bereicherung der Therapiemöglichkeiten dar. In den letzten Jahren wurden auch große Fortschritte in Bezug auf die Verlängerung der Überlebenszeit gemacht. Bei älteren, nicht transplantierten PatientInnen wurde die Überlebenszeit durch Daratumumab signifikant verlängert und bei jüngeren und transplantierten PatientInnen (speziell mit Hochrisiko) stieg bei einer Doppeltransplantation die Überlebenszeit ebenso. Bei älteren PatientInnen wurde außerdem die Überlebenszeit durch VRD im Vergleich zu RD verbessert wurde – ebendas wurde durch die Zugabe von Daratumumab zu VMP und RD erreicht. Somit entsteht durch die neue Antikörpertherapie eine Verbesserung der Überlebenszeit. Nach einer Transplantation ist heute die Erhaltungstherapie mit Revlimid Standard, dadurch verbessert sich das progressionsfreie Überleben und darüber hinaus das Gesamtüberleben (um 2,5 Jahre). Diese Erhaltungstherapie mit Revlimid wird aber nun in Frage gestellt, da die neue Erhaltungstherapie mit Daratumumab und anderen neuen Medikamenten in Studien sehr gut wirkt, sodass man in Zukunft eine Kombination aus unterschiedlichen Wirkstoffen andenken könnte. Was man heute durch die modernen Therapien (insbesondere durch die Zugabe von monochronalen Antikörpern) erreichen kann, ist außerdem eine deutliche Verbesserung der Ansprechtiefe und diese korreliert mit der Wahrscheinlichkeit zu überleben.

Diese Erfolge können auch über zwölf Monate und länger aufrechterhalten werden, das heißt, dass Personen mit dieser Therapieform mit besonders guten Ergebnissen rechnen können. Die Erkrankung rezidiviert bei einem Großteil der PatientInnen nach mehr oder weniger langer Zeit. Etwa 15% der Patienten (insbesondere junge und Gutrisikopatient*innen) können bereits heute mit den verfügbaren Therapien geheilt werden. Wenn das nicht der Fall ist und ein Rezidiv kommt, muss eine neue Behandlung begonnen werden und bezieht in die Überlegung verschiedene Informationen wie Alter, Fitness, Komorbiditäten, Aggressivität der Erkrankung und Ansprechen auf vorherige Therapien des/der PatientIn mit ein. Es gibt in Österreich viele Behandlungsmöglichkeiten nach einer Erstlinientherapie, um eine adäquate Zweitlinientherapie individuell auswählen zu können.

In der Anwendung gibt es viele Neuerungen, vor allem in Bezug auf Antikörper. Wie funktionieren diese? Wenn man Myelomzellen hat, hat man an der Oberfläche bestimmte Eiweißkörper oder Strukturen, die im Vergleich zu normalen Plasmazellen verstärkt ausgebildet sind. Eine diese Strukturen heißt BCMA; man kann heutzutage im Labor Antikörper entwickeln, die diese Strukturen erkennen und sich daran binden können, in die Myelomzelle aufgenommen werden und durch ihr Toxin den Zelltod der Myelomzelle auslösen. Darüber hinaus gibt es noch andere Möglichkeiten, dieses Konjugat zu hemmen; einerseits direkt über BCMA-Moleküle und andererseits durch die Heranziehung anderer Immuneffektorzellen. Das führt bei umfangreich vorbehandelten Personen zu guten Revisionen, allerdings kann PatientInnen dadurch eine gewisse Augentoxizität betreffen, dann muss man mit der Dosis zurückgehen oder die Intervalle verstärken. Eine neue Therapie, die in Europa schon zugelassen ist, bei der das Präparat aber noch nicht eingelangt ist, ist Selinexor. Das ist ein Medikament, das den Transport von Proteinen aus dem Zellkern unterbindet und das führt dazu, dass Tumorsuppressorproteine im Zellkern bleiben, dass der Glukokortikoidrezeptor aktiv bleibt und dass nach außen hin keine Onkogene transportiert werden können. Solche Vortherapien bringen fantastische Ergebnisse (Response: 40%). Zusätzlich neu ist die sogenannte CAR-T-Zelltherapie. Diese wird uns die nächsten Jahre und Jahrzehnte begleiten. Man entnimmt dabei T-Zellen des/der PatientIn. Diese werden dann in größerem Maße über einen Zellseparator in einem Blutbeutel gewonnen. Dann werden die Zellen isoliert und so genetisch verändert, dass der T-Zelle mithilfe eines Gens das Erkennen der Myelomzellen erleichtert wird. Nach dieser genetischen Veränderung werden die T-Zellen vermehrt und dann dem/der PatientIn etwa 1.000.000 T-Zellen pro Kilogramm zurück infusiert. Diese Therapie führt dann oft zu erstaunlichen Ergebnissen. Laut einer Studie haben auf diese Therapie fast alle angesprochen und bei vielen PatientInnen kommt es außerdem zum Krankheitsstillstand. Die Forschung verläuft auf diesem Gebiet sehr gut und es ist zu erwarten, dass wir hier noch mit weiteren Verbesserungen rechnen können. Diese vielen Möglichkeiten werden hoffentlich in Zukunft auch dazu führen, dass die Erkrankung bei PatientInnen mit multiplem Myelom noch besser als heute kontrolliert werden kann.

Publikumsfragen

Wie sinnvoll sind mRNA-Impfstoffe?

Es gibt mehrere mRNA-Impfstoffe, die jetzt für die Coronaimpfung herangezogen werden und sehr erfolgreich sind. Diese Impfstoffe wurden deshalb so schnell entwickelt, weil man sich schon vorher überlegt hat, ob man mit diesem technischen Prinzip nicht Impfstoffe für Patient*innen gegen Tumorantigene entwickeln könnte; das war das primäre Ziel. Klinische Studien werden folgen und wir werden sehen, ob man damit die Therapielandschaft deutlich verbessern kann. Wenn PatientInnen das erste Mal eine Tumorreduktion erfahren haben, dann könnten solche Impfstoffe für die Erhaltungstherapie sehr wertvoll sein.

AL-Amyloidose: Wie hoch ist das Risiko und kann ich mich vor dieser Erkrankung schützen?

Es erkranken in Österreich etwa zehn Menschen pro Million Einwohner an dieser Erkrankung. Wir können uns davor nicht mit gewissen Maßnahmen schützen außer mit den Empfehlungen, die sowieso für ein gesundes Leben bestehen und für uns alle relevant sind. Es gibt jedoch keinen spezifischen Schutz gegenüber diesem sehr geringen Risiko, eine Amyloidose zu entwickeln.

Welche Erhaltungstherapien gibt es in Zukunft?

Erhaltungstherapien werden in Zukunft stark weiterentwickelt werden, vor allem in Form von Kombinationen mit Proteasominhibitoren wie Ixaxomib und ähnlichem. Vor allem bei Hochrisikopatienten sind solche Kombinationen anzudenken – neue Studien zeigen, dass Daratumumab vor allem der Erhaltungstherapie sehr wirksam sein kann.

Ich entwickle durch die Therapie Hautausschläge. Was ist der Grund dafür?

Proteasominhibitoren reduzieren die Fähigkeit des Abwehrsystems Viren, die wir an uns tragen (wie z.B. Herpes zoster), in Schach zu halten. Es kann zu Reaktivierungen kommen, ohne, dass der Patient Bläschen hat, aber eine gerötete Haut aufweist. Dann müsste auf jeden Fall ein Antivirusmittel genommen werden, möglicherweise auch in einer höheren Dosierung, um dies zu vermeiden. Es kann aber natürlich auch andere Gründe für einen Hautausschlag geben, die dann auch anders behandelt werden müssen. Diese kann man oft mit Kortisonsalben gut in den Griff kriegen. Wenn ein Patient einen hohen PTH-Spiegel (Parathormonspiegel) hat, ist in der Zirkulation zu wenig Calcium vorhanden, was unterschiedliche Gründe haben kann. Es kann z.B. eine Nierenfunktionsstörung vorliegen oder der Vitamin-D-Spiegel zu niedrig sein, was man aber mit Tropfen substituieren kann – und in Extremfällen auch indizieren kann.

Wie unterscheidet sich die Therapie in der Erstlinie von der Behandlungsstrategie beim Rezidiv?

In der Erstlinie muss das beste Therapieregime, dass einem Zentrum zur Verfügung steht, eingesetzt werden – denn Sie wollen den Krieg und nicht nur die Schlacht gewinnen (Sie wollen das Rezidiv verhindern). Welche Therapie dann genau für welche/n PatientIn verwendet wird, muss individuell abgeklärt werden. Faktoren sind das Alter und die Fitness des/der PatientIn und ob eine Transplantation möglich ist oder nicht.

Ich möchte meinen Beitrag mit den Worten beenden, dass PatientInneninformation ganz wichtig ist, um sich in schwierigen Situationen besser zurechtfinden zu können. Sie können dann auch besser entscheiden, ob Sie sofort ins Krankenhaus müssen – dieses Wissen kann viele Ängste nehmen. Sie sehen, dass sich durch die modernen Therapien sehr viel machen lässt; die Situation kann dadurch bei den allermeisten Patient*innen verbessert werden – ich wünsche Ihnen alles Gute.

Multiples Myelom – Diagnostik und Therapie

22.10.2021 | 15.20 – 15.50 Uhr

In diesem Vortrag klärt Univ.-Prof. Dr. Heinz Ludwig, emeritierter Vorstand der I. Medizinischen Abteilung für Onkologie und Hämatologie am Wilhelminenspital Wien, über die neuesten Erkenntnisse zu Diagnostik und Therapiemöglichkeiten des Multiplen Myeloms auf. Am Ende des Vortrags wird er auf die Publikumsfragen eingehen.

Bei technischen Fragen oder Problemen während der Veranstaltung schreiben Sie eine E-Mail an live@selpers.com

Vortragender

Dr.in Susan Halimeh

Univ.-Prof. Dr.

Heinz Ludwig

Prof. Dr. Heinz Ludwig ist Professor für Innere Medizin mit Spezialiserung in Hämatologie und medizinischer Onkologie. Er ist Direktor des Wilhelminen Krebsforschungsinstituts und emeritierter Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung, Zentrum für Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin an der Klinik Ottakring in Wien. Sein Forschungsschwerpunkt betrifft die Untersuchung von pathophysiologischen und klinischen Aspekten des Multiplen Myeloms, der Entwicklung von neuen anti-Tumor Medikamenten und der Evaluierung neuer Therapieansätze. Die Kontaktdaten und alle Informationen zusammengefasst finden Sie hier als PDF zum Download. 

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