Mehr als Pflege: Wie Community Nurses den Alltag erleichtern
Community Nursing ist ein neues und vielversprechendes Konzept in der Pflege, das sich auf
Gesundheitsförderung, Prävention und Unterstützung im häuslichen Umfeld spezialisiert. In
diesem Interview gibt Barbara Willesberger, eine selbständige Community Nurse, Einblicke in ihre
Aufgaben, die Zielgruppen und die Zusammenarbeit mit anderen Akteur:innen des
Gesundheitswesens.
selpers: Was genau ist Community Nursing, und wie unterscheidet es sich von der Pflege im Krankenhaus?
Barbara Willesberger:Mit dem Community Nursing (CN) hat sich ein Arbeitsfeld im Pflegeberuf eröffnet, das bisher in Österreich unbekannt war. Für die „Pflege im Krankenhaus“ stehen akute pflegerische und medizinische Tätigkeiten im Vordergrund, wie etwa der Verbandwechsel, Wundpflege, Verabreichung von Medikamenten, Blutdruck- und Blutzuckermessung, Unterstützung in allen Selbstfürsorgedefiziten. Im Vergleich dazu stellt das Community Nursing die Gesundheitsförderung der Bevölkerung in den Vordergrund. Die Maßnahmen der Community Nurses zielen darauf ab, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu fördern.
selpers: Welche Aufgaben übernehmen Community Nurses, wenn sie Patient:innen zuhause betreuen?
Barbara Willesberger: Community Nurses begleiten in erster Linie Klient:innen, da nicht alle automatisch Patient:innen sind. Community Nurses sind kommunale Ansprechpersonen zum Thema Gesundheit und Pflege. Sie arbeiten auf drei Ebenen. Auf der Fallebene führen sie präventive Besuche im häuslichen Umfeld durch, bieten Beratung und Anleitung an. Sie analysieren dabei vorbeugend den aktuellen Gesundheitszustand von Einzelpersonen und Familien. Falls gesundheitliche Einschränkungen bestehen, die Betreuung und Pflege fordern, identifizieren sie den individuellen Unterstützungsbedarf und leiten Klient:innen bzw. deren An- und Zugehörige an, diesen selbständig bewältigen zu können. Ist dies nicht möglich, organisieren bzw. empfehlen sie ergänzende Hilfsangebote. Auf der Gruppenebene versuchen sie unter anderem bestehende gesundheitsförderliche Angebote im Hinblick auf die Bedarfe der Region zu initiieren. Auf der System- und Gemeindeebene versuchen sie die Vernetzung voranzutreiben, welche die Gesundheit der Bevölkerung stärkt.
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selpers: Für welche Patient:innen ist Community Nursing besonders geeignet, und wie können Angehörige davon profitieren?
Barbara Willesberger: In den EU-geförderten Community Nursing Pilotprojekten gilt das Public Health Intervention Wheel als theoretische Grundlage. Alle Projekte hatten als primäre Zielgruppe „Über-75-Jährige“ und pflegende Angehörige, konnten jedoch die Zielgruppe beliebig nach Bedarf der Region erweitern.
Grundsätzlich gilt, dass Gesundheitsförderung und Prävention durch Community Nurses für alle Menschen vorteilhaft ist. Die An- und Zugehörigen werden z.B. entlastet indem sie fachliche Informationen erhalten und Sorgen teilen können. Sie werden in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt und dadurch wird die Lebensqualität aller beteiligten Personen verbessert.
selpers: Wie kann man eine Community Nurse in Anspruch nehmen, und wer übernimmt die Kosten?
Barbara Willesberger: Die CN’s werden aktiv von der Bevölkerung in den 116 Projektregionen in Österreich kontaktiert oder nach Terminvereinbarung durch die CN zu Hause besucht. Dazu bieten die Dipl. Gesundheits- und Krankenpflegepersonen bedarfsorientierte Angebote wie Sprechstunden, Vorträge und Workshops die kostenfrei wahrgenommen werden können. Finanziert von der Europäischen Kommission im Rahmen des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans (kurz RRF) ist das Projekt auf 3 Jahre begrenzt. Die Gelder ergehen vom Bund über die Länder an die teilnehmenden Projektregionen, woraus Personal- und Sachkosten beglichen werden.
selpers: Wie unterstützen Community Nurses bei der langfristigen Versorgung chronisch kranker Menschen?
Barbara Willesberger: Durch die vielfältigen, einladenden und aufsuchenden Angebote stärken die diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger:innen die Gesundheitskompetenz dieser Menschen: Bedarfe werden erhoben, Risiken erkannt und reduziert, Chancen aufgezeigt, Informationen übermittelt. Betroffene berichten, dass sie deshalb bessere Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen können, da der Umgang mit der chronischen Erkrankung im individuellen Alltag wird gestärkt.
selpers: Welche Rolle spielen Community Nurses bei der Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft und anderen Gesundheitsdienstleistern?
Barbara Willesberger: Community Nurses spielen eine Schlüsselrolle in der Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft und anderen Gesundheitsdienstleistern, da sie die Klient:innen und ihre Bedürfnisse oft am besten kennen. Durch ihre Begleitung erkennen sie frühzeitig Veränderungen im Gesundheitszustand und können einschätzen, wann ein Arztbesuch oder eine medizinische Intervention notwendig ist. Sie fungieren als Sprachrohr für Pflegebedürftige und ihre Familien, indem sie deren Bedürfnisse und Sorgen klar und verständlich an die zuständigen Stellen weitergeben. Diese wertvolle Perspektive hilft Ärzt:innen und anderen Stakeholdern, fundierte Entscheidungen zu treffen, die direkt auf die Verbesserung der Gesundheitsversorgung abzielen.
Community Nurses liefern durch ihre Beobachtungen und mit den Klient:innen abgestimmten Rückmeldungen wichtige Daten und Einblicke, die nicht nur individuell, sondern auch auf systemischer Ebene genutzt werden können, um die Versorgung der Bevölkerung gezielt zu optimieren.
Herzlichen Dank für das Interview!
Barbara Willesberger
Barbara Willesberger ist freiberufliche Dipl. Gesundheits- und Krankenpflegerin, stellvertr. Vorsitzende der BAG Freiberufliche Pflege des ÖGKV, Pflegegeldbegutachterin und Community Nurse im südlichen Niederösterreich, mit eigener Pflegepraxis. Seit November 2024 spricht sie in ihrem Podcast „PflegeLEICHT!“ über Themen der häuslichen Pflege und bietet damit eine echte Hilfestellung für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige.