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World Sight Day – Susanne Breitwieser im Gespräch

Der 12. Oktober ist der Welttag des Sehens. Ein wichtiger Tag, um Menschen mit altersbedingten Augenerkrankungen in den Mittelpunkt zu stellen, für die sich in unserer Gesellschaft noch vieles verbessern muss. Altersbedingte Augenerkrankungen, wie etwa die Makuladegeneration oder der graue Star, nehmen aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung zu. Auch Susanne Breitwieser war nicht von Geburt an blind. Eine unheilbare Augenerkrankung, die in ihren Zwanzigern diagnostiziert wurde, führte über Jahre hinweg zum Sehverlust. Heute ist sie Obfrau des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Oberösterreichs (BSVOÖ) und gibt Betroffenen tagtäglich Mut, Zuversicht und Hoffnung.

selpers: Der 12. Oktober ist der Welttag des Sehens. Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Susanne Breitwieser: Mein Wunsch für die Zukunft ist ganz einfach, dass man miteinander redet. Dass der Mensch mit Beeinträchtigung im normalen Alltag ein Teil der menschlichen Artenvielfalt sein darf. Dass ein Mensch mit Rollstuhl, ein Mensch, der blind oder sehbehindert ist, selbstverständlich ist. Es gibt eben Menschen, die besondere Bedürfnisse haben, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Sehr viele sprechen von Inklusion und wollen das auch verwirklichen. Aber ich habe manchmal das Gefühl, sie wissen nicht wie. Da gibt es diese Angst der Sehenden davor, wie sie mit uns umgehen sollen. Denn sie wollen ja nichts falsch machen. Deshalb braucht es diesen Dialog.

selpers: Was hat Ihnen besonders geholfen, als Sie von Ihrer Diagnose erfahren haben?

Susanne Breitwieser: Ich muss ganz ehrlich sagen, der Tag, an dem ich von der Diagnose erfahren habe, war ziemlich schlimm. Es gab über einen längeren Zeitraum viele Untersuchungen und schlussendlich ging ich dann zum Arzt hinein und der sagte ganz einfach: „Tut mir leid Frau Breitwieser, sie werden blind.“ Wusch! Das ist ein wahnsinniger Schock. Ich wollte dann natürlich sofort wissen, was ich tun kann. Gibt es Medikamente? Gibt es eine Operation? Aber der Arzt sagte nur: „Nein, sie werden blind.“ Und dann wurde ich nachhause geschickt. Ohne richtige Aufklärung, ohne mir zu sagen, was für Möglichkeiten es für mich gibt. Mir ist vollkommen klar, keiner hätte an meiner Erblindung etwas ändern können. Aber einen Menschen nach so einer Diagnose stehen zu lassen, das war schlimm.

Ich hatte das große Glück, dass mich mein Hausarzt richtig aufgefangen hat. Der hat sich wirklich reingekniet, um alles über meine Erkrankung zu erfahren. Er hat die Tatsache, dass ich langsam erblinden werde, auch nicht verändern können. Aber er hat sich die Zeit genommen, mir alles zu erklären und er hat mir Zeit gegeben, mit all meinen Ängsten rauszusprudeln. Weil blind sein bedeutete für mich einfach schwarz, dunkel und sonst nichts.
Auch in Erinnerung geblieben ist mir, dass er gesagt hat: „Diese Erkrankung, die du hast, ist vererbbar. Du hast zwei Kinder, die für dich die wichtigsten Menschen in deinem Leben sind. Und so, wie du jetzt mit dieser Erkrankung umgehst, so werden auch deine Kinder, sollten sie die Erkrankung bekommen, einmal damit umgehen.“

Ich sag dann zu den Leuten: Wissen Sie, wie glücklich Sie sein können? Sie haben so lange sehen dürfen. Die Bilder in Ihrem Kopf und in Ihrem Herzen kann Ihnen keiner wegnehmen. Und jetzt versuchen wir, einfach nur ein bisschen anders zu sehen. – Susanne Breitwieser

selpers: Wenn Sie heute zurückblicken, gibt es etwas, das Ihnen damals gefehlt hat?

Susanne Breitwieser: Grundsätzlich einmal die Aufklärung über meine Erkrankung. Aber vor allem die Aufklärung über die Möglichkeiten, die es jetzt für mich gibt. Was mir wirklich gefehlt hat ist ganz einfach das, was ich heute bei den Beratungsgesprächen mache. Da sage ich zu den Leuten: „Sagen Sie mir, was Ihnen am meisten fehlt, wovor Sie am meisten Angst haben und was sie am meisten bedrückt und ich gebe Ihnen jetzt einen Blumenstrauß an Möglichkeiten.“ Es gibt Mobilitätstraining, LPF-Training, iPhones und Computer mit Sprachausgabe, man kann Braille (Blindenschrift) lernen und und und… Und meine Prämisse zum Erstgespräch ist immer die: Ich bin da, halte Sie an der Hand und gehe den Weg so lange Sie möchten mit Ihnen.

selpers: Wie sind Sie zum BSVÖ Oberösterreich gekommen und inwiefern hilft Ihnen die Arbeit als Obfrau?

Susanne Breitwieser: Ich bin über eine gute Bekannte mit Sehbehinderung zum BSVÖ Oberösterreich gekommen. Mein erster Besuch einer Selbsthilfegruppe war nicht positiv. Da hat die Gruppe nicht so richtig gepasst und die Zeit war einfach noch nicht reif. Ich bin dann aber am Tag des weißen Stocks noch einmal zu einem Treffen des BSVOÖ gegangen und war total überrascht. Da waren Blinde und Sehbehinderte, die gelacht haben und die größte Gaudi hatten. Durch diese Gemeinschaft und den Austausch habe ich dann gelernt, die Tatsache, dass ich nichts an meiner Erblindung ändern kann, zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.

Mein erstes aktives Engagement für den BSVÖ Oberösterreich war dann als Führhundereferentin. Ich bin ein aktiver Mensch, der gerne beschäftigt ist und so habe ich eben sukzessive mehr gemacht, über Obmann-Stellvertreterin bis hin zur Obfrau. Die Arbeit ist viel und sehr zeitintensiv. Aber wenn ich merke, da geht jemand aus dem Beratungsgespräch raus und hat jetzt wieder ein bisschen mehr Hoffnung geschöpft, dann macht mich das jedes Mal aufs Neue glücklich.

selpers: Die Weltbevölkerung wird immer älter. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen an altersbedingten Augenerkrankungen leiden. Warum ist die Aufklärung über Erkrankung und Früherkennung so wichtig und was leistet der BSVOÖ dahingehend?

Susanne Breitwieser: Aufklärung und Informationen sind so wichtig, weil auch Menschen mit 75 Jahren oder 80+ Freude am Leben haben wollen. Diese Menschen müssen wissen, was sie für Möglichkeiten haben. Ein Beispiel: Die Oma geht so gerne auf einen Kaffeeplausch zu ihrer Nachbarin, hat aber Angst, über die Straße zu gehen oder den Gehsteig runterzufallen. Dann muss sie wissen, dass sie ein Mobilitätstraining machen kann und lernen kann, diesen Weg mit dem Stock zu gehen. Das gibt ihr Selbstvertrauen und erhält ihre Freude am Leben. Der BSVOÖ berät und zeigt alle diese Möglichkeit auf. Durch unsere Öffentlichkeitsarbeit leisten wir auch Aufklärungsarbeit. Wir bieten bei uns im Haus zum Beispiel das „Frühstück im Dunkeln“ an. Da kann sich jeder, der Interesse hat, wie etwa Schulklassen oder Pflegepersonal, in die Situation eines blinden Menschen hineinfühlen.

selpers: Wobei kann der BSVOÖ Blinde und Sehbehinderte und deren Angehörige unterstützen?

Susanne Breitwieser: Das ist relativ breitgefächert. Bei uns im Büro gibt es, wie schon erwähnt, die Beratungsgespräche. Da klären wir Fragen wie: Ist ein Pflegegeldantrag gestellt worden? Gibt es schon einen Behindertenpass? Wir unterstützen und füllen gemeinsam mit Betroffenen und Angehörigen Formulare aus. Diese Beratungen finden aber nicht nur im Büro statt, sondern wir machen immer wieder Bezirksausfahrten in Oberösterreich. Da können sich die Leute vorab in ihrem Bezirk für Einzelberatungen anmelden und können mit einem oder einer Selbstbetroffenen sprechen.Wir bieten aber zum Beispiel auch Veranstaltungen, wie Yoga, Kegeln oder vieles mehr an.

Und dann haben wir, wie bereits erwähnt, das „Frühstück im Dunkeln“ oder unsere Workshops, die noch ein bisschen in den Kinderschuhen stecken. Da gibt es Angebote für Betroffene, Angehörige, aber zum Beispiel auch Schulklassen oder Menschen, die im Pflegebereich arbeiten und erfahren wollen, wie es ist blind zu sein oder wie man mit Betroffenen am besten umgeht. Zum Beispiel können Sehende selbst mit der Dunkelbrille und dem Stock herumgehen. Es geht aber auch um so Dinge wie, wie bringe ich eine blinde Person zum Sessel?

selpers: Auf welche Probleme stoßen Blinde und Sehbehinderte beim Zugang zu Hilfsmitteln in Österreich?

Susanne Breitwieser: In Österreich ist es schwierig, weil es 9 Bundesländer mit 9 Verordnungen gibt. Darum ist alles rund um das Thema finanzielle Unterstützung einfach ein Dschungel. Momentan haben wir zum Beispiel ein riesiges Problem mit den Bildschirmlesegeräten, für die die Gesundheitskasse – und hier weiß ich jetzt nicht den brandaktuellen Stand – wenig dazuzahlt. Da muss eine Lösung her, wie dieses 6.000 Euro teure Gerät leistbar gemacht werden kann. Denn viele können sich einen Selbstbehalt von 3.000 Euro nicht leisten. Es kommt in Österreich auch drauf an, wie alt der Mensch ist. Ist er noch im Arbeitsprozess oder bereits in Pension? Sich in der Pension einen Blindenführhund leisten zu können ist schwierig. Wenn man arbeiten geht, bekommt man 30.000 Euro vom Lastenausgleichsfond. So etwas gibt es aber nicht für Pensionisten oder Pensionistinnen.

selpers: Was muss auf gesellschaftlicher und politischer Ebene Ihrer Meinung nach verbessert werden?

Susanne Breitwieser: Es muss sich viel tun. Fangen wir zum Beispiel bei blinden Kindern an. Es wird schon schwierig, wenn man sein blindes Kind etwa in die nahegelegene örtliche Schule schicken möchte. Denn es gibt kein entsprechendes Lehrpersonal und auch nicht das Anrecht darauf. Wir wollen Inklusion, aber da braucht man dann auch das Werkzeug dafür.

Auch für die Mindestpensionistin, die ihr Leben lang für die Familie da war und nur wenig arbeiten konnte. Die kann sich dann einen hohen Selbstbehalt nicht leisten. Aber auch sie hat das Recht, mit einem Blindenführhund oder einem Bildschirmlesegerät unabhängiger und selbstbestimmter zu leben und an der Gesellschaft teilzuhaben. Es ist mir vollkommen klar, dass das alles nicht so leicht geht, aber deswegen meine ich ja: reden wir miteinander. Ich denke auch, dass wir Blinden und Sehbehinderten hier einen Beitrag leisten müssen. Leider schämen sich gerade oft die älteren Menschen dafür, aber ich betone immer wieder: bitte kennzeichnet euch. Da geht es einfach um das Miteinander.

selpers: Unsere Gesellschaft wird nicht nur stetig älter, sondern auch digitaler. Nicht immer ist diese digitale Welt barrierefrei gestaltet. Wo gibt es noch viel zu tun und welche Erfahrungen hat der BSVOÖ im Bereich Digitalisierung für Blinde und Sehbehinderte?

Susanne Breitwieser: Durch die Digitalität ist uns eine tolle Welt eröffnet worden. Aber auch hier braucht es mehr Kommunikation. Ein Beispiel sind Homepages. Bitte lasst eure Homepage vom Screenreader testen. Denn der kann nicht alles vorlesen. Dadurch werden uns einfach wichtige Informationen vorenthalten. Oder was besonders schwierig ist, sind Touchscreens. Da fällt die ganze Haptik einfach weg. Klar, mein iPhone kann mit mir sprechen, da ist der Touchscreen kein Problem. Aber der Lift mit Touchscreen, den sie unweit von mir in einem Ärztezentrum gebaut haben, der spricht natürlich nicht mit mir.

Es ist einfach wichtig, bei uns nachzufragen und gemeinsam eine Lösung zu finden. Vor allem bei älteren Menschen, die erblinden, ist die Digitalität oft schwierig. Aber wir haben auch viele Betroffene, die mit 75 unbedingt lernen wollen, einen PC zu bedienen. Ja warum denn auch nicht? Der PC spricht ja, ich muss nur lernen, wie man damit umgeht.

Herzlichen Dank für das Interview!

Susanne Breitwieser
Susanne Breitwieser wurde in ihren Zwanzigern mit einer  unheilbaren Augenerkrankung, diagnostiziert, die über Jahre hinweg zum Sehverlust führte. Mittlerweile ist sie Obfrau des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Oberösterreichs und und gibt Betroffenen tagtäglich Mut, Zuversicht und Hoffnung. Ihr Blindenführhund Cora ist ihr täglicher Begleiter und ermöglicht ihr ein unabhängiges Leben.
Hier gehts zur Website des BSVOÖ

Interview wurde geführt von:  selpers Red.

Bildnachweis: Susanne Breitwieser | BSVOÖ