Von der Psychologin zur Patientin: 15 Tipps für bessere Arztgespräche nach der Krebsdiagnose
Tage der Veränderung oder ein Blitz aus heiterem Himmel
Ich habe viele Jahre als Psychologin in der Kinderonkologie gearbeitet und dachte, dass mich nichts mehr umhaut. Bis vor 10 Jahren die eigene Brustkrebsdiagnose mein gesamtes Leben veränderte. Schock, Angst, Ungewissheit und Hilflosigkeit bestimmten auf einmal mein Leben und das meiner Familie. Das psychologische Wissen zur Be- und Verarbeitung einer schweren Erkrankung war wie weggeblasen. Jetzt war ich plötzlich die Patientin und brauchte Hilfe. Es war für mich anfangs sehr belastend und unverständlich, nicht mehr die Expertin zu sein. Ich fühlte mich persönlich herabgesetzt und es dauerte einige Zeit, bis mein Selbstbewusstsein, die grundpositive Einstellung und die Lust zu Kämpfen kamen.
Die Unterstützung meiner Familie, meiner Freund:innen und Arbeitskolleg:innen halfen mir sehr. Aber ich hatte große Ängste vor dem Diagnose– und Behandlungsgespräch. Würden die richtigen Worte, Fragen und Antworten kommen? Als mich meine dreizehnjährige Tochter Anna fragte, ob ich jetzt sterben müsse, war ich schockiert. Was sollte ich ihr antworten? Plötzlich war mir klar, dass ich mich sowohl mit der Führung von Gesprächen in der Familie als auch mit dem Behandlungsteam auseinandersetzen musste.
Die letzten Jahre habe ich mich intensiv mit Kommunikation und Gesprächsführung in belastenden Situationen beschäftigt. Für mich Hilfreiches möchte ich in diesem Text nun für andere Betroffene zusammenfassen und aufschreiben.
15 Tipps für Arztgespräche
Ein gutes Arztgespräch braucht in allen Stadien eine Vorbereitung. Zum Gespräch eine zweite Person mitzunehmen war für mich immer sehr hilfreich und unterstützend. Die meisten Menschen – mich eingeschlossen – nehmen in belastenden Gesprächen nur fünf bis zehn Prozent der Inhalte wahr.
Ich hatte eine enge Freundin, die auch Krankenschwester war, mitgenommen. Mein Ehemann war zur Zeit der Erstdiagnose zu betroffen. Und mich selbst blockierten meine Angst vor dem Unbekannten, den Schmerzen und Verlusten massiv. Meine Freundin unterstützte mich, wenn ich überfordert und in Gedanken verloren war. Sie fragte nach, wenn sie merkte, dass meine Betroffenheit überhand nahm, machte Notizen und hielt oft meine Hand.
Mich selbst immer wieder neu zu organisieren war hilfreich. Ich überlegte mir Punkte, vor, während und nach dem Arztgespräch:
Vor dem Arztgespräch
- Schreiben Sie Symptome und Beschwerden auf (wann, wo, wie lange etc.).
- Denken Sie nach und schreiben Sie auf, in welchen Situationen die Beschwerden besser oder schlechter werden.
- Was wollen Sie wissen? Schreiben Sie Ihre Fragen auf.
- Bereiten Sie vorhandene Arztbriefe, Unterlagen, Befunde, Impfpass, Informationen zu eventuellen Vorerkrankungen etc. vor.
Das Arztgespräch
- Versuchen Sie offen zu reden und lassen Sie sich von Ihrer Begleitperson helfen.
- Bitten Sie den Arzt /die Ärztin um Offenheit, Ehrlichkeit und Zeit.
- Beschreiben Sie Ihre Beschwerden sachlich und ehrlich, auch wenn es unangenehm ist („Seit zwei Monaten habe ich starke unkontrollierbare Durchfälle“)
- Fragen Sie immer gleich nach, wenn etwas unklar ist („Könnten Sie mir das bitte nochmals erklären?“ oder „Was bedeutet das für mich?“).
- Bitten Sie um eine Pause, wenn Sie sich überfordert fühlen oder Zeit zum Nachdenken brauchen.
- Bitten Sie Ihre Begleitung wichtige Punkte wie zum Beispiel Informationen zur Diagnose, Medikamente, Vorgehen, Zeitplan etc. zu notieren.
- Wiederholen und fassen Sie, oder Ihre Begleitperson, Entscheidungen bezüglich Behandlung, Vorgehen und Zeitplan zusammen. („Habe ich Sie richtig verstanden, in einer Woche…?“)
- Haken Sie nach und stellen Sie Fragen wie:
- „Was sind Vorteile oder Nachteile dieser Behandlung?“
- „Gibt es Alternativen?“
- „Was passiert, wenn ich die Therapie nicht oder später mache?“
- „Was halten Sie von komplementärmedizinischen Möglichkeiten“
- „Wo gibt es Hilfen (bzgl. Arbeit, Krankenstand, finanzielle Hilfen)?“
Nach dem Arztgespräch
- Gehen Sie nach Hause und versuchen Sie abzuschalten. Hilfreich für mich waren Spaziergänge in der Natur und meine Lieblingsmusik zu hören.
- Fassen Sie am nächsten Tag das Gehörte zusammen und sprechen Sie mit Ihrer Begleitung darüber. Schreiben Sie Unklarheiten auf und besprechen Sie diese beim Folgetermin.
- Denken Sie nach, wie Sie über das Gehörte mit Ihrer Familie reden. Offenheit und Ehrlichkeit war für mich immer wichtig und hilfreich.
Die Krebserkrankung löste bei mir massive Gefühlsreaktionen aus. Ich habe erkannt, dass diese Erkrankung ängstlich, traurig, aggressiv und wütend machen kann – und darf. Unterstützung von meiner Familie, meinen Freund:innen und Ärzt:innen anzunehmen musste ich erst lernen, aber letztendlich war genau das am hilfreichsten.
Die Psychologin, Psychotherapeutin und Palliativexpertin Ursula Brandstetter war 47 Jahre alt als sie erfuhr, dass sie metastasierten Brustkrebs hat. Zwei Jahre später wurde zusätzlich Hautkrebs diagnostiziert. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern. Viele Jahre arbeitete sie im Krankenhaus Dornbirn auf der Kinderstation. Seit gut 10 Jahren lebt sie mit der schweren Krebserkrankung und den damit verbundenen Herausforderungen ein erfülltes Leben.
Autorin: Ursula Brandstetter
Bildnachweis: Ursula Brandstetter